Akkis Sunset Valley

>> Verbrechensrate in Sunset Valley sinkt.
Die Verbrechensrate in Sunset Valley in Umgebung sinkt. Laut Polizeiangaben ist dies auf die erhöhte Aktivität der Sicherheitskräfte zurückzuführen. Insider behaupten jedoch, dass das organisierte Verbrechen unter Machtkämpfen zu leiden hat. Offenbar ist ein Machtvakuum entstanden. Der Polizeisprecher … <<
Lethe sah zufrieden von der Zeitung auf. Darrel hielt sich an seinen Teil der Abmachung. Sie selbst hatte sämtliche Suchverläufe auf dem PC gelöscht und versuchte so selten wie möglich an Darrel zu denken. Was in einer Kleinstadt wie Sunset Valley gar nicht so einfach war!
Erst neulich hatte Jasper von Darrel erzählt. Lethe hatte natürlich die Ohren gespitzt. Jasper und Darrels Sohn Dylan besuchten gemeinsam eine AG und für ein Projekt hatte ihr Ältester den einzigen Sohn ihres Erzfeindes besucht. Dylan wunderte sich gegenüber Jasper über seinen Vater: Seit der in Frühpension gegangen war, spann er herum. Darrel blieb lange im Bett und trug fast den ganzen Vormittag seinen Pyjama. Außerdem benutzte er sogar Dylans Spielkonsole! Das Ding hatte er zuvor höchstens abfällig als „Daddelkiste“ bezeichnet. Dylan schloss mit der Warnung: „Wenn Deine Eltern älter werden, dann pass bloß auf! Die sind dann nicht mehr normal!“

Lethe schmunzelte über Jaspers wortgetreuen Bericht. Der Junge war so arglos, dass er sogar Dylans Bemerkungen wiederholte. Sie hatte wirklich Glück mit ihren Kindern! Gerade Jasper war der absolute Vorzeigesohn. Sein jüngerer Bruder Jason war ein echter Klassenclown, der grundsätzlich verschlief und auch schon mal Nachsitzen musste, weil er es in der Schule zu wild trieb. Aber er hatte ein einnehmendes Wesen, dass sogar die Lehrer, die ihn zum Nachsitzen verdonnerten in den höchsten Tönen von ihm schwärmten.



Jaden, der jüngste Bruder, war eine richtige Leseratte und oft genug mussten Lethe oder Jacob ihn nachts zudecken und das angefangene Buch zur Seite legen. Er las überall: Auf dem Klo, am Frühstückstisch, im Bus. Manchmal argwöhnte Lethe, er lese sogar im Unterricht. Er las auch gerne seinen kleinen Schwestern vor, was Lethe sehr begrüßte.

Auch die Mädchen entwickelten sich prächtig. Bevor Lea und Leo in die Schule kamen, verbrachten sie den ganzen Vormittag mit Leta am Spieltisch. Es würde ein großes Theater geben, wenn die Zwillinge schließlich vormittags in die Schule mussten und die kleine Leta alleine mit ihrer Mutter zuhause blieb.


(Leonor, Leta, Leandra)

Den restlichen Artikel über die Verbrechensrate überflog Lethe nur und begab sich zu den Anzeigen. Die Geburtenanzeigen musste sie nicht großartig lesen, sie saß schließlich an der Quelle. Immerhin drei neue Erdenbürger waren in den vergangene Wochen geboren worden. Über zwei der drei Geburten hatten sich sehr viele gewundert.
Dass Bernice, eine der vielen Cousine von Jacob (und Halbschwester seiner Halbgeschwister) und ihr Mann Neal Nachwuchs, ein Mädchen namens Jamila, bekommen hatten, war nicht verwunderlich. Die beiden waren schon lange verheiratet, standen mit beiden Beinen im Leben und hatten schon öfter davon gesprochen Kinder zu bekommen.

Über den kleinen Sean Thomas hingegen hatte es viele Gerüchte gegeben! Es war aber auch so furchtbar ungeschickt von Helena sich ausgerechnet mit Chris einzulassen! Lethe vermutete, dass mehr dahinter steckte als die Lästerzungen im Allgemeinen behaupteten.



Damit hatte sie gar nicht so unrecht.
Helena und Chris waren schon seit der Schule lose befreundet. Chris fand Helena sehr anziehend, aber sie war nun mal die Tochter seiner Cousine. Deren Vater Will war zwar nur der Halbbruder seiner Mutter Fran, aber es gab eben diese Blutsverwandtschaft um ein paar Ecken. Für Helena war Chris eigentlich nie mehr als ein Freund. Was niemand wusste und was sie stets gut versteckte: Sie war schon seit sie denken konnte unglücklich verliebt. Deswegen war sie so bald ausgezogen um sich am Wasserfall zurückzuziehen. Dort konnte sie alleine sein und sich in tiefen Seufzern selbst bemitleiden. Da sie aber nun mal auch Perfektionistin war, gediehen ihr Garten und die Nektarproduktion in kürzester Zeit. Als würde all ihr Herzschmerz den Nektar besonders schmackhaft machen, fanden die jungen Nektare reißenden Absatz. Inzwischen vertrieb sie sechs Mischnektare und einen Apfelnektar, der in Insiderkreisen schon als Modegetränk gehypt wurde.

Aus einer Laune heraus lud Helena Chris ein mit Anwar vorbeizukommen, damit der Junge ein bisschen im Garten spielen konnte. Chris traute dem eigenen Garten seit dem Meteoriteneinschlag nicht, weswegen Anwar höchstens mal auf die Terrasse kam.
Unter Helenas Bäumen erkundete Anwar fröhlich den Garten, steckte sich Grashalme und Käfer in den Mund und sorgte bei seinem Onkel für mittelprächtige Nervenzusammenbrüche. Helena amüsierte sich königlich über den hilflosen Chris, der immer noch ein bisschen mit seiner unverhofften Ersatzvaterrolle überfordert war. Inzwischen arbeitete er zwar wieder im Krankenhaus, aber er fehlte dort häufig, weil Anwar nun mal seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte.



„Bring ihn mir einfach vorbei wenn Du arbeiten musst und hol ihn ab, wenn Du mit Deinen Sachen fertig bist. Du brauchst auch mal eine Auszeit.“, schlug Helena deswegen vor.
„Weißt Du auf was Du Dich da einlässt?“, fragte Chris mit seiner fast schon charakteristischen Hysterie in der Stimme.
Helena lachte. „Chris, ich habe meine kleinen Geschwister großgezogen. Nur weil Anwar durchsichtig ist, ist er nicht anstrengender als Amy und Will.“
Damit hatte sie natürlich recht. Sie und Anwar kamen hervorragend miteinander aus. Seine neue Tante fand er toll und er liebte es an ihrem Rockzipfel zu hängen und überall mit hingetragen zu werden.

Chris und Helena sahen sich von nun an fast täglich und freundeten sich in dieser Zeit eng an. Chris war zwar mit seinem eigenen Leben ständig überfordert, aber er war nicht unsensibel und bemerkte Helenas beständige, unterschwellige Melancholie und den häufigen Genuss ihres eigenen Nektars. Er traf sie zwar nie betrunken an, doch er fand, dass ihr Konsum zu groß war.
Als er eines Abend Anwar abholen kam, bot sie ihm ein Gläschen an.
„Nein, ich möchte nicht. Und Du solltest auch nichts trinken.“, sagte er mit überraschend bestimmter Stimme.



„Nicht?“ Sie sah ihn verwundert an.
„Ich … ähm also es geht mich ja nichts an … äh aber ich finde Du trinkst ein bisschen zuviel.“, stammelte er los. Soviel zu seiner Bestimmtheit! „Das finde ich nicht gut.“
Sie sah ihn verstimmt an und stellte Nektar und Gläser beiseite. Abwartend stütze sie die Hände in die Hüfte. Chris trat der Schweiß auf die Oberlippe. Hätte er doch nur den Mund gehalten! Unter ihrem Blick wand er sich ein paar Sekunden, bevor er antwortete.
„Naja, also … ähm. Du bist traurig, aber das ist kein Grund soviel von Deinem eigenen Nektar zu trinken.“
„Und wenn ich ihn nur trinke, weil ich ihn mag?“
„Tust Du das?“ Chris sah sie prüfend an. „Ich glaube nicht.“ Als Helena nicht antwortete, fuhr er fort. „Vielleicht solltest Du mal über Deine Traurigkeit reden. Das soll helfen.“
Helena ließ die Schultern fallen und sah nicht mehr so verstimmt, sondern einfach nur unglücklich aus. Chris legte ihr tröstend die Hand auf die Schultern. „Ist es wegen Deiner Mutter? Ich weiß wie schrecklich das ist.“
„Nein.“ Helena schüttelte den Kopf. „Ich habe Moms Tod ganz gut verkraftet. Ich … ach ich weiß nicht ob ich darüber reden möchte.“ Ihr Blick wanderte zur Nektarflasche. Chris stellte sich entschlossen in ihr Blickfeld.
„Das solltest Du aber. Ich habe keine Lust Anwar irgendwann neben einem besoffenen Weib zu finden.“, sagte er und schlug sich direkt danach die Hand vor den Mund. „Oh.“
„Ich würde doch nie trinken wenn Anwar hier ist!“, empörte sich Helena und sah ihren Freund fuchsteufelswild an. „Was bildest Du Dir überhaupt ein! Ich habe Dich nicht gebeten Dich einzumischen!“ Sie wischte seine Hand von ihrer Schulter und wand sich ab.
Chris stammelte ein paar Worte der Entschuldigung.
„Lass mich doch einfach allein.“, sagte schließlich tonlos. „Anwar muss auch ins Bett.“
Chris warf einen Blick zu Anwar, der auf der Couch eingeschlafen war. „Nö.“
„Nö?“
„Nö!“ Chris fasste sie an der Schulter und drehte sie sanft an. „Ich möchte, dass Du mir erzählst was los ist. Du musst darüber sprechen.“
„Sagt der Mann, der sein eigenes Leben nicht im Griff hat.“
„Ich habe wenigstens mein Gefühlsleben im Griff – naja meistens.“ Er lächelte schief.
Unwillig lächelte Helena. „Ach Chris. Ich bin so dumm.“
„Das bezweifle ich. Komm wir setzten uns was nach draußen. Es ist ein schöner Abend.“
„Wie immer in Sunset Valley.“ Helena sah ein letztes Mal auf die Flasche. „Ich schätze Du hast recht, was den Nektar angeht. Ich sollte weniger trinken.“
Chris nickte onkelhaft und gemeinsam gingen sie in den Garten.

Es dauerte nicht lange und Helena erklärte Chris stockend, dass sie seit ihrer frühsten Jugend verliebt war, aber ihre Liebe niemals eine Chance gehabt habe. Als sie ihm beichtete, dass sie schon immer in Shane - ihren Stiefvater! – verliebt war, musste Chris unwillkürlich nicken. Sie hatte wirklich nie eine Aussicht gehabt. Shane hatte seit Junes Tod nie wieder eine andere Frau auch nur angeguckt – dabei mangelte es dem Sportstar wirklich nicht an Gelegenheiten. Zum anderen war Helena für ihn wie eine Tochter (und was noch schwerer wog: sie war Junes Tochter).
„Ich dachte wenn ich hierher ziehe, dann geht es vorbei. Aber es hört nicht auf.“, sagte Helena schließlich. „Jedes Mal wenn ich zuhause bin und ihn sehe, dann kommt das Gefühl wieder in mir hoch. Ich sehe ihn und fühle es und ich kann nichts dagegen tun.“
Tröstend legte Chris den Arm um sie. Was für eine auswegslose Verliebtheit. Er konnte wenig mehr tun, als ihr ein offenes Ohr zu schenken. Diesen Berg musste sie alleine bewältigen. „Wenn Du willst bleiben Anwar und ich heute Nacht hier. Dann bist Du nicht so alleine.“
Helena wollte dem entgegenhalten, dass sie eigentlich gern alleine war, aber Chris’ Angebot rührte sie. Den kleinen Anwar hatte sie gerne um sich und Chris war zwar eine Katastrophe auf zwei Beinen, aber er war ein liebenswerter Kerl, der keiner Fliege etwas zu leide tun würde. Sie nickte.
„Ich mach uns was zu essen. Du kannst Anwar ja in mein Bett legen.“ ‚Kochen ist gut.’, dachte Helena, denn es würde sie beschäftigt halten. Sie war sehr aufgewühlt. Chris hatte recht behalten: es hatte ihr gut getan sich auszusprechen. Aber sie war jetzt durcheinander. Chris hatte nicht über sie geurteilt, sondern nur zugehört. Sie hatte erwartet, dass er ihr verbal einen Vogel zeigen würde. Sie war aber auch dumm – sich in den eigenen Stiefvater zu verlieben! Als sie in die Küche kamen fiel ihr Blick auf die Nektarflasche. Sie hatte wirklich ein bisschen zu häufig ein Glas oder auch mehrere getrunken. Sie konnte dann einfach besser einschlafen ohne dauernd an Shane zu denken. Entschlossen stellte sie Flasche und Gläser in den Schrank und holte die Zutaten für eine schnelle Pasta aus dem Kühlschrank.

Wenig später kam Chris aus dem Schlafzimmer, stellte sich still neben sie und begann Zwiebeln zu schneiden. Schweigend arbeiteten sie nebeneinander her, bis der ungeschickte Chris sich in den Finger schnitt. Er heulte auf und warf mit Zwiebelringen um sich. Helena legte schnell ihr eigenes Messer weg und griff nach dem herumspringenden Chris. Sie hielt seine Hand und zwang ihn still zustehen.
„Halb so wild.“, urteilte sie, während Chris, der Arzt, kaum hinsehen konnte. Sie drehte den Wasserhahn der Spüle auf und hielt seinen Finger darunter. „Ich denke Du bist Arzt.“
„Kann mein eigenes Blut nicht sehen.“, stieß Chris hervor und verrenkte seinen Hals um bloß nicht auf seine Hand sehen zu müssen. „Außerdem tut’s weh!“
Helena lächelte still vor sich hin als sie nach der Küchenrolle griff und den Finger vorsichtig abtupfte. Chris hielt den Kopf immer noch zur Seite geneigt, jammerte aber nicht. Sie nahm den Finger und blies leicht auf die Wunde, so wie man es bei Kindern tut. Chris schielte auf sie nieder. „So heilt es besser.“, sagte sie augenzwinkernd und drückte vorsichtig einen Kuss auf den Finger.

Vergleiche die meteorologische Begriffe beinhalteten, vermied Chris seit seiner Begegnung mit dem Meteoriten eigentlich, doch nun war er wie vom Donner gerührt. Da auch Helena mit den Lippen auf seinem Finger innehielt, kam es ihm für einen Moment so vor, als würde die Welt still stehen. Schließlich löste sie ihre Lippen und sah ihn an.
Fort waren alle Gedanken an die Blutverwandtschaft, an Helenas Verliebtheit, an den schlafenden Anwar in Helenas Schlafzimmer!
Chris zog Helena an sich und küsste sie vorsichtig. Wenn sie ihn jetzt wegstieß … doch das tat sie nicht! Helena lehnte sich gegen ihn und erwiderte den Kuss. Konnte es sein, dass Chris zum ersten Mal in seinem Leben keine Katastrophe auslöste?



Am nächsten Morgen erwachte Chris alleine in Helenas Bett. Seufzend setzte er sich auf und starrte aus dem Fenster. Und nun? Hatte er Helena ausgenutzt, weil er endlich auch mal mit einem Mädchen was haben wollte? Oder hatte Helena ihn ausgenutzt, weil sie sich von Shane ablenken wollte?
Chris schüttelte den Kopf und begann die Bettdecke zu kneten. Er hatte Helena schon immer attraktiv gefunden, sie aber stets für unerreichbar gehalten, weil ihre Mutter seine Cousine war.
„Verdammt.“, stöhnte er leise. Er hatte mit Helena geschlafen! Das war doch nicht in Ordnung! Es war also doch wieder eine Katastrophe eingetreten.
Leise öffnete sich die Tür. Helena trat ein.
„Guten Morgen.“, sagte sie und setzte sich neben ihn aufs Bett. Sie ergriff seine Hände, damit er nicht länger die Bettdecke malträtierte und suchte seinen Blick.
„Ich … .“, stotterte Chris und brach ab. „Helena, ich ….“
Helena sah ihn freundlich an, doch Chris brachte vorerst kein weiteres Wort heraus. Er entzog ihr seine Hände und begann wieder die Bettdecke zu kneten. Helena sah ihm dabei zu. Sie wusste selber nicht so recht was sie sagen sollte.
„Es tut mir leid.“, sagte Chris schließlich mit der üblichen Hysterie.
„Mir nicht.“, erwiderte Helena wie aus der Kanone geschossen. Als er sie überrascht ansah, lächelte sie ihn an. „Es hat Spaß gemacht.“
„Spaß gemacht?“, echote Chris. War das ein Traum?
„Ja.“ Sie sah ihn schelmisch an. „Und ich hatte den Eindruck Du hattest auch Spaß.“
Chris wurde rot und sah auf seine Hände, die Helena erneut ergriff. Sanft strich sie mit den Daumen über seinen Handrücken.
„Wir hatten also beide Spaß.“, sagte Chris schließlich tonlos. Er stand auf und ging zum Fenster. Helena verharrte auf dem Bett. „Und das war’s?“ Er drehte sich um und sah so gar nicht nach dem liebenswerten, leicht vertrottelten Chris aus. „Du bist die Tochter meiner Cousine. Außerdem bist Du unglücklich verliebt und … und ….“
Helena verlor ihr Lächeln und nickte nur. Chris wand sich wieder ab und lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe. Er seufzte schwer.
Mit raschelndem Rock erhob sich Helena und trat an Chris heran. Sie legte ihm den Arm um die Hüfte und zwang ihn, sie anzusehen.
„Chris, ich mag Dich. Das ist das erste was Du wissen sollst. Ich habe Dich sogar ziemlich gern.“ Sie setzte erneut an feines Lächeln auf. „Was Deine Verwandtschaft mit meiner Mutter angeht: So eng sind wir beide nicht verwandt. Ich habe Dich auch nie als Verwandten empfunden.“
„Aber das ändert doch nichts daran!“, unterbrach er sie.
„Psscht.“, machte sie und legte ihren Finger auf seinen Mund. „Ändert woran nichts? Das wir zu einem Bruchteil genetisch verwandt sind? Ich finde das nicht so schwerwiegend.“ Ihre Hand strich über seine unrasierte Wange. Er hielt sie fest und verschränkte seine Finger in ihren. „Und Shane….ja ich bin verliebt in ihn. Aber ich weiß auch, dass es aussichtslos ist. Ich wäre schön dumm, wenn ich mir deswegen Dich entgehen lassen würde.“
Chris lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch er blieb still. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren.
„Lass mich das noch mal resümieren.“, sagte er schließlich mit seinem hysterischen Unterton, der Helenas Lächeln breiter werden ließ. „Erstens: Du bist in Deinen Stiefvater verliebt. Zweitens: Du hast mich gern. Drittens: Du hast Spaß mit mir im Bett. Viertens: Wir sind zwar verwandt, aber das stört Dich nicht. Und daraus ergibt sich, Du willst von mir WAS?“
„Ich habe eigentlich immer Spaß mit Dir. Ob jetzt im Bett oder wenn wir einfach nur zusammen sind.“, äußerte Helena trocken. „Lass uns doch einfach sehen, wohin das mit uns führt.“
„Und wenn es nirgendwo hin führt, dann heißt es ‚Tschüss Chris, danke für den Spaß’?“ Er wollte sich von ihr losmachen, doch sie war erstaunlich kräftig und hielt ihn umfangen. Die Nektarherstellung erforderte wohl eine Menge Muskelkraft.
„Was willst Du?“, fragte Helena. Er hatte schon recht aufgebracht zu sein.
Chris sah sie irritiert an. Auf einmal war er sich ihres Arms um seiner Hüfte überdeutlich bewusst.
„Was ich will?“ Fragend hob er die Schultern. „Ich weiß nicht.“ Nicht nur ihres Arms war er sich bewusst, sondern ihrer Nähe überhaupt. Sie hatte schon geduscht, das Haar war noch feucht, sie roch sauber und nach Seife.

„Äh … ich will … duschen! Jetzt!“, sagte Chris und machte sich entschiedener los. Als er ins Badezimmer floh, sah ihm Helena kopfschüttelnd nach. Chris war schon ein drolliger Typ.

Im Badezimmer drehte Chris hektisch das kalte Wasser der Dusche auf und quiekte entsetzt auf, als der harte und eiskalte Strahl seinen Kopf traf. Fahrig hüpfte er in der Dusche hin und her um den Strahl zu entfliehen – heißes Wasser dazuzumischen wäre ja auch zu einfach. Doch die nasse Kälte hatte die erhoffte Wirkung: Chris’ Gemüt, allein schon durch Helenas pure Anwesenheit erhitzt, kühlte sich schlagartig ab. Seufzend drehte er auch das heiße Wasser auf und stellte sich unter die Brause. Ein just entjungferter Mittzwanziger entflammte nach Jahren der Enthaltsamkeit eben schnell.
Und was wollte er nun? Noch vor dreißig Sekunden hätte er am liebsten gesagt: ‚Dich und zwar jetzt sofort.’ Aber irgendwie hatte sich sein Verstand dazwischen geschaltet. Wenn Helena jetzt allerdings ins Badezimmer käme und unter die Dusche … Chris musste das heiße Wasser wieder ausdrehen und stand wie ein begossener Pudel im eisigen Regen der Dusche.
Nach einer halben Stunde klopfte Helena beunruhigt an der Badezimmertür. „Chris? Ist alles in Ordnung?“ Wenn er weiter unter der Dusche stehen blieb, würde er verschrumpeln. „Kann ich reinkommen?“
Das Wasser wurde abgedreht. „Moment. Ich komm sofort.“
Erleichtert seufzte Helena auf und schlenderte in die Küche. Anwar saß in seinem Stühlchen und malte Kreise in seinen Brei. „Schmeckt’s Dir?“
„Leckaa. Auch?“ Er hielt ihr seine verschmierte Hand entgegen und Helena tat ihm den Gefallen und probierte den Brei.
„Mmmh, das ist wirklich lecker, Anwar.“
Der Junge strahlte und begann mit der ganzen Hand Brei in seinen Mund zu schaufeln. Helena schmunzelte. Als sie die Badezimmertür hörte, drehte sie sich langsam um und versuchte nicht allzu erwartungsvoll auszusehen.
„Du hast ja ganz blaue Lippen!“, stieß sie erschrocken hervor und rannte sofort zu ihm. Sie legte ihre warmen Hände auf seine Wangen. „Hast Du etwa die ganze Zeit KALT geduscht?“


Chris nickte verfroren.
„Warum denn das?“ Sie begann seine Arme zu rubbeln.
„Äh … was denkst Du denn?“ Er wirkte etwas resigniert, aber als Helena in haltloses Kichern ausbrach, stahl sich ein Lächeln in seine Mundwinkel. Um Würde bemüht, sagte er: „Das ist nicht witzig!“
Helena gab ihm einen schnellen Kuss auf die kalte, rote Nasenspitze. Anwar beobachtete derweil fasziniert die Erwachsenen. Brei tropfte vergessen von seinen Händen (und aus dem Mundwinkel, von der Nase, vom Tablett des Stuhls).
„Was willst DU eigentlich von mir?“, fragte Chris mit ernster Stimme. Er umfasste Helenas Hüften und sah sie ernst an.
„Ich mag Dich. Ich bin gern mit Dir zusammen, unterhalte mich gerne mit Dir. Und ich habe mit Dir Spaß im Bett.“, zählte Helena ruhig auf. „Außerdem rieche ich Dich gerne!“
„Du riechst mich gerne?“
„Ja. Du riechst lecker.“
„Ich rieche lecker.“, wiederholte er staunend. „Na, wenn Du meinst.“ Er lächelte. Auf ihren nun doch sehr erwartungsvollen Blick, machte er wieder ein ernstes Gesicht. „Ich mag Dich auch sehr gern, Helena. Tatsächlich riechst Du auch ziemlich gut. Ich könnte … ich könnte mir sogar vorstellen, mit Dir zusammen zu sein … Aber…..“
Helena seufzte. „Aber: Du bist der Halbcousin meiner Mutter?“
„Ja, schon, aber ich habe darüber nachgedacht. Ich glaube es gibt Präzedenzfälle … aber was ich eigentlich meinte: Willst Du wirklich mit mir zusammen sein, auch wenn ich nicht Deine große Liebe bin?“
„Bin ich Deine?“, erwiderte Helena nüchtern.
„Äh… .“ Chris kratzte sich am Kopf. „Ich weiß nicht. Ich war noch nie verliebt. Aber ich fand Dich schon immer anziehend.“
Helena lächelte breiter. „Du bist süß.“ Sie hauchte ihm einen weiteren Kuss auf die Nase, die inzwischen etwas aufgetaut war. Dann sah sie ihm fest in die Augen. „Also …?“
„Also… .“, wiederholte er. „Also schau’n wir mal.“ Dann küsste er sie

Von diesem Gespräch wussten die übrigen Bewohner von Sunset Valley nichts. Aber kaum war Chris mit Anwar ganz bei Helena eingezogen, begannen sie sich die Mäuler zu zerreißen. Der Höhepunkt wurde erreicht als Helena auf einmal sichtbar schwanger war.
Ashley war natürlich vorne mit beim Lästern. „Er ist ihr Großcousin soundsovielten Grades! Das ist doch pervers! Also das geht doch nicht!“
Wie immer versuchte Mycroft seine Freundin runterzuholen: „Chris ist Arzt, der weiß schon was er tut!“
„Ha, und warum weiß er als Arzt nicht mal wie man verhütet?“
Mycroft verdrehte die Augen und strich ihr über die Wange. „Ich nehm’ jetzt die Wäsche ab. Und denk mal drüber nach, was die Leute über Dich und mich manchmal sagen.“


„Pfffff. Das ist mir doch egal!“
Mycroft zwinkerte und klemmte sich den Wäschekorb unter den Arm. „Mir auch. Und Helena und Chris wahrscheinlich auch.“

Nachdenklich sah Ashley Mycroft nach, der pfeifend daran machte die Wäsche ab´zunehmen. Dann zuckte sie mit den Schultern und hob Sammy aus seinem Hochstuhl. „Sollen wir ‚Everbody has a bladder’ lesen?“, fragte sie ihren Jüngsten und nahm schon sein Lieblingsbuch aus dem Regal. Sammys Augen leuchteten und er griff mit den Patschehändchen nach den abgegriffenen Seiten. Mit lächelnden Gesichtern setzten sich Mutter und Sohn auf den Boden und vertieften sich zum hundertsten Mal in das von Ashley geschriebene Buch.

Am Abend half Ashley Eloise mit den Hausaufgaben. Ganz nebenbei eröffnete diese, dass sie am Wochenende auf eine Party ihrer Cousine Amy gehen wollte.



„Amy schmeißt SCHON WIEDER eine Party?“
„Jupp. Diesmal einfach nur so.“
„Einfach nur so? Klar die Geburtstagsparties für ihre Brüder und Jeremys Freundin reichen ja auch nicht!“
Eloise zuckte mit den Schultern. „Ist doch Wochenende. Und Shane hat nichts dagegen.“
„Das denk ich mir wohl … .“
„Er muss an dem tag spielen, aber er hat Jeremy als Anstandswauwau verpflichtet.“, fuhr Eloise ungerührt fort. „Jasper und Jason holen mich so gegen acht ab.“
Ashley sah ein bisschen verdutzt aus. Sie würde Eloise natürlich nie etwas verbieten, aber für gewöhnlich fragte ihre Tochter immerhin, ob es ok wäre. Verwöhnte sie ihre Kinder etwa zu sehr?

Wie alle von Amy veranstalteten Parties war auch diese Einfach-nur-so-Party ein echter Hammer. Zwar hätte die Party auch als Familienfeier gelten können, denn inzwischen war ja halb Sunset Valley miteinander verwandt, aber die Kids hatten eine Menge Spaß.



Einer der wenigen nicht verwandten Gäste war Simon, ein Mitschüler. Amy hatte ein Auge auf ihn geworden und es verwunderte niemanden, dass die beiden bald ein Paar waren. Allerdings hütete sich Amy, mit Simon herumzupoussieren wenn ihr Vater in der Nähe war – das hätte dann doch ein frühzeitigen Herzinfarkt bei Shane ausgelöst. Der sah in seinen Töchtern noch immer die braven Kleinkinder, die sie einst waren. Lauren war sicherlich ein braves und fleißiges Mädchen, doch Amy hatte es faustdick hinter den Ohren!

Jeremy wachte häufig über die Parties seiner Schwester auf denen er bis vor kurzem selber noch getanzt hatte. Aber inzwischen war er ein verantwortungsbewusster junger Mann, der mit seiner Freundin Corinne das Häuschen gegenüber seinem Elternhaus gezogen war. Sein neuer Status als verantwortungsbewusster Erwachsener wurde durch seine Berufswahl unterstützt: Jeremy wurde Feuerwehrmann und trat damit in die Fußstapfen seines Vaters.



Er musste allerdings bald feststellen, dass seine Mitfeuerwehrleute sich jenseits des Ernstes eines Notfalls nicht großartig anders verhielten als die Gäste auf Amys Parties …

Jeremys Freundin Corinne hatte sich in den Kopf gesetzt Politikerin zu werden. Bisher durfte sie aber nur das Podium polieren. Corinne war eine findige junge Frau, die sich über die Gewohnheiten ihres Chefes Dane Barkley (der für seine Streiche als Schüler berühmt-berüchtigt war) informierte und dann – natürlich rein zufällig! – dort auftauchte, wo Dane am Wochenende seine Zeit verbrachte.



Jeremy war wenig begeistert, dass seine Freundin auch noch am Wochenende ihrem Chef in den Arsch kroch und er alleine angeln musste. Aber Corinne war nun mal ehrgeizig. Er wollte ihr dabei nicht im Weg stehen, denn er liebte sie aufrichtig.

Aus diesem Grund machte er ihr auch einen Heiratsantrag, den Corinne, von ganzem Herzen erfreut, annahm. Einen Termin hatten die beiden noch nicht ausgesucht – Corinne musste schließlich erst noch herausfinden, wann es ihrem Chef passte …

Jeremy würde ganz klassisch den Weg Verlobung, Hochzeit, Kinder gehen. Seine Cousine Marisol, die Älteste seiner Tante Danie, übersprang einfach mal ein paar dieser Schritte. Nach der Schule hatte sie ein Lehrerseminar besucht. Da Sunset Valley inzwischen über eine eigene Schule verfügte, brauchte Marisol noch nicht einmal in den Nachbarort fahren. Sie hatte den winzigen Bungalow neben dem Haus ihres Cousins Jeremy bezogen, der nicht einmal Platz für eine Waschmaschine bot, weswegen sie immer in den Waschsalon fahren musste.



Aber zurück zum Überspringen der Schritte Verlobung, Hochzeit. Marisol hatte noch nie etwas für Beziehungen übrig gehabt. Flirten war ihr ein großes Grausen. Dennoch war sich die junge Lehrerin schon immer sicher, dass sie einmal Kinder haben wollte. Da blieben ihr zwei Möglichkeiten: entweder sich einen Samenspender suchen oder sich um eine Adoption bemühen. Erstere Option kam für Marisol nicht in Frage.
Bei der zweiten Handhabe trat unerwartet Marisols selbst gewähltes Single-Dasein als Stolperstein auf. Einer alleinstehenden, jungen Frau, die nur über ein geringes Lehrereinkommen verfügte, war nicht gerade die Idealvorstellung der Adoptionsbehörde. ‚Antrag abgelehnt.’, hieß es deswegen schlichtweg.

Marisol war zunächst ein paar Tage niedergeschlagen und bewarb sich dann als Pflegemutter. Sie erklärte sich sogar bereit, auch schwierige Kinder anzunehmen. Das Jugendamt besuchte sie, sprach mit Arbeitskollegen, Verwandten und Freunden. Über Marisols besondere Ordentlichkeit und die Begeisterung mit der sich ihre Schüler und die anderen Lehrer über ihre pädagogischen und didaktischen Fähigkeiten äußerten, zeigten sich die Vertreter des Jugendamtes sichtlich erfreut.


ich finde Marisol sieht ihrer Oma Hanna ziemlich ähnlich - kann aber auch an der Frisur liegen^^

Und so brachte man Marisol schon ein paar Wochen später das Kleinkind Lainey vorbei. Lainey war ihrer sie vernachlässigenden Mutter abgenommen worden und sollte bei Marisol zunächst zur Probe unterkommen. Im Moment stand noch eine Entscheidung des Jugendamtes aus, ob Lainey dauerhaft von ihrer Mutter getrennt bleiben sollte und vielleicht sogar zur Adoption gegeben werden sollte. Doch solange würde Lainey in Marisols Obhut gut aufgehoben sein.

Lainey war nicht der dritte kleine Sim, der in den letzten Wochen in Sunset Valley zur Welt gekommen war. Das war nämlich die kleine Seona, die Tochter von Louis jüngstem Kind und einziger Tochter Lindsay. Und mit Seonas Geburt war Anwar nicht mehr das einzige durchsichtige Kind in Sunset Valley.

Ihr Vater war ein Geist. Er behauptete von sich selber Davon Gillespie zu heißen und einfach in dem kleinen Ort Zuflucht wegen seiner Andersartigkeit gesucht zu haben. Wie er und Lindsay sich näher gekommen waren, blieb im Dunkeln, aber auf einmal wurden Hochzeitseinladungen verschickt. Lindsays drei ältere Brüder Leon, Lucas und Lenny beäugten die plötzliche Hochzeit ihrer kleinen Schwester sehr argwöhnisch, doch Lindsay schien sich nicht sehr viel daraus zu machen, sondern setzte ein paar Wochen nach ihrer Hochzeit die Verkündigung der Schwangerschaft in die Zeitung.

Merkwürdigerweise war es Shameka, die auf einmal eine Geister-Phobie entwickelte. Sie hatte Davon zufällige einmal getroffen und war darüber so erschrocken, dass sie in Ohnmacht fiel …

„Ich finde wir sollten Darrel zu seinem Geburtstag besuchen.“ Jacob rührte in einer großen Schüssel einen Kuchenteig an. „Er hat ja nicht so viele Freunde und so ein runder Geburtstag ist eben was anderes.“
„Demnach ist der Kuchen da nicht für uns?“, fragte Jasper und warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Teig.
„Im Kühlschrank ist noch Obstsalat.“, erwiderte Jacob ungerührt. „Was sagst Du, Schatz?“
Lethe versuchte keine säuerliche Miene zuziehen. Wie hätte sie Jacob erklären können, warum sie so wenig wie möglich mit seinem Cousin zutun haben wollte?
„Ähm … ja klar.“, sagte sie lahm und zwang sich zu einem Lächeln.
„Gut. Dann kann ich mir auch mal Shameka ansehen. Darrel macht sich Sorgen, weil sie umgekippt ist.“
‚Das bezweifle ich.’, dachte Lethe zynisch und nickte automatisch.



Am nächsten Tag besuchte das Paar Darrel. Der öffnete, bekleidet mit einer verschmutze Arbeitsschürze, die Tür.
„Hi.“ Er sah Jacob fest in die Augen und mied Lethes Blick, die an der Tortenspitze herumzupfte. „Das ist ja eine Überraschung!“ Beinahe hätte Lethe laus losgelacht: obwohl Darrel so ein guter Schauspieler war, klang er jetzt doch etwas gequält.
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“, rief Jacob und Lethe stimmte etwas verzögert ein. Sie nötigte sich ein Lächeln ab und schüttelte dem Geburtstagskind die Hand.
„Ihr müsst mein Outfit entschuldigen, ich bastele gerade in der Werkstatt.“ Darrel führte seien Gäste ins Haus. „Shameka! Wir haben Besuch.“
Seine Frau kam sich die Hände abtrocknend aus der Küche. „Oh! Hallo Lethe, hallo Jacob.“ Sie lächelte und freute sich sichtlich über die unerwartete Gesellschaft. „Ich mache Kaffee!“
Jacob nahm Lethe die Torte ab und folgte Shameka in die Küche. Lethe und Darrel standen steif beieinander und mieden den Blick des anderen.
„Und? Was … äh … bastelst Du so?“, fragte Lethe schließlich und meinte: Hoffentlich treibst Du keinen Unfug!
„Och ich fertige ein paar Gimmicks an. Kugelschieber und so was.“, antwortete Darrel – Halt Dich bloß aus meinen Angelegenheiten raus!
Sie wechselten einen schnellen Blick, dann machte sich Darrel auf Aufforderung seiner Frau daran, den Tisch zu decken.

Überraschenderweise lockerte sich die Stimmung nach dem Kaffee und der Torte. Shameka bereitete Fish `n Chips vor, während Jacob sich mit dem inzwischen heimgekehrten Dylan über die CD-Sammlung der Porters hermachte. Warum lief es eigentlich immer Lethe und Darrel hinaus? Die beiden standen hölzern nebeneinander und wippten mit den Füßen im Takt.
„Was macht ihr beiden dahinten eigentlich?“, rief schließlich eine vergnügte Shameka rüber. Sie hatte ihre Freude an der spontanen Feier und glühte sogar jugendlich im Gesicht.
„Wir … äh.“, begann Lethe und sah Darrel hilfesuchend an.
„Wir tanzen!“, stieß der hinaus. Er sah Lethe starr an und grinste dann fatalistisch. Sie verdrehte die Augen.
„Das sieht aber ungelenk aus.“, kommentierte Dylan.
„Bürschchen!“, drohte ihm sein Vater, doch er lächelte, was Lethe verwunderte. „Ich habe schon getanzt als Du noch in der Ursuppe geschwommen bist!“
„So sieht das aber nicht aus. Vielleicht weil Du jetzt alt bist, Dad.“
„Lethe, jetzt schwingen wir die Hüften!“, sagte Darrel laut hörbar. Lethe guckte ein bisschen wie ein Reh im Scheinwerferlicht, als Darrel einen John-Travolta-Move hinlegte und sie herausfordernd ansah. Da Dylan, Jacob und Shameka gespannt zu den beiden sahen, blieb ihr nicht anderes übrig als mitzutanzen.



„Das vergelt’ ich Dir noch!“; zischte sie zwischen zusammengekniffenen Zähnen.
„Aber nicht mehr in diesem Leben. Die Abmachung ist auf Deinen Mist gewachsen!“ Darrel grinste.
Lethe grinste scheel zurück. „Kommt Zeit, kommt Rat!“

Darrel musste Lethe innerlich zustimmen. Zeit hatte er ja nun zur Genüge. Aber er war nicht so dumm und lebte einfach in den Tag hinein. Er hatte sich – offiziell – ein Hobby gesucht. Doch er tat das es aus einem Grund: Er wollte an einer Erfindung bauen, mit deren Hilfe er im nächsten Leben wieder erfolgreich ins Schattengeschäft einsteigen konnte. In DIESEM Leben blieb er sauber, aber Kira-Lethe hatte nie davon gesprochen, sich nicht auf sein nächstes Leben vorzubereiten …



Überraschenderweise machte ihm das Basteln wirklich Spaß. Sachen in die Luft gejagt hatte er schon immer gerne. Der Schrottplatz war ein riesiger Spielplatz für ihn.

Weniger schön war allerdings seine Erfahrung mit brennender Kleidung. Dies trug sich ein paar Tage nach seiner überraschenden Geburtstagsparty zu. Er hatte an einem kleinem Gerät geschweißt, als ein Funken auf sein Hemd sprang und er wenige Sekunden später schon eine menschliche Fackel war.



Zum Glück war Shameka mit ihm in der Garage! Geistesgegenwärtig hatte sie zum Handfeuerlöscher gegriffen und ihren Mann gelöscht. Darrel war mit einem Schrecken und ein paar Brandblasen davon gekommen. Sollte er so etwas wie einen Schutzengel haben? Naja, in Darrels Fall voll eher einen Schutzteufel …

Nachts um drei Uhr noch eine Maschine Buntes anzuschmeißen, gehörte definitiv nicht zu Lethes Lieblingsbeschäftigung, aber heute machte es ihr nichts aus. Sie hatte ausnehmend gut Laune, war zum großen Teil an der gelungenen Geburtstagsparty für Jaden lag. Die Organisation hatte Jason übernommen, der sich allerdings nicht scheute, alle schwereren Aufgaben großzügig an Eltern und Geschwister zu verteilen. Das anschließende Chaos zu beseitigen gehörte dazu.
Während sie Waschmittel in die Trommel gab, unterdrückte sie ein Gähnen. Die Mädchen waren längst im Bett. Die Zwillinge hatten zwar lange protestiert, denn als Lethe sie ins Bett geschickt hatte, war die Party noch im vollen Gang gewesen. Ihnen fielen aber schon die Augen zu und schließlich hatte Jacob sie kitzelnderweise ins Bett gescheucht. Leta war schon kurz nach dem Abendessen auf Jaspers Arm eingeschlafen. Sie war noch zu klein um schon den Aufstand zu proben und ohnehin ein pflegeleichtes Kind.