Akkis Sunset Valley

Shane war daheim und folgte Jacob erleichtert, dass June ihn sehen wollte, gerne ins Nachbarhaus. June war gerade auf Toilette und deswegen blieben die beiden Männer verlegen nebeneinander stehen.
„Hat June Ihnen erzählt was passiert ist?“, fragte Shane schließlich.
Jacob nickte.
„Ich wollte nicht, dass sie deswegen Streit mit ihrem Mann bekommt.“ Er senkte betroffen den Kopf. „Es wäre besser gewesen, wenn ich standhafter wäre.“
Jacob klopfte ihm freundlich auf die Schulter und rieb sich anschließend heimlich die Hand. Der Mann hatte ja Muskeln aus Stahl! „Ich glaube das hätte June enttäuscht.“
June kam in diesem Moment aus dem Badezimmer. Sie lächelte Shane freundlich an und Jacob nutzte die Gelegenheit sich auf den Heimweg zu machen. Die beiden schienen ihm das nicht übelzunehmen.
„Danke fürs Rüberkommen.“, sagte June nachdem Jacob gegangen war.
Shane zuckte mit den Achseln und erwiderte ihr Lächeln.
„Colin wird sich wahrscheinlich von mir scheiden lassen. Er ist ziemlich berechenbar.“, erklärte June. „Das Haus gehört mir alleine, ich werde also hier wohnen bleiben.“
Shane hörte ihr aufmerksam zu. Als sie nicht wusste, wie sei weitermachen sollte, sprang er ein: „Ich will mich um das Baby kümmern. Ich kann Dir auch Geld geben.“ Mit June eine Beziehung zu führen, darauf hatte er keinerlei Hoffnung. Das sie sich überhaupt dazu herabgelassen hatte sich mit ihm einzulassen! Das bisschen Verstand das er hatte, schrie natürlich, dass June nur mit ihm geschlafen hatte und kein Interesse an einer romantischen Beziehung hatte. Aber irgendwie hoffte er doch, sie hätten eine Zukunft.

„Ich mag Dich wirklich sehr. Du bist so lieb.“, sagte June. Shane konnte Tränen in ihren Augen schimmern sehen. Er ging auf sie zu und umarmte sie, das half doch mehr als tausend Worte! Sie schmiegte sich an ihn und seufzte tief. „Aber ich weiß nicht, ob wir zusammen sein können.“
„Ich verstehe.“, entgegnete Shane, aber er verstand es nicht. Er war in June verliebt. Sie hatte gerade gesagt, dass sie ihn mögen würde. Ihr Mann wollte sie verlassen. Wo war das Problem?
„Vielleicht … vielleicht sollten wir es im Moment so belassen wie es ist.“, schlug June vor.
„Und ich komm jeden Morgen vorbei und kümmer’ mich um Jemmy?“
June nickte und lächelte. „Bald musst Du wohl eher Windeln wechseln. Hier fühl mal.“ Sie legte seine Hand auf ihren Bauch. Erstaunt befühlte er die Bewegung des Kindes. June beobachtete gerührt sein strahlendes Gesicht. Vielleicht sollte sie manchmal so unbedarft wie er durch die Welt gehen?

Endlich war er daheim! Außer Lethe erwartete ihn niemand, was gut war. Er wäre vermutlich nicht besonders höflich zu seinen Geschwistern gewesen.
„Wie geht es June?“, fragte Lethe, die in der Küche auf ihn gewartet hatte.
„Ich will jetzt nicht über June oder sonst jemanden reden!“, erklärte Jacob und schlang seine Arme um Lethe. Sie kicherte nervös. Jacob hielt einen Moment inne um ihren Blick zu fangen. Sie verstummte und neigte den Kopf in seine Richtung. Schon senkte er seine Lippen auf ihre und endlich! endlich waren sie vereint.

Am nächsten Morgen war Lethe vor Jacob wach. Sie hatten wieder in einem Bett geschlafen und wieder war nichts passiert. Sie hatten sich dieses Mal geküsst, doch Lethe spürte, dass Jacob Bedenken hatte. Sie war deswegen ein bisschen frustriert, aber irgendwie bewegte es sie, dass er so rücksichtsvoll war.
Sie schlüpfte in eine Hose und einen Sweater und ließ Jacob weiterschlafen. Leise schlich sie nach unten – und erstarrte auf der letzten Stufe.
„Guten Morgen, Lethe.“, begrüßte Mycroft sie gequält. „Toast? Ashley hat sie gemacht bevor sie unter die Dusche gegangen ist.“
Irritiert ließ sich Lethe auf einen Stuhl fallen und griff sich einen Toast. „Ashley hat Frühstück gemacht? Freiwillig?“ Sie biss ab. „Und es genießbar. Ich weiß nicht was mich mehr erschüttert: Ashley freiwillig gemachtes Frühstück oder … .“
„Meine Anwesenheit?“ Mycroft umklammerte krampfhaft seine Kaffeetasse.

„Äh, ja.“ Sie biss erneut ab und nachdem sie geschluckt hatte, fragte sie: „Gesprächsbedarf?“
„Ich glaube ich muss die Nacht erstmal verdauen.“
„Gehört haben wir nichts.“, erklärte Lethe hilfsbereit und verbiss sich ein Grinsen. „Aber wir haben auch früh geschlafen.“
Mycroft verschluckte sich gehörig und bestätigte so Lethes Annahme. Wie zum Teufel hatte Ashley ihn doch so schnell rumgekriegt?
„Morgen Lethe.“ Ashley kam mit nassem Haar in die Küche und küsste Mycroft auf die Halbglatze. „Willst Du noch was?“, fragte sie mit Blick auf Lethes leeren Teller. Als diese den Kopf schüttelte, stellte Ashley den Teller kommentarlos in die Spülmaschine.
Lethe hatte erwartet, dass Mycroft bei dieser vertraulichen Geste zusammenzucken würde, aber er ließ sich nicht anmerken, ob es ihn störte. Ashley setzte sich neben ihn und beide verschränkten ihre Hände ineinander.
„Das muss ich jetzt nicht verstehen oder?“ Lethe ermahnte sich, nicht zu glotzen oder irgendetwas Unüberlegtes zu sagen.
„Ashley hat mich ähm … .“, stammelte Mycroft entgegen seiner vorherigen Ansage die Nacht erst noch verarbeiten zu müssen.
Ashley sah Mycroft erwartungsvoll an, doch er stammelte nur vor sich hin. Schließlich tätschelte sie seine Hand und sagte ihm fest in die Augen schauend: „Ich liebe Mycroft. Und er glaubt mir das endlich auch.“
Lethe gab dem unwiderstehlichen Drang laut loszulachen nicht nach. Auch fragte sie nicht: „So schnell?“. Sie wartete einfach nur ab, was Mycroft erwidern würde.
Mycroft artikulierte sich nicht, doch er streichelte Ashleys Wange und die beiden sahen sich wie verliebte Teenager in die Augen. Lethe schüttelte den Kopf als wäre das alles ein Trugbild. Dann erhob sie sich. Besser sie brachte Jacob schonend bei, das Ashley den viel älteren Mycroft verführt hatte!
„Ich bringe Jacob was von dem Toast hoch.“ Unter Ashleys musterndem Blick bereitete sie ein Tablett mit Toast und Kaffee zu. „Was?“
„Habt ihr endlich … ähm ich bin schon still, Schatz.“ Mycroft hatte ihr sanft einen Klaps auf die Hand gegeben und Ashley verstummte augenblicklich. Sie lächelte Mycroft entschuldigend an.
„Ich geh jetzt ganz schnell nach oben, bevor ich noch etwas fallen lasse.“, murmelte Lethe zu sich selbst und beeilte sich die Treppe zu erklimmen.

Ein paar Monate später …

„Ashley bekommt ein Mädchen.“, verkündete Jacob beim Abendessen. Er und Lethe wohnten seit geraumer Zeit allein in dem großen Haus. Es gefiel ihnen sehr gut, auch wenn Jacob zunächst Ashleys Entscheidung zu Mycroft zuziehen nicht guthieß. Er stand der Beziehung der beiden zu Lethes Überraschung sehr kritisch gegenüber. Entweder traute er der neuen Ashley nicht oder er hegte Verdachtsmomente gegenüber Mycroft. Die beiden waren wirklich ein komisches Paar! Ashley hatte eine gefühlte 180° Wendung erfahren. Sie trug Mycroft förmlich den Hintern nach und ließ Lethe gegenüber nicht einmal verlauten, dass es sie störte! Im Gegenteil, Ashley blühte als Hausfrau förmlich auf. Sie schrieb auch weiterhin an ihren Kinderbüchern und war damit erfolgreicher denn je.
Mycroft hatte Ashley zu Liebe eine kleine Hütte gebaut. Sie bestand nur aus einem Raum, in den das Paar ein großes Bett geschoben hatte. Mycroft hatte die außerdem mit Ashleys Hilfe eine Überdachung zwischen Badehütte und Schlafhütte geschaffen. Darunter sorgte Ashley in der neuen Küche für drei frische Mahlzeiten täglich. Mycroft nahm trotz der guten und reichhaltigen Mahlzeiten nicht zu, aber Ashley hatte ihrer Meinung häufig zuviel auf den Rippen. Das kümmerte sie aber nur halb soviel wie früher. Sie und Mycroft waren am Strand sehr glücklich. Und nun war Ashley auch noch schwanger!

„Noch ein Mädchen!“, antwortete Lethe schließlich auf Jacobs Eröffnung. Die Drillinge Alix, Blythe und Claire entwickelten sich hervorragend und auch die kleine Lauren von June wuchs gut heran.
(v.r.n.l.: Alix, Claire, Blythe)

„Ashley möchte das Kind gerne Eloise nennen, aber das will sie noch mit Mycroft besprechen.“ Jacob schüttelte sich. „Ashley ist mir manchmal unheimlich geworden. Sie ist nicht mehr so selbstsüchtig wie früher. Das ist ja eigentlich gut, aber … .“
„Aber es geht ein bisschen schnell?“, fragte Lethe. Sie nickte düster. „Ich lauere bei jedem Treffen, ob sie vielleicht nur spielt, aber entweder legt sie seit damals eine oskarreife Leistung hin oder sie hat sich wirklich verändert.“
„Wenn sie seit damals spielt zeigt sie ein größeres Durchhaltevermögen als ich es für möglich gehalten hätte. Ist Dir aufgefallen, dass das Wort „Ich“ fast völlig aus ihrem Wortschatz verschwunden ist? Sie sagt immer „Wir“.“
„Beängstigend, ich weiß. Aber sie erscheint mir so glücklich. Als sie mir erzählt hat, dass sie ein Kind bekommt, hat sie vor lauter Glück geweint!“ Lethe hielt inne. Sie hatte damals mit Sicherheit gewusst, dass Ashley glücklich war. Sie zweifelte nicht an der Aufrichtigkeit ihrer Freundin. Was immer in dieser ersten Nacht passiert war, es hatte sich als tiefgreifende Veränderung für Ashley entpuppt. Ashley schwieg, wenn sie danach gefragt wurde. Einmal vertraute sie Lethe an, dass sie Angst habe, alles würde sich als Traum erweisen, wenn sie von dieser Nacht sprach. Da hatte Lethe schon ein bisschen komisch geguckt, aber Ashley hatte verlegen gelacht und dann wieder so gestrahlt wie sie es seitdem dauernd zu tun schien.
„Vielleicht tun wir ihr mit unseren Vermutungen unrecht. Ich glaube sie liebt Mycroft aufrichtig.“, sagte Lethe deswegen.
„Warum auch immer! Hauptsache er behandelt sie anständig.“
„Manchmal glaube ich, Mycroft weiß gar nicht was ihm passiert ist. Aber er liebt sie irgendwie auch.“
„Ist das eine Lethe-Vermutung?“, zog Jacob sie auf. Er kannte inzwischen die seltsame Gewissheit mit denen Lethe etwas feststellte und manchmal foppte er sie damit.
„Es ist Lethe-Wissen.“, erklärte sie würdevoll und lächelte ihn zärtlich an.

Lethe gab dem Apfelbaum Wasser. Seit ein paar Tagen war das Bewässerungssystem ausgefallen und Jacob war noch nicht dazugekommen sich darum zu kümmern. Seit er sich von der Chirurgie abgewendet und der Geburtshilfe zugewendet hatte, war er viel unterwegs. Da waren die Fortbildungsseminare an denen er teilnahm um eben die Geburten denen er beiwohnte.
„Er ist ein guter Geburtshelfer.“, erklärte Lethe dem Apfelbaum. Dann sah sie sich schnell um, ob sie auch niemand gehört hatte. Aber nein, das Grundstück war bis auf sie verlassen, Jacob noch im Krankenhaus. Mit einem Apfelbaum zu sprechen war … komisch. Brian hatte ihr geraten mit den Pflanzen zu sprechen, dass würde ihr Wachstum positiv beeinflussen. Doch im Gegensatz zu Brian hatte Lethe ein echtes Problem mit den Pflanzen zu sprechen. Besonders bei dem Apfelbaum kam es ihr mehr als spanisch vor. Gedankenverloren spähte Lethe in seine Krone. „Ich glaube Du überlebst es auch, wenn ich mich nicht mit Dir unterhalte. Das klappt bei mir einfach nicht!“ Sie stellte die Gießkanne ab und zögerte einen Moment bevor sie ins Haus ging.

Auch wenn Jacob oft lange arbeitete, hatte Lethe nie das Gefühl von ihm vernachlässigt zu werden. Sie kümmerte sich um den Garten oder besuchte Freunde. Zu gerne bot sie auch ihre Dienste als Babysitter an, aber die einzigen die das mit Freude annahm waren Danie und Jonathan. Sowohl mit Danies fünf Kindern als auch mit den Drillingen Alix, Blythe und Claire wurde Lethe spielend fertig. Sie hatte irgendwie ein Händchen dafür. June hingegen war froh, endlich keinen Babysitter mehr zu haben, denn so konnte sie sich daheim einigeln. Shane besaß zwar noch sein Haus, aber wenn Lethe zu Danie oder Jonathan fuhr, die beide in direkter Nachbarschaft zu ihrer Schwester wohnten, konnte sie sehen, dass Shane höchst selten daheim und stattdessen meistens bei June und den Kindern anzutreffen war. Ob und wenn ja wie sich eine Beziehung zwischen June und Shane gestaltetet, darüber mochte Lethe keine Mutmaßungen anstellen.

Ashley hielt sich damit freilich nicht zurück. Auch wenn sie inzwischen eher zur Selbstaufgabe denn zum Egoismus tendierte, lästerte sie nach wie vor begeistert die Bewohner der Stadt.
„Ich wette June schläft mit ihm!“, behauptete sie denn auch bei einem von Lethes Besuchen. Ausnahmsweise durfte Lethe sogar Eloise halten, über die ihre Mutter sonst mit Argusaugen wachte.
„Und wenn schon. Das ist nicht Deine Sache.“, ermahnte Mycroft seine Freundin augenzwinkernd. Ashley kicherte mädchenhaft. „Das stimmt schon Schatz.“ Sie nahm Lethe Eloise ab, denn das Mädchen hatte ein bisschen vor sich hingeschmatzt. Rasch legte Ashley ihre Tochter an die Schulter um ihr zärtlich auf den Rücken zuklopfen. „Sie hat noch kein Bäuerchen gemacht.“, erklärte sie Lethe. Hinter Ashley verdrehte Mycroft die Augen und zwinkerte Lethe zu.

Wie seltsam sich doch die Beziehung der beiden gestaltete! Allein optisch wollten sie so gar nicht zusammenpassen: Mycroft, dieser dünne Hering mit dem verbrauchten, faltenreichen Gesicht und die weibliche Ashley, deren rundes Gesicht meistens ein fröhliches Lächeln präsentierte. Ashley freute sich über Besuch und klönte mit Vorliebe; Mycroft konnte zwar ein cleverer und schlagfertiger Gesprächspartner sein, doch oft zog er es vor zu schweigen. Wenn er seine ungeselligen Phasen hatte, ging er für sein Leben gern angeln – ein Hobby für das Ashley so gar keine Begeisterung aufbringen konnte. Ashley war sehr zielstrebig, was sich seit Eloises Geburt vor allem in deren Pflege und der Schriftstellerei niederschlug. Mycroft lebte lieber in den Tag hinein, denn er hatte jahrelang in der Tretmühle eines großen Unternehmens gesteckt.
Und trotzdem – oder vielleicht sogar aus diesen Gründen? – war die Beziehung der beiden ohne Spannungen. Man merkte ihnen an, dass sie einander mochten. Gerade Ashley stand ihre Zuneigung für Mycroft geradezu ins Gesicht geschrieben. Er war sichtlich entspannt in ihrer Nähe. Um ihre Tochter kümmerte sich besonders Ashley mit an Fanatismus grenzender Hingabe, doch auch Mycroft, der Ashleys Überfürsorge gerne augrenrollend abtat, sorgte sehr aufmerksam für Eloise.

„Erde an Lethe!“ Ashley hatte Eloise an Mycroft weitergereicht und wedelte mit der Hand vor Lethes Gesicht herum. „Du hörst nicht zu.“
„Ich war in Gedanken.“, entschuldigte sich Lethe.
„Das habe ich gesehen.“ Ashley lachte, es schien ihr nichts auszumachen. Bevor sie mit Mycroft zusammen gekommen war, wäre Ashley tödlich beleidigt gewesen, hätte man ihr nicht aufmerksam gelauscht.
‚Ob das echt ist? Ich kann es immer noch nicht fassen!’, dachte Lethe. „Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht für June mit Shane zu schlafen.“, nahm sie das Thema wieder auf. Überrascht sah Ashley sie an, so dass sie sich gezwungen fühlte auszuführen: „Shane mag Deine Schwester sehr und ich glaube es gibt ihr ein gutes Gefühl. Solange beide damit einverstanden sind ihre Beziehung so zuführen ist es ok.“
„Ich befürchte nur, dass Shane heftig in sie verliebt ist und eine Enttäuschung nur schwer verkraften würde.“, beteiligte sich Mycroft an dem Gespräch. „Wo ist Daddys Mädchen?“ Mit verzücktem Blick kitzelte er Eloise, die vor sich hingluckste. Ashley sah die beiden so entrückt an, dass es an Lethe war die Augen zu rollen.

„Außerdem ist es wahrscheinlich wie mit den Bonobos.“, fügte sie provozierend hinzu. „Sex baut Stress ab.“ Sie grinste innerlich über Mycrofts fassungslosen Blick. Ashley starrte sie zunächst an, doch dann brach sie in haltloses Gelächter aus.

„Meine Güte Lethe, Du hast es aber auch mit den Tiervergleichen!“, prustete sie.
‚Und mit Apfelbäumen.’, schoss es Lethe durch den Kopf. ‚Warum habe ich Ash nur von dem Gänsekükenvergleich erzählt?’ „Aber wie dem auch sei: Mycroft hat schon recht: Es ist eigentlich nicht unsere Sache.“
Ashley winkte ab. „Da redet doch JEDER drüber. Was meinst Du was los ist, wenn ich Danie, einen meiner Brüder, deren Frauen, meine Cousinen oder Cousins treffe? Dabei fange noch nicht einmal ich damit an.“ Auf Mycrofts schrägen Blick korrigierte sie sich. „Naja, zumindest nicht immer.“ Da Eloise gähnte, nahm Ashley Mycroft das Kind ab und brachte sie in ihr Bettchen. „Wenn Colin zufällig in der Stadt ist, bricht allerdings das Getuschel schlecht hin aus.“
„Warum denn das?“, fragte Lethe verständnislos. „Die Scheidung ist doch sauber und friedlich über die Bühne gegangen.“
„Ja und? Es ist immerhin eine Scheidung!“, erwiderte Ashley.
Mycroft geriet ins Schmunzeln. „Darf ich Dich daran erinnern, dass Deine Mutter hier für die erste Scheidung gesorgt hat? Solche Sachen passieren halt. Wir können nur froh sein, dass sich June und Colin so einverständlich getrennt haben.“

Das war ein wahres Wort. Nachdem Colin bei der Enthüllung über das Verhältnis zwischen seiner Frau und dem Nachbar Shane verständlicherweise zornig und verletzt war, konnten er und June sich auf ganz sachlicher Ebene über die Trennung und die Pflege der gemeinsamen Kinder Helena und Jeremy unterhalten. Colin kam regelmäßig vorbei um mit den Kindern etwas zu unternehmen. Dabei überschlug er sich nicht gerade, aber die Kinder schienen damit keine Probleme zu haben. Helena liebte Shane ohnehin mehr als ihren leiblichen Vater und Jeremys Kleinkindzeit war ebenfalls stärker von Shane denn von Colin geprägt gewesen. Außerdem waren die beiden hin und weg von der kleinen Lauren. Es verging kaum ein Nachmittag an dem sich Helena und Jeremy nicht hingebungsvoll um die Schwester kümmerten.

„Aber hast Du in letzter Zeit mal Gladys gesehen?“, wechselte Ashley das Läster-Thema. „Die ist soooo fett geworden!“
Mycroft ließ seinen Blick anzüglich über Ashleys Hüften wandern, so dass sie ihm die Zunge rausstreckte. „Ist doch wahr! Ich bin nach Elles Geburt auch nicht mehr gertenschlank – nicht dass ich es jemals gewesen wäre, ich hab ja Mamas Hüften und Schenkel geerbt! – aber Gladys ist aus der Form gegangen wie ein Hefekloß!“, fuhr Ashley anschließend fort. „Sie lässt sich total gehen!“
Schnell wechselten Mycroft und Lethe einen Blick und Lethe sagte: „Sie hat immerhin drei Kleinkinder! Das artet in Stress aus. Jonathan hilft ihr zwar, aber er überschlägt sich nicht gerade.“
„Jonathan hat einen anstrengenden Job!“, verteidigte Ashley sofort ihren Bruder. „Gladys hätte sich einfach nicht schwängern lassen sollen!“

„Jetzt sind die Mädchen aber da. Und Du brauchst Jonathan gar nicht so giftig zu verteidigen! Seine Hilfe beschränkt sich in der Regel darauf, eines der Mädchen mit zu seinen Besuchen bei Freunden und Verwandten mitzuschleppen.“, erwiderte Lethe ungewohnt streitsüchtig. Sie verschränkte die Arme und sah Ashley herausfordern an.
Mycroft hob beschwichtigend die Hände und versuchte abzulenken: „Ich weiß nie welches Mädchen er dabei hat. Für mich sind sie alle klein und blond und niedlich.“
Ashley stieg sofort auf den Themenwechsel ein. Sie lächelte Mycroft nachsichtig an und erklärte hilfsbereit: „Gestern Abend war er mit Alix da. Sie ist eher hellblond, Blythe und Claire eher rotblond. Und ihre Augen sind blau, die von Blythe sind braun und Claires graublau. Außerdem ist Alix bei weitem die selbstständigste.“
„Weswegen Jonathan am liebsten sie mitnimmt. Mit ihr hat er am wenigsten Stress.“, murmelte Lethe grummelnd. Doch zum Glück hörte sie Ashley nicht oder zog es zumindest vor so zutun als hätte sie nichts gehört.

Wenig später brachte Mycroft Lethe zur Straße als diese sich auf den Heimweg machen wollte.
„Sorry, dass ich so giftig zu Ashley war.“, entschuldigte sich Lethe kleinlaut. „Das müssen die Hormone sein.“
„Die Hormone?“
Lethe lächelte errötend. „Ich bin schwanger!“
Gratulierungen aussprechend nahm Mycroft sie in den Arm. „Wow! Willst Du es Ashley noch eben sagen?“
Lethe winkte ab. „Das sage ich ihr die Tage. Lass es noch ein bisschen unser Geheimnis sein.“
„Aber Jacob weiß es schon, oder?“, fragte Mycroft mit hochgezogener Augenbraue. Das veranlasste Lethe ihre Schuhspitzen zu mustern. „Du hast es ihm also noch nicht gesagt?!“
„Ich weiß es erst seit gestern.“ Was gelogen war. Lethe hatte den Augenblick der Empfängnis gespürt – zumindest bildete sie sich das ein. Sie war sich ziemlich sicher, dass es auf der Couch im Wohnzimmer passiert war – vor etwa drei Monaten nach einer stressigen Nachtschicht von Jacob. „Ich bin nachher noch mit ihm am Kino verabredet. Dann sage ich es ihm.“ Zumindest nahm sich Lethe das vor. Aber sie wusste nicht so genau, wie sie es ihrem Freund sagen sollte.

Auf dem Heimweg grübelte sie über ihre Situation nach. Jacob wollte ganz sicher Kinder, darüber hatten sie schon öfter gesprochen. Sie hatten nur nie etwas fest abgesprochen. Doch es war weniger Jacob als sie selbst, die Lethe Kummer machte. Nach wie vor wusste sie nichts über ihre Herkunft, ihr bisheriges Leben. Sie konnte nicht sicher sein, ob es zum Beispiel auf ihrer Seite Probleme mit Erbkrankheiten oder der Schwangerschaft und Geburt an sich gab. Von den gesundheitlichen Aspekten abgesehen, wie konnte sie ein Kind bekommen, wenn sie einfach nicht wusste WER sie war? Natürlich, sie hatte ihren Lethe-Charakter etabliert, aber was war mit ihrer Vergangenheit? Das spukte ihr immer noch im Kopf herum.
Von dem Film bekam Lethe nicht viel mit; sie war sich hinterher nicht einmal sicher, welches Filmgenre es gewesen war. Auch Jacob zappelte auf dem Sitz neben ihr herum, so dass bei zur Pause hin beschlossen, den Film abzubrechen und lieber einen Spaziergang zu machen.

Sie waren kaum aus dem Kinogebäude an die frische Luft getreten, da platze es aus Lethe heraus: „Jacob, wir bekommen ein Kind.“
Jacob machte große Augen, dann fiel er sofort auf die Knie. Lethe wollte sich schon neben ihm niederlassen und seinen Puls fühlen, doch da zog er eine kleine Schatulle aus der Hosentasche. Lethe bekam sie fast an die Nase gestoßen, da sie sich schon zu ihm hinuntergebeugt hatte. Sie zuckte zurück und Jacob sah sie entsetzt an. Da wollte er ihr einen ganz romantischen Heiratsantrag machen und sie sah aus wie ein Reh im Scheinwerferlicht! Gut, vielleicht war es etwas hastig; hier mitten vor dem Kino mit schon neugierig guckenden Passanten, so plötzlich nach der Eröffnung Vater zu werden. Moment, Vater zu werden …?
„Du bist schwanger?“, horchte er ungläubig nach, die Schatulle mit dem Ring, den er schon seit Wochen mit sich herumtrug, noch ihr entgegenreckend.
„Ist das ein Verlobungsring?“, fragte Lethe noch bevor er seinen Satz beendet hatte.
Sie sahen sich beide wie Adam und Eva nach dem Genuss der verbotenen Frucht an. Nach einer Weile stieg beiden ein breites Lächeln ins Gesicht. Jacob erhob sich, nahm den Ring aus seiner Schatulle und steckte ihn Lethe an den Finger. Sie schlang die Arme um ihn und beide drückten sich innig aneinander.

June war mit Shane zusammen gekommen und die beiden hielten sich immer ganz dicht aneinander. Shane wirkte sehr fröhlich. Er unterhielt sich unverkrampft mit den anderen Gästen, tanzte ausgelassen und kümmerte sich zwischendurch immer wieder um Helena, Jeremy und natürlich Lauren, die er kaum mal von seiner Hüfte ließ. June sah die beiden immer sehr zugetan an. Für gewöhnlich ging June nicht besonders gern aus, aber mit der ganzen Familie – und dazu zählte Shane schließlich auch – auf eine Familienfeier zu gehen, hatte ihr richtig Spaß gemacht. Sie war so ausgelassen, dass sie bei der Verabschiedung sogar schon ihre erneute Schwangerschaft verkündete, was sie eigentlich noch eine Weile für sich behalten wollte. Shane hatte sie davon schon erzählt, aber ihre Geschwister schauten genauso überrascht wie Shane stolz aus der Wäsche.

Lethe wusste, dass sie kurz vor der Geburt stand, doch sie sah diesem Ereignis ruhig entgegen. Jacob hingegen war sehr aufgeregt. So vielen Kindern hatte er schon auf die Welt geholfen, doch nun war es sein Kind! Sein und Lethes erstes Kind.
„Wir könnten noch einen Ultraschall machen.“, schlug Jacob an diesem Morgen vor. Am liebsten würde er jeden Tag einen Ultraschall machen. Zwar machte er sich keine Sorgen, dass das Kind krank sein könnte - er hatte alle Tests machen lassen die das Equipment seines Krankenhauses, sein medizinisches Können und die Bereitschaft Lethes mitgemacht hatten – doch er wäre lieber noch auf Nummer Sicher gegangen.
„Wir haben fast mehr Geld für den Ultraschall ausgegeben als für die Kinderzimmereinrichtung.“, wies Lethe ihn sanft zurück. Sie warf einen unauffälligen Blick zur Küchenuhr und rührte dann lässig ihren Tee um. „Du musstest ja auch unbedingt noch einen 3-D-Ultraschall machen lassen.“
Jacob bekam glänzende Augen und zog das Bild des besagten Ultraschalls aus der Gesäßtasche. Da er es überall mithin schleppte, war es schon arg in Mitleidenschaft gezogen war. Er befingerte es wie einen Talisman und grinste selig. „Der Ultraschall ist doch toll! Man kann alles genau sehen: Hände, Füße, Kopf. Die Augen sind geschlossen und …“
„Und man kann sogar seinen Johannes erkennen, ich weiß mein Liebling.“ Lethe kicherte und deutete mit dem Löffel auf besagten Körperteil. „Ich bin davon auch begeistert, aber er war ganz schön teuer.“
„Und jeden Cent wert!“ Jacob warf einen letzten Blick auf den Ausdruck und schob ihn wieder in die Hosentasche. „Magst Du noch ein Müsli?“
Lethe schüttelte den Kopf und schlürfte vorsichtig den Tee, während Jacob den Frühstückstisch abräumte. Hin und wieder sah sie auf die Uhr und las dann bedächtig die Tageszeitung.
„Hast Du den 3-D-Ultraschall bei June eigentlich auch gemacht?“, fragte sie zwischen Kleinanzeigen und Werbung für Autowaschanlagen.
„Ich wollte, aber June hat mir einen Vogel gezeigt. Dabei ist sie in einem Alter, in dem man Vorsicht walten lassen sollte.“ Er angelte sich den Sportteil. „Shane hat sie schließlich überredet. Die beiden bekommen wieder ein Mädchen. Hoffentlich kann ich die Baseballergebnisse noch lesen bevor die Fahrgemeinschaft kommt.“
„Ich wette Shane trägt das Bild davon auch immer bei sich.“, bemerkte Lethe grinsend. „Er ist schon goldig. Wie er sich freuen kann!“
Jacob nickte lächelnd und vertiefte sich in die Ergebnisse des vergangenen Spieltags. Schließlich hupte die Fahrgemeinschaft und Jacob erhob sich flink.
„Weißt Du Jake, ich glaube ich komme heute mit ins Krankenhaus.“, sagte Lethe und stand auf.
„Willst Du doch noch einen Ultraschall machen lassen?“ Er rieb sich erfreut die Hände.
„Nein. Aber Jasper möchte gerne auf die Welt. Die Wehen kommen jetzt in einem Abstand von … .“ Sie sah kurz auf die Uhr. „Fünf Minuten.“
Jacob ließ die Zeitung fallen und sah sie entgeistert an. „Fünf Minuten?“, echote er dann. Er hob mechanisch die Zeitung auf und schmiss sie in den Mülleimer. „Dann gehen wir wohl besser.“ Wie betäubt nahm er seinen Aktentasche und die schon gepackte Reisetasche von Lethe und marschierte aus dem Haus. Er sagte dem Fahrer kurz Bescheid, der die Augen aufriss und dann heftig nickte. Lethe watschelte ihrem Mann still grinsend hinterher. Er half ihr ins Auto und schnallte sie umsichtig an. Dann legte er ihr eine Hand auf den Bauch und sah angestrengt auf seine Uhr.
„Wie geht es Dir?“, fragte er schließlich nachdem er die Hand von ihrem Bauch genommen und ihre Hand ergriffen hatte.. Er sah ein bisschen grün um die Nase aus.
„Ganz ausgezeichnet, wenn man davon absieht, dass Du meine Hand zerquetscht.“
Schnell lockerte er seinen Griff und sah sie verlegen an. „Tut mir leid.“ Doch nach kurzer Zeit verstärkte sich sein Griff wieder und Lethe fing an haltlos zu kichern. Jacobs Aufregung griff langsam auf sie über und sie wurde nervös.
‚Ganz ruhig!’, ermahnte sie sich. ‚Du hast das schon öfter durchgestanden.’
Schlagartig verstummte Lethes Kichern und sie wurde blass. Jacob nahm an, sie habe eine erneute Wehe und legte die Hand wieder auf den Bauch. Er versuchte sich an seinem aufmunternden Lächeln, das schon vielen Gebärenden Mut gemacht hatte, doch es misslang ihm diesmal gründlich (vermutlich weil es selber ein aufmunterndes Lächeln gebrauchen könnte).
Lethe tätschelte schnell seine Hand und versuchte diesen beunruhigenden Gedanken fortzuschieben. Sie konnte es noch nie durchgestanden haben! Körperlich war sie sogar noch Jungfrau gewesen, bevor sie mit Jacob das erste Mal geschlafen hatte. Die Wehen kamen jetzt in kürzeren Abständen, doch da fuhren sie auch schon vor dem Krankenhaus vor.

Als hätte sich Lethes Gedanken ‚das schön öfter durchgestanden zu haben’ bewahrheitet, war es eine der leichtesten Geburten, die das Krankenhaus von Sunset Valley je gesehen hatte. Jacob stand Lethe zur Seite, ging seinem Kollegen, der die Geburt betreute, aber so auf die Nerven, dass der ihn schließlich vergatterte, endlich den Mund zu halten oder den Kreißsaal zu verlassen. Nachdem Japser schließlich auf der Welt war, erklärte der Kollege Jacob, dass er sein nächstes Kind gefälligst selbst auf die Welt holen könnte, er würde sich schlichtweg weigern noch einmal Geburtshilfe zu leisten, wenn Jacob als werdender Vater dabei war.
Als Lethe später mit Jasper allein war, weil Jacob seinen Geschwistern Bescheid sagte, musterte sie ihren kleinen Sohn. Jede Geburt war ein kleines Wunder und auch ganz speziell. Und wieder drängte sich ihr der Gedanke auf: Du hast schon andere Kinder zur Welt gebracht. Sie wusste, es war medizinisch gesehen nicht möglich, aber sie fühlte dass es so war.
‚Bilde ich es mir ein? Oder habe ich schon Kinder gehabt? Und wenn ich es mir nur einbilde, WARUM bilde ich mir so etwas ein?’ Mit diesen Fragen und Jasper im Arm nickte Lethe schließlich ein.

Als Jacob nach einer anstrengenden Schicht heim kam, wartete schon eine sehr aufgeregte Lethe auf ihn. Noch bevor sie ihm berichten konnte, was geschehen war, fragte er: „Ist was mit Jasper?“
Schnell schüttelte Lethe den Kopf. „Und auch nicht mit dem Zwerg in mir. Aber da war heute so ein komischer Mann!“
„Ein komischer Mann?“ Jacob runzelte die Stirn und beugte sich dann zu Jasper hinunter. Der Junge streckte schon seine Arme nach seinem Vater aus. Er gluckste vergnügt als sein Vater ihn hoch nahm und knuddelte.
„Er hat behauptet, er sei Dein Cousin.“ Lethe rang abwechselnd mit den Händen und fuhr sich über den Bauch, der sich trotz der zweiten Schwangerschaft noch nicht gewölbt hatte. „Er war mir unheimlich.“

„Ach, das war bestimmt Darrel.“, fiel Jacob ein. „Er hat mich später im Krankenhaus besucht.“
„Er ist also wirklich Dein Cousin?“ Lethe wirkte nicht beruhigt und Jacob sah sie scharf an. Stimmte vielleicht doch etwas nicht mit der zweiten Schwangerschaft? Er hatte sie nicht mehr so aufgelöst gesehen, seit ihr im Krankenhaus vor langer Zeit klargeworden war, dass sie ihr Gedächtnis verloren hatte.
„Ja. Er ist der Sohn von meiner Tante Deborah. Das ist die, die hinterher den Ex-Mann von meiner Mutter geheiratet hat.“, erklärte er mit betont ruhiger Stimmer. Er rückte sich Jasper auf der Hüfte zurecht und führte Lethe zu einem der Küchenstühle. Nachdem die sich gesetzt hat, ließ er Jasper auf ihren Schoß gleiten, damit er ihr einen Tee kochen konnte.
„Er hat mir Angst gemacht.“, wiederholte Lethe noch einmal und begann mechanisch Jasper zu streicheln.
„Darrel ist ein komischer Vogel. Als Kind hat er seine Geschwister ganz schön geärgert. Will und Deborah sind mit ihm irgendwann gar nicht mehr klar gekommen. Will hätte ihm am liebsten rausgeschmissen.“, berichtete Jonathan. Er holte Lethes Lieblingstasse – eine große bauchige mit einer stilisierten schwarzen Katze – aus dem Schrank und hängte einen Teebeutel ein. „Warum hat er Dir denn Angst gemacht? Was hat er zu Dir gesagt?“
„Er war sehr höflich. Er wollte wissen ob Du da bist. Als ich verneinte wünschte er mir noch einen schönen Tag und ist gegangen.“ Sie schüttelte den Kopf als wollte sie ein unangenehmes Insekt verscheuchen. „Er hat mir keinen Anlass gegeben, mich zu fürchten. Aber irgendetwas an ihm – ich kann nicht den Finger drauf legen was – hat mir einen riesen Schrecken eingejagt. Er sitzt mir immer noch in den Knochen.“ Sie erschauderte. „Ist er harmlos?“
Jacob goss das kochende Wasser in die Tasse und ließ die Schultern kreisen. Er war um eine Antwort verlegen. Rein oberflächlich mochte Darrel tatsächlich harmlos sein, aber es stimmte tatsächlich irgendetwas nicht mit ihm. Brian hatte erst heute über seinen Stiefbruder gemutmaßt, dass er in kriminellen Kreisen tätig war. Als Darrel Jacob im Krankenhaus aufgesucht hatte, waren Brian und seine schwangere Frau Tiana nämlich gerade zu einer Untersuchung da gewesen.
„Er ist harmlos.“, sagte Jacob dann doch voller Überzeugung. „Zumindest für uns. So ganz sauber ist er glaube ich nicht, aber von allen Verwandten schätzt er mich irgendwie am ehesten.“
Wenig beruhigt runzelte Lethe die Stirn. Sie vertraute diesem Darrel irgendwie nicht. „Was wollte er denn von Dir?“
„Er wollte sich über die Kinderschutzimpfung informieren. Sein Sohn Dylan – ein sehr liebenswertes Kind übrigens – muss mal wieder geimpft werden, hat aber furchtbare Angst vor Nadeln. Darrel wollte wissen, wie sinnvoll die Impfungen sind und ob sie wirklich nötig sind.“ Er fischte den Teebeutel aus der Tasse und stellte sie außerhalb von Jaspers Reichweite auf den Tisch. „Als Arzt habe ich ihm natürlich zu den Impfungen geraten und ihm angeboten, sie selbst vorgenommen. Dylan hat Vertrauen zu mir.“ Er grinste gewinnend. „Vielleicht sollte ich doch Kinderarzt werden?“
„Wenn ich mir Deine ganzen Verwandten so ansehe, wirst Du sobald nicht aus der Geburtshilfe aussteigen können.“, sagte Lethe und lächelte vorsichtig. Jacob hatte sie nicht komplett beruhigen können, aber allein seine Anwesenheit wirkte wie Balsam für ihre Seele.

Abgesehen von dem Schrecken, den Darrel ihr eingejagt hatte, erging es Lethe auch in der zweiten Schwangerschaft wunderbar. Dass sie so schnell nach Jaspers Geburt ein weiteres Mal schwanger geworden war, hatten die beiden eigentlich nicht geplant, aber sie freuten sich sehr auf weiteren Nachwuchs. Natürlich ließ es sich Jacob nicht nehmen, erneut alle möglichen Voruntersuchungen durchzuführen und so war bald klar, dass sie einen weiteren Sohn bekommen würden. Als der Junge auf der Welt war, erhielt er den Namen Jason.

Sein älterer Bruder Jasper war ein umkompliziertes, fröhliches Kind. Er hatte keinerlei Berührungsängste mit anderen Menschen und war total verrückt nach seiner älteren Cousine Eloise, die oft mit Ashley vorbeikam. Für gewöhnlich spielte Eloise lieber vor sich alleine hin, aber in Jaspers Gesellschaft wurde sie immer sehr lebhaft und die beiden Kleinkinder turnten lärmend durch das Spielzimmer der Aldridges.

Von Darrel sah Lethe zum Glück nichts mehr. Jacob hatte den jungen Dylan geimpft und ihn auch durchgecheckt. Anschließend war er mit Darrel und Dylan noch ein Eis essen gegangen, doch davon erzählte er Lethe nichts. Er erzählte ihr auch nicht, dass Darrel sich sehr für sie interessierte: Ob sie immer noch ihr Gedächtnis verloren hätte und was sie sonst so trieb. Während ihres Gespräches dachte sich Jacob nichts dabei, doch als er später wieder im Krankenhaus war und Papiere durchsah, erinnerte er sich daran und kam ins Grübeln. Vielleicht sollte er Jonathan mal auf Darrel ansetzte? Sollte Darrel allerdings wirklich Dreck am Stecken hatte, müsste Jonathan anschließend dafür sorgen, dass er hinter Schloss und Riegel kam. Aber er gehörte doch zur Familie! Jacob war zwiegespalten. Zum Glück kam in diesem Moment seine nächste Patientin und erlöste ihn aus seinen Überlegungen.

„Bevor Jasper auf der Welt war, konnte ich meine Babysitterdienste wie Sauerbier anbieten, keiner wollte. Aber seit Deine ganzen Nichten so groß geworden sind, können wir uns vor Sitting-Angeboten nicht retten!“, amüsiert stieg Lethe neben Jacob in den Wagen.

Marisol stand in der Haustür und winkte dem Paar, das sich anlässlich ihres Hochzeitstages einen schönen Abend machen wollte. Außer Danies ältester Tochter hatten sich noch ihre Schwestern, die Drillinge Manuela, Monica und Mercedes und die Mädchen von June, Helena und Brian, Joan, bereit erklärt den Abend auf Jasper und Jason aufzupassen. Das hatte sie in ziemliche Gewissensnöte gestürzt, denn sie wollten keiner der Nichten vor den Kopf stoßen. Deswegen hatten sie den Abend verlost und Marisol hatte den Auftrag bekommen. Beim nächsten Mal würden sie die kleine Taschengeldaufbesserung unter den anderen Mädchen verlosen.
„Wahrscheinlich müssen wir jetzt einmal in der Woche Essen gehen, damit wir alle Mädels zufrieden stellen.“, überlegte Jacob nachdenklich.

(Marisol) (Manuela) (Monica) (Mercedes)

Dass sich neben Marisol und den Drillingen auch Helena und Joan gemeldet hatten verwunderte Jacob etwas. Schließlich hatten die beiden noch kleine Geschwister zuhause: Helena die beiden kleinen Halbschwestern Lauren und Amy (die zu Shanes Verzücken die roten Haare seiner geliebten June geerbt hatte).

(Helena mit Lauren) (Amy)

Und Joan war auch vor kurzem große Schwester geworden als Tiana den kleinen Kenneth zur Welt gebracht hatte. Man könnte also meinen, die beiden Mädchen hätten daheim genug mit kleinen Kindern zutun, als dass sie noch freiwillig anderer Leute Kinder versorgten. Aber vermutlich war mehr die Entlohnung Grund für die Mädels sich zu melden – ihre Eltern würden fürs Windeln wechseln und Fläschchen geben nichts bezahlen.

(Joan - von ihrem Bruder Kenneth - der im Spiel noch Kenyatta heißt - habe ich noch kein Bild)

Die einzigen die sich nicht fröhlich dem Anstieg des Bevölkerungswachstum widmeten, waren Mycroft und Ashley. Die beiden kümmerten sich zwar begeistert um Eloise, waren sich aber einige darin, dass sie ein Einzelkind bleiben sollte. Lethe schmunzelte oft, dass sich die beiden das noch anders überlegen würden, wenn Eloise langsam selbstständig werden würde – Ashley war so auf die Versorgung des Kleinkindes fixiert, sie würde vermutlich nichts mehr mit ihrer Zeit anfangen können. Natürlich hatten sie und Mycroft auch ein Platzproblem. Derzeit überlegten sie schon fieberhaft, wie sie in der Hütte ein extra Zimmer für ihre Tochter abtrennen konnten ohne anzubauen.
Was das Geheimnis von Ashleys Verführung betraf, biss Lethe weiterhin bei der Freundin auf Granit. Sie wollte einfach nicht damit rausrücken, wie sie Mycroft rumbekommen hatte.