Felinger Legacy
Seite 4 von 12
Seite 4 von 12 • 1, 2, 3, 4, 5 ... 10, 11, 12
Re: Felinger Legacy
Kapitel 12 - Freunde
Manchmal überkam Nell ein schlechtes Gewissen. Sie drehte sich im Bett hin und her und versuchte ihre Situation zu analysieren. Ja, sie war nach wie vor pleite und schwanger. Aber nicht länger obdachlos. Gabriel hatte ihr angeboten, so lange zu bleiben, wie sie wollte. Er hatte sich einen Schlafsack besorgt und schlief auf der Terrasse. Es schien ihm überhaupt nichts auszumachen. Im Gegenteil, er schien aufzublühen, seit sie bei ihm übernachtete. Manches Mal überkam Nell so heftiges Mitleid für ihn, dass sie ihn am liebsten umarmt hätte. Er schien wirklich dringend einen Freund zu brauchen, das Gefühl zu haben, jemanden vertrauen zu können. Nell wunderte sich, ob sie es verdient hatte, dieser jemand zu sein. Sie war immer ehrlich zu ihm. Aber in der Vergangenheit hatte sie oft unvernünftige Entscheidungen getroffen. Sie hatte ihre Mutter so sehr verletzt und so häufig vor den Kopf gestoßen, dass sie nicht mehr miteinander sprachen. Zu ihrem Vater hatte sie nur anlässlich der Geburtstage Kontakt. Er wusste zwar, wo sie sich zur Zeit rum trieb, aber ihr Verhältnis hatte sich nie über die Zurkenntnisnahme des anderen hinaus entwickelt. Überrascht setzte sie sich auf. Ganz plötzlich war ihr aufgegangen, dass Gabriel tatsächlich der einzige Sim in ihrem Leben war, der etwas darauf gab wie es ihr ging. Und bei dem es sie kümmerte, wie es ihm ging. Er und das Baby. Sie strich sich über den noch flachen Bauch.
Von der Terrasse her hörte sie das Klatschen von Haut auf Holz. Sie warf sich ihre Anziehsachen über und verließ das Schlafzimmer. Gabriel prügelte auf den Trainingsdummy ein. Sie hätte ihn nie für jemanden gehalten, der einen Kampfsport betrieb, aber schon nach ein paar Tagen war ihr bewusst gewesen, dass er seit Jahren Kampfsportler war. Immerhin hatte er sogar hier, im Urlaub, einen Dummy aufgestellt und arbeitete täglich damit. Auch jetzt war er ganz konzentriert in seine Übungen vertieft. Da er mit freiem Oberkörper trainierte, konnte sie sehen, wie stark er beharrt war. Durch die kurzen Ärmel seines Sweaters und der Shorts hatte sie schon bemerkt, dass er recht beharrte Arme und Beine besaß. Das auch Brust und Rücken stark beharrt waren, bemerkte sie erst jetzt. Ihr kam in den Sinn, dass in den geheimnisvollen Aufzeichnungen seiner Großeltern von Akki als Werwolf die Rede war. War er am Ende etwa einer? Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu verscheuchen. Tatsächlich war in der vergangenen Nacht Vollmond gewesen und sie war sich ziemlich sicher, dass Gabriel sich nicht verwandelt hatte. Immerhin hatten sie bis nach Mitternacht miteinander gesprochen. Außerdem glaubte sie gar nicht an diesen Humbug. Vielleicht bezog sich „dürrer Werwolf“ ja auch auf eine Charaktereigenschaft von Gabriels Mutter.
„Seit wann trainierst du?“, fragte Nell Gabriel, nachdem er geduscht hatte. Sie saßen am Tisch und tranken die Smoothies, die Nell als Frühstück zubereitet hatte. Gabriel erwartete keine Gegenleistung für die Unterkunft, aber es hatte sich in der kurzen Zeit in der sie nun bei ihm war ergeben, dass sie den Haushalt besorgte.
„Mein Großvater hat sehr früh angefangen es mir beizubringen.“
Nell nickte und bemerkte seinen traurigen Ausdruck. Sie war immer noch überrascht davon, dass er wie ausgewechselt war, was seine Maske betraf. Wenn sie in der Stadt waren, wurde sein Gesicht wieder ausdruckslos, aber wenn sie allein waren, hatte er wohl eines der am besten lesbaren Gesichter, die sie kannte. Erst gestern hatte sie ihm gesagt, er sei wie ein offenes Buch. Gabriel wurde darauf ziemlich verlegen. Es war als schämte er sich dafür. Den restlichen Abend versuchte er wieder seine Maske aufzusetzen. Dass wiederum verletzte Nell, denn sie verspürte mit seinem offenen Gesicht eine viel größere Sicherheit. Also sagte sie es ihm, bevor sie sich für die Nacht verabschiedete und an diesem Morgen war die Maske nicht da. Nell war erleichtert.
„Hast du im Moment Probleme mit deiner Familie?“
Gabriel nagte an dem Strohhalm. „Ich habe Riverview etwas überstürzt verlassen.“
Nell sah ihn freundlich an und bedeutete ihm fortzufahren. Langsam erzählte er ihr von seiner Ex-Freundin und wie sie ihn verraten hatte.
„Und jetzt siehst du fast so düster drein wie mein Grandpa.“ Widerwillig musste Gabriel lachen, nachdem er Nell von dem Grund seiner Abreise erzählt hatte.
„Ich kann es nicht leiden, wenn jemand andere Sims so behandelt.“, stieß sie hervor. „Erst recht nicht, wenn dieser andere Sim mein Freund ist.“
Das zauberte ein Lächeln auf Gabriels Gesicht. Nell lächelte zurück und fuhr fort. „Aber wenn ich es richtig verstehe, dann kannst du deiner Mutter keinen Vorwurf machen. Sie konnte doch gar nicht darüber sprechen. Wie hätte sie es also dir oder deinem Vater sagen sollen?“
Gabriel schob den leeren Becher von sich. „Das stimmt schon.“, gab er zu. „Ich schätze es war einfach alles ein bisschen viel für mich.“
„Das verstehe ich.“ Sie stand auf und räumte die Becher in die Spüle. „Aber du solltest den Kontakt zu deiner Familie nicht abbrechen lassen.“
„Ich weiß.“; seufzte Gabriel. „Aber ich brauche einfach noch ein bisschen Ruhe von zuhause.“
„Du bist ein ziemlicher Einzelgänger.“, rief Nell über das Rauschen den einlaufenden Spülwassers hinweg. Etwa nachdenklicher fragte sie: „Stört dich meine Anwesenheit eigentlich?“ Das schlechte Gewissen von heute morgen überkam sie wieder. Irgendwie war sie ja schon wie ein Parasit.
Gabriel sah überrascht zu der jungen Frau hinüber und grübelte über ihre Frage nach. Störte sie ihn? Sie war jetzt seit ein paar Tagen sein Gast und er war ihrer nicht müde. Wenn er arbeitete, zog sie sich mit einem Buch zurück oder spielte Gitarre. Zunächst hatte sie dafür das Haus verlassen, aber er hatte sie gebeten bei ihm zu spielen. Er mochte die simple Gitarrenmusik. Sie unterstützte seine Konzentration. Nell räumte auch schon mal leise auf, ging die Wäsche waschen oder putzte still vor sich hin. Als er sie vor ein paar Tagen gefragt hatte, ob sie die Stille nervte, hatte sie überraschenderweise geantwortet, dass sie es im Gegenteil sehr genoss nicht zwanghaft eine Unterhaltung führen zu müssen.
„Nein.“, erwiderte Gabriel schließlich nach so langer Pause, dass Nell schon nervös wurde. Er grinste. „Die meiste Zeit über bemerke ich ja gar nicht, dass du da bist.“ Verlegen sah er auf seine Fingernägel. „Aber immer wenn ich nachschaue, bist du da und das tut mir gut.“
Nell hatte beide Hände im Spülwasser und hielt ebenso verlegen wie Gabriel inne. Sie sah, dass die spitzen seiner Ohren sich röteten und musste lächeln.
„Allerdings wird die Ruhe wohl etwas nachlassen, wenn dein Baby da ist. Ich hab gehört, die kommen ohne Ausschalter.“, scherzte Gabriel so plötzlich, dass Nell nichts anderes übrig blieb, als ihn wieder einmal total verwirrt anzustarren.
Gabriel beeilte sich zu sagen, dass es nur ein Scherz war. „Du und dein Baby sind mir willkommen. Mach dir bitte keine Sorgen.“
Nell nickte langsam und konzentrierte sich auf das Spülen. Gabriel hatte sie zum Arzt gebracht. Sie war schon so weit, dass eine Abtreibung (so sie denn damit einverstanden gewesen wäre) nicht mehr in Frage kam. Der Arzt riet auch von Flugreisen ab (aber Nell hatte eh kein Zuhause, zu dem sie hätte gehen konnte). Sie war auf der Insel gestrandet.
„Tatsächlich habe ich den Mietvertrag für das Haus noch mal verlängert.“, informierte Gabriel sie. Er erhob sich und griff nach dem Geschirrtuch. Nach einem Seitenblick auf Nell fuhr er fort: „Bis das Kleine da ist, hast du also ein Dach über dem Kopf.“
Nell starrte auf den Schaum im Spülbecken. „Warum tust du alles für mich?“ Das schlechte Gewissen, mit dem sie aufgestanden war, meldete sich erneut.
Gabriel griff nach dem ersten gespülten Becher und trocknete ihn sorgsam ab. „Du bist mein Freund.“, sagte er schlicht.
Nach der Geburt von Eve schien es mit der Ruhe in Gabriels Häuschen wirklich etwas vorbei. Obwohl er der älteste der Enkel seiner Großeltern war und sich noch daran erinnern konnte, wie Claire als Baby ausgesehen hatte, hatte er vollkommen unterschätzt, wie unselbstständig und hilfsbedürftig ein Neugeborenes war. Als Nell und Eve den ersten Tag nach dem Krankenhausaufenthalt zu Hause verbrachten und Gabriel und Nell das erste Mal vierundzwanzig Stunden allein für das Baby verantwortlich waren, hatten sie furchtbar große Sorgen etwas falsch zu machen. Als Eve endlich gefüttert und gewickelt eingeschlafen war, saß Nell in Tränen aufgelöst auf der Couch. Gabriel hätte sich am liebsten daneben gesetzt und mit geheult. Auf was hatte er sich da nur eingelassen? Er hätte am liebsten seine Oma bei sich, aber er beschränkte den Kontakt nach Riverview immer noch. Seine Familie wusste nicht einmal etwas von seinen zwei Mitbewohnern … Nell lag ihm ständig in den Ohren, dass er sich bei seiner Familie melden und den Kontakt nicht ganz abreißen lassen solle. Um sie zu beruhigen sprach er wenigstens einmal in der Woche mit Riverview. Am einfachsten war es wenn er seinen Grandpa oder Izzy erwischte. Die beiden machten ihm keine Vorwürfe oder lagen ihm in den Ohren, dass er endlich nach Hause kommen sollte, wie Oma und Claire. Sein Vater war auch noch erträglich, aber ziemlich schweigsam. Gabriel fragte sich, ob es eine Strategie seines Vaters war um ihn zu bestrafen. Das war eigentlich nicht Davids Stil...
Gabriel rief sich ins hier und jetzt zurück und nahm Nells Hand, um sie drücken. „Kopf hoch.“
Nell erwiderte nichts. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie die krampfhaft ein Schluchzen unterdrückte.
„Du glaubst vielleicht, dass du alles falsch machst oder es nicht schaffst. Aber du hast dich heute großartig geschlagen und du bist nicht allein.“ Als Nell weiterhin schwieg, fuhr Gabriel fort: „Mein Dad hat mich das erste Mal mit etwa drei Jahren gesehen und war nach ein paar Wochen auch mir nichts dir nichts für mich allein verantwortlich. Gut, ein Kleinkind ist etwas anderes als ein Säugling, aber wenn sogar er das geschafft hat …“
„Und wie hat er das bitteschön geschafft?“, murmelte Nell. Sie sah nur einen riesigen Berg vor sich, von dem sie keine Ahnung hatte, wie sie ihn bewältigen sollte. Mit einem Ohr lauschte sie, ob Eve sich meldete. Es war nichts zu hören. Das machte ihr genauso große Angst. Was war, wenn der Säugling nun aufhörte zu atmen? Nell war schon halb aufgesprungen, ihre Frage schon wieder vergessen...
Gabriel zog sie an der Hand, die er noch immer festhielt, wieder zurück auf die Couch. Er erhob sich selbst, um nach Eve zu sehen. In der Tür zum Schlafzimmer drehte er sich noch einmal um und beantwortete Nells Frage: „Er hatte Freunde, die ihm geholfen haben.“
Von der Terrasse her hörte sie das Klatschen von Haut auf Holz. Sie warf sich ihre Anziehsachen über und verließ das Schlafzimmer. Gabriel prügelte auf den Trainingsdummy ein. Sie hätte ihn nie für jemanden gehalten, der einen Kampfsport betrieb, aber schon nach ein paar Tagen war ihr bewusst gewesen, dass er seit Jahren Kampfsportler war. Immerhin hatte er sogar hier, im Urlaub, einen Dummy aufgestellt und arbeitete täglich damit. Auch jetzt war er ganz konzentriert in seine Übungen vertieft. Da er mit freiem Oberkörper trainierte, konnte sie sehen, wie stark er beharrt war. Durch die kurzen Ärmel seines Sweaters und der Shorts hatte sie schon bemerkt, dass er recht beharrte Arme und Beine besaß. Das auch Brust und Rücken stark beharrt waren, bemerkte sie erst jetzt. Ihr kam in den Sinn, dass in den geheimnisvollen Aufzeichnungen seiner Großeltern von Akki als Werwolf die Rede war. War er am Ende etwa einer? Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu verscheuchen. Tatsächlich war in der vergangenen Nacht Vollmond gewesen und sie war sich ziemlich sicher, dass Gabriel sich nicht verwandelt hatte. Immerhin hatten sie bis nach Mitternacht miteinander gesprochen. Außerdem glaubte sie gar nicht an diesen Humbug. Vielleicht bezog sich „dürrer Werwolf“ ja auch auf eine Charaktereigenschaft von Gabriels Mutter.
„Seit wann trainierst du?“, fragte Nell Gabriel, nachdem er geduscht hatte. Sie saßen am Tisch und tranken die Smoothies, die Nell als Frühstück zubereitet hatte. Gabriel erwartete keine Gegenleistung für die Unterkunft, aber es hatte sich in der kurzen Zeit in der sie nun bei ihm war ergeben, dass sie den Haushalt besorgte.
„Mein Großvater hat sehr früh angefangen es mir beizubringen.“
Nell nickte und bemerkte seinen traurigen Ausdruck. Sie war immer noch überrascht davon, dass er wie ausgewechselt war, was seine Maske betraf. Wenn sie in der Stadt waren, wurde sein Gesicht wieder ausdruckslos, aber wenn sie allein waren, hatte er wohl eines der am besten lesbaren Gesichter, die sie kannte. Erst gestern hatte sie ihm gesagt, er sei wie ein offenes Buch. Gabriel wurde darauf ziemlich verlegen. Es war als schämte er sich dafür. Den restlichen Abend versuchte er wieder seine Maske aufzusetzen. Dass wiederum verletzte Nell, denn sie verspürte mit seinem offenen Gesicht eine viel größere Sicherheit. Also sagte sie es ihm, bevor sie sich für die Nacht verabschiedete und an diesem Morgen war die Maske nicht da. Nell war erleichtert.
„Hast du im Moment Probleme mit deiner Familie?“
Gabriel nagte an dem Strohhalm. „Ich habe Riverview etwas überstürzt verlassen.“
Nell sah ihn freundlich an und bedeutete ihm fortzufahren. Langsam erzählte er ihr von seiner Ex-Freundin und wie sie ihn verraten hatte.
„Und jetzt siehst du fast so düster drein wie mein Grandpa.“ Widerwillig musste Gabriel lachen, nachdem er Nell von dem Grund seiner Abreise erzählt hatte.
„Ich kann es nicht leiden, wenn jemand andere Sims so behandelt.“, stieß sie hervor. „Erst recht nicht, wenn dieser andere Sim mein Freund ist.“
Das zauberte ein Lächeln auf Gabriels Gesicht. Nell lächelte zurück und fuhr fort. „Aber wenn ich es richtig verstehe, dann kannst du deiner Mutter keinen Vorwurf machen. Sie konnte doch gar nicht darüber sprechen. Wie hätte sie es also dir oder deinem Vater sagen sollen?“
Gabriel schob den leeren Becher von sich. „Das stimmt schon.“, gab er zu. „Ich schätze es war einfach alles ein bisschen viel für mich.“
„Das verstehe ich.“ Sie stand auf und räumte die Becher in die Spüle. „Aber du solltest den Kontakt zu deiner Familie nicht abbrechen lassen.“
„Ich weiß.“; seufzte Gabriel. „Aber ich brauche einfach noch ein bisschen Ruhe von zuhause.“
„Du bist ein ziemlicher Einzelgänger.“, rief Nell über das Rauschen den einlaufenden Spülwassers hinweg. Etwa nachdenklicher fragte sie: „Stört dich meine Anwesenheit eigentlich?“ Das schlechte Gewissen von heute morgen überkam sie wieder. Irgendwie war sie ja schon wie ein Parasit.
Gabriel sah überrascht zu der jungen Frau hinüber und grübelte über ihre Frage nach. Störte sie ihn? Sie war jetzt seit ein paar Tagen sein Gast und er war ihrer nicht müde. Wenn er arbeitete, zog sie sich mit einem Buch zurück oder spielte Gitarre. Zunächst hatte sie dafür das Haus verlassen, aber er hatte sie gebeten bei ihm zu spielen. Er mochte die simple Gitarrenmusik. Sie unterstützte seine Konzentration. Nell räumte auch schon mal leise auf, ging die Wäsche waschen oder putzte still vor sich hin. Als er sie vor ein paar Tagen gefragt hatte, ob sie die Stille nervte, hatte sie überraschenderweise geantwortet, dass sie es im Gegenteil sehr genoss nicht zwanghaft eine Unterhaltung führen zu müssen.
„Nein.“, erwiderte Gabriel schließlich nach so langer Pause, dass Nell schon nervös wurde. Er grinste. „Die meiste Zeit über bemerke ich ja gar nicht, dass du da bist.“ Verlegen sah er auf seine Fingernägel. „Aber immer wenn ich nachschaue, bist du da und das tut mir gut.“
Nell hatte beide Hände im Spülwasser und hielt ebenso verlegen wie Gabriel inne. Sie sah, dass die spitzen seiner Ohren sich röteten und musste lächeln.
„Allerdings wird die Ruhe wohl etwas nachlassen, wenn dein Baby da ist. Ich hab gehört, die kommen ohne Ausschalter.“, scherzte Gabriel so plötzlich, dass Nell nichts anderes übrig blieb, als ihn wieder einmal total verwirrt anzustarren.
Gabriel beeilte sich zu sagen, dass es nur ein Scherz war. „Du und dein Baby sind mir willkommen. Mach dir bitte keine Sorgen.“
Nell nickte langsam und konzentrierte sich auf das Spülen. Gabriel hatte sie zum Arzt gebracht. Sie war schon so weit, dass eine Abtreibung (so sie denn damit einverstanden gewesen wäre) nicht mehr in Frage kam. Der Arzt riet auch von Flugreisen ab (aber Nell hatte eh kein Zuhause, zu dem sie hätte gehen konnte). Sie war auf der Insel gestrandet.
„Tatsächlich habe ich den Mietvertrag für das Haus noch mal verlängert.“, informierte Gabriel sie. Er erhob sich und griff nach dem Geschirrtuch. Nach einem Seitenblick auf Nell fuhr er fort: „Bis das Kleine da ist, hast du also ein Dach über dem Kopf.“
Nell starrte auf den Schaum im Spülbecken. „Warum tust du alles für mich?“ Das schlechte Gewissen, mit dem sie aufgestanden war, meldete sich erneut.
Gabriel griff nach dem ersten gespülten Becher und trocknete ihn sorgsam ab. „Du bist mein Freund.“, sagte er schlicht.
Nach der Geburt von Eve schien es mit der Ruhe in Gabriels Häuschen wirklich etwas vorbei. Obwohl er der älteste der Enkel seiner Großeltern war und sich noch daran erinnern konnte, wie Claire als Baby ausgesehen hatte, hatte er vollkommen unterschätzt, wie unselbstständig und hilfsbedürftig ein Neugeborenes war. Als Nell und Eve den ersten Tag nach dem Krankenhausaufenthalt zu Hause verbrachten und Gabriel und Nell das erste Mal vierundzwanzig Stunden allein für das Baby verantwortlich waren, hatten sie furchtbar große Sorgen etwas falsch zu machen. Als Eve endlich gefüttert und gewickelt eingeschlafen war, saß Nell in Tränen aufgelöst auf der Couch. Gabriel hätte sich am liebsten daneben gesetzt und mit geheult. Auf was hatte er sich da nur eingelassen? Er hätte am liebsten seine Oma bei sich, aber er beschränkte den Kontakt nach Riverview immer noch. Seine Familie wusste nicht einmal etwas von seinen zwei Mitbewohnern … Nell lag ihm ständig in den Ohren, dass er sich bei seiner Familie melden und den Kontakt nicht ganz abreißen lassen solle. Um sie zu beruhigen sprach er wenigstens einmal in der Woche mit Riverview. Am einfachsten war es wenn er seinen Grandpa oder Izzy erwischte. Die beiden machten ihm keine Vorwürfe oder lagen ihm in den Ohren, dass er endlich nach Hause kommen sollte, wie Oma und Claire. Sein Vater war auch noch erträglich, aber ziemlich schweigsam. Gabriel fragte sich, ob es eine Strategie seines Vaters war um ihn zu bestrafen. Das war eigentlich nicht Davids Stil...
Gabriel rief sich ins hier und jetzt zurück und nahm Nells Hand, um sie drücken. „Kopf hoch.“
Nell erwiderte nichts. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie die krampfhaft ein Schluchzen unterdrückte.
„Du glaubst vielleicht, dass du alles falsch machst oder es nicht schaffst. Aber du hast dich heute großartig geschlagen und du bist nicht allein.“ Als Nell weiterhin schwieg, fuhr Gabriel fort: „Mein Dad hat mich das erste Mal mit etwa drei Jahren gesehen und war nach ein paar Wochen auch mir nichts dir nichts für mich allein verantwortlich. Gut, ein Kleinkind ist etwas anderes als ein Säugling, aber wenn sogar er das geschafft hat …“
„Und wie hat er das bitteschön geschafft?“, murmelte Nell. Sie sah nur einen riesigen Berg vor sich, von dem sie keine Ahnung hatte, wie sie ihn bewältigen sollte. Mit einem Ohr lauschte sie, ob Eve sich meldete. Es war nichts zu hören. Das machte ihr genauso große Angst. Was war, wenn der Säugling nun aufhörte zu atmen? Nell war schon halb aufgesprungen, ihre Frage schon wieder vergessen...
Gabriel zog sie an der Hand, die er noch immer festhielt, wieder zurück auf die Couch. Er erhob sich selbst, um nach Eve zu sehen. In der Tür zum Schlafzimmer drehte er sich noch einmal um und beantwortete Nells Frage: „Er hatte Freunde, die ihm geholfen haben.“
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 13
Gabriel spielte mit dem Flugticket. Er starrte immer wieder auf das Datum und wälzte im Kopf mögliche Ausreden nicht zu fliegen. Nell kam mit Eve auf der Hüfte aus dem Schlafzimmer. Sie grinste ihn an.
„Du fliegst nach Hause, keine Widerrede.“, sagte sie leise. „Du kannst dich nicht noch länger vor deiner Familie verstecken.“
Tief in seinem Inneren wusste Gabriel, dass sie recht hatte. Es waren fast zwei Jahre, die er nicht in Riverview gewesen war. Sein überstürzter Aufbruch damals war ein Weglaufen vor den Konflikten mit Shannon und seiner Mutter gewesen. Er hatte gehofft, dass er auch vor den Beobachtern davon laufen konnte. Nach der ersten Begegnung vor der Drogerie hatte er keinen Beobachter mehr gesehen. Er glaubte nicht daran, dass er ewig Ruhe vor ihnen haben würde, aber für den Moment war Isla Paradiso sein Rückzugsort.
Der Nachteil an diesem Rückzugsort, an dem er fast ausschließlich mit Nell und Eve Kontakt hatte, war jedoch die schleichende Isolation von der Außenwelt im Allgemeinen und Riverview im Besonderen. Je länger er auf der Insel weilte, desto größer wurde seine Scham nach Hause zu gehen – aus dem einfachen Grund, dass er sich so lange nicht gemeldet hatte.
Gabriel seufzte und wurde sich bewusst, dass Nell und Eve noch immer vor ihm standen. Das Mädchen lutschte angestrengt an ihrem Daumen, während seine Mutter grinste. Aus der Gesäßtasche zog sie einen Umschlag und reichte ihn ihm.
„Was ist das?“, fragte er verwundert. Nell bedeutete ihm den Umschlag zu öffnen. Überrascht zog er ein weiteres Ticket heraus.
„Eve und ich begleiten dich.“, erklärte Nell. „Wir sind der Meinung, dass du Freunde brauchst, die dir den Rücken freihalten.“ Mit einem teuflischen Grinsen fügte sie hinzu: „Und dich im Zweifel in die richtige Richtung schubsen.“ Zu ihrer Entzückung sah sie, wie sich ungefilterte Freude über Gabriels ausbreitete. Mit dem Flugticket war das meiste ihres Ersparten, das sie als Barkeeperin während der Feriensaison verdient hatte, aufgebraucht. Aber Gabriels Erleichterung und Freude, nicht allein nach Hause zu fliegen zu müssen, machte das mehr als wett. Der Simo hielt beide Tickets in der Hand und schien mit sich zu ringen, wie er seine Dankbarkeit in Worte fassen konnte. Nell winkte an. „Dafür sind Freunde doch da.“ Sie schob Eve auf die andere Hüfte. „Allerdings … kannst du uns eine Übernachtungsmöglichkeit besorgen?“
Gabriel stieß ein erleichtertes Lachen aus. „Das sollte kein Problem sein. Meine Familie hat genug Platz. Und im Zweifel kann ich ja meinen Schlafsack mitnehmen.“ Er grinste, als er sah wie Nell rot anlief. Sie hatte mehrfach vorgeschlagen, dass er sein Bett zurück bekam und sie die Couch nahm. Aber Eves Bettchen passte ausschließlich ins Schlafzimmer und deswegen stand für Gabriel nicht zur Diskussion, dass Nell das Bett abgab. Er kam mit dem Schlafsack erstaunlich gut zurecht.
„Gabriel...“, wollte Nell beginnen, doch er winkte ab. Er wusste, dass sie sich parasitär vorkam. Dabei hatte sie, nachdem Eve abgestillt war, jeden Job angenommen, denn sie bekommen konnte um sich an den Ausgaben zu beteiligen. Er hatte ihr mehrfach gesagt, dass es nicht nötig sei, er würde für alles aufkommen, aber Nell hatte darauf bestanden. Gabriel wusste, dass es wichtig für Nell war, sich ihre Unabhängigkeit zu erhalten. Sie wollte ihn nicht ausnutzen und sprach davon, alles was er ihr je ausgelegt hatte zurückzuzahlen. Deswegen sagte er nichts, wenn Nell die Einkäufe bezahlte oder ihm gelegentlich einen größeren Betrag auf seinen Schreibtisch legte, den sie als Abzahlung betrachtete. Gabriel nahm das Geld, bedankte sich und zahlte es auf das Sparbuch ein, das er für Eve angelegt hatte.
„Aber vielleicht solltest du deine Familie vorwarnen? Dass du einen bzw. zwei Gäste extra zu dem Geburtstag deiner Oma mitbringst?“
Gabriel nickte nachdenklich. Er verstaute beide Tickets in dem Umschlag und legte sie auf den Schreibtisch, nachdem er sich erhoben hatte. Seine Oma wurde fünfundsiebzig und hatte sich aus irgendeinem Grund in den Kopf gesetzt, diesen Geburtstag zu feiern. Normalerweise feierte sie und Grandpa ihre Geburtstage nicht. Auch der fünfundsiebzigste seines Grandpas war nicht groß gefeiert worden. Irgendwie hatte Gabriel den Verdacht, dass seine Oma ihn damit zur Rückkehr – und sei es nur zu einem Besuch – erpressen wollte. Zuzutrauen wäre es ihr. Unbewusst musste er grinsen. Über Eve als Begleitung würde Oma sicher vor Freude ausrasten. Gabriel strich dem Mädchen über den Kopf. „Danke.“, sagte er leise zu Nell.
Die grinste und hielt den Daumen hoch. Er konnte ihr ansehen, wie sehr es sie freute auch etwas für ihn tun zu können. Dabei taten sie und Eve jeden Tag etwas für ihn. Ihre Anwesenheit und die Geborgenheit, die er durch die beiden erfuhr, war ihm mehr wert alles andere auf der Welt. Ihm wurde bewusst, dass nicht nur Isla Paradiso sein Rückzugsort war, sondern Eve und Nell ein Bestandteil davon. Dass sie ihn begleiten würden, erleichterte ihn ungemein. Gabriel war stets ein Einzelgänger gewesen, der sich nur langsam an andere Sims gewöhnte. Er hatte in der Schule oder während des Studiums nur wenige (bis gar keine) gute Bekannte, von Freunden zu schweigen, gehabt. Es hatte ihm nie viel ausgemacht, da er seine Familie hatte. Aber als Shannon ihn verraten hatte und das Geheimnis seiner Mutter an den Tag gekommen war, hatte Gabriel das Gefühl gehabt, dass ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Seiner Mutter hatte er inzwischen verziehen. Er schämte sich für sein abweisendes Verhalten ihr gegenüber. Manchmal fragte er sich, ob sich nicht vielleicht doch etwas Ärger über Akkis Verhalten zu seiner Kinderzeit zu seinem Entschluss, Riverview Hals über Kopf zu verlassen, beigetragen hatte. Er war immer der Meinung, dass er Akki verstanden habe und es nachvollziehen konnte, dass sie David erst Gabriels Existenz verschwiegen und ihn dann als Kleinkind bei seinem Vater abgeliefert hatte und für Jahre nur peripher an seinem Leben teilgenommen hatte. Ja, sie hatte ein Leben-und-Tod-Problem in Moonlight Falls zu lösen, aber Gabriel fragte sich, ob seine kleinkindliche Seele davon nicht doch einen Schaden genommen hatte. Rationell betrachtet, konnte Akkis Verhalten akzeptieren und respektieren. Doch seit er Eve aufwachsen sah, und jeden Tag aufs neue darüber erstaunte, was ein so kleines Kind mitbekam, kam er nicht umhin sich zu wundern...
Erneut riss Nell ihn aus den Gedanken. „Erde an Gabriel!“ Die junge Frau reichte ihm Eve. „Ich helfe heute noch bei der Inventur im Souveniershop. Hast du das vergessen?“
„Neinnein.“, beeilte sich Gabriel zu erwidern. Er wippte Eve auf und ab. „Ich vergesse nie meinen Babydienst.“, behauptete er würdevoll. „Sonst wäre ich ja nicht die beste Tagesmutter der Welt!“
Nell rollte mit den Augen. „Hauptsache du vergisst darüber nicht, deine Familie zu informieren! Es wäre mir schon unangenehm, unangemeldet aufzutauchen.“ Für einen kurzen Augenblick überkamen Nell Zweifel. War es wirklich eine gute Idee ihn einfach zu begleiten? Sich noch mehr in sein Leben zu drängen?
Gabriel schien ihren Kummer zu spüren. „Mach dir keine Sorgen, Nell. Meine Familie wird dich mögen. Und Eve müssen wir anschließend wahrscheinlich mit Gewalt von ihnen wegholen.“
Sie seufzte. „Ich hoffe du hast recht.“ Nell griff nach ihrer Tasche. „Im Kühlschrank ist noch Salat und Früchtebrei für Eve. Ich will nach der Arbeit noch sehen, dass ich etwas wärmeres für Eve zum Anziehen finde.“ Damit gab sie ihrer Tochter einen raschen Kuss auf den Scheitel und eilte aus dem Haus. Gabriel lachte leise, während er ihr nachsah. Dann setzte er Eve in den Laufstall. Die Kleine war noch müde von ihrem Mittagsschlaf und würde brauchen, bis sie richtig wach war und seine Aufmerksamkeit forderte. Vorerst war sie glücklich im Laufstall zu sitzen und nachdenklich bunte Bälle zu betrachten. Gabriel griff nach seinem Telefon und rief seine Oma an.
„Wenn du dich abmeldest, setzt ich mich selbst in den Flieger und zerr' dich an deinem Pferdeschwanz hierher!“, begrüßte sie ihn. „Oh! Du hast ihn dir nicht abgeschnitten oder? Das kannst du mir nicht antun! Denk an mein Herz.“
Gabriel unterdrückte ein Lachen. Seine Großmutter würde sich nie ändern. Er stellte fest, dass er sich freute sie zu sehen.
„Keine Sorge, Oma. Dass würde ich nie wagen. Weder dich zu versetzen, noch mir die Haare zu schneiden.“ Er griff nach hinten und spielte an seinem Zopf herum. „Ich wollte eigentlich nur ankündigen, dass ich einen Freund mitbringe.“
Tatsächlich schwieg seine Oma daraufhin. Für etwa eine Sekunde. „Großartig!“ Oma klang wirklich erfreut. „Wenn du mir jetzt noch gestehst, dass du endlich vernünftig isst, normale Schlafenszeiten einhältst UND an die frische Luft gehst, kann ich endlich in Ruhe sterben! Aus meinem Enkel ist doch noch was geworden.“
„Oma! Mach doch bitte keine Witze über's Sterben!“
Kira lachte nur. „Ach Schätzchen. Ich freu mich so dich zu sehen! Und ich finde es wunderbar, dass du einen Freund mitbringst. Ich mache mir ja schon ein bisschen Sorgen, dass du auf deiner einsamen Insel noch anfängst mit Volleybällen zu sprechen.“
„So einsam ist es hier gar nicht ...“, wollte er einwenden.
„Papperlapapp. Das mag ja stimmen, aber ich kenne dich doch! Freiwillig gehst du nicht unter Leute. Also ist es gut, dass du wenigstens einen Freund hast! Prima.“ Dann wurde seine Oma plötzlich ernst. „Ehrlich gesagt muss ich dich vorwarnen, Gabriel.“ Sie seufzte.
„Muss ich mir Sorgen machen?“, brachte Gabriel hervor. Seine Oma so ernst zu erleben, MACHTE ihm Sorgen. Er erinnerte sich an ihr Alter und das seines Großvaters. Schlechtes Gewissen übermannte ihn und er ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Ein rascher Blick zu Eve zeigte ihm, dass sie noch immer mit den Bällen beschäftigt war.
„Nee, Sorgen nicht so direkt. Es ist nur … es hat einige Veränderungen hier gegeben. Darrel und ich haben die ganze Zeit überlegt, wie wir es dir am besten sagen sollen.“
„Oma, rück bitte mit der Sprache raus. Du machst mich nervös.“
„Oh.“, machte sie schuldbewusst. „Also … erstens sind Izzy und Claire ausgezogen. Nur in den Getreidespeicher. Also eigentlich sind sie immer noch die ganze Zeit hier, du weißt ja wie es hier ist.“
„Und zweitens?“
„Ehm...Deine Eltern sind auch ausgezogen.“
Gabriel riss überrascht die Augen auf. „Wie ausgezogen?!“
„Naja, wir haben ein kleines Häuschen auf unserem Grundstück gebaut und deine Eltern sind dort eingezogen. Es ist für unser aller Verhältnis das beste.“ Kiras Tonfall klang verlegen.
Gabriel massierte sich die Schläfen. Dass das Verhältnis zwischen seinen Großeltern und seiner Mutter angespannt war, wusste er. Sein Vater hing irgendwie zwischen den Stühlen.
„Ist es weil Mom eine Beobachterin gewesen ist?“, hakte er vorsichtig nach.
Kira überlegte einen Moment, bevor sie erwiderte: „Vielleicht. Nein, eigentlich nicht. Ach, ich weiß es auch nicht so ganz.“ Im Hintergrund hörte er Geschirr klappern. Wahrscheinlich kochte seine Oma gerade. „Ich glaube es ist vor allem mir schwergefallen, zu akzeptieren, dass mein Sohn ausgerechnet Akki liebt.“, sagte sie schnell. „Dass darfst du jetzt nicht falsch verstehen, es ist nur so, dass Akki ja eigentlich viel mehr Erfahrung hat und …“ Kira brach ab. „Das klingt ziemlich dumm oder?“
Ein Teil von ihm wollte ja sagen, aber Gabriel beschränkte sich auf ein unverständliches Gemurmel.
„Dabei hat sie ja gar nicht wirklich mehr Erfahrung. Und dass sie erst nichts von dir gesagt hat und dich dann hier abgeliefert hat und wie sie uns in … argh Maulsperre.“ Sie schnaubte empört. „Nachdem du dann auf deine einsame Insel abgehauen bist, kam da vieles hoch.“
„War Dad deswegen immer so still?“
Gabriel konnte das verlegene Gesicht seiner Großmutter förmlich vor sich sehen. „Ja. Er hat sehr unter der ganzen Situation gelitten. Ich schäme mich ziemlich, weil ich so garstig war.“
Auf eins konnte man sich bei Oma verlassen: Wenn sie einen Fehler gemacht hatte, dass gestand sie ihn ein.
„Akki kann auch nichts für die ganze Situation. Sie hat immer nur versucht zu helfen – auch wenn sie das manchmal ungeschickt angestellt hat. Seit David und sie nebenan wohnen und wir uns nicht mehr den ganzen Tag – sondern nur noch zweidrittel, du weißt ja, wie das hier ist – geht es echt besser. Wir sprechen viel miteinander.“
„Das ist gut. Glaube ich.“ Gabriel unterdrückte ein Seufzen. Das war ein ganz schöner Batzen, den er verdauen musste. Aber er froh, dass Oma ihn vorwarnte...
„Sorry, dass ich dich damit so überfallen habe. Eigentlich wollte ich Darrel damit vorschicken. Aber ich hab mich so gefreut, dass du angerufen hast und mir von deinem Freund erzählt hast. Und dass ihr beide kommt!“
Irrte Gabriel sich oder schniefte Oma leise? Sie war eigentlich nicht nah am Wasser gebaut.
„Ich freu mich auf euch!“, bekundete Gabriel zu seiner eigenen Überraschung.
Er hörte seine Oma Lachen, aber es klang tatsächlich so, als habe sich ein kleiner Schluchzer darunter gemischt. Er verspürte wieder das schlechte Gewissen. „Ich freu mich auch, mein Schatz.“
Gabriel sah zu Eve. „Ich muss jetzt Schluss machen. Ich will noch packen und so.“ Er schnitt Eve eine Grimasse und sie grinste breit zurück. Nell mochte es nicht, dass er ihrer Tochter immer neue Grimassen bei brachte. Sie beharrte jedoch nicht darauf, dass er es einstellte, weil sie sah wie viel Freude beide daran hatten.
„Okay, schade.“ Kira hätte ihn gerne noch nach seinem mysteriösen Freund gefragt, das spürte Gabriel. „Aber wir sehen uns ja in zwei Tagen. Pass auf dich auf.“ Sie schmatzte einen Kuss ins Telefon.
„Du fliegst nach Hause, keine Widerrede.“, sagte sie leise. „Du kannst dich nicht noch länger vor deiner Familie verstecken.“
Tief in seinem Inneren wusste Gabriel, dass sie recht hatte. Es waren fast zwei Jahre, die er nicht in Riverview gewesen war. Sein überstürzter Aufbruch damals war ein Weglaufen vor den Konflikten mit Shannon und seiner Mutter gewesen. Er hatte gehofft, dass er auch vor den Beobachtern davon laufen konnte. Nach der ersten Begegnung vor der Drogerie hatte er keinen Beobachter mehr gesehen. Er glaubte nicht daran, dass er ewig Ruhe vor ihnen haben würde, aber für den Moment war Isla Paradiso sein Rückzugsort.
Der Nachteil an diesem Rückzugsort, an dem er fast ausschließlich mit Nell und Eve Kontakt hatte, war jedoch die schleichende Isolation von der Außenwelt im Allgemeinen und Riverview im Besonderen. Je länger er auf der Insel weilte, desto größer wurde seine Scham nach Hause zu gehen – aus dem einfachen Grund, dass er sich so lange nicht gemeldet hatte.
Gabriel seufzte und wurde sich bewusst, dass Nell und Eve noch immer vor ihm standen. Das Mädchen lutschte angestrengt an ihrem Daumen, während seine Mutter grinste. Aus der Gesäßtasche zog sie einen Umschlag und reichte ihn ihm.
„Was ist das?“, fragte er verwundert. Nell bedeutete ihm den Umschlag zu öffnen. Überrascht zog er ein weiteres Ticket heraus.
„Eve und ich begleiten dich.“, erklärte Nell. „Wir sind der Meinung, dass du Freunde brauchst, die dir den Rücken freihalten.“ Mit einem teuflischen Grinsen fügte sie hinzu: „Und dich im Zweifel in die richtige Richtung schubsen.“ Zu ihrer Entzückung sah sie, wie sich ungefilterte Freude über Gabriels ausbreitete. Mit dem Flugticket war das meiste ihres Ersparten, das sie als Barkeeperin während der Feriensaison verdient hatte, aufgebraucht. Aber Gabriels Erleichterung und Freude, nicht allein nach Hause zu fliegen zu müssen, machte das mehr als wett. Der Simo hielt beide Tickets in der Hand und schien mit sich zu ringen, wie er seine Dankbarkeit in Worte fassen konnte. Nell winkte an. „Dafür sind Freunde doch da.“ Sie schob Eve auf die andere Hüfte. „Allerdings … kannst du uns eine Übernachtungsmöglichkeit besorgen?“
Gabriel stieß ein erleichtertes Lachen aus. „Das sollte kein Problem sein. Meine Familie hat genug Platz. Und im Zweifel kann ich ja meinen Schlafsack mitnehmen.“ Er grinste, als er sah wie Nell rot anlief. Sie hatte mehrfach vorgeschlagen, dass er sein Bett zurück bekam und sie die Couch nahm. Aber Eves Bettchen passte ausschließlich ins Schlafzimmer und deswegen stand für Gabriel nicht zur Diskussion, dass Nell das Bett abgab. Er kam mit dem Schlafsack erstaunlich gut zurecht.
„Gabriel...“, wollte Nell beginnen, doch er winkte ab. Er wusste, dass sie sich parasitär vorkam. Dabei hatte sie, nachdem Eve abgestillt war, jeden Job angenommen, denn sie bekommen konnte um sich an den Ausgaben zu beteiligen. Er hatte ihr mehrfach gesagt, dass es nicht nötig sei, er würde für alles aufkommen, aber Nell hatte darauf bestanden. Gabriel wusste, dass es wichtig für Nell war, sich ihre Unabhängigkeit zu erhalten. Sie wollte ihn nicht ausnutzen und sprach davon, alles was er ihr je ausgelegt hatte zurückzuzahlen. Deswegen sagte er nichts, wenn Nell die Einkäufe bezahlte oder ihm gelegentlich einen größeren Betrag auf seinen Schreibtisch legte, den sie als Abzahlung betrachtete. Gabriel nahm das Geld, bedankte sich und zahlte es auf das Sparbuch ein, das er für Eve angelegt hatte.
„Aber vielleicht solltest du deine Familie vorwarnen? Dass du einen bzw. zwei Gäste extra zu dem Geburtstag deiner Oma mitbringst?“
Gabriel nickte nachdenklich. Er verstaute beide Tickets in dem Umschlag und legte sie auf den Schreibtisch, nachdem er sich erhoben hatte. Seine Oma wurde fünfundsiebzig und hatte sich aus irgendeinem Grund in den Kopf gesetzt, diesen Geburtstag zu feiern. Normalerweise feierte sie und Grandpa ihre Geburtstage nicht. Auch der fünfundsiebzigste seines Grandpas war nicht groß gefeiert worden. Irgendwie hatte Gabriel den Verdacht, dass seine Oma ihn damit zur Rückkehr – und sei es nur zu einem Besuch – erpressen wollte. Zuzutrauen wäre es ihr. Unbewusst musste er grinsen. Über Eve als Begleitung würde Oma sicher vor Freude ausrasten. Gabriel strich dem Mädchen über den Kopf. „Danke.“, sagte er leise zu Nell.
Die grinste und hielt den Daumen hoch. Er konnte ihr ansehen, wie sehr es sie freute auch etwas für ihn tun zu können. Dabei taten sie und Eve jeden Tag etwas für ihn. Ihre Anwesenheit und die Geborgenheit, die er durch die beiden erfuhr, war ihm mehr wert alles andere auf der Welt. Ihm wurde bewusst, dass nicht nur Isla Paradiso sein Rückzugsort war, sondern Eve und Nell ein Bestandteil davon. Dass sie ihn begleiten würden, erleichterte ihn ungemein. Gabriel war stets ein Einzelgänger gewesen, der sich nur langsam an andere Sims gewöhnte. Er hatte in der Schule oder während des Studiums nur wenige (bis gar keine) gute Bekannte, von Freunden zu schweigen, gehabt. Es hatte ihm nie viel ausgemacht, da er seine Familie hatte. Aber als Shannon ihn verraten hatte und das Geheimnis seiner Mutter an den Tag gekommen war, hatte Gabriel das Gefühl gehabt, dass ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Seiner Mutter hatte er inzwischen verziehen. Er schämte sich für sein abweisendes Verhalten ihr gegenüber. Manchmal fragte er sich, ob sich nicht vielleicht doch etwas Ärger über Akkis Verhalten zu seiner Kinderzeit zu seinem Entschluss, Riverview Hals über Kopf zu verlassen, beigetragen hatte. Er war immer der Meinung, dass er Akki verstanden habe und es nachvollziehen konnte, dass sie David erst Gabriels Existenz verschwiegen und ihn dann als Kleinkind bei seinem Vater abgeliefert hatte und für Jahre nur peripher an seinem Leben teilgenommen hatte. Ja, sie hatte ein Leben-und-Tod-Problem in Moonlight Falls zu lösen, aber Gabriel fragte sich, ob seine kleinkindliche Seele davon nicht doch einen Schaden genommen hatte. Rationell betrachtet, konnte Akkis Verhalten akzeptieren und respektieren. Doch seit er Eve aufwachsen sah, und jeden Tag aufs neue darüber erstaunte, was ein so kleines Kind mitbekam, kam er nicht umhin sich zu wundern...
Erneut riss Nell ihn aus den Gedanken. „Erde an Gabriel!“ Die junge Frau reichte ihm Eve. „Ich helfe heute noch bei der Inventur im Souveniershop. Hast du das vergessen?“
„Neinnein.“, beeilte sich Gabriel zu erwidern. Er wippte Eve auf und ab. „Ich vergesse nie meinen Babydienst.“, behauptete er würdevoll. „Sonst wäre ich ja nicht die beste Tagesmutter der Welt!“
Nell rollte mit den Augen. „Hauptsache du vergisst darüber nicht, deine Familie zu informieren! Es wäre mir schon unangenehm, unangemeldet aufzutauchen.“ Für einen kurzen Augenblick überkamen Nell Zweifel. War es wirklich eine gute Idee ihn einfach zu begleiten? Sich noch mehr in sein Leben zu drängen?
Gabriel schien ihren Kummer zu spüren. „Mach dir keine Sorgen, Nell. Meine Familie wird dich mögen. Und Eve müssen wir anschließend wahrscheinlich mit Gewalt von ihnen wegholen.“
Sie seufzte. „Ich hoffe du hast recht.“ Nell griff nach ihrer Tasche. „Im Kühlschrank ist noch Salat und Früchtebrei für Eve. Ich will nach der Arbeit noch sehen, dass ich etwas wärmeres für Eve zum Anziehen finde.“ Damit gab sie ihrer Tochter einen raschen Kuss auf den Scheitel und eilte aus dem Haus. Gabriel lachte leise, während er ihr nachsah. Dann setzte er Eve in den Laufstall. Die Kleine war noch müde von ihrem Mittagsschlaf und würde brauchen, bis sie richtig wach war und seine Aufmerksamkeit forderte. Vorerst war sie glücklich im Laufstall zu sitzen und nachdenklich bunte Bälle zu betrachten. Gabriel griff nach seinem Telefon und rief seine Oma an.
„Wenn du dich abmeldest, setzt ich mich selbst in den Flieger und zerr' dich an deinem Pferdeschwanz hierher!“, begrüßte sie ihn. „Oh! Du hast ihn dir nicht abgeschnitten oder? Das kannst du mir nicht antun! Denk an mein Herz.“
Gabriel unterdrückte ein Lachen. Seine Großmutter würde sich nie ändern. Er stellte fest, dass er sich freute sie zu sehen.
„Keine Sorge, Oma. Dass würde ich nie wagen. Weder dich zu versetzen, noch mir die Haare zu schneiden.“ Er griff nach hinten und spielte an seinem Zopf herum. „Ich wollte eigentlich nur ankündigen, dass ich einen Freund mitbringe.“
Tatsächlich schwieg seine Oma daraufhin. Für etwa eine Sekunde. „Großartig!“ Oma klang wirklich erfreut. „Wenn du mir jetzt noch gestehst, dass du endlich vernünftig isst, normale Schlafenszeiten einhältst UND an die frische Luft gehst, kann ich endlich in Ruhe sterben! Aus meinem Enkel ist doch noch was geworden.“
„Oma! Mach doch bitte keine Witze über's Sterben!“
Kira lachte nur. „Ach Schätzchen. Ich freu mich so dich zu sehen! Und ich finde es wunderbar, dass du einen Freund mitbringst. Ich mache mir ja schon ein bisschen Sorgen, dass du auf deiner einsamen Insel noch anfängst mit Volleybällen zu sprechen.“
„So einsam ist es hier gar nicht ...“, wollte er einwenden.
„Papperlapapp. Das mag ja stimmen, aber ich kenne dich doch! Freiwillig gehst du nicht unter Leute. Also ist es gut, dass du wenigstens einen Freund hast! Prima.“ Dann wurde seine Oma plötzlich ernst. „Ehrlich gesagt muss ich dich vorwarnen, Gabriel.“ Sie seufzte.
„Muss ich mir Sorgen machen?“, brachte Gabriel hervor. Seine Oma so ernst zu erleben, MACHTE ihm Sorgen. Er erinnerte sich an ihr Alter und das seines Großvaters. Schlechtes Gewissen übermannte ihn und er ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Ein rascher Blick zu Eve zeigte ihm, dass sie noch immer mit den Bällen beschäftigt war.
„Nee, Sorgen nicht so direkt. Es ist nur … es hat einige Veränderungen hier gegeben. Darrel und ich haben die ganze Zeit überlegt, wie wir es dir am besten sagen sollen.“
„Oma, rück bitte mit der Sprache raus. Du machst mich nervös.“
„Oh.“, machte sie schuldbewusst. „Also … erstens sind Izzy und Claire ausgezogen. Nur in den Getreidespeicher. Also eigentlich sind sie immer noch die ganze Zeit hier, du weißt ja wie es hier ist.“
„Und zweitens?“
„Ehm...Deine Eltern sind auch ausgezogen.“
Gabriel riss überrascht die Augen auf. „Wie ausgezogen?!“
„Naja, wir haben ein kleines Häuschen auf unserem Grundstück gebaut und deine Eltern sind dort eingezogen. Es ist für unser aller Verhältnis das beste.“ Kiras Tonfall klang verlegen.
Gabriel massierte sich die Schläfen. Dass das Verhältnis zwischen seinen Großeltern und seiner Mutter angespannt war, wusste er. Sein Vater hing irgendwie zwischen den Stühlen.
„Ist es weil Mom eine Beobachterin gewesen ist?“, hakte er vorsichtig nach.
Kira überlegte einen Moment, bevor sie erwiderte: „Vielleicht. Nein, eigentlich nicht. Ach, ich weiß es auch nicht so ganz.“ Im Hintergrund hörte er Geschirr klappern. Wahrscheinlich kochte seine Oma gerade. „Ich glaube es ist vor allem mir schwergefallen, zu akzeptieren, dass mein Sohn ausgerechnet Akki liebt.“, sagte sie schnell. „Dass darfst du jetzt nicht falsch verstehen, es ist nur so, dass Akki ja eigentlich viel mehr Erfahrung hat und …“ Kira brach ab. „Das klingt ziemlich dumm oder?“
Ein Teil von ihm wollte ja sagen, aber Gabriel beschränkte sich auf ein unverständliches Gemurmel.
„Dabei hat sie ja gar nicht wirklich mehr Erfahrung. Und dass sie erst nichts von dir gesagt hat und dich dann hier abgeliefert hat und wie sie uns in … argh Maulsperre.“ Sie schnaubte empört. „Nachdem du dann auf deine einsame Insel abgehauen bist, kam da vieles hoch.“
„War Dad deswegen immer so still?“
Gabriel konnte das verlegene Gesicht seiner Großmutter förmlich vor sich sehen. „Ja. Er hat sehr unter der ganzen Situation gelitten. Ich schäme mich ziemlich, weil ich so garstig war.“
Auf eins konnte man sich bei Oma verlassen: Wenn sie einen Fehler gemacht hatte, dass gestand sie ihn ein.
„Akki kann auch nichts für die ganze Situation. Sie hat immer nur versucht zu helfen – auch wenn sie das manchmal ungeschickt angestellt hat. Seit David und sie nebenan wohnen und wir uns nicht mehr den ganzen Tag – sondern nur noch zweidrittel, du weißt ja, wie das hier ist – geht es echt besser. Wir sprechen viel miteinander.“
„Das ist gut. Glaube ich.“ Gabriel unterdrückte ein Seufzen. Das war ein ganz schöner Batzen, den er verdauen musste. Aber er froh, dass Oma ihn vorwarnte...
„Sorry, dass ich dich damit so überfallen habe. Eigentlich wollte ich Darrel damit vorschicken. Aber ich hab mich so gefreut, dass du angerufen hast und mir von deinem Freund erzählt hast. Und dass ihr beide kommt!“
Irrte Gabriel sich oder schniefte Oma leise? Sie war eigentlich nicht nah am Wasser gebaut.
„Ich freu mich auf euch!“, bekundete Gabriel zu seiner eigenen Überraschung.
Er hörte seine Oma Lachen, aber es klang tatsächlich so, als habe sich ein kleiner Schluchzer darunter gemischt. Er verspürte wieder das schlechte Gewissen. „Ich freu mich auch, mein Schatz.“
Gabriel sah zu Eve. „Ich muss jetzt Schluss machen. Ich will noch packen und so.“ Er schnitt Eve eine Grimasse und sie grinste breit zurück. Nell mochte es nicht, dass er ihrer Tochter immer neue Grimassen bei brachte. Sie beharrte jedoch nicht darauf, dass er es einstellte, weil sie sah wie viel Freude beide daran hatten.
„Okay, schade.“ Kira hätte ihn gerne noch nach seinem mysteriösen Freund gefragt, das spürte Gabriel. „Aber wir sehen uns ja in zwei Tagen. Pass auf dich auf.“ Sie schmatzte einen Kuss ins Telefon.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 14 – Zurück in Riverview
Gabriel hätte nicht sagen können, wer von beiden nervöser war: Er oder Nell. Eve verschlief die ganze Aufregung. Zum Glück hatte sie den Flug gut überstanden. Als sie am Flughafen ankamen, sah sie sich nur einmal mit großen Augen um, bevor sie ihren Daumen in den Mund schob und an seiner Schulter einschlief. Gabriel dachte kurz darüber nach einen Wagen zu mieten. Er hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dass seine Eltern oder Izzy ihn vom Flughafen abholten. Lieber fuhr er selbst oder nahm ein Taxi, als die lange Autofahrt mit seinen Eltern oder Izzy und entweder Totenstille oder nervtötenden Fragen zu verbringen. Die Reise an sich war schon nervenaufreibend genug! Gabriel verabscheute die Hektik und die Menschenmassen. Er schauderte.
„Taxi oder Mietwagen?“, fragte er schließlich Nell, die sich ebenfalls unbehaglich umsah. Dafür, dass sie in der Saison als Animateurin oder Barkeeperin arbeitete, schien sich in der Menschenansammlung genauso unwohl zu fühlen wie er.
Nell seufzte: „Ich fühle mich nicht danach selbst zu fahren. Und du siehst auch ziemlich k.o. aus.“
Er nickte. „Also Taxi.“ Er verlagerte vorsichtig Eves Gewicht und nahm mit der anderen Hand den Trolley. „Oder hätte ich doch das Familientaxi bestellen sollen?“
Nell schulterte seinen Dufflebag – sie bestand darauf ihn zu tragen, wenn er schon Eve trug – und lächelte nachsichtig. „Das ist jetzt auch egal.“ Nach einem kurzen Orientierungsblick schlug sie den Weg Richtung Taxistand ein. „Davon abgesehen: Wärst du gerne vom Familientaxi abgeholt worden?“
Gabriel unterdrückte ein Schmunzeln und setzte seine altbekannte Maske auf.
Sie hatten das Glück einen freundlichen älteren Taxifahrer mit Kindersitz zu finden, der ihnen eine angenehme Rückfahrt ermöglichte. Er war ein großer Fan von Classic Rock, hatte eine entsprechende Playlist und hielt – bis auf gelegentliche Fragen nach dem Befinden oder Pausenwünschen – die Klappe. Nell schlief auf dem Rücksitz neben Eves Kindersitz bald ebenfalls ein. Gabriel lauschte der Musik und sah aus dem Fenster. Wie es Nell vorausgesehen hatte, war es wesentlich kühler hier. Zwar näherte sich der Sommer mit großen Schritten, aber Isla Paradiso lag in einer anderen Klimazone. Etwas wehmütig hatte Gabriel seinen Parka auf der Insel eingepackt, aber inzwischen war eh froh, dass er ihn am Flughafen angezogen hatte. Es kam ihm so vor, als habe er mit dem Parka auch etwas anderes angelegt, doch er konnte den Finger nicht darauf legen. Er vermisste das kleine Haus am Meer. Vor allem vermisste er die Ruhe und Abgeschiedenheit, die Einsamkeit, die ja eigentlich eine Dreisamkeit war. Er scheute den Trubel in seinem Elternhaus, auch wenn er sich freute seine Familie wiederzusehen. Aber dann gleich eine große Feier überstehen? Vermutlich kamen Hinz und Kunz. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanken, dass vermutlich auch Shannons Großeltern eingeladen waren. Er schluckte trocken.
Irgendwann nickte auch Gabriel ein. Als er den Schlaf langsam abschüttelte und nach draußen sah, bemerkte er, dass sie bereits die Ausläufer von Riverview erreichten. Die Stadt war in den vergangenen fünfzig Jahren zwar langsam gewachsen, aber noch hatte es nicht genug Zuzüge oder Bauprojekte gegeben, als dass der Kleinstadtcharme zerstört worden wäre. Gabriel warf einen Blick auf die Rückbank. Nell war ebenfalls wach und betrachtete mit Eve ein Bilderbuch. Als sie bemerkte, dass Gabriel sich zu ihnen umsah, lächelte sie ihm kurz zu.
Wenig später hielt das Taxi vor dem Grundstück der Familie. Während der Taxifahrer ihr Gepäck auslud, befreite Gabriel Eve aus ihrem Kindersitz. Er reichte sie Nell.
„Geh du schon mal mit dem Gepäck vor und melde uns an.“, bat sie leise. „Ich bezahl und komm dann nach.“
Gabriel wollte etwas einwenden, doch Nell sah ihn bestimmt an. Er nickte. Vermutlich wollte sie ihm die Chance geben, seine Familie erst einmal selbst zu begrüßen. Oder sie musste sich noch darauf vorbereiten eine völlig fremde Familie kennenzulernen.
Gabriel nahm das Gepäck und ging festen Schrittes zum Haus. Es war inzwischen dunkel geworden und von innen strahlte freundlich das Licht nach draußen. Vor der Haustür hielt er kurz inne. Er ließ den Blick über das Grundstück schweifen, zog tief die Luft durch die Nase. Dann lächelte er. Auch wenn ihm der ganze Almauftrieb, der durch die Feier bevorstand, unrecht war, so merkte er nun, dass er Riverview in manchen Dingen doch vermisst hatte. Die Luft, die Aussicht, ja sogar seine laute und große Familie – irgendwie war es doch seine Heimat. Das kleine Haus am Meer mit Nell und Eve stieg vor seinem inneren Auge auf. Auch das war Heimat. Gabriel schüttelte den Kopf, wappnete sich und öffnete die Tür.
Um von gähnender Leere begrüßt zu werden. Es war so still im Haus, dass es Gabriel fast unheimlich vorkam. Dann fiel ihm ein, dass Oma ihm vom Auszug seiner Eltern, Izzy und Claire erzählt hatte. Irgendwie hatte er trotzdem erwartet, dass sie alle da waren um ihn zu begrüßen. Von rechts hörte er Atemgeräusche. Im Schaukelstuhl saß sein Großvater und döste vor sich hin. Gabriel lächelte, ging vorsichtig auf ihn zu und wollte ihn gerade sanft an der Schulter berühren, um ihn zu wecken, als Darrel ein Auge öffnete und seinen Enkel daraus anfunkelte.
„Gute Reise gehabt?“, fragte der alte Mann und grinste breit. Er erhob sich – vielleicht etwas weniger schwungvoll als früher, aber noch immer mit mehr Energie als einem Mann seines Alters eigentlich zustand – und umarmte Gabriel. Gabriel drückte ihn fest.
„Es tut gut dich zu sehen.“, sagte Gabriel. „Wo sind denn alle?“
Darrel lachte leise. „Ich hätte nicht gedacht, dass du mal so begierig darauf bist die ganze Meute zu sehen.“
Gabriel versuchte seine Maske aufrecht zu erhalten. Doch gegenüber Darrel klappte es selten. „Ich habe mich nur gewundert.“
Sein Großvater streckte sich und sah zur Tür. „Da ich weiß, wie wenig du Menschenmassen magst, habe ich vorgeschlagen, dass wir dir und deinem Freund heute Abend noch etwas Ruhe verschaffen. Deine Eltern, Izzy und Claire kommen morgen früh zum Frühstück. Und Kira hab ich vorhin ins Bett geschickt, sie schlief nämlich fast im Stehen ein.“
„Geht es Oma gut?“, fragte Gabriel besorgt.
Darrel lächelte. „Sie arbeitet zu viel. Aber mach dir keine Sorgen.“
Während er Großvater scharf musterte – dieser hielt dem Blick natürlich eisern stand – ging Gabriel zur Tür, um zu sehen wo Nell und Eve blieben. Darrels Gesicht wurde nachsichtig und Gabriel beschloss, dass wirklich kein Grund zur Sorge bestand. In diesem Moment klopfte es leise und Nell kam durch die geöffnete Tür. Sie war bemüht einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten, aber Gabriel sah eine gewisse Unsicherheit in ihren Augen. Er lächelte ihr aufmunternd zu.
„Grandpa, das sind Nell und ihre Tochter Eve.“, stellte er seine Begleitung vor. „Nell, mein Großvater Darrel.“
Nell beeilte sich Darrel zu begrüßen. Sie war unsicher wie Gabriels Familie auf sie reagieren würde. Je näher der Abflug gerückt war, desto nervöser war sie geworden. Die Stunden im Taxi hatten es nicht besser gemacht … Doch Gabriels Großvater sah sie nur freundlich an, schüttelte ihr mit sanftem Druck die Hand und strahlte Eve so begeistert an, dass die Kleine zurück lächelte. Für gewöhnlich war sie wesentlich schüchterner.
„Wir freuen uns, dass Gabriel euch mitgebracht hat.“, sagte Darrel, bevor er erklärte, dass das große Begrüßungskommando erst am Morgen über sie herfallen würde. Nell war erleichtert über den Aufschub. Wenn der Rest der Familie so freundlich wie der Großvater war, dann sollte sie sich keine Sorgen machen müssen.
„Die Betten oben sind frisch bezogen. Allerdings werde ich eben ein Kinderbett aus der Scheune holen müssen.“ Darrel sah kurz zu Gabriel, und Nell wusste woher dieser die Kunst des ausdruckslosen Gesichtsausdruck hatte. Darrels Miene war nicht zu lesen. „Wir sind zwar auf einen Gast eingerichtet gewesen, aber Gabriel hat ganz vergessen, die kleine Prinzessin zu erwähnen.“
„Bitte machen Sie sich keine Umstände, Mr. Felinger. Eve kann mit bei mir im Bett schlafen.“
Darrel lachte leise und Nell fiel eine weitere Ähnlichkeit auf. „Nenn mich bitte Darrel. Und es sind keine Umstände. Wenn an etwas in diesem Haushalt kein Mangel besteht, dann ist es Kindermobiliar.“
Etwas später, nachdem Darrel das Kinderbett aufgebaut und mit frischem Bettzeug versorgt hatte, während die Reisenden in der Küche aßen, stand Gabriel im Türrahmen zu seinem alten Kinderzimmer. Es hatte sich nichts verändert.Während Claire ihr Kinderzimmer regelmäßig um geräumt oder neu gestaltet hatte, war sein Raum seit seiner Grundschulzeit unverändert geblieben. Selbst als Teenager hatte ihn die Rittertapete nicht gestört und immer noch stand eine Spielzeugbox in einer Ecke. Gabriel lehnte sich gegen den Türrahmen und ließ sein Zimmer auf sich wirken. Wieder rangen in seinem Inneren die heimatlichen Gefühle für Riverview mit denen für das kleine Haus am Meer. Schließlich seufzte er. Entschlossen drehte er sich um und suchte Izzys ehemaliges Zimmer auf, um zu sehen wie es Nell und Eve ging. Die Stille im Haus fand er fast schon gespenstisch. Es war so ungewohnt. Darrel war inzwischen in das Apartment in der Scheune zurückgekehrt. Gabriel, Nell und Eve waren allein in dem Haus – so wie auf Isla Paradios. Nur war dieses Haus viel größer und Gabriel kannte es nicht so leise. Vor der Zimmertür hielt er kurz inne, um zu lauschen wie Nell mit ihrer Tochter sprach. Der Klang beider Stimmen löste ein warmes Gefühl in ihm aus.
„Herein.“, antwortete Nell fast augenblicklich auf sein Klopfen.
Gabriel steckte den Kopf ins Zimmer. „Alles okay bei euch?“
Auf Nells Hüfte strahlte Eve. Sie streckte ihre Ärmchen nach Gabriel aus. „Alles gut.“, erwiderte Nell. „Aber ich glaube, Eve besteht auf deine Gute-Nacht-Geschichte.“ Nell reichte das Kleinkind an Gabriel, nachdem dieser ganz ins Zimmer gekommen war. Sie griff nach ihrem Kulturbeutel und verschwand im Bad. Gabriel setzte sich mit Eve auf das Doppelbett und suchte aus der Wickeltasche Eves Lieblingsbuch. „Da!“, sagte Eve begeistert und patschte auf den Einband. Gabriel lachte leise und schlug das Buch auf.
Während Nell sich die Zähne putzte, hing sie ihren Gedanken nach. Obwohl das Haus so groß und leer war, fühlte es sich voller Liebe an. An jeder Kleinigkeit – sei es ein vergessenes Buch auf einem Beistelltisch, eine achtlos über einen Stuhl geworfene Jacke, das gemütliche Feuer im Kamin oder der Kühlschrank voller selbstgemachter Köstlichkeiten – konnte man sehen, dass dies ein Familienhaus war. Wie schrecklich es Gabriels Großeltern vorkommen musste, dass David, Akki, Izzy und Claire ausgezogen waren. Durch Gabriels Erzählungen kam es ihr fast so vor, als kenne sie seine Familie schon ewig.
Nell spuckte den Zahnpastaschaum aus und spülte ihren Mund. Sie löste ihren geflochtenen Zopf aus, entwirrte mit den Fingern grob ihre Haare und fasste sie dann zu zwei Zöpfen für die Nacht zusammen. Sie fragte sich, ob Gabriel sein Elternhaus vermisste. Obwohl sie wirklich viel über Riverview und die Familie Felinger gesprochen hatten, war nie das Wort Heimweh gefallen. Er hatte auch nie gesagt, dass er seinen Aufenthalt in Isla Paradiso beenden wollte. Nach wie vor wohnte er – wohnten sie – zur Miete in dem kleinen Haus am Meer. Es war wie ein nie endender Urlaub, auch wenn das Häuschen das war, was für Nell Heimat am nächsten kam. Eve kannte nichts anderes … Nell seufzte und verbannte ihre Gedanken. Ihr war bewusst, dass sie mit der Insel auch ihren Kokon verlassen hatte. Sie und Gabriel. Es war mehr als nur ein Familienbesuch.
„Taxi oder Mietwagen?“, fragte er schließlich Nell, die sich ebenfalls unbehaglich umsah. Dafür, dass sie in der Saison als Animateurin oder Barkeeperin arbeitete, schien sich in der Menschenansammlung genauso unwohl zu fühlen wie er.
Nell seufzte: „Ich fühle mich nicht danach selbst zu fahren. Und du siehst auch ziemlich k.o. aus.“
Er nickte. „Also Taxi.“ Er verlagerte vorsichtig Eves Gewicht und nahm mit der anderen Hand den Trolley. „Oder hätte ich doch das Familientaxi bestellen sollen?“
Nell schulterte seinen Dufflebag – sie bestand darauf ihn zu tragen, wenn er schon Eve trug – und lächelte nachsichtig. „Das ist jetzt auch egal.“ Nach einem kurzen Orientierungsblick schlug sie den Weg Richtung Taxistand ein. „Davon abgesehen: Wärst du gerne vom Familientaxi abgeholt worden?“
Gabriel unterdrückte ein Schmunzeln und setzte seine altbekannte Maske auf.
Sie hatten das Glück einen freundlichen älteren Taxifahrer mit Kindersitz zu finden, der ihnen eine angenehme Rückfahrt ermöglichte. Er war ein großer Fan von Classic Rock, hatte eine entsprechende Playlist und hielt – bis auf gelegentliche Fragen nach dem Befinden oder Pausenwünschen – die Klappe. Nell schlief auf dem Rücksitz neben Eves Kindersitz bald ebenfalls ein. Gabriel lauschte der Musik und sah aus dem Fenster. Wie es Nell vorausgesehen hatte, war es wesentlich kühler hier. Zwar näherte sich der Sommer mit großen Schritten, aber Isla Paradiso lag in einer anderen Klimazone. Etwas wehmütig hatte Gabriel seinen Parka auf der Insel eingepackt, aber inzwischen war eh froh, dass er ihn am Flughafen angezogen hatte. Es kam ihm so vor, als habe er mit dem Parka auch etwas anderes angelegt, doch er konnte den Finger nicht darauf legen. Er vermisste das kleine Haus am Meer. Vor allem vermisste er die Ruhe und Abgeschiedenheit, die Einsamkeit, die ja eigentlich eine Dreisamkeit war. Er scheute den Trubel in seinem Elternhaus, auch wenn er sich freute seine Familie wiederzusehen. Aber dann gleich eine große Feier überstehen? Vermutlich kamen Hinz und Kunz. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanken, dass vermutlich auch Shannons Großeltern eingeladen waren. Er schluckte trocken.
Irgendwann nickte auch Gabriel ein. Als er den Schlaf langsam abschüttelte und nach draußen sah, bemerkte er, dass sie bereits die Ausläufer von Riverview erreichten. Die Stadt war in den vergangenen fünfzig Jahren zwar langsam gewachsen, aber noch hatte es nicht genug Zuzüge oder Bauprojekte gegeben, als dass der Kleinstadtcharme zerstört worden wäre. Gabriel warf einen Blick auf die Rückbank. Nell war ebenfalls wach und betrachtete mit Eve ein Bilderbuch. Als sie bemerkte, dass Gabriel sich zu ihnen umsah, lächelte sie ihm kurz zu.
Wenig später hielt das Taxi vor dem Grundstück der Familie. Während der Taxifahrer ihr Gepäck auslud, befreite Gabriel Eve aus ihrem Kindersitz. Er reichte sie Nell.
„Geh du schon mal mit dem Gepäck vor und melde uns an.“, bat sie leise. „Ich bezahl und komm dann nach.“
Gabriel wollte etwas einwenden, doch Nell sah ihn bestimmt an. Er nickte. Vermutlich wollte sie ihm die Chance geben, seine Familie erst einmal selbst zu begrüßen. Oder sie musste sich noch darauf vorbereiten eine völlig fremde Familie kennenzulernen.
Gabriel nahm das Gepäck und ging festen Schrittes zum Haus. Es war inzwischen dunkel geworden und von innen strahlte freundlich das Licht nach draußen. Vor der Haustür hielt er kurz inne. Er ließ den Blick über das Grundstück schweifen, zog tief die Luft durch die Nase. Dann lächelte er. Auch wenn ihm der ganze Almauftrieb, der durch die Feier bevorstand, unrecht war, so merkte er nun, dass er Riverview in manchen Dingen doch vermisst hatte. Die Luft, die Aussicht, ja sogar seine laute und große Familie – irgendwie war es doch seine Heimat. Das kleine Haus am Meer mit Nell und Eve stieg vor seinem inneren Auge auf. Auch das war Heimat. Gabriel schüttelte den Kopf, wappnete sich und öffnete die Tür.
Um von gähnender Leere begrüßt zu werden. Es war so still im Haus, dass es Gabriel fast unheimlich vorkam. Dann fiel ihm ein, dass Oma ihm vom Auszug seiner Eltern, Izzy und Claire erzählt hatte. Irgendwie hatte er trotzdem erwartet, dass sie alle da waren um ihn zu begrüßen. Von rechts hörte er Atemgeräusche. Im Schaukelstuhl saß sein Großvater und döste vor sich hin. Gabriel lächelte, ging vorsichtig auf ihn zu und wollte ihn gerade sanft an der Schulter berühren, um ihn zu wecken, als Darrel ein Auge öffnete und seinen Enkel daraus anfunkelte.
„Gute Reise gehabt?“, fragte der alte Mann und grinste breit. Er erhob sich – vielleicht etwas weniger schwungvoll als früher, aber noch immer mit mehr Energie als einem Mann seines Alters eigentlich zustand – und umarmte Gabriel. Gabriel drückte ihn fest.
„Es tut gut dich zu sehen.“, sagte Gabriel. „Wo sind denn alle?“
Darrel lachte leise. „Ich hätte nicht gedacht, dass du mal so begierig darauf bist die ganze Meute zu sehen.“
Gabriel versuchte seine Maske aufrecht zu erhalten. Doch gegenüber Darrel klappte es selten. „Ich habe mich nur gewundert.“
Sein Großvater streckte sich und sah zur Tür. „Da ich weiß, wie wenig du Menschenmassen magst, habe ich vorgeschlagen, dass wir dir und deinem Freund heute Abend noch etwas Ruhe verschaffen. Deine Eltern, Izzy und Claire kommen morgen früh zum Frühstück. Und Kira hab ich vorhin ins Bett geschickt, sie schlief nämlich fast im Stehen ein.“
„Geht es Oma gut?“, fragte Gabriel besorgt.
Darrel lächelte. „Sie arbeitet zu viel. Aber mach dir keine Sorgen.“
Während er Großvater scharf musterte – dieser hielt dem Blick natürlich eisern stand – ging Gabriel zur Tür, um zu sehen wo Nell und Eve blieben. Darrels Gesicht wurde nachsichtig und Gabriel beschloss, dass wirklich kein Grund zur Sorge bestand. In diesem Moment klopfte es leise und Nell kam durch die geöffnete Tür. Sie war bemüht einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten, aber Gabriel sah eine gewisse Unsicherheit in ihren Augen. Er lächelte ihr aufmunternd zu.
„Grandpa, das sind Nell und ihre Tochter Eve.“, stellte er seine Begleitung vor. „Nell, mein Großvater Darrel.“
Nell beeilte sich Darrel zu begrüßen. Sie war unsicher wie Gabriels Familie auf sie reagieren würde. Je näher der Abflug gerückt war, desto nervöser war sie geworden. Die Stunden im Taxi hatten es nicht besser gemacht … Doch Gabriels Großvater sah sie nur freundlich an, schüttelte ihr mit sanftem Druck die Hand und strahlte Eve so begeistert an, dass die Kleine zurück lächelte. Für gewöhnlich war sie wesentlich schüchterner.
„Wir freuen uns, dass Gabriel euch mitgebracht hat.“, sagte Darrel, bevor er erklärte, dass das große Begrüßungskommando erst am Morgen über sie herfallen würde. Nell war erleichtert über den Aufschub. Wenn der Rest der Familie so freundlich wie der Großvater war, dann sollte sie sich keine Sorgen machen müssen.
„Die Betten oben sind frisch bezogen. Allerdings werde ich eben ein Kinderbett aus der Scheune holen müssen.“ Darrel sah kurz zu Gabriel, und Nell wusste woher dieser die Kunst des ausdruckslosen Gesichtsausdruck hatte. Darrels Miene war nicht zu lesen. „Wir sind zwar auf einen Gast eingerichtet gewesen, aber Gabriel hat ganz vergessen, die kleine Prinzessin zu erwähnen.“
„Bitte machen Sie sich keine Umstände, Mr. Felinger. Eve kann mit bei mir im Bett schlafen.“
Darrel lachte leise und Nell fiel eine weitere Ähnlichkeit auf. „Nenn mich bitte Darrel. Und es sind keine Umstände. Wenn an etwas in diesem Haushalt kein Mangel besteht, dann ist es Kindermobiliar.“
Etwas später, nachdem Darrel das Kinderbett aufgebaut und mit frischem Bettzeug versorgt hatte, während die Reisenden in der Küche aßen, stand Gabriel im Türrahmen zu seinem alten Kinderzimmer. Es hatte sich nichts verändert.Während Claire ihr Kinderzimmer regelmäßig um geräumt oder neu gestaltet hatte, war sein Raum seit seiner Grundschulzeit unverändert geblieben. Selbst als Teenager hatte ihn die Rittertapete nicht gestört und immer noch stand eine Spielzeugbox in einer Ecke. Gabriel lehnte sich gegen den Türrahmen und ließ sein Zimmer auf sich wirken. Wieder rangen in seinem Inneren die heimatlichen Gefühle für Riverview mit denen für das kleine Haus am Meer. Schließlich seufzte er. Entschlossen drehte er sich um und suchte Izzys ehemaliges Zimmer auf, um zu sehen wie es Nell und Eve ging. Die Stille im Haus fand er fast schon gespenstisch. Es war so ungewohnt. Darrel war inzwischen in das Apartment in der Scheune zurückgekehrt. Gabriel, Nell und Eve waren allein in dem Haus – so wie auf Isla Paradios. Nur war dieses Haus viel größer und Gabriel kannte es nicht so leise. Vor der Zimmertür hielt er kurz inne, um zu lauschen wie Nell mit ihrer Tochter sprach. Der Klang beider Stimmen löste ein warmes Gefühl in ihm aus.
„Herein.“, antwortete Nell fast augenblicklich auf sein Klopfen.
Gabriel steckte den Kopf ins Zimmer. „Alles okay bei euch?“
Auf Nells Hüfte strahlte Eve. Sie streckte ihre Ärmchen nach Gabriel aus. „Alles gut.“, erwiderte Nell. „Aber ich glaube, Eve besteht auf deine Gute-Nacht-Geschichte.“ Nell reichte das Kleinkind an Gabriel, nachdem dieser ganz ins Zimmer gekommen war. Sie griff nach ihrem Kulturbeutel und verschwand im Bad. Gabriel setzte sich mit Eve auf das Doppelbett und suchte aus der Wickeltasche Eves Lieblingsbuch. „Da!“, sagte Eve begeistert und patschte auf den Einband. Gabriel lachte leise und schlug das Buch auf.
Während Nell sich die Zähne putzte, hing sie ihren Gedanken nach. Obwohl das Haus so groß und leer war, fühlte es sich voller Liebe an. An jeder Kleinigkeit – sei es ein vergessenes Buch auf einem Beistelltisch, eine achtlos über einen Stuhl geworfene Jacke, das gemütliche Feuer im Kamin oder der Kühlschrank voller selbstgemachter Köstlichkeiten – konnte man sehen, dass dies ein Familienhaus war. Wie schrecklich es Gabriels Großeltern vorkommen musste, dass David, Akki, Izzy und Claire ausgezogen waren. Durch Gabriels Erzählungen kam es ihr fast so vor, als kenne sie seine Familie schon ewig.
Nell spuckte den Zahnpastaschaum aus und spülte ihren Mund. Sie löste ihren geflochtenen Zopf aus, entwirrte mit den Fingern grob ihre Haare und fasste sie dann zu zwei Zöpfen für die Nacht zusammen. Sie fragte sich, ob Gabriel sein Elternhaus vermisste. Obwohl sie wirklich viel über Riverview und die Familie Felinger gesprochen hatten, war nie das Wort Heimweh gefallen. Er hatte auch nie gesagt, dass er seinen Aufenthalt in Isla Paradiso beenden wollte. Nach wie vor wohnte er – wohnten sie – zur Miete in dem kleinen Haus am Meer. Es war wie ein nie endender Urlaub, auch wenn das Häuschen das war, was für Nell Heimat am nächsten kam. Eve kannte nichts anderes … Nell seufzte und verbannte ihre Gedanken. Ihr war bewusst, dass sie mit der Insel auch ihren Kokon verlassen hatte. Sie und Gabriel. Es war mehr als nur ein Familienbesuch.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 15 – Mehr als ein Familienbesuch
Als Nell zurück ins Schlafzimmer kam, lag Eve bereits in dem Bettchen. Ihre Augenlider flatterten noch einmal kurz auf, als sie die Tür hörte, aber als sie ihre Mutter sah, schloss Eve die Augen wieder. Gabriel saß auf der Bettkante, das Kinderbuch noch in der Hand. Sein Blick war in weite Ferne gerichtet. Die Maske war gefallen. Nell fand, dass er verloren aussah. Gerade in seinem Elternhaus sollte er das nicht. Nell legte ihre Hand auf seine Schulter. Langsam – so als würden seine Gedanken ihn nur ungern gehen lassen – griff er danach und sah zu ihr hoch. Er drückte ihre Hand kurz, bevor er sie losließ.
„Eve ist ganz schön k.o.“, sagte er leise.
Nell nickte und ließ sich neben ihn aufs Bett fallen. „Nicht nur sie.“
Gabriel lachte leise. „Oh ja. Ich wäre beinahe selbst eingeschlafen.“ Wie um seine Worte zu untermalen, musste er herzhaft gähnen. „Entschuldige.“
Nell winkte ab und nahm die Hand selbst vor den Mund, um zu gähnen. „Der lange Flug und die Zeitverschiebung – so klein sie auch ist – sind erschöpfend.“
Gabriel nickte und erhob sich. „Sei froh, dass Grandpa uns das Begrüßungskommando erspart hat.“
Nell nickte aus tiefstem Herzen. Zwar war sie gespannt darauf die Familie kennenzulernen, aber sie war erschöpft, aufgeregt und auch ängstlich. „Dein Großvater ist sehr rücksichtsvoll.“
Gabriel lächelte breit. Ein neuerliches Gähnen übermannte ihn. Er wendete sich zur Tür, doch Nell griff rasch nach seiner Hand. „Würdest du … würdest du vielleicht noch etwas bleiben?“
Gabriel sah sie überrascht an, doch er nickte augenblicklich. So müde er auch war, er war froh noch etwas Zeit mit Nell allein verbringen zu können. Die nächsten Tage würden sie wenig Zeit für sich haben.
„Versteh mich nicht falsch.“, begann Nell, nachdem er sich wieder gesetzt hatte und sie ganz aufs Bett gekrabbelt war um sich bequem hinzulegen. „Ich finde das Haus macht einen freundlichen Eindruck, aber … es ist so groß und leer.“
„Unheimlich.“, stimmte er ihr zu. Er ließ sich nach hinten fallen und starrte die Zimmerdecke an. Nell erinnerte sich daran, wie er an dem Abend, an dem sie sich kennengelernt hatten, in den Himmel gesehen hatte. Sie lächelte.
Gabriel starrte die Decke an. Er war froh, dass Nell ihn noch gebeten hatte zu bleiben. Sie hatte recht, das Haus war so leer. Die Anwesenheit Nells und Eves machte es ihm erträglicher. Er löste seinen Blick von der Decke und ließ ihn durch das Zimmer schweifen. Izzys persönliche Gegenstände waren verschwunden, aber die farbliche Gestaltung und die Bettwäsche erinnerten ihn an seine Tante. 'Sie sind ja nicht wirklich weg.', erinnerte er sich. 'Sie liegen nur ein paar hundert Meter weiter im Getreidespeicher in ihren Betten.' Sein Gedanken glitten zu seinen Eltern, die auch in der Nähe waren. Er schämte sich, weil er seine Mutter so angefahren hatte und so viel Zeit hatte verstreichen lassen. Er drehte den Kopf um zu Nell zu sehen, nur um festzustellen, dass sie ihn aus halb geschlossenen Augen ansah. Als sie seinen Blick bemerkte, lächelte sie. Gabriel griff nach der Bettdecke, zerrte sie unter sich hervor und deckte Nell damit zu. Er würde noch bleiben bis sie eingeschlafen war, dann würde er leise in sein Zimmer zurückgehen. Nell schloss lächelnd die Augen.
Am nächsten Morgen weckte ihn Eves leises Geplapper. Sie unterhielt sich mit ihrem Teddy, ganz in ihre Kleinkindwelt vertieft. Gabriel rieb sich überrascht die Augen. Er musste ebenfalls eingeschlafen sein. Nell schlummerte noch neben ihm, ihre Hand lag auf seinem Arm. Gedämpft hörte er von draußen Vogelgezwitscher und von unten Klappern aus der Küche. Sofort kam es ihm so vor, als wäre er nie von Riverview weg gewesen. Doch der Blick auf Nell verriet ihm, dass seit seinem letzten Aufenthalt so viel Zeit vergangen war. Nell öffnete die Augen. Sie schien nicht überrascht ihn zu sehen.
„Eve scheint ausgeschlafen zu sein.“, flüsterte Gabriel um die Kleine nicht in ihrer Welt zu stören.
„Ich glaube sie fühlt sich hier wohl.“, erwiderte Nell genauso leise. Sie warf einen Blick zum Kinderbett.
„Fühlst du dich wohl?“, fragte Gabriel.
Nell sah zurück zu ihm, über den leicht heiseren Ton seiner dunklen Stimme verwundert. Sie sah in seine grünen Augen und erinnerte sich an ihre Überlegungen. War es wirklich nur ein Familienbesuch? Oder waren sie an einem Scheideweg angelangt? Bedeutete das Verlassen ihres Kokons mehr?
Statt zu antworten, griff Nell nach Gabriels Zopf und zog langsam das Zopfgummi ab. Sie war überrascht wie weich sich seine Haare anfühlte, als sie sie mit der Hand entwirrte und über seine Schultern fallen ließ. „Ich hab mich immer gefragt, wie du mit offenem Haar aussiehst.“, gestand sie.
Gabriel setzte seine ausdruckslose Miene auf, und Nell befürchtete, etwas Falsches gesagt zu haben. Doch auch wenn sein Gesichtsausdruck nichtssagend war, seine Augen blieben fest den ihren verhaftet. An seiner Halsschlagader sah sie, wie schnell sein Puls ging. Überrascht fragte sich Nell, warum er so aufgeregt war. Es war doch nur sie. Seine Freundin. Ungebeten kam ihr die Situation im Flieger nach Amsterdam in den Kopf. Als sie über den Begriff Freund gerätselt hatte. Langsam atmete Nell aus. Sie hatte die Luft angehalten und es nicht einmal bemerkt.
Von unten drangen Stimme nach oben. Der Moment zerbrach.
Gabriel blinzelte einmal und sah zur Tür. Er unterdrückte ein Seufzen, hin und hergerissen. Er hatte das Gefühl, dass etwas zwischen ihm und Nell passiert war, doch er konnte nicht den Finger darauf legen. Der Lärm von unten war ihm Unterbrechung und Störung zu gleich.
„Sieht so aus, als wäre das Begrüßungskommando da.“, murmelte er und stemmte sich vom Bett hoch. Er nahm Nell das Haargummi aus der Hand und lächelte sie an. Er spürte die Muskulatur in seinen Wangen zucken – ein sicheres Zeichen dafür, dass sein Lächeln gefälscht war. Rasch drehte er sich zur Tür. „Ich geh besser duschen.“
Nell nickte stumm. Sie erhob sich und suchte frische Sachen für Eve aus dem geöffneten Trolley.
In der Tür drehte sich Gabriel noch einmal um. „Soll ich Eve dann gleich schon mal mit nach unten nehmen? Dann kannst du dich in Ruhe fertig machen.“
„Bitte.“, antwortete Nell einsilbig. Sie zwang sich zu einem Lächeln, doch es war verschenkt, denn Gabriel öffnete bereits die Tür und verließ das Zimmer. Nell ließ den Kopf hängen und seufzte tief. Dann sammelte sie sich und ging zum Kinderbett.
Gabriel hielt sein Gesicht in den Wasserstrahl. Seine Gedanken rasten. Auf der Insel war alles so einfach gewesen. Er, Nell und Eve waren für sich gewesen, alles war klar. Jetzt? Es war als hätte die Reise zu seinem Geburtsort eine katalysatorische Wirkung auf sie gehabt. Er drehte sich unter dem Duschstrahl und ließ das Wasser über seinen Kopf laufen. Nells Berührung, als sie seinen Zopf gelöst hatte, war wie ein kleiner elektrischer Schlag gewesen. Beileibe nicht unangenehm, aber …
Währenddessen wechselte Nell ihrer Tochter die Windel und zog ihr frische Wäsche an. Dabei erzählte sie dem Kind Belanglosigkeiten und lächelte sie geistesabwesend an. Sie streckte ihrer Tochter die Zunge raus. Das erinnerte sie an die Grimassen, die Gabriel ihr immer schnitt. Wie befreit und glücklich er im Umgang mit dem Kind war. Ihr Gesichtsausdruck musste sich geändert haben, denn Eve sah sie mit großen Augen fragend an.
„Alles gut, Eve.“, beeilte sie sich zu sagen. „Du hast bestimmt Hunger.“
„Ham!“, bestätigte Eve nachdrüchlich. Sie öffnete und schloss ihren Mund. „Gaba?“
„Keine Sorge, Gabriel sorgt schon gleich dafür, dass du dein Frühstück bekommst.“ Gabriel war zwar hoffnungslos in der Küche, aber er hatte es immer besser geschafft als sie, der oft mäkeligen Eve Essen schmackhaft zu machen. Er sorgte immer für sie. Nell wurde klar, dass dies auch sie selbst einschloss. Gabriel war fürsorglich. Wieder begannen ihre Gedanken Kreise zu ziehen. Immer wieder hatte er gesagt, dass sie Freunde waren. Waren sie Freunde? Nutzte sie ihn nicht nur aus? Diese Gedanken hatte sie in den letzten Monaten oft verdrängt, denn Eve und ihre Jobs forderten ihre ganze Aufmerksamkeit. Außerdem schien Gabriel in seiner Rolle als „Tagesmutter“, wie er oft scherzte, vollkommen aufzugehen. Sie beteiligte sich mittlerweile an den Kosten, so dass sie sich nicht mehr ganz so parasitär vorkam, aber trotzdem …
Eve quengelte und riss Nell so aus ihren Gedanken. Sie beeilte sich mit dem Mädchen zu spielen, doch da klopfte es schon leise und ein frisch geduschter Gabriel stand in der Tür. Nell erinnerte sich an den Tag, als er ihr das erste Mal von den Beobachtern erzählt hatte. Wie er plötzlich ins Badezimmer geeilt war und geduscht hatte. Wie seine Maske verschwunden war. Jetzt hatte er sie wieder aufgesetzt. Doch als Eve ihre Arme nach ihm ausstreckte und Nell darüber lächeln musste, fiel sie augenblicklich. Er nahm Eve auf den Arm. Als seine Hände Nells Haut streiften, lief ihr ein kleiner Schauder über den Rücken. Sie sah zu ihm und verlor sich für einen Moment in seinen grünen Augen. Um ihre Verwirrung zu überspielen, setzte sie ein Lächeln auf. Gabriels Gesicht wurde wieder ausdruckslos.
„Eve ist ganz schön k.o.“, sagte er leise.
Nell nickte und ließ sich neben ihn aufs Bett fallen. „Nicht nur sie.“
Gabriel lachte leise. „Oh ja. Ich wäre beinahe selbst eingeschlafen.“ Wie um seine Worte zu untermalen, musste er herzhaft gähnen. „Entschuldige.“
Nell winkte ab und nahm die Hand selbst vor den Mund, um zu gähnen. „Der lange Flug und die Zeitverschiebung – so klein sie auch ist – sind erschöpfend.“
Gabriel nickte und erhob sich. „Sei froh, dass Grandpa uns das Begrüßungskommando erspart hat.“
Nell nickte aus tiefstem Herzen. Zwar war sie gespannt darauf die Familie kennenzulernen, aber sie war erschöpft, aufgeregt und auch ängstlich. „Dein Großvater ist sehr rücksichtsvoll.“
Gabriel lächelte breit. Ein neuerliches Gähnen übermannte ihn. Er wendete sich zur Tür, doch Nell griff rasch nach seiner Hand. „Würdest du … würdest du vielleicht noch etwas bleiben?“
Gabriel sah sie überrascht an, doch er nickte augenblicklich. So müde er auch war, er war froh noch etwas Zeit mit Nell allein verbringen zu können. Die nächsten Tage würden sie wenig Zeit für sich haben.
„Versteh mich nicht falsch.“, begann Nell, nachdem er sich wieder gesetzt hatte und sie ganz aufs Bett gekrabbelt war um sich bequem hinzulegen. „Ich finde das Haus macht einen freundlichen Eindruck, aber … es ist so groß und leer.“
„Unheimlich.“, stimmte er ihr zu. Er ließ sich nach hinten fallen und starrte die Zimmerdecke an. Nell erinnerte sich daran, wie er an dem Abend, an dem sie sich kennengelernt hatten, in den Himmel gesehen hatte. Sie lächelte.
Gabriel starrte die Decke an. Er war froh, dass Nell ihn noch gebeten hatte zu bleiben. Sie hatte recht, das Haus war so leer. Die Anwesenheit Nells und Eves machte es ihm erträglicher. Er löste seinen Blick von der Decke und ließ ihn durch das Zimmer schweifen. Izzys persönliche Gegenstände waren verschwunden, aber die farbliche Gestaltung und die Bettwäsche erinnerten ihn an seine Tante. 'Sie sind ja nicht wirklich weg.', erinnerte er sich. 'Sie liegen nur ein paar hundert Meter weiter im Getreidespeicher in ihren Betten.' Sein Gedanken glitten zu seinen Eltern, die auch in der Nähe waren. Er schämte sich, weil er seine Mutter so angefahren hatte und so viel Zeit hatte verstreichen lassen. Er drehte den Kopf um zu Nell zu sehen, nur um festzustellen, dass sie ihn aus halb geschlossenen Augen ansah. Als sie seinen Blick bemerkte, lächelte sie. Gabriel griff nach der Bettdecke, zerrte sie unter sich hervor und deckte Nell damit zu. Er würde noch bleiben bis sie eingeschlafen war, dann würde er leise in sein Zimmer zurückgehen. Nell schloss lächelnd die Augen.
Am nächsten Morgen weckte ihn Eves leises Geplapper. Sie unterhielt sich mit ihrem Teddy, ganz in ihre Kleinkindwelt vertieft. Gabriel rieb sich überrascht die Augen. Er musste ebenfalls eingeschlafen sein. Nell schlummerte noch neben ihm, ihre Hand lag auf seinem Arm. Gedämpft hörte er von draußen Vogelgezwitscher und von unten Klappern aus der Küche. Sofort kam es ihm so vor, als wäre er nie von Riverview weg gewesen. Doch der Blick auf Nell verriet ihm, dass seit seinem letzten Aufenthalt so viel Zeit vergangen war. Nell öffnete die Augen. Sie schien nicht überrascht ihn zu sehen.
„Eve scheint ausgeschlafen zu sein.“, flüsterte Gabriel um die Kleine nicht in ihrer Welt zu stören.
„Ich glaube sie fühlt sich hier wohl.“, erwiderte Nell genauso leise. Sie warf einen Blick zum Kinderbett.
„Fühlst du dich wohl?“, fragte Gabriel.
Nell sah zurück zu ihm, über den leicht heiseren Ton seiner dunklen Stimme verwundert. Sie sah in seine grünen Augen und erinnerte sich an ihre Überlegungen. War es wirklich nur ein Familienbesuch? Oder waren sie an einem Scheideweg angelangt? Bedeutete das Verlassen ihres Kokons mehr?
Statt zu antworten, griff Nell nach Gabriels Zopf und zog langsam das Zopfgummi ab. Sie war überrascht wie weich sich seine Haare anfühlte, als sie sie mit der Hand entwirrte und über seine Schultern fallen ließ. „Ich hab mich immer gefragt, wie du mit offenem Haar aussiehst.“, gestand sie.
Gabriel setzte seine ausdruckslose Miene auf, und Nell befürchtete, etwas Falsches gesagt zu haben. Doch auch wenn sein Gesichtsausdruck nichtssagend war, seine Augen blieben fest den ihren verhaftet. An seiner Halsschlagader sah sie, wie schnell sein Puls ging. Überrascht fragte sich Nell, warum er so aufgeregt war. Es war doch nur sie. Seine Freundin. Ungebeten kam ihr die Situation im Flieger nach Amsterdam in den Kopf. Als sie über den Begriff Freund gerätselt hatte. Langsam atmete Nell aus. Sie hatte die Luft angehalten und es nicht einmal bemerkt.
Von unten drangen Stimme nach oben. Der Moment zerbrach.
Gabriel blinzelte einmal und sah zur Tür. Er unterdrückte ein Seufzen, hin und hergerissen. Er hatte das Gefühl, dass etwas zwischen ihm und Nell passiert war, doch er konnte nicht den Finger darauf legen. Der Lärm von unten war ihm Unterbrechung und Störung zu gleich.
„Sieht so aus, als wäre das Begrüßungskommando da.“, murmelte er und stemmte sich vom Bett hoch. Er nahm Nell das Haargummi aus der Hand und lächelte sie an. Er spürte die Muskulatur in seinen Wangen zucken – ein sicheres Zeichen dafür, dass sein Lächeln gefälscht war. Rasch drehte er sich zur Tür. „Ich geh besser duschen.“
Nell nickte stumm. Sie erhob sich und suchte frische Sachen für Eve aus dem geöffneten Trolley.
In der Tür drehte sich Gabriel noch einmal um. „Soll ich Eve dann gleich schon mal mit nach unten nehmen? Dann kannst du dich in Ruhe fertig machen.“
„Bitte.“, antwortete Nell einsilbig. Sie zwang sich zu einem Lächeln, doch es war verschenkt, denn Gabriel öffnete bereits die Tür und verließ das Zimmer. Nell ließ den Kopf hängen und seufzte tief. Dann sammelte sie sich und ging zum Kinderbett.
Gabriel hielt sein Gesicht in den Wasserstrahl. Seine Gedanken rasten. Auf der Insel war alles so einfach gewesen. Er, Nell und Eve waren für sich gewesen, alles war klar. Jetzt? Es war als hätte die Reise zu seinem Geburtsort eine katalysatorische Wirkung auf sie gehabt. Er drehte sich unter dem Duschstrahl und ließ das Wasser über seinen Kopf laufen. Nells Berührung, als sie seinen Zopf gelöst hatte, war wie ein kleiner elektrischer Schlag gewesen. Beileibe nicht unangenehm, aber …
Währenddessen wechselte Nell ihrer Tochter die Windel und zog ihr frische Wäsche an. Dabei erzählte sie dem Kind Belanglosigkeiten und lächelte sie geistesabwesend an. Sie streckte ihrer Tochter die Zunge raus. Das erinnerte sie an die Grimassen, die Gabriel ihr immer schnitt. Wie befreit und glücklich er im Umgang mit dem Kind war. Ihr Gesichtsausdruck musste sich geändert haben, denn Eve sah sie mit großen Augen fragend an.
„Alles gut, Eve.“, beeilte sie sich zu sagen. „Du hast bestimmt Hunger.“
„Ham!“, bestätigte Eve nachdrüchlich. Sie öffnete und schloss ihren Mund. „Gaba?“
„Keine Sorge, Gabriel sorgt schon gleich dafür, dass du dein Frühstück bekommst.“ Gabriel war zwar hoffnungslos in der Küche, aber er hatte es immer besser geschafft als sie, der oft mäkeligen Eve Essen schmackhaft zu machen. Er sorgte immer für sie. Nell wurde klar, dass dies auch sie selbst einschloss. Gabriel war fürsorglich. Wieder begannen ihre Gedanken Kreise zu ziehen. Immer wieder hatte er gesagt, dass sie Freunde waren. Waren sie Freunde? Nutzte sie ihn nicht nur aus? Diese Gedanken hatte sie in den letzten Monaten oft verdrängt, denn Eve und ihre Jobs forderten ihre ganze Aufmerksamkeit. Außerdem schien Gabriel in seiner Rolle als „Tagesmutter“, wie er oft scherzte, vollkommen aufzugehen. Sie beteiligte sich mittlerweile an den Kosten, so dass sie sich nicht mehr ganz so parasitär vorkam, aber trotzdem …
Eve quengelte und riss Nell so aus ihren Gedanken. Sie beeilte sich mit dem Mädchen zu spielen, doch da klopfte es schon leise und ein frisch geduschter Gabriel stand in der Tür. Nell erinnerte sich an den Tag, als er ihr das erste Mal von den Beobachtern erzählt hatte. Wie er plötzlich ins Badezimmer geeilt war und geduscht hatte. Wie seine Maske verschwunden war. Jetzt hatte er sie wieder aufgesetzt. Doch als Eve ihre Arme nach ihm ausstreckte und Nell darüber lächeln musste, fiel sie augenblicklich. Er nahm Eve auf den Arm. Als seine Hände Nells Haut streiften, lief ihr ein kleiner Schauder über den Rücken. Sie sah zu ihm und verlor sich für einen Moment in seinen grünen Augen. Um ihre Verwirrung zu überspielen, setzte sie ein Lächeln auf. Gabriels Gesicht wurde wieder ausdruckslos.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 16 – Guten Morgen
Mit Eve auf der Hüfte schlich Gabriel die Treppe nach unten. Er redete sich selbst ein, dass er die Treppe, die er unzählige Male benutzt hatte – langsam, schnell, springend, stolpernd – mit dem Kind auf dem Arm besonders vorsichtig nehmen musste. Natürlich log er sich damit selbst in die Tasche. Er versuchte seine Ankunft in der Küche hinauszuzögern. Einerseits war er froh gewesen, eine Ausrede zu haben das Zimmer und damit Nell zu verlassen, andererseits hing ihm der Morgen noch so sehr in den Knochen, dass die Aussicht auf seine Familie zu treffen alles andere als willkommen war. Er war verwirrt und würde sich am liebsten zurückziehen. Und nachdenken. Oder sich ablenken. Gabriel unterdrückte ein Seufzen. Zum einen hatte er das dringende Bedürfnis Realitätsflucht zu begehen. Zum anderen war ihm klar, dass er sich mit dieser Situation – was auch immer sie war – auseinandersetzen musste.
Gabriel hatte die Treppe erfolgreich bewältigt. Von oben hörte er, wie Nell das Zimmer verließ und das Badezimmer aufsuchte. Er warf einen Blick nach oben, sah aber nur einen Schatten. Was ging nur zwischen ihnen vor? Aus der Küche hörte er die Stimmen seiner Familie: Kira, Darrel, Akki, David, Izzy und Claire. Er schluckte trocken. Da hatten sie ja das große Programm gestartet. Gerade sprach sein Großvater mit leiser Stimme auf die anderen ein. Gabriel verlagerte Eves Gewicht, wappnete sich und ging in die Küche.
„GABRIEL!“, schrie Claire mit schriller Stimme auf, sprang so heftig von ihrem Stuhl auf, dass er umkippte, rannte auf ihn zu – und hielt mitten in der Bewegung inne, als sie das Kleinkind auf seinem Arm sah. „Oh.“ Sie und Eve sahen sich irritiert an.
Hinter Claire nahm Kira seelenruhig einen Lappen und wischte den Kaffee auf, denn Claire hatte nicht nur ihren Stuhl, sondern auch ihren Kaffeebecher umgeworfen. Darrel hob den Stuhl auf. Gabriel sah wie seine Großeltern einen dieser Blicke wechselten.
„Hättet ihr Darrel ausreden lassen …“, begann Kira, biss sich aber nach einem weiteren Blickwechsel mit Darrel auf die Lippe. „Kaffee, Gabriel?“
„Immer.“, erwiderte Gabriel trocken. Manche Dinge änderten sich nie... „Guten Morgen.“
Die anderen erwiderten seinen Gruß. Darrel wies mit dem Daumen auf den Hochstuhl, den er am Morgen aus der Scheune geholt hatte. Seine Großmutter stellte einen großen Becher für Gabriel auf den Tisch und goss ihm und Claire Kaffee ein. Dann drückte sie die junge Frau, die immer noch Eve anstarrte, zurück auf ihren Stuhl. „Mund zu, Kind.“
„Das ist Eve, die Tochter von Nell.“, stellte Darrel das Kleinkind vor. Er zwinkerte Gabriel zu. Dieser wünschte sich noch dringlicher als noch vor wenigen Minuten fort. Er ging zum Hochstuhl und setzte Eve, die sich verunsichert umsah, hinein. Sofort schob seine Großmutter ihn beiseite, strahlte die Kleine an. „Hallo meine Süße.“
Gabriel war nicht überrascht, dass Eve zurück lächelte. Seine Großmutter hatte diese Wirkung auf Kinder. Wissend dass Eve in guten Händen war, wendete sich Gabriel zu seiner Familie um. Claire war erneut aufgesprungen und fiel ihm um den Hals. Ihre Umarmung raubte Gabriel die Luft – aber nur weil Claire ihn so fest drückte und dabei hin und hersprang, dass er nicht atmen konnte.
„Lass ihn bitte leben.“, erinnerte ihre Mutter Izzy sie schließlich grinsend. Claire sah sie beleidigt an, ließ Gabriel aber los und machte ihrer Mutter Platz. Izzys Umarmung war kurz und weniger erdrückend. „Keine Sorge.“, flüsterte seine Tante ihm so leise so, dass Gabriel es selbst kaum verstand. Izzy sah ihn mit koboldhaftem Grinsen an, als sie ihn los ließ. Es war gut zu wissen, dass seine Tante ihm den Rücken freihielt. Mit diesem Rückhalt im Hinterkopf nahm Gabriel erst seinen Vater und dann seine Mutter in die Arme. Seine Mutter behielt er einen Moment länger im Arm und flüsterte ihr zu. „Es tut mir leid, Mom.“ Er spürte wie Akki nickte. Als er sie los ließ, lächelte seine Mutter ihn schräg an. Seine Eltern lächelten Gabriel an. Eine gewisse Erleichterung stellte sich bei ihm ein, als er sie so einträchtig nebeneinander stehen und lächeln sah. Trotz seines Verhaltens schienen seine Eltern ihm nicht böse zu sein.
In seinem Rücken wechselten Kira und Darrel wieder einen dieser Blicke. Darrel hatte am Abend zuvor bemerkt, dass Gabriel ausdrucksloser Gesichtsausdruck nicht mehr so fest war, wie vor seiner Abreise. Für die anderen – Kira vielleicht ausgenommen – würde es immer noch funktionieren und sie würden ihn nur schwer lesen können. Aber Darrel hatte lange genug gelebt und kannte seinen Enkel vielleicht besser als dieser sich selbst. Er hatte am Abend zuvor die Veränderung in Gabriel gesehen und er sah auch jetzt, trotz der ausdruckslosen Miene, die widerstreitenden Gefühle in ihm. Darrel spürte Kiras Blick. Sie hatte Eve mit einem Schälchen Brei versorgt (ihre Begeisterung endlich wieder ein Kleinkind versorgen zu dürfen, war fast beängstigend) und grinste ihn jetzt schief an. Darrel unterdrückte ein Schmunzeln. Kira hatte es auch bemerkt. Er hoffte nur, sie hatte ihre vorlaute Klappe im Griff.
Gabriel hatte sich mittlerweile hingesetzt und nahm rasch einen Schluck Kaffee. Ihm war der Blickwechsel zwischen seinen Großeltern entgangen. David hingegen hatte ihn bemerkt und fragte sich, was seine Eltern wieder still kommuniziert hatten. Er berührte Akki kurz an der Hand. Sie sah zu ihm hoch und lächelte. Der Abstand zu seinen Eltern tat ihnen beiden gut. Er verstand inzwischen, warum seine Eltern oft so reserviert gegenüber ihr gewesen waren. Er erinnerte sich daran, wie sie ihm still die Übersetzung gegeben hatte und er davon erfuhr, dass sie einst selbst eine Beobachterin gewesen war. Zu seiner eigenen Überraschung, hatte ihn diese Offenbarung kaum getroffen. Es war, als habe er es tief in seinem Inneren geahnt. So vieles machte mehr Sinn. Trotzdem konnte er verstehen, warum Gabriel so geschockt gewesen war, dass er Hals über Kopf aus Riverview geflohen war. David sah seinen Sohn nachdenklich an.
Gabriel bemerkte Davids Blick. Er zwang sich zu einem Lächeln. Als ihm bewusst wurde, dass nicht nur David ihn ansah, sondern alle außer Eve, wünschte er sich zurück in das Haus am Meer. Er brachte seinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle, weigerte sich aber irgendetwas preiszugeben. Sollten sie doch selbst fragen! Mittlerweile war ihm aufgegangen, welchen Eindruck es machte nach fast zwei Jahren mit einer Frau und einem Kleinkind hier aufzutauchen. Und Nell dann nur als Freund anzukündigen. Vielleicht hätte er mit Oma auf deutsch reden sollen. Das deutsche verfügte immerhin über eine weibliche Form zu Freund, im Gegensatz zum simlischen. Am liebsten hätte sich Gabriel selbst geohrfeigt. Als er vor drei Tagen mit Kira telefoniert hatte, waren er und Nell wirklich nur zwei Freunde gewesen, die zusammen wohnten.
„...du hörst gar nicht zu!“, riss Claires Beschwerde ihn aus seinen Gedanken.
„Der Flug war bestimmt anstrengend.“, sprang Izzy ihm beiseite. „Du siehst auch noch ziemlich k.o. aus!“
Gabriel beeilte sich zu Nicken. „Ja, es war wirklich stressig.“ Er lächelte Claire entschuldigend an. „Entschuldige. Was hast du gesagt?“
Claire konnte ihm nie lange böse sein und auch dieses Mal lächelte sie breit. Bevor sie sich aber wiederholen konnte, unterbrach sie ein leises Räuspern.
„Guten Morgen.“, begrüßte Nell die Runde schüchtern.
Sechs Stimmen echoten einen Morgengruß zurück. Gabriel sah zu Nell und las in ihrem Gesicht die selbe Unsicherheit – nicht nur in Bezug auf einen Raum voller Felingers – die ihn plagte. Am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte sie und Eve gepackt und wäre auf dem schnellsten Weg zurück nach Isla Paradiso geeilt. Rasch schüttelte er diesen Gedanken ab. Selbst wenn sie zurückkehrte, änderte das nichts an dem was gerade im Gange war …
Nell sah sich fünf fremden – sehr neugierig blickenden – Gesichtern gegenüber. Darrel nickte ihr aufmunternd lächelnd zu. Sie war Gabriels Großvater dankbar für diese kleine Geste. Ihr Blick fiel auf Gabriel, der sich mit ausdrucksloser Miene erhob um sie vorzustellen. Es brach ihr fast das Herz, dass er hier – inmitten seiner Familie – seine Maske aufsetzte. Sollte er sich hier nicht sicher genug fühlen ohne sie auszukommen? Gegenüber ihr und Eve hatte er sie in den letzten Jahren nicht gebraucht. Nell fiel die Situation am Morgen ein und korrigierte sich in Gedanken selbst: Auf der Insel hatte Gabriel die Maske ihr gegenüber nicht gebraucht.
Etwas später saßen alle bis auf Kira am Tisch. Sie verteilte Pfannkuchen, Rührei und Toast. Nachdem Gabriel Nell vorgestellt hatte, war das Gespräch erlahmt. Gabriel war sich sicher, dass zumindest er und Nell sich an einen anderen Ort wünschten.
„Wie alt ist Eve?“, versuchte das Claire das Gespräch wieder anzuregen.
Nell antwortete ihr rasch. Als sie sah, wie seine Eltern, Tante und Cousine nachdenkliche Gesichter machten, wurde ihr klar, dass sie nachrechneten. Überrascht erkannte sie, dass Gabriel seiner Familie nicht alles gesagt hatte. „Eves Vater hat mich sitzen lassen, bevor sie geboren wurde.“, schob sie hinter her. Sie warf einen kurzen Blick zu Gabriel. Trotz seiner Maske konnte sie erkennen, dass ihm die ganze Situation unangenehm war. Willkommen im Club …
„Oh, so spät schon?“ David sprang auf. Die ganze Situation war einfach zum davon laufen! Wo war das Loch in das er springen konnte?! Er erinnerte sich noch gut daran, wie Akki damals mit Gabriel vor der Tür gestanden hatte, als er seinen Eltern seine damalige Freundin Emily samt Eltern vorstellte. Das war schlimm genug. Seinen Sohn in diesem Moment zu erleben, wie er seinen regungslosen Gesichtsausdruck aufsetzte, aber innerlich ein ums andere Mal zusammenzuckte, brach ihm fast das Herz. „Ich muss ins Labor.“
„Kannst du mich bitte bis zum Tierheim mitnehmen?“ Akki erhob sich ebenfalls. Sie lächelte Nell freundlich an. „Gestern haben sie eine Vermehrer-Farm ausgehoben. Ich hab versprochen, die Hunde zu untersuchen.“
Auch Izzy erhob sich und zerrte ihre Tochter ebenfalls vom Stuhl. „Claire! Wäre das nicht etwas für den Riverview Chronicle? Du kannst Bilder von den armen Hunden machen. Geh mit!“
Claire sah ihre Mutter irritiert an, aber die schob sie schon zu ihrem Onkel. Dabei wäre sie beinahe gestolpert und gefallen, hätte Kira nicht rasch ihre Hand ergriffen und sie gestützt. In der anderen Hand hielt die alte Frau eine Frühstücksbox, die sie der völlig überrumpelten Claire in die Hand drückte, bevor sie ähnliche Boxen an Akki und David verteilte.
„Das Tierheim würde es sicher begrüßen, wenn etwas darüber im Chronicle erscheint.“, sagte David und übernahm seine Nichte von Izzy. Diese grinste koboldhaft. „Bis später!“
Nachdem Claire mit Akki und David verschwunden war, entrang sich fast unisono ein Seufzen aus Kiras und Izzys Kehlen. Nell seufzte ebenfalls, aber so leise, dass es nur Gabriel mitbekam. Er selbst war überrascht wie er gut er sich unter Kontrolle hatte.
Izzy wendete sich Nell zu und lächelte freundlich. „Das muss ganz schön … nervenaufreibend gewesen sein.“ Sie klopfte der jungen Frau auf die Schulter. „Ich verschwinde auch.“ Sie setzte ihr Koboldgrinsen auf. „Kopf hoch, Kinder!“
„Pff.“, machte Kira. Sie fasste ihren Enkel scharf ins Auge. „Du hättest dir selbst und der armen Nell einen ganz schön peinlichen Morgen ersparen können, wenn du uns ein bisschen vorgewarnt hättest.“
Darrel warf ihr einen Wirklich-Kira?-Blick zu. Ein Teil von ihm stimmte ihr zu, aber die kurze Begegnung am gestrigen Abend und die Momente eben in der Küche hatten ihm klar gemacht, dass sein Enkel und das Mädchen vollkommen ahnungslos waren. Als Kira ihn aufgebracht ansah, weil sie sich über seinen Blick ärgerte, hob er nur die Augenbraue. Kiras Blick wurde weich, dann schlug sie sich die flache Hand vor die Stirn. Darrel schüttelte den Kopf, um sie zu bremsen.
„Keine Sorge, das tun sie öfter.“, meinte Gabriel trocken, während er und Nell den stillen Austausch zwischen seinen Großeltern beobachteten. Nell musste grinsen und für einen Moment war es wieder wie immer.
Gabriel hatte die Treppe erfolgreich bewältigt. Von oben hörte er, wie Nell das Zimmer verließ und das Badezimmer aufsuchte. Er warf einen Blick nach oben, sah aber nur einen Schatten. Was ging nur zwischen ihnen vor? Aus der Küche hörte er die Stimmen seiner Familie: Kira, Darrel, Akki, David, Izzy und Claire. Er schluckte trocken. Da hatten sie ja das große Programm gestartet. Gerade sprach sein Großvater mit leiser Stimme auf die anderen ein. Gabriel verlagerte Eves Gewicht, wappnete sich und ging in die Küche.
„GABRIEL!“, schrie Claire mit schriller Stimme auf, sprang so heftig von ihrem Stuhl auf, dass er umkippte, rannte auf ihn zu – und hielt mitten in der Bewegung inne, als sie das Kleinkind auf seinem Arm sah. „Oh.“ Sie und Eve sahen sich irritiert an.
Hinter Claire nahm Kira seelenruhig einen Lappen und wischte den Kaffee auf, denn Claire hatte nicht nur ihren Stuhl, sondern auch ihren Kaffeebecher umgeworfen. Darrel hob den Stuhl auf. Gabriel sah wie seine Großeltern einen dieser Blicke wechselten.
„Hättet ihr Darrel ausreden lassen …“, begann Kira, biss sich aber nach einem weiteren Blickwechsel mit Darrel auf die Lippe. „Kaffee, Gabriel?“
„Immer.“, erwiderte Gabriel trocken. Manche Dinge änderten sich nie... „Guten Morgen.“
Die anderen erwiderten seinen Gruß. Darrel wies mit dem Daumen auf den Hochstuhl, den er am Morgen aus der Scheune geholt hatte. Seine Großmutter stellte einen großen Becher für Gabriel auf den Tisch und goss ihm und Claire Kaffee ein. Dann drückte sie die junge Frau, die immer noch Eve anstarrte, zurück auf ihren Stuhl. „Mund zu, Kind.“
„Das ist Eve, die Tochter von Nell.“, stellte Darrel das Kleinkind vor. Er zwinkerte Gabriel zu. Dieser wünschte sich noch dringlicher als noch vor wenigen Minuten fort. Er ging zum Hochstuhl und setzte Eve, die sich verunsichert umsah, hinein. Sofort schob seine Großmutter ihn beiseite, strahlte die Kleine an. „Hallo meine Süße.“
Gabriel war nicht überrascht, dass Eve zurück lächelte. Seine Großmutter hatte diese Wirkung auf Kinder. Wissend dass Eve in guten Händen war, wendete sich Gabriel zu seiner Familie um. Claire war erneut aufgesprungen und fiel ihm um den Hals. Ihre Umarmung raubte Gabriel die Luft – aber nur weil Claire ihn so fest drückte und dabei hin und hersprang, dass er nicht atmen konnte.
„Lass ihn bitte leben.“, erinnerte ihre Mutter Izzy sie schließlich grinsend. Claire sah sie beleidigt an, ließ Gabriel aber los und machte ihrer Mutter Platz. Izzys Umarmung war kurz und weniger erdrückend. „Keine Sorge.“, flüsterte seine Tante ihm so leise so, dass Gabriel es selbst kaum verstand. Izzy sah ihn mit koboldhaftem Grinsen an, als sie ihn los ließ. Es war gut zu wissen, dass seine Tante ihm den Rücken freihielt. Mit diesem Rückhalt im Hinterkopf nahm Gabriel erst seinen Vater und dann seine Mutter in die Arme. Seine Mutter behielt er einen Moment länger im Arm und flüsterte ihr zu. „Es tut mir leid, Mom.“ Er spürte wie Akki nickte. Als er sie los ließ, lächelte seine Mutter ihn schräg an. Seine Eltern lächelten Gabriel an. Eine gewisse Erleichterung stellte sich bei ihm ein, als er sie so einträchtig nebeneinander stehen und lächeln sah. Trotz seines Verhaltens schienen seine Eltern ihm nicht böse zu sein.
In seinem Rücken wechselten Kira und Darrel wieder einen dieser Blicke. Darrel hatte am Abend zuvor bemerkt, dass Gabriel ausdrucksloser Gesichtsausdruck nicht mehr so fest war, wie vor seiner Abreise. Für die anderen – Kira vielleicht ausgenommen – würde es immer noch funktionieren und sie würden ihn nur schwer lesen können. Aber Darrel hatte lange genug gelebt und kannte seinen Enkel vielleicht besser als dieser sich selbst. Er hatte am Abend zuvor die Veränderung in Gabriel gesehen und er sah auch jetzt, trotz der ausdruckslosen Miene, die widerstreitenden Gefühle in ihm. Darrel spürte Kiras Blick. Sie hatte Eve mit einem Schälchen Brei versorgt (ihre Begeisterung endlich wieder ein Kleinkind versorgen zu dürfen, war fast beängstigend) und grinste ihn jetzt schief an. Darrel unterdrückte ein Schmunzeln. Kira hatte es auch bemerkt. Er hoffte nur, sie hatte ihre vorlaute Klappe im Griff.
Gabriel hatte sich mittlerweile hingesetzt und nahm rasch einen Schluck Kaffee. Ihm war der Blickwechsel zwischen seinen Großeltern entgangen. David hingegen hatte ihn bemerkt und fragte sich, was seine Eltern wieder still kommuniziert hatten. Er berührte Akki kurz an der Hand. Sie sah zu ihm hoch und lächelte. Der Abstand zu seinen Eltern tat ihnen beiden gut. Er verstand inzwischen, warum seine Eltern oft so reserviert gegenüber ihr gewesen waren. Er erinnerte sich daran, wie sie ihm still die Übersetzung gegeben hatte und er davon erfuhr, dass sie einst selbst eine Beobachterin gewesen war. Zu seiner eigenen Überraschung, hatte ihn diese Offenbarung kaum getroffen. Es war, als habe er es tief in seinem Inneren geahnt. So vieles machte mehr Sinn. Trotzdem konnte er verstehen, warum Gabriel so geschockt gewesen war, dass er Hals über Kopf aus Riverview geflohen war. David sah seinen Sohn nachdenklich an.
Gabriel bemerkte Davids Blick. Er zwang sich zu einem Lächeln. Als ihm bewusst wurde, dass nicht nur David ihn ansah, sondern alle außer Eve, wünschte er sich zurück in das Haus am Meer. Er brachte seinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle, weigerte sich aber irgendetwas preiszugeben. Sollten sie doch selbst fragen! Mittlerweile war ihm aufgegangen, welchen Eindruck es machte nach fast zwei Jahren mit einer Frau und einem Kleinkind hier aufzutauchen. Und Nell dann nur als Freund anzukündigen. Vielleicht hätte er mit Oma auf deutsch reden sollen. Das deutsche verfügte immerhin über eine weibliche Form zu Freund, im Gegensatz zum simlischen. Am liebsten hätte sich Gabriel selbst geohrfeigt. Als er vor drei Tagen mit Kira telefoniert hatte, waren er und Nell wirklich nur zwei Freunde gewesen, die zusammen wohnten.
„...du hörst gar nicht zu!“, riss Claires Beschwerde ihn aus seinen Gedanken.
„Der Flug war bestimmt anstrengend.“, sprang Izzy ihm beiseite. „Du siehst auch noch ziemlich k.o. aus!“
Gabriel beeilte sich zu Nicken. „Ja, es war wirklich stressig.“ Er lächelte Claire entschuldigend an. „Entschuldige. Was hast du gesagt?“
Claire konnte ihm nie lange böse sein und auch dieses Mal lächelte sie breit. Bevor sie sich aber wiederholen konnte, unterbrach sie ein leises Räuspern.
„Guten Morgen.“, begrüßte Nell die Runde schüchtern.
Sechs Stimmen echoten einen Morgengruß zurück. Gabriel sah zu Nell und las in ihrem Gesicht die selbe Unsicherheit – nicht nur in Bezug auf einen Raum voller Felingers – die ihn plagte. Am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte sie und Eve gepackt und wäre auf dem schnellsten Weg zurück nach Isla Paradiso geeilt. Rasch schüttelte er diesen Gedanken ab. Selbst wenn sie zurückkehrte, änderte das nichts an dem was gerade im Gange war …
Nell sah sich fünf fremden – sehr neugierig blickenden – Gesichtern gegenüber. Darrel nickte ihr aufmunternd lächelnd zu. Sie war Gabriels Großvater dankbar für diese kleine Geste. Ihr Blick fiel auf Gabriel, der sich mit ausdrucksloser Miene erhob um sie vorzustellen. Es brach ihr fast das Herz, dass er hier – inmitten seiner Familie – seine Maske aufsetzte. Sollte er sich hier nicht sicher genug fühlen ohne sie auszukommen? Gegenüber ihr und Eve hatte er sie in den letzten Jahren nicht gebraucht. Nell fiel die Situation am Morgen ein und korrigierte sich in Gedanken selbst: Auf der Insel hatte Gabriel die Maske ihr gegenüber nicht gebraucht.
Etwas später saßen alle bis auf Kira am Tisch. Sie verteilte Pfannkuchen, Rührei und Toast. Nachdem Gabriel Nell vorgestellt hatte, war das Gespräch erlahmt. Gabriel war sich sicher, dass zumindest er und Nell sich an einen anderen Ort wünschten.
„Wie alt ist Eve?“, versuchte das Claire das Gespräch wieder anzuregen.
Nell antwortete ihr rasch. Als sie sah, wie seine Eltern, Tante und Cousine nachdenkliche Gesichter machten, wurde ihr klar, dass sie nachrechneten. Überrascht erkannte sie, dass Gabriel seiner Familie nicht alles gesagt hatte. „Eves Vater hat mich sitzen lassen, bevor sie geboren wurde.“, schob sie hinter her. Sie warf einen kurzen Blick zu Gabriel. Trotz seiner Maske konnte sie erkennen, dass ihm die ganze Situation unangenehm war. Willkommen im Club …
„Oh, so spät schon?“ David sprang auf. Die ganze Situation war einfach zum davon laufen! Wo war das Loch in das er springen konnte?! Er erinnerte sich noch gut daran, wie Akki damals mit Gabriel vor der Tür gestanden hatte, als er seinen Eltern seine damalige Freundin Emily samt Eltern vorstellte. Das war schlimm genug. Seinen Sohn in diesem Moment zu erleben, wie er seinen regungslosen Gesichtsausdruck aufsetzte, aber innerlich ein ums andere Mal zusammenzuckte, brach ihm fast das Herz. „Ich muss ins Labor.“
„Kannst du mich bitte bis zum Tierheim mitnehmen?“ Akki erhob sich ebenfalls. Sie lächelte Nell freundlich an. „Gestern haben sie eine Vermehrer-Farm ausgehoben. Ich hab versprochen, die Hunde zu untersuchen.“
Auch Izzy erhob sich und zerrte ihre Tochter ebenfalls vom Stuhl. „Claire! Wäre das nicht etwas für den Riverview Chronicle? Du kannst Bilder von den armen Hunden machen. Geh mit!“
Claire sah ihre Mutter irritiert an, aber die schob sie schon zu ihrem Onkel. Dabei wäre sie beinahe gestolpert und gefallen, hätte Kira nicht rasch ihre Hand ergriffen und sie gestützt. In der anderen Hand hielt die alte Frau eine Frühstücksbox, die sie der völlig überrumpelten Claire in die Hand drückte, bevor sie ähnliche Boxen an Akki und David verteilte.
„Das Tierheim würde es sicher begrüßen, wenn etwas darüber im Chronicle erscheint.“, sagte David und übernahm seine Nichte von Izzy. Diese grinste koboldhaft. „Bis später!“
Nachdem Claire mit Akki und David verschwunden war, entrang sich fast unisono ein Seufzen aus Kiras und Izzys Kehlen. Nell seufzte ebenfalls, aber so leise, dass es nur Gabriel mitbekam. Er selbst war überrascht wie er gut er sich unter Kontrolle hatte.
Izzy wendete sich Nell zu und lächelte freundlich. „Das muss ganz schön … nervenaufreibend gewesen sein.“ Sie klopfte der jungen Frau auf die Schulter. „Ich verschwinde auch.“ Sie setzte ihr Koboldgrinsen auf. „Kopf hoch, Kinder!“
„Pff.“, machte Kira. Sie fasste ihren Enkel scharf ins Auge. „Du hättest dir selbst und der armen Nell einen ganz schön peinlichen Morgen ersparen können, wenn du uns ein bisschen vorgewarnt hättest.“
Darrel warf ihr einen Wirklich-Kira?-Blick zu. Ein Teil von ihm stimmte ihr zu, aber die kurze Begegnung am gestrigen Abend und die Momente eben in der Küche hatten ihm klar gemacht, dass sein Enkel und das Mädchen vollkommen ahnungslos waren. Als Kira ihn aufgebracht ansah, weil sie sich über seinen Blick ärgerte, hob er nur die Augenbraue. Kiras Blick wurde weich, dann schlug sie sich die flache Hand vor die Stirn. Darrel schüttelte den Kopf, um sie zu bremsen.
„Keine Sorge, das tun sie öfter.“, meinte Gabriel trocken, während er und Nell den stillen Austausch zwischen seinen Großeltern beobachteten. Nell musste grinsen und für einen Moment war es wieder wie immer.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 17 – Bedrohung
Seine Großeltern ließen sie in Ruhe das Frühstück beenden. Eve wurde von den beiden liebevoll verwöhnt. Nell war überrascht wie schnell sich ihre Tochter an die beiden fremden Sims gewöhnte. Sie war eigentlich schüchtern. Als Kira sie fragte, was sie heute unternehmen wollten, beeilte sich Nell zu sagen. „Ich würde gern mit Eve einen Spaziergang machen.“
Nells Antwort war wie ein Schlag für Gabriel. Sie wollte einen Spaziergang mit Eve machen. Auf der Insel gingen sie immer zusammen. Jetzt hatte Nell gesagt: „Ich würde gern mit Eve einen Spaziergang machen.“ Er sah auf die Reste seines Frühstücks, nur ein paar Krümel hatte er übrig gelassen. Das Mahl lag ihm auf einmal schwer im Magen. Um sein Unwohlsein zu überspielen, erhob er sich und murmelte, dass er den Buggy holen würde.
Nell war froh, dass seine Großeltern mit Eve beschäftigt waren und den Wechsel von Gabriels Gesichtsausdruck zu seiner Maske nicht mitbekamen. Sie musste einfach raus aus diesem Haus, das zu groß war und nicht das kleine Häuschen am Strand. Warum war sie überhaupt mitgekommen? Nell starrte auf ihren Teller. Im Gegensatz zu Gabriel hatte sie kaum etwas runter bekommen. Er hatte immer einen gesegneten Appetit, wobei es ihm meistens egal war, was er aß. Er hatte nicht gemosert, als Eve seine Ernährung umstellte, ihn mit Smoothies, Rohkost und Vollkornprodukten bombardiert hatte. Von zuhause war er ganz anderes Essen gewöhnt, dass merkte sie jetzt. Kira hatte in göttliches Frühstück gezaubert und Nell schämte sich fast, dass sie kaum etwas davon gegessen hatte.
In diesem Moment kam Gabriel zurück. „Der Buggy steht aufgeklappt auf der Veranda.“, ließ er sie wissen. Er ging zur Kaffeemaschine und nahm sich eine weitere Tasse. Dabei mied er Nells Blick, während sie versuchte seinen Blick zu fangen.
„Danke.“, sagte Nell leise. Sie senkte wieder den Kopf, bevor sie sich erhob und begann das Geschirr zusammen zustellen.
„Lass mal, Kind.“, sagte Kira. Sie hob vorsichtig Eve aus dem Stühlchen und reichte das Kleinkind an seine Mutter. Nell nickte nur, nahm ihre Tochter und floh regelrecht aus dem Haus.
Kaum hatte Nell die Küche fluchtartig verlassen, begann Darrel leise im Kopf die Sekunden zu zählen. Er war kaum bei acht angekommen, als es aus Kira herausplatzte.
„Worauf wartest du noch?! Hinter her!“, rief sie, nachdem sie sich vor ihrem Enkel aufgebaut hatte. Der war so verdutzt von dem Ausbruch seiner Großmutter, dass seine Maske fiel – und er seine Gefühle kaum unter Kontrolle bringen und sie wieder aufsetzen konnte.
„Kätzchen.“, ermahnte Darrel sie leise. Seine Frau stieß ein entnervtes Schnaufen aus, bevor sie da weiter machte, wo Nell aufgehört hatte, und das Geschirr vom Tisch räumte.
Gabriel war fertig mit den Nerven. Er floh.
Während er die Treppe hinauf rannte, hörte er seine Großeltern leise sprechen und es kam ihm fast so vor, als würden sie streiten. Gabriel hielt sich die Ohren zu. Als er bemerkte, dass es kindisch war, stürmte er in sein Zimmer und zerrte seine Sportsachen aus dem Dufflebag. Wenig später rief er seinen Großeltern zu, joggen gehen zu wollen, schmiss geräuschvoll die Haustür hinter sich ins Schloss. Das satte Knallen befriedigte ihn ungemein.
„Ups.“, sagte Kira, nachdem die Tür geknallt worden war. Sie sah Darrel entschuldigen an. Er hatte ja recht, sie war sehr forsch gewesen. Vielleicht zu forsch für Gabriel? Manchmal vergaß sie, dass er sensibel war.
Darrel massierte sich den Unterkiefer. „Manchmal, Kätzchen...“ Er brach ab, als er ihr Nicken sah.
„Ich weiß.“ Sie seufzte. „Sollen wir die Party absagen?“
Darrel seufzte. Erst machte Kira einen riesigen Aufstand wegen der Feier und jetzt wollte sie alles über den Haufen werfen?
„Wäre natürlich schade um das ganze Essen.“, fuhr sie jedoch schon fort, worauf Darrel lachen musste.
Gabriel sprintete durch die Felder seiner Kindheit, in der Hoffnung dem ganzen Chaos in seinem Kopf entkommen zu können. Er lief viel zu schnell und wusste, dass er das Tempo nicht lange durchhalten würde. Es war ihm egal. Warum war Nell allein gegangen? Was war heute morgen passiert? Warum war er überhaupt hierher gekommen?
Nach einigen Minuten verlangsamte Gabriel das Tempo und zog tief die Riverviewer Luft ein. Er hatte auf der Insel selten Heimweh gehabt, aber wenn dann hatte er – neben seiner Familie – das hier vermisst: die weiten Felder, die klare, frische Luft, die Natur. Jetzt vermisste er schmerzlich den Wind, die Wellen und das kleine Haus am Meer. Aber im Gegensatz zu Riverview wusste er, dass er nie wieder einfach so nach Isla Paradiso gehen konnte. Oh, rein theoretisch schon, aber es würde nie wieder dasselbe sein. Seine Zuflucht, sie würde nicht mehr dasselbe sein. Sein Zuhause hingegen würde immer sein Zuhause sein.
Gabriel blieb stehen und keuchte etwas. Er ließ den Blick schweifen und war überrascht, wie weit er gerannt war. Etwas säuerlich spuckte er ins Gras neben sich. Weglaufen konnte er offenbar ziemlich gut. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung und ging ziellos durch die Felder. Nach wie vor kreisten seine Gedanken um Nell und den Morgen. Dabei machte er gedanklich jedoch einen großen Bogen um etwas, von dem er wusste, dass er sich dem früher oder später stellen musste …
Er war vielleicht ein halbe Stunde durch die Gegend geirrt, als er in der Ferne Nell mit dem Kinderwagen sah. Sein erster Reflex war, sich in die entgegengesetzte Richtung aufzumachen, doch Nell winkte hektisch und rief seinen Namen. An ihrer Stimme hörte er, dass etwas nicht in Ordnung war. Stimmte etwas mit Eve nicht? Besorgt rannte Gabriel los. Als er näher kam, sah er pures Entsetzen auf Nells Gesicht. Eve hingegen wirkte nicht besonders verängstigt, sie strahlte ihn an wie immer.
„Was ist passiert?“
„Sie sind hier.“, brachte Nell hervor. „Die Beobachter. Sie haben...“ Nell ballte die Fäuste und sah auf Eve.
„Wir gehen sofort zurück. Sind sie dir gefolgt?“ Gabriel sah sich hektisch um. Es war niemand zu sehen. Er nahm den Kinderwagen und lief zügigen Schrittes los.
„Sie waren zu zweit.“ Nell beeilte sich aufzuschließen. „Sie sind ganz plötzlich aufgetaucht und genauso schnell verschwunden.“
„Was wollten sie?“ Dunkel erinnerte sich Gabriel, dass auch sein Vater einmal in Riverview von den Beobachtern angesprochen worden war. Es wäre vermutlich auch naiv zu glauben, dass sie es nicht überall versuchen würden. Wahrscheinlich kam es weniger auf den Ort als den Zeitpunkt an.
„Sie wollten dass ich dich beobachte. Wie in Amsterdam.“
Gabriel wäre beinahe gestolpert als er den Blick Nell zuwandte. Sie hatte einen entschlossenen Gesichtsausdruck. „Ich würde das niemals tun. Ich würde dir das niemals antun.“ Aus entschlossen wurde verzweifelt. „Aber … aber sie haben gesagt, es könnte ja sein, dass Eve etwas passiert und wenn ich nicht … wenn …“
Gabriel blieb abrupt stehen. Er umklammerte den Griff des Buggys so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Rasch ließ er den Wagen los und griff Nell unsanft bei den Schultern. „Nell, egal was mit mir ist, du darfst niemals mein Wohl dem von Eve – oder von dir – überordnen. Niemals!“ Genauso abrupt, wie er stehen geblieben war und sie gepackt hatte, ließ er sie wieder los. Er packte den Kinderwagen und schoß in einem Tempo los, dass Nell ihre Mühe hatte mitzuhalten.
Kira und Darrel waren erleichtert, als sie Gabriel mit Nell und Eve zurückkehren hörten. Nachdem sie die Küche aufgeräumt und die letzten Vorbereitungen für die Feier getroffen hatten, hatten sie es sich vor dem Kamin gemütlich gemacht. Doch ihre Erleichterung wurde von Gabriels wütender Miene hinweggefegt mit der er das Haus betrat.
„Grandpa, du musst Nell und Eve zum Flughafen fahren. Sie verlassen noch heute Riverview.“
„Was?!“, tönte es unisono aus den Mündern seiner Großeltern und Nell. Eve sah die Erwachsenen verwirrt an und echote: „Wa?!“
Gabriel setzte Eve auf den Schoß seiner Mutter. Er mied den Blick seines Großvaters, der sich erhoben hatte. Dann sah er zu Nell. „Wir packen. Ich lasse nicht zu, dass du noch weiter hineingezogen wirst!“
Nun wurde auch Nell zornig. Sie presste die Kiefer aufeinander und sah Gabriel herausfordern an. Dann packte sie seine Hand und zerrte ihn die Treppe hinauf. Seine Großeltern sahen ihnen verwirrt nach.
In Izzys Zimmer ließ sich Gabriel gegen die Tür fallen. Warum? Warum musste sie sich Nell zeigen? Warum traten sie an Nell heran. Tief in seinem Inneren verspürte er jedoch Dankbarkeit. Denn Nell hatte gesagt, sie würde es niemals tun.
„Was soll das?“, wollte Nell wissen. Sie war erstaunlich leise, aber Gabriel spürte ihre Intensität.
„Ich lasse nicht zu, dass du und Eve in Gefahr gebracht werdet. Wegen mir.“ Er rieb sich die Schläfe. „Dass die Beobachter dich bedroht haben...“ Er brach ab und machte einen Schritt auf ihre Sachen zu.
„Ich gehe nicht!“ Nells Stimme war mit einem Mal laut geworden.
„Ich will dich doch nur schützen! Wir buchen einen Flug nach … zu … ich weiß nicht, aber ans andere Ende der Welt. Du darfst nicht in meiner Nähe bleiben!“ Gabriel stellte überrascht fest, dass er ebenfalls laut geworden war.
„Und du glaubst, das schützt mich?! Wenn du nicht bei mir bist? Glaubst du die Beobachter lassen mich in Ruhe, nur weil ich ans andere Ende der Welt gehe? Ich häng' da doch schon mit drin!“ Nell schlug wütend mit der Faust gegen die Kommode, dass es nur so wackelte.
Schlagartig wurde Gabriel klar, dass sie recht hatte. Die Beobachter mussten wissen, dass Nell und Eve sein ein und alles waren. Er schluckte, als er den Gedanken zu Ende gedacht hatte. Sein ein und alles …
„Egal wo wir sind. Du würdest immer alles geben, wenn die Beobachter dich auch nur glauben lassen würden, Eve und ich wären in Gefahr.“ Sie sah ihn an – seine Maske war gefallen – und wusste, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Ungebeten kam ihr der Morgen wieder in Erinnerung. „Da können wir auch bei dir bleiben.“, fügte sie – nun wieder in Zimmerlautstärke – hinzu. „Denn dafür sind Freunde da.“
Die widerstreitenden Gefühle auf Gabriels Gesicht kamen nicht zur Ruhe. Er sah so verloren und gleichzeitig so wütend aus, dass es Nells Herz brach. Langsam machte sie einen Schritt auf ihn zu und legte ihre Hand auf seine Brust. Wie am morgen schlug sein Herz so schnell, dass sie es nicht nur unter ihrer Handfläche spürte, sondern auch an seiner Halsschlagader spürte. Gabriel atmete tief ein und schloss die Augen. Er lehnte seine Stirn an ihre, zog tief den Duft ihres Shampoos ein.
„Ich lasse nicht zu, dass euch etwas passiert.“, versprach er.
„Und wir lassen nicht zu, dass dir etwas passiert.“ Nell strich sanft über seine Brust. Mit einem Mal wurde ihr klar, wie nah sie beieinander standen. Gabriel hatte die Augen geschlossen, seine Stirn ruhte noch an ihrer. Es wäre ein leichtes, dachte Nell, wenn ich mich ein bisschen strecken würde, ihn zu küssen.
Bevor Nell diesen Gedanken verdauen konnte, schallte von unten Kiras Stimme, die ihnen befahl zu ihnen zu kommen. Wenn man Kira hier oben so gut hörte – was hatten seine Großeltern dann mitbekommen?
Gabriel, der sich Nells Nähe sicherlich genauso schmerzhaft bewusst war wie sie der seinen, zuckte kurz zusammen, als der die durchdringende Stimme seiner Großmutter hörte. Nell rührte sich nicht, hatte die Hand weiter auf seiner Brust. Er spürte ihre Berührung durch sein Sporthemd. Wieder war es dieses kleine elektrische Tingeln, dass er auch am Morgen verspürte hatte. Ohne nachzudenken strich Gabriel Nell mit der linken Hand über den Nacken und küsste ihr rasch auf die Stirn. Er spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief, aber es schien kein unangenehmer zu sein, denn sie lächelte leicht.
„Kinder!“
Obwohl sie eine gute Handbreit trennte, als sie die Treppe hinunter kamen, erschien es Gabriel, als wären sie einander nie näher. Gleichzeitig verspürte er diese bohrende Unsicherheit. Was war nur los?
Seine Großeltern erwarteten sie mit undeutbaren Mienen. Naja, zumindest Darrel. Kira trug ein kaum unterdrücktes Grinsen zur Schau. Ein Blick ihres Mannes genügte jedoch, und sie schaffte es ihre Mimik unter Kontrolle zu bringen (fast).
„Du hast ihr als von den Beobachtern erzählt?“, begann Kira dann.
Während Gabriel nickte, dämmerte es ihm, dass er das vielleicht hätte erzählen sollen. Oder im Vorhinein besprechen sollen...
„Gut.“, erwiderte Darrel jedoch zu Gabriels und Nells Erstaunen. Die beiden jüngeren Sims sahen sich überrascht an. Darrel lächelte. „Und die Beobachter haben dir gedroht?“
Nell nickte, woraufhin Darrel sie aufforderte genau wiederzugeben, was man ihr gesagt hatte.
„Sie sagten: Wenn du Gabriel Felinger für uns beobachtest, dann können wir garantieren, dass deiner Tochter Eve nie etwas passiert.“ Der Satz hatte sich Nell tief eingebrannt, sie würde ihn nie vergessen können.
Die Großeltern wechselten einen dieser langen Blicke. Nell fand es faszinierend. Schließlich lächelte Darrel erneut. „Ich glaube nicht, dass ein Grund zur Sorge besteht. Sie dürfen nicht eingreifen, sondern müssen eingeladen werden.“
„Das heißt es war eine leere Drohung?“ Gabriel stieß erleichtert die Luft aus. So ganz traute er dem Braten allerdings nicht …
„Das können wir nicht mit Sicherheit sagen.“, gab Darrel zu Bedenken. Doch Kira unterbrach ihn: „Papperlapp. Die können Eve nichts tun! Es ist nur ein Versuch sich in dein .. in euer Leben einzumischen.“ Sie verschränkte die Arme und sah zornig drein. Fast fauchte sie ein bisschen, was bei Darrel zu einem sehr amüsierten Gesichtsausdruck führte. Dann nickte er den jungen Leuten zu, denen er genau ansah, dass sie immer noch keinen Schritt weitergekommen waren, freundlich zu. „Ich sehe es wie Kira. Zur Sicherheit werden wir noch einmal mit Akki darüber sprechen, aber ..“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Wenn wir nicht alle ausladen, dass kommen in drei Stunden die ersten Gäste.“
Die beiden älteren Sims nickten entschlossen. Nell und Gabriel wechselten einen Blick, froh, dass der andere genauso verwirrt von den Großeltern war.
Nells Antwort war wie ein Schlag für Gabriel. Sie wollte einen Spaziergang mit Eve machen. Auf der Insel gingen sie immer zusammen. Jetzt hatte Nell gesagt: „Ich würde gern mit Eve einen Spaziergang machen.“ Er sah auf die Reste seines Frühstücks, nur ein paar Krümel hatte er übrig gelassen. Das Mahl lag ihm auf einmal schwer im Magen. Um sein Unwohlsein zu überspielen, erhob er sich und murmelte, dass er den Buggy holen würde.
Nell war froh, dass seine Großeltern mit Eve beschäftigt waren und den Wechsel von Gabriels Gesichtsausdruck zu seiner Maske nicht mitbekamen. Sie musste einfach raus aus diesem Haus, das zu groß war und nicht das kleine Häuschen am Strand. Warum war sie überhaupt mitgekommen? Nell starrte auf ihren Teller. Im Gegensatz zu Gabriel hatte sie kaum etwas runter bekommen. Er hatte immer einen gesegneten Appetit, wobei es ihm meistens egal war, was er aß. Er hatte nicht gemosert, als Eve seine Ernährung umstellte, ihn mit Smoothies, Rohkost und Vollkornprodukten bombardiert hatte. Von zuhause war er ganz anderes Essen gewöhnt, dass merkte sie jetzt. Kira hatte in göttliches Frühstück gezaubert und Nell schämte sich fast, dass sie kaum etwas davon gegessen hatte.
In diesem Moment kam Gabriel zurück. „Der Buggy steht aufgeklappt auf der Veranda.“, ließ er sie wissen. Er ging zur Kaffeemaschine und nahm sich eine weitere Tasse. Dabei mied er Nells Blick, während sie versuchte seinen Blick zu fangen.
„Danke.“, sagte Nell leise. Sie senkte wieder den Kopf, bevor sie sich erhob und begann das Geschirr zusammen zustellen.
„Lass mal, Kind.“, sagte Kira. Sie hob vorsichtig Eve aus dem Stühlchen und reichte das Kleinkind an seine Mutter. Nell nickte nur, nahm ihre Tochter und floh regelrecht aus dem Haus.
Kaum hatte Nell die Küche fluchtartig verlassen, begann Darrel leise im Kopf die Sekunden zu zählen. Er war kaum bei acht angekommen, als es aus Kira herausplatzte.
„Worauf wartest du noch?! Hinter her!“, rief sie, nachdem sie sich vor ihrem Enkel aufgebaut hatte. Der war so verdutzt von dem Ausbruch seiner Großmutter, dass seine Maske fiel – und er seine Gefühle kaum unter Kontrolle bringen und sie wieder aufsetzen konnte.
„Kätzchen.“, ermahnte Darrel sie leise. Seine Frau stieß ein entnervtes Schnaufen aus, bevor sie da weiter machte, wo Nell aufgehört hatte, und das Geschirr vom Tisch räumte.
Gabriel war fertig mit den Nerven. Er floh.
Während er die Treppe hinauf rannte, hörte er seine Großeltern leise sprechen und es kam ihm fast so vor, als würden sie streiten. Gabriel hielt sich die Ohren zu. Als er bemerkte, dass es kindisch war, stürmte er in sein Zimmer und zerrte seine Sportsachen aus dem Dufflebag. Wenig später rief er seinen Großeltern zu, joggen gehen zu wollen, schmiss geräuschvoll die Haustür hinter sich ins Schloss. Das satte Knallen befriedigte ihn ungemein.
„Ups.“, sagte Kira, nachdem die Tür geknallt worden war. Sie sah Darrel entschuldigen an. Er hatte ja recht, sie war sehr forsch gewesen. Vielleicht zu forsch für Gabriel? Manchmal vergaß sie, dass er sensibel war.
Darrel massierte sich den Unterkiefer. „Manchmal, Kätzchen...“ Er brach ab, als er ihr Nicken sah.
„Ich weiß.“ Sie seufzte. „Sollen wir die Party absagen?“
Darrel seufzte. Erst machte Kira einen riesigen Aufstand wegen der Feier und jetzt wollte sie alles über den Haufen werfen?
„Wäre natürlich schade um das ganze Essen.“, fuhr sie jedoch schon fort, worauf Darrel lachen musste.
Gabriel sprintete durch die Felder seiner Kindheit, in der Hoffnung dem ganzen Chaos in seinem Kopf entkommen zu können. Er lief viel zu schnell und wusste, dass er das Tempo nicht lange durchhalten würde. Es war ihm egal. Warum war Nell allein gegangen? Was war heute morgen passiert? Warum war er überhaupt hierher gekommen?
Nach einigen Minuten verlangsamte Gabriel das Tempo und zog tief die Riverviewer Luft ein. Er hatte auf der Insel selten Heimweh gehabt, aber wenn dann hatte er – neben seiner Familie – das hier vermisst: die weiten Felder, die klare, frische Luft, die Natur. Jetzt vermisste er schmerzlich den Wind, die Wellen und das kleine Haus am Meer. Aber im Gegensatz zu Riverview wusste er, dass er nie wieder einfach so nach Isla Paradiso gehen konnte. Oh, rein theoretisch schon, aber es würde nie wieder dasselbe sein. Seine Zuflucht, sie würde nicht mehr dasselbe sein. Sein Zuhause hingegen würde immer sein Zuhause sein.
Gabriel blieb stehen und keuchte etwas. Er ließ den Blick schweifen und war überrascht, wie weit er gerannt war. Etwas säuerlich spuckte er ins Gras neben sich. Weglaufen konnte er offenbar ziemlich gut. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung und ging ziellos durch die Felder. Nach wie vor kreisten seine Gedanken um Nell und den Morgen. Dabei machte er gedanklich jedoch einen großen Bogen um etwas, von dem er wusste, dass er sich dem früher oder später stellen musste …
Er war vielleicht ein halbe Stunde durch die Gegend geirrt, als er in der Ferne Nell mit dem Kinderwagen sah. Sein erster Reflex war, sich in die entgegengesetzte Richtung aufzumachen, doch Nell winkte hektisch und rief seinen Namen. An ihrer Stimme hörte er, dass etwas nicht in Ordnung war. Stimmte etwas mit Eve nicht? Besorgt rannte Gabriel los. Als er näher kam, sah er pures Entsetzen auf Nells Gesicht. Eve hingegen wirkte nicht besonders verängstigt, sie strahlte ihn an wie immer.
„Was ist passiert?“
„Sie sind hier.“, brachte Nell hervor. „Die Beobachter. Sie haben...“ Nell ballte die Fäuste und sah auf Eve.
„Wir gehen sofort zurück. Sind sie dir gefolgt?“ Gabriel sah sich hektisch um. Es war niemand zu sehen. Er nahm den Kinderwagen und lief zügigen Schrittes los.
„Sie waren zu zweit.“ Nell beeilte sich aufzuschließen. „Sie sind ganz plötzlich aufgetaucht und genauso schnell verschwunden.“
„Was wollten sie?“ Dunkel erinnerte sich Gabriel, dass auch sein Vater einmal in Riverview von den Beobachtern angesprochen worden war. Es wäre vermutlich auch naiv zu glauben, dass sie es nicht überall versuchen würden. Wahrscheinlich kam es weniger auf den Ort als den Zeitpunkt an.
„Sie wollten dass ich dich beobachte. Wie in Amsterdam.“
Gabriel wäre beinahe gestolpert als er den Blick Nell zuwandte. Sie hatte einen entschlossenen Gesichtsausdruck. „Ich würde das niemals tun. Ich würde dir das niemals antun.“ Aus entschlossen wurde verzweifelt. „Aber … aber sie haben gesagt, es könnte ja sein, dass Eve etwas passiert und wenn ich nicht … wenn …“
Gabriel blieb abrupt stehen. Er umklammerte den Griff des Buggys so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Rasch ließ er den Wagen los und griff Nell unsanft bei den Schultern. „Nell, egal was mit mir ist, du darfst niemals mein Wohl dem von Eve – oder von dir – überordnen. Niemals!“ Genauso abrupt, wie er stehen geblieben war und sie gepackt hatte, ließ er sie wieder los. Er packte den Kinderwagen und schoß in einem Tempo los, dass Nell ihre Mühe hatte mitzuhalten.
Kira und Darrel waren erleichtert, als sie Gabriel mit Nell und Eve zurückkehren hörten. Nachdem sie die Küche aufgeräumt und die letzten Vorbereitungen für die Feier getroffen hatten, hatten sie es sich vor dem Kamin gemütlich gemacht. Doch ihre Erleichterung wurde von Gabriels wütender Miene hinweggefegt mit der er das Haus betrat.
„Grandpa, du musst Nell und Eve zum Flughafen fahren. Sie verlassen noch heute Riverview.“
„Was?!“, tönte es unisono aus den Mündern seiner Großeltern und Nell. Eve sah die Erwachsenen verwirrt an und echote: „Wa?!“
Gabriel setzte Eve auf den Schoß seiner Mutter. Er mied den Blick seines Großvaters, der sich erhoben hatte. Dann sah er zu Nell. „Wir packen. Ich lasse nicht zu, dass du noch weiter hineingezogen wirst!“
Nun wurde auch Nell zornig. Sie presste die Kiefer aufeinander und sah Gabriel herausfordern an. Dann packte sie seine Hand und zerrte ihn die Treppe hinauf. Seine Großeltern sahen ihnen verwirrt nach.
In Izzys Zimmer ließ sich Gabriel gegen die Tür fallen. Warum? Warum musste sie sich Nell zeigen? Warum traten sie an Nell heran. Tief in seinem Inneren verspürte er jedoch Dankbarkeit. Denn Nell hatte gesagt, sie würde es niemals tun.
„Was soll das?“, wollte Nell wissen. Sie war erstaunlich leise, aber Gabriel spürte ihre Intensität.
„Ich lasse nicht zu, dass du und Eve in Gefahr gebracht werdet. Wegen mir.“ Er rieb sich die Schläfe. „Dass die Beobachter dich bedroht haben...“ Er brach ab und machte einen Schritt auf ihre Sachen zu.
„Ich gehe nicht!“ Nells Stimme war mit einem Mal laut geworden.
„Ich will dich doch nur schützen! Wir buchen einen Flug nach … zu … ich weiß nicht, aber ans andere Ende der Welt. Du darfst nicht in meiner Nähe bleiben!“ Gabriel stellte überrascht fest, dass er ebenfalls laut geworden war.
„Und du glaubst, das schützt mich?! Wenn du nicht bei mir bist? Glaubst du die Beobachter lassen mich in Ruhe, nur weil ich ans andere Ende der Welt gehe? Ich häng' da doch schon mit drin!“ Nell schlug wütend mit der Faust gegen die Kommode, dass es nur so wackelte.
Schlagartig wurde Gabriel klar, dass sie recht hatte. Die Beobachter mussten wissen, dass Nell und Eve sein ein und alles waren. Er schluckte, als er den Gedanken zu Ende gedacht hatte. Sein ein und alles …
„Egal wo wir sind. Du würdest immer alles geben, wenn die Beobachter dich auch nur glauben lassen würden, Eve und ich wären in Gefahr.“ Sie sah ihn an – seine Maske war gefallen – und wusste, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Ungebeten kam ihr der Morgen wieder in Erinnerung. „Da können wir auch bei dir bleiben.“, fügte sie – nun wieder in Zimmerlautstärke – hinzu. „Denn dafür sind Freunde da.“
Die widerstreitenden Gefühle auf Gabriels Gesicht kamen nicht zur Ruhe. Er sah so verloren und gleichzeitig so wütend aus, dass es Nells Herz brach. Langsam machte sie einen Schritt auf ihn zu und legte ihre Hand auf seine Brust. Wie am morgen schlug sein Herz so schnell, dass sie es nicht nur unter ihrer Handfläche spürte, sondern auch an seiner Halsschlagader spürte. Gabriel atmete tief ein und schloss die Augen. Er lehnte seine Stirn an ihre, zog tief den Duft ihres Shampoos ein.
„Ich lasse nicht zu, dass euch etwas passiert.“, versprach er.
„Und wir lassen nicht zu, dass dir etwas passiert.“ Nell strich sanft über seine Brust. Mit einem Mal wurde ihr klar, wie nah sie beieinander standen. Gabriel hatte die Augen geschlossen, seine Stirn ruhte noch an ihrer. Es wäre ein leichtes, dachte Nell, wenn ich mich ein bisschen strecken würde, ihn zu küssen.
Bevor Nell diesen Gedanken verdauen konnte, schallte von unten Kiras Stimme, die ihnen befahl zu ihnen zu kommen. Wenn man Kira hier oben so gut hörte – was hatten seine Großeltern dann mitbekommen?
Gabriel, der sich Nells Nähe sicherlich genauso schmerzhaft bewusst war wie sie der seinen, zuckte kurz zusammen, als der die durchdringende Stimme seiner Großmutter hörte. Nell rührte sich nicht, hatte die Hand weiter auf seiner Brust. Er spürte ihre Berührung durch sein Sporthemd. Wieder war es dieses kleine elektrische Tingeln, dass er auch am Morgen verspürte hatte. Ohne nachzudenken strich Gabriel Nell mit der linken Hand über den Nacken und küsste ihr rasch auf die Stirn. Er spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief, aber es schien kein unangenehmer zu sein, denn sie lächelte leicht.
„Kinder!“
Obwohl sie eine gute Handbreit trennte, als sie die Treppe hinunter kamen, erschien es Gabriel, als wären sie einander nie näher. Gleichzeitig verspürte er diese bohrende Unsicherheit. Was war nur los?
Seine Großeltern erwarteten sie mit undeutbaren Mienen. Naja, zumindest Darrel. Kira trug ein kaum unterdrücktes Grinsen zur Schau. Ein Blick ihres Mannes genügte jedoch, und sie schaffte es ihre Mimik unter Kontrolle zu bringen (fast).
„Du hast ihr als von den Beobachtern erzählt?“, begann Kira dann.
Während Gabriel nickte, dämmerte es ihm, dass er das vielleicht hätte erzählen sollen. Oder im Vorhinein besprechen sollen...
„Gut.“, erwiderte Darrel jedoch zu Gabriels und Nells Erstaunen. Die beiden jüngeren Sims sahen sich überrascht an. Darrel lächelte. „Und die Beobachter haben dir gedroht?“
Nell nickte, woraufhin Darrel sie aufforderte genau wiederzugeben, was man ihr gesagt hatte.
„Sie sagten: Wenn du Gabriel Felinger für uns beobachtest, dann können wir garantieren, dass deiner Tochter Eve nie etwas passiert.“ Der Satz hatte sich Nell tief eingebrannt, sie würde ihn nie vergessen können.
Die Großeltern wechselten einen dieser langen Blicke. Nell fand es faszinierend. Schließlich lächelte Darrel erneut. „Ich glaube nicht, dass ein Grund zur Sorge besteht. Sie dürfen nicht eingreifen, sondern müssen eingeladen werden.“
„Das heißt es war eine leere Drohung?“ Gabriel stieß erleichtert die Luft aus. So ganz traute er dem Braten allerdings nicht …
„Das können wir nicht mit Sicherheit sagen.“, gab Darrel zu Bedenken. Doch Kira unterbrach ihn: „Papperlapp. Die können Eve nichts tun! Es ist nur ein Versuch sich in dein .. in euer Leben einzumischen.“ Sie verschränkte die Arme und sah zornig drein. Fast fauchte sie ein bisschen, was bei Darrel zu einem sehr amüsierten Gesichtsausdruck führte. Dann nickte er den jungen Leuten zu, denen er genau ansah, dass sie immer noch keinen Schritt weitergekommen waren, freundlich zu. „Ich sehe es wie Kira. Zur Sicherheit werden wir noch einmal mit Akki darüber sprechen, aber ..“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Wenn wir nicht alle ausladen, dass kommen in drei Stunden die ersten Gäste.“
Die beiden älteren Sims nickten entschlossen. Nell und Gabriel wechselten einen Blick, froh, dass der andere genauso verwirrt von den Großeltern war.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 18 – Party all night long
Gabriel und Nell hatten sich kaum von ihrer Verwirrung erholt, als sie von Kira für verschiedene Aufgaben herangezogen wurden. Zwar hatten sie und Darrel in den letzten Tagen und Wochen schon das meiste für die Feier vorbereitete, aber in letzter Minute fiel doch immer mehr an, als man antizipiert hatte. Nell badete zunächst Eve, die sie so nass spritzte, dass sie sich eine Jogginghose und ein altes T-Shirt überwarf, bevor sie Kira beim Aufräumen und Putzen in der Küche half. Die alte Sima plauderte unverbindlich mit ihr. Nell war überrascht, wie schnell sie in der Küche war. Es war als hätte sie jeden Handgriff schon millionenfach getätigt.
Als Kira ihr Staunen bemerkte, grinste sie Nell an. „Wie viel hat Gabriel dir eigentlich erzählt?“
Nell antwortete ihr, was Kiras Grinsen noch breiter werden ließ. „Dann hast du ja deine Erklärung: Durch die Wiedergeburten habe ich jeden Griff tatsächlich so oft ausgeführt.“ Sie spielte mit einem der Küchenmesser, das sie gerade abgespült hatte. Nell wurde ein bisschen übel, als sie die scharfe Klinge durch die Luft wirbeln sah.
„Tu dir nichts, Kätzchen.“ Darrel kam in die Küche. Er sah mit einer hochgezogenen Augenbraue auf das Messer. Kira zog eine beleidigte Miene und streckte ihm die Zunge raus. Zu Nell gewandt sagte sie: „Er darf immer angeben, ich nicht.“
Darrel erwiderte es mit einem schrägen Blick und ging zum Kühlschrank. Trotz des Austauschs nahm Nell wahr, wie liebevoll Gabriels Großeltern mit einander umgingen.
Darrel entnahm ein Tablett mit frischem Fleisch, gab seiner Frau einen raschen Kuss auf den Scheitel und verließ die Küche Richtung Grillterrasse, begleitet von Kiras Kichern. Nell spürte, wie ihre Wangen erröteten, als sie sich an Gabriels Kuss auf ihre Stirn erinnerte. Rasch drehte sie sich zur Spüle um und wusch sich die Hände. Als sie nach dem Handtuch griff, bemerkte sie Kiras Blick.
„Kopf hoch, Kind.“, riet die Ältere nur und reichte ihr das Handtuch.
Akki und David waren die ersten, die zur Feier erschienen. Nach einer kleineren Diskussion, die Nell für sich entscheiden konnte, hatte Kira sich schließlich frisch gemacht und umgezogen. Nell brühte ihr einen grünen Tee auf und zwang sie, sich anschließend hinzusetzen. Auch wenn Gabriels Großeltern beide sehr rüstig waren, wollte Nell nicht, dass sich einer von beiden übernahm. Sie nahm eine zweite Tasse Tee, um Darrel eine ähnliche Behandlung angedeihen zu lassen. Kira sah ihr grinsend nach, bevor sie ihrem Sohn und Akki einen zufriedenen Blick zu warf.
„Katze. Sahne.“, murmelte Akki leise. David zuckte mit den Schultern. An kryptische Kommentare von Akki oder seinen Eltern war er inzwischen gewöhnt.
Kira wischte sich ihr Grinsen aus dem Gesicht und überlegte kurz, ob sie den beiden von der morgendlichen Aufregung berichten sollte. Die beiden waren zu früh, deswegen entschied sie sich dafür. Sie wollte von Akki unbedingt eine Bestätigung hören: Dass die Beobachter Eve wirklich keinen Schaden zufügen konnten.
Nachdem sie Kiras Bericht gehört hatten, wechselten Akki und David einen langen Blick. Dann seufzte David laut. Er ließ sich neben seiner Mutter auf einen Stuhl fallen. Er sah etwas blass aus und Kira bereute schon fast, dass sie das Thema angeschnitten hatte.
„Wir haben schon öfter darüber gesprochen.“, sagte Akki leise. Sie wollte noch mehr sagen, verstummte aber und sah zu David.
„Mom, als Miles damals den Unfall hatte … Die Beobachter sind zu mir gekommen und haben mir angeboten ihn zu retten. Wenn ich sie einlasse.“, flüsterte dieser stockend. „Izzy weiß davon nichts.“
Kira nahm rasch einen Schluck von dem Tee – mehr um sich zu beschäftigen, denn aus Durst. Oh weh...
„Ich habe es ihm ausgeredet.“, warf Akki ebenso leise ein.
Kira stellte die Tasse auf den Tisch und ergriff die Hand ihres Sohnes. Selbst nach all den Jahren schien er unter dieser Entscheidung zu leiden. Kira litt mit ihm. Gleichzeitig spürte sie den altbekannten Zorn in sich aufsteigen. Ihr lag eine biestige Bemerkung auf der Zunge, die doch nichts bringen würde, und so spülte sie ihre Worte mit einem weiteren Schluck des grünen Tees herunter.
„Bäh. Ich weiß nicht warum ich Nell erlaubt habe, mir das Zeug zu machen.“
Während Akki nachsichtig lächelte, schien David ihre letzten Worte nicht gehört zu haben. Er fuhr fort: „Wir haben lange überlegt, ob sie den Unfall provoziert haben, um so an unsere Familie zu kommen.“
Jetzt stieß Kira doch eine unflätige Bemerkung aus. David zog die Augenbraue hoch. Es überraschte ihn, welche Worte seine Mutter kannte – und wiederholte.
„Ich … wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht so ist. Sie können sich nicht auf diese Art und Weise in unsere Familie einmischen – auch wenn weder Miles noch Eve direkt dazu gehören. Außerdem …“ Akki seufzte und wog ihre nächsten Worte sorgfältig ab, um nicht von der Maulsperre überrascht zu werden. „Kann der Todestag nicht so einfach manipuliert werden.“
Kira nickte. „Ja das sagt mir ...“ Sie schnaubte säuerlich. Maulsperre. „Du weißt, wen ich meine Akki.“
Diese nickte. Über den Sensemann Jonas offen zu sprechen gelang Kira, Darrel und ihr höchstens untereinander. Er war in den bisherigen Übersetzungen noch nicht vorgekommen.
David sah von Partnerin zu Mutter. Er war die Maulsperre schon so gewöhnt, dass es ihn fast nicht mehr störte. Nicht seit Gabriel Akki Vergangenheit enthüllt hatte und er mit ihr lange Gespräche darüber geführt hatte. Er spürte ihren Blick auf sich ruhen und lächelte. Kira entging der Austausch nicht und lächelte ebenfalls. Dann leerte sie entschlossen den Rest ihrer Tasse, stand auf und stemmte grinsend die Arme in die Hüfte. „Genug davon! Jetzt wird gefeiert!“
Nell schwirrte in bisschen der Kopf von all den fremden Gesichtern und neuen Namen. Sie reichte der nächsten Person die Hand.
„Ich bin Chrystal. Gabriels Cousine.“, stellte sie sich vor. Nachdem Nell sich ebenfalls vorgestellt hatte, meinte Chrystal mit einem schrägen Grinsen: „Als Grandma sagte, dass Gabriel einen Freund mitbringt, hatte ich eigentlich auf einen männlichen Freund gehofft.“ Sie seufzte abgrundtief und wies auf einen jungen Mann hinter sich. „Mein Bruder vereitelt auf dem College nämlich jeglichen Versuch, Jungs kennenzulernen.“ Sie warf besagtem jungem Mann einen ätzend Blick zu, stellte Nell und Lewis jedoch einander vor. Nell plauderte ein bisschen mit den beiden, bevor sie sich auf Eve berief und sich zurückzog.
Allerdings hätte sie sich um ihre Tochter keine Sorgen machen müssen, denn sie wurde von Kira durch die Gegend getragen und mit Aufmerksamkeit überhäuft. Lächelnd erinnerte sich Nell, wie Gabriel noch auf der Insel angemerkt hatte, sie würden Eve mit Gewalt von seinen Großeltern losreißen müssen. Nell war sich nicht einmal sicher, ob das möglich wäre … und ob sie das wollte. Rasch schlug sie sich den Gedanken aus dem Kopf. Seit sie mit seinen Großeltern über die Beobachter gesprochen hatten, waren Gabriel und sie noch nicht dazu gekommen, allein zu sprechen. Auf der einen Seite wollte sie nichts sehnlicher als mit ihm zu reden, auf der anderen Seite scheute sie den Moment, in dem sie allein sein würden. Sie war so verwirrt.
„Na, überstehst du diesen Overkill an Felingers gut?“ David war unbemerkt neben sie getreten. Er lächelte freundlich.
Nell erwiderte sein Lächeln und nickte. „Alle sind so freundlich zu mir. Aber … ihr seid wirklich eine große Familie.“
David grinste. „Bist du Einzelkind?“
„Ja. Und meine Mutter hat mich allein großgezogen. Sie hatte auch keine Geschwister und meine Großeltern sind früh gestorben.“ Nell zuckte mit den Achseln. „So eine Familienzusammenkunft erlebe ich das erste Mal.“
„Und dabei sind wir nicht mal vollzählig.“
Nell machte große Augen.
„Derek und Liri sind gerade in Europa und besuchen Kat und ihren Mann. Bei deren Leihmutter sollten jeden Moment die Wehen eintreten.“ Auf Nells verständnislosen Blick hing, fügte er an: „Noch mehr Onkel und Tanten von Gabriel.“ Er klopfte der jungen Frau auf die Schulter. „Und Len fehlt auch. Der ist eigentlich Moms Bruder, wurde aber von Mom und Dad großgezogen.“
Nell schüttelte verwundert den Kopf. Sie erinnerte sich, dass Gabriel von all diesen Leuten gesprochen hatte, aber der engere Kreis waren immer nur seine Eltern, Großeltern, Izzy und Claire, Kara und Damian mit ihren Familien gewesen. Sie war etwas erleichtert, dass diese anderen nicht auch noch dazu kamen. David schien ihre Gefühle zu bemerken und warf ihr noch einen aufmunternden Blick zu. „Keine Sorge, keiner beißt.“
Dann wurde David von irgendjemandem gerufen. Er entschuldigte sich. Nell sah ihm nach und suchte dann in der Menge erst ihr Kind und dann Gabriel.
Gabriel sah, wie seine Großmutter Eve an seinen Großvater weiterreichte. Die Freude der beiden – besonders seiner Großmutter – ein Kleinkind um sich zu haben, war mehr als sichtbar. Kira kam zu ihm und seiner Tante Kara. Er hoffte, um ihn zu erlösen. Kara war – vollkommen ungeplant – trotz ihres Alters noch einmal schwanger geworden. Sie war ein nervliches Wrack und noch zickiger als gewöhnlich. Gabriel erinnerte sich an Nells Schwangerschaft und war mehr als erleichtert, dass Nell nicht so nervtötend gewesen war. Tatsächlich schien Kira sein Unwohlsein bemerkt zu haben. Sie bat ihn neuen Kaffee zu kochen und verwickelte ihre Tochter rasch in ein Gespräch. Während er in die Küche ging, sah er wie seine Mutter sich Nell annahm. Seine Freundin sah zu ihm. Für einen Moment schien Gabriels Welt kurz anzuhalten. Was war nur passiert? Der Moment in Izzys altem Zimmer vor wenigen Stunden schoss ihm durch den Kopf. Nell entschlossener Gesichtsausdruck, der Geruch ihres Shampoos, die weiche Haut ihrer Stirn unter seinen Lippen...
„GABRIEL!“ Claire riss ihn unsanft aus seinen Gedanken, als sie wie schon am Morgen auf ihn zustürmte und ihren Tanzpartner Lewis einfach stehen ließ. Gabriel grinste, als die junge Frau anfing wie ein Wasserfall auf ihn einzureden. Er hatte ihre quirlige, ungebremste Energie vermisst. Mit ihr im Schlepptau suchte er Küche und Kaffeemaschine auf.
Währenddessen beruhigte Akki mit ihrer tiefen, leisen Stimme Nell, indem sie ihr von ihren Überlegungen berichtete. Dass eine ehemalige Beobachterin diese Aussagen machte, wirkte tatsächlich wohltuend auf Nell.
Stunden später – Eve war längst im Bett und die letzten Gäste hatten sich eben aufgemacht, trafen sich Kira, Darrel, Gabriel und Nell in der Küche wieder. Nell nötigte den beiden älteren Sims einen weiteren Tee auf und Darrel zwang seine Frau endlich auch etwas zu essen. Er amüsierte sich über ihre Aufgedrehtheit, auch wenn sie kaum noch die Augen aufhalten konnte. Nell warf einen Blick auf die beiden und flüsterte Gabriel zu: „Wir schicken sie ins Bett und kümmern uns allein ums Aufräumen.“ Gabriel nickte zustimmend und sah seinen Großvater an. „Grandpa, warum geht ihr nicht ins Bett? Wir kümmern uns um den Rest.“
Kira wollte etwas einwenden – sie war schließlich nicht sooo müde – aber ein Blick von Darrel ließ sie ihre Worte zusammen mit einer Gabel Kuchen runter schlucken. Sie zuckte mit den Schultern, aß auf und verließ mit Darrel zusammen das Haus. Im Hinausgehen stellte dieser leise die Stereoanlage an. Eine entsprechende CD hatte er kurz zuvor eingelegt. Kira grinste ihn breit an und Darrel grinste ebenso breit zurück.
Als Kira ihr Staunen bemerkte, grinste sie Nell an. „Wie viel hat Gabriel dir eigentlich erzählt?“
Nell antwortete ihr, was Kiras Grinsen noch breiter werden ließ. „Dann hast du ja deine Erklärung: Durch die Wiedergeburten habe ich jeden Griff tatsächlich so oft ausgeführt.“ Sie spielte mit einem der Küchenmesser, das sie gerade abgespült hatte. Nell wurde ein bisschen übel, als sie die scharfe Klinge durch die Luft wirbeln sah.
„Tu dir nichts, Kätzchen.“ Darrel kam in die Küche. Er sah mit einer hochgezogenen Augenbraue auf das Messer. Kira zog eine beleidigte Miene und streckte ihm die Zunge raus. Zu Nell gewandt sagte sie: „Er darf immer angeben, ich nicht.“
Darrel erwiderte es mit einem schrägen Blick und ging zum Kühlschrank. Trotz des Austauschs nahm Nell wahr, wie liebevoll Gabriels Großeltern mit einander umgingen.
Darrel entnahm ein Tablett mit frischem Fleisch, gab seiner Frau einen raschen Kuss auf den Scheitel und verließ die Küche Richtung Grillterrasse, begleitet von Kiras Kichern. Nell spürte, wie ihre Wangen erröteten, als sie sich an Gabriels Kuss auf ihre Stirn erinnerte. Rasch drehte sie sich zur Spüle um und wusch sich die Hände. Als sie nach dem Handtuch griff, bemerkte sie Kiras Blick.
„Kopf hoch, Kind.“, riet die Ältere nur und reichte ihr das Handtuch.
Akki und David waren die ersten, die zur Feier erschienen. Nach einer kleineren Diskussion, die Nell für sich entscheiden konnte, hatte Kira sich schließlich frisch gemacht und umgezogen. Nell brühte ihr einen grünen Tee auf und zwang sie, sich anschließend hinzusetzen. Auch wenn Gabriels Großeltern beide sehr rüstig waren, wollte Nell nicht, dass sich einer von beiden übernahm. Sie nahm eine zweite Tasse Tee, um Darrel eine ähnliche Behandlung angedeihen zu lassen. Kira sah ihr grinsend nach, bevor sie ihrem Sohn und Akki einen zufriedenen Blick zu warf.
„Katze. Sahne.“, murmelte Akki leise. David zuckte mit den Schultern. An kryptische Kommentare von Akki oder seinen Eltern war er inzwischen gewöhnt.
Kira wischte sich ihr Grinsen aus dem Gesicht und überlegte kurz, ob sie den beiden von der morgendlichen Aufregung berichten sollte. Die beiden waren zu früh, deswegen entschied sie sich dafür. Sie wollte von Akki unbedingt eine Bestätigung hören: Dass die Beobachter Eve wirklich keinen Schaden zufügen konnten.
Nachdem sie Kiras Bericht gehört hatten, wechselten Akki und David einen langen Blick. Dann seufzte David laut. Er ließ sich neben seiner Mutter auf einen Stuhl fallen. Er sah etwas blass aus und Kira bereute schon fast, dass sie das Thema angeschnitten hatte.
„Wir haben schon öfter darüber gesprochen.“, sagte Akki leise. Sie wollte noch mehr sagen, verstummte aber und sah zu David.
„Mom, als Miles damals den Unfall hatte … Die Beobachter sind zu mir gekommen und haben mir angeboten ihn zu retten. Wenn ich sie einlasse.“, flüsterte dieser stockend. „Izzy weiß davon nichts.“
Kira nahm rasch einen Schluck von dem Tee – mehr um sich zu beschäftigen, denn aus Durst. Oh weh...
„Ich habe es ihm ausgeredet.“, warf Akki ebenso leise ein.
Kira stellte die Tasse auf den Tisch und ergriff die Hand ihres Sohnes. Selbst nach all den Jahren schien er unter dieser Entscheidung zu leiden. Kira litt mit ihm. Gleichzeitig spürte sie den altbekannten Zorn in sich aufsteigen. Ihr lag eine biestige Bemerkung auf der Zunge, die doch nichts bringen würde, und so spülte sie ihre Worte mit einem weiteren Schluck des grünen Tees herunter.
„Bäh. Ich weiß nicht warum ich Nell erlaubt habe, mir das Zeug zu machen.“
Während Akki nachsichtig lächelte, schien David ihre letzten Worte nicht gehört zu haben. Er fuhr fort: „Wir haben lange überlegt, ob sie den Unfall provoziert haben, um so an unsere Familie zu kommen.“
Jetzt stieß Kira doch eine unflätige Bemerkung aus. David zog die Augenbraue hoch. Es überraschte ihn, welche Worte seine Mutter kannte – und wiederholte.
„Ich … wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht so ist. Sie können sich nicht auf diese Art und Weise in unsere Familie einmischen – auch wenn weder Miles noch Eve direkt dazu gehören. Außerdem …“ Akki seufzte und wog ihre nächsten Worte sorgfältig ab, um nicht von der Maulsperre überrascht zu werden. „Kann der Todestag nicht so einfach manipuliert werden.“
Kira nickte. „Ja das sagt mir ...“ Sie schnaubte säuerlich. Maulsperre. „Du weißt, wen ich meine Akki.“
Diese nickte. Über den Sensemann Jonas offen zu sprechen gelang Kira, Darrel und ihr höchstens untereinander. Er war in den bisherigen Übersetzungen noch nicht vorgekommen.
David sah von Partnerin zu Mutter. Er war die Maulsperre schon so gewöhnt, dass es ihn fast nicht mehr störte. Nicht seit Gabriel Akki Vergangenheit enthüllt hatte und er mit ihr lange Gespräche darüber geführt hatte. Er spürte ihren Blick auf sich ruhen und lächelte. Kira entging der Austausch nicht und lächelte ebenfalls. Dann leerte sie entschlossen den Rest ihrer Tasse, stand auf und stemmte grinsend die Arme in die Hüfte. „Genug davon! Jetzt wird gefeiert!“
Nell schwirrte in bisschen der Kopf von all den fremden Gesichtern und neuen Namen. Sie reichte der nächsten Person die Hand.
„Ich bin Chrystal. Gabriels Cousine.“, stellte sie sich vor. Nachdem Nell sich ebenfalls vorgestellt hatte, meinte Chrystal mit einem schrägen Grinsen: „Als Grandma sagte, dass Gabriel einen Freund mitbringt, hatte ich eigentlich auf einen männlichen Freund gehofft.“ Sie seufzte abgrundtief und wies auf einen jungen Mann hinter sich. „Mein Bruder vereitelt auf dem College nämlich jeglichen Versuch, Jungs kennenzulernen.“ Sie warf besagtem jungem Mann einen ätzend Blick zu, stellte Nell und Lewis jedoch einander vor. Nell plauderte ein bisschen mit den beiden, bevor sie sich auf Eve berief und sich zurückzog.
Allerdings hätte sie sich um ihre Tochter keine Sorgen machen müssen, denn sie wurde von Kira durch die Gegend getragen und mit Aufmerksamkeit überhäuft. Lächelnd erinnerte sich Nell, wie Gabriel noch auf der Insel angemerkt hatte, sie würden Eve mit Gewalt von seinen Großeltern losreißen müssen. Nell war sich nicht einmal sicher, ob das möglich wäre … und ob sie das wollte. Rasch schlug sie sich den Gedanken aus dem Kopf. Seit sie mit seinen Großeltern über die Beobachter gesprochen hatten, waren Gabriel und sie noch nicht dazu gekommen, allein zu sprechen. Auf der einen Seite wollte sie nichts sehnlicher als mit ihm zu reden, auf der anderen Seite scheute sie den Moment, in dem sie allein sein würden. Sie war so verwirrt.
„Na, überstehst du diesen Overkill an Felingers gut?“ David war unbemerkt neben sie getreten. Er lächelte freundlich.
Nell erwiderte sein Lächeln und nickte. „Alle sind so freundlich zu mir. Aber … ihr seid wirklich eine große Familie.“
David grinste. „Bist du Einzelkind?“
„Ja. Und meine Mutter hat mich allein großgezogen. Sie hatte auch keine Geschwister und meine Großeltern sind früh gestorben.“ Nell zuckte mit den Achseln. „So eine Familienzusammenkunft erlebe ich das erste Mal.“
„Und dabei sind wir nicht mal vollzählig.“
Nell machte große Augen.
„Derek und Liri sind gerade in Europa und besuchen Kat und ihren Mann. Bei deren Leihmutter sollten jeden Moment die Wehen eintreten.“ Auf Nells verständnislosen Blick hing, fügte er an: „Noch mehr Onkel und Tanten von Gabriel.“ Er klopfte der jungen Frau auf die Schulter. „Und Len fehlt auch. Der ist eigentlich Moms Bruder, wurde aber von Mom und Dad großgezogen.“
Nell schüttelte verwundert den Kopf. Sie erinnerte sich, dass Gabriel von all diesen Leuten gesprochen hatte, aber der engere Kreis waren immer nur seine Eltern, Großeltern, Izzy und Claire, Kara und Damian mit ihren Familien gewesen. Sie war etwas erleichtert, dass diese anderen nicht auch noch dazu kamen. David schien ihre Gefühle zu bemerken und warf ihr noch einen aufmunternden Blick zu. „Keine Sorge, keiner beißt.“
Dann wurde David von irgendjemandem gerufen. Er entschuldigte sich. Nell sah ihm nach und suchte dann in der Menge erst ihr Kind und dann Gabriel.
Gabriel sah, wie seine Großmutter Eve an seinen Großvater weiterreichte. Die Freude der beiden – besonders seiner Großmutter – ein Kleinkind um sich zu haben, war mehr als sichtbar. Kira kam zu ihm und seiner Tante Kara. Er hoffte, um ihn zu erlösen. Kara war – vollkommen ungeplant – trotz ihres Alters noch einmal schwanger geworden. Sie war ein nervliches Wrack und noch zickiger als gewöhnlich. Gabriel erinnerte sich an Nells Schwangerschaft und war mehr als erleichtert, dass Nell nicht so nervtötend gewesen war. Tatsächlich schien Kira sein Unwohlsein bemerkt zu haben. Sie bat ihn neuen Kaffee zu kochen und verwickelte ihre Tochter rasch in ein Gespräch. Während er in die Küche ging, sah er wie seine Mutter sich Nell annahm. Seine Freundin sah zu ihm. Für einen Moment schien Gabriels Welt kurz anzuhalten. Was war nur passiert? Der Moment in Izzys altem Zimmer vor wenigen Stunden schoss ihm durch den Kopf. Nell entschlossener Gesichtsausdruck, der Geruch ihres Shampoos, die weiche Haut ihrer Stirn unter seinen Lippen...
„GABRIEL!“ Claire riss ihn unsanft aus seinen Gedanken, als sie wie schon am Morgen auf ihn zustürmte und ihren Tanzpartner Lewis einfach stehen ließ. Gabriel grinste, als die junge Frau anfing wie ein Wasserfall auf ihn einzureden. Er hatte ihre quirlige, ungebremste Energie vermisst. Mit ihr im Schlepptau suchte er Küche und Kaffeemaschine auf.
Währenddessen beruhigte Akki mit ihrer tiefen, leisen Stimme Nell, indem sie ihr von ihren Überlegungen berichtete. Dass eine ehemalige Beobachterin diese Aussagen machte, wirkte tatsächlich wohltuend auf Nell.
Stunden später – Eve war längst im Bett und die letzten Gäste hatten sich eben aufgemacht, trafen sich Kira, Darrel, Gabriel und Nell in der Küche wieder. Nell nötigte den beiden älteren Sims einen weiteren Tee auf und Darrel zwang seine Frau endlich auch etwas zu essen. Er amüsierte sich über ihre Aufgedrehtheit, auch wenn sie kaum noch die Augen aufhalten konnte. Nell warf einen Blick auf die beiden und flüsterte Gabriel zu: „Wir schicken sie ins Bett und kümmern uns allein ums Aufräumen.“ Gabriel nickte zustimmend und sah seinen Großvater an. „Grandpa, warum geht ihr nicht ins Bett? Wir kümmern uns um den Rest.“
Kira wollte etwas einwenden – sie war schließlich nicht sooo müde – aber ein Blick von Darrel ließ sie ihre Worte zusammen mit einer Gabel Kuchen runter schlucken. Sie zuckte mit den Schultern, aß auf und verließ mit Darrel zusammen das Haus. Im Hinausgehen stellte dieser leise die Stereoanlage an. Eine entsprechende CD hatte er kurz zuvor eingelegt. Kira grinste ihn breit an und Darrel grinste ebenso breit zurück.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 19
Eine Weile arbeiteten Nell und Gabriel schweigend in der Küche. Es erinnerte beide an ihr Zusammenleben auf der Insel. Nach den ganzen Gesprächen und dem Trubel der Feier war es erholend in unausgesprochenem Einvernehmen nichts zu sagen.
Als sie ihm Wohnzimmer die letzten vergessenen Teller und Gläser einsammelten, begann Gabriel schließlich ein Gespräch. „Ich hoffe es war nicht zu stressig für dich.“
Nell schüttelte rasch und heftig den Kopf. „Nein. Ich mag deine Familie. Alle waren so nett zu mir.“
Es erleichterte Gabriel zu hören, dass Nell sich wohlgefühlt hatte. Gleichzeitig griffen sie nach einem halbvollen Weinglas. Als ihr Hand seine berührte, spürte er wieder dieses Tingeln. Es schoss von seiner Hand durch den Arm, die Wirbelsäule hinab. Erst jetzt wurde er der Musik gewahr.
„Ähm.“ Er räusperte sich verlegen, sah auf beider Hände, die als hätte man die Stopptaste gedrückt über dem Weinglas schwebten und sich berührten. „Möchtest du tanzen?“ Am liebsten hätte er die Worte zurück in seinen Mund gestopft, sobald er sie ausgesprochen hatte. Er hasste tanzen! Und wie dämlich war diese Frage? Sein nächster Reflex war, wegzulaufen. In Gedanken sah er sich schon aus dem Haus in die Dunkelheit stürmen und über die Felder rennen. So wie am Morgen. War es wirklich erst einen halben Tag her? Doch bevor er seinem Fluchtreflex nachgeben konnte, nahm Nell seine Hand, die ihre so federleicht berührte und legte sie an ihre Hüfte. „Sehr gerne.“
Nell kannte den Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Maske hatte Gabriel zwar den Abend über getragen, doch in dem Moment da ihre Hände sich so zufällig berührt hatten, war sie gefallen. Sie sah ihm die Verwirrung an und auch das Bedürfnis zu fliehen, sobald er sie zum Tanzen aufgefordert hatte. Obwohl ihr eigenes Herz bis zum Halse schlug und sie vor der Situation Angst hatte, verspürte sie gleichzeitig eine positive Erregung. Außerdem wollte sie in jedem Fall verhindern, dass Gabriel jemals vor ihr wegrannte. Er sollte sich an ihrer Seite sicher fühlen. So wie sie sich an seiner Seite sicher und geborgen fühlte. Deswegen erwiderte sie „Sehr gern.“ und führte seine Hand an ihre Hüfte um mit ihm zu tanzen.
Sie bewegten sich behutsam zur Musik, einander in die Augen schauend, aber in Wirklichkeit doch durch den anderen hindurchsehend. Beiden rasten die Gedanken nur so durch den Kopf. Nell kam wieder in den Sinn, dass die Reise ein Katalysator gewesen war. Gabriel fragte sich, ob er das recht dazu hatte, Nell in die ganze Beobachtersache mit reinzuziehen. „Ich häng' da doch schon mit drin!“ Ihr vehementer Ausruf vom Vormittag kam ihr in den Sinn. Sie schien so entschlossen ihn nicht allein zu lassen. Er hatte das Gefühl, dass Nell ihm immer den Rücken freihalten und stärken würde. Gabriel lächelte.
Als Gabriel so plötzlich lächelte und seinen Blick, der zuvor durch sie hindurch gegangen war, fokussierte auch Nell ihren Blick neu und sah ihm in die Augen. Der Sturm in ihrem Kopf beruhigte sich und Gewissheit überkam sie. Ein kleiner Teil von ihr, wollte herzhaft über sie lachen. Nell öffnete den Mund, sie wollte unbedingt etwas sagen. Sie musste etwas sagen. Sie spürte wie Gabriel sich für einen winzigen Moment versteifte, doch da war der Moment auch schon vorbei und in einer einzigen Bewegung ließ er ihre Hüfte und ihre Hand los und …
Und presste seine Lippen auf ihre. Im Gegensatz zu seinen Worten nur wenige Minuten zuvor, hatte er nicht das Bedürfnis seine Handlung rückgängig zu machen. Vielleicht war es forsch, vielleicht hatte damit alles verspielt. Aber als Nell ihn anlächelte, ihn ansah, da war ihm eine Gewissheit beschert, wie er sie noch nie zuvor in seinem Leben gespürt hatte.
Die Berührung ihrer Lippen dauerte nur wenige Sekunden. Nell war mehr als überrascht, dass Gabriel, der sonst die Zurückhaltung in Person war, mit einem Mal so forsch war. Er schien selbst überrascht zu sein, das spürte sie mit jeder Faser ihres Körpers, die seinen berührte. Als er sich zurückziehen wollte, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und presste sich an ihn. So einfach würde er nicht davon kommen! Sie öffnete sanft die Lippen und intensivierte den Kuss.
Atemlos trennten sie sich kurze Zeit darauf. Als Gabriel den gleichzeitig verwirrten und zufriedenen Ausdruck auf Nells Gesicht sah, fragte er sich, ob er auch so widersprüchliche Gefühle zeigte. Er überlegte für den Bruchteil einer Millisekunde, seine Maske anzulegen. Doch ein Blick in Nells Augen ließen ihn diesen Gedanken vergessen. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und strich mit den Daumen sanft über ihre Wangen. Ihr Blick war fest auf ihn gerichtet, die Verwirrung daraus verschwunden. Sie lehnte sich gegen ihn und küsste ihn ein zweites Mal.
Später erinnerten sich beide nicht mehr ganz genau, wie so vom Wohnzimmer zum Baumhaus gelangt waren. Genauso leise wie sie das Baumhaus aufgesucht hatten, verließen sie es wieder. Sie hielten sich still bei der Hand und gingen durch die Küche zurück ins Haus. Schweigend räumten sie das vergessene Geschirr in die Spülmaschine, stellten die Stereoanlage aus und gingen in Izzys Zimmer. Eve schlief selig.Vor dem Kinderbett stehend ergriff Nell Gabriels Hand.
„Eve und ich sind immer bei dir.“
Gabriel drückte ihre Hand. „Und ich immer bei euch.“
… Ein paar Monate später …
Gabriel sprang die letzte Stufe zur ersten Etage hinauf und sah sich zufrieden um. Er war nie ein großer Heimwerker gewesen, aber zusammen mit seinem Großvater und unterstützt von Karas Mann Vincent war der Umbau des Hauses sehr gelungen.
Der Entschluss nach Riverview zurückzukehren war relativ schnell gefallen. Es war seine Heimat und so sehr er das kleine Haus auf der Insel mochte, es war nur ein Übergang. Aus dem Badezimmer hörte er Nell und Eve. Er lächelte still in sich hinein. Riverview wäre weniger seine Heimat ohne die beiden. Eve fühlte sich pudelwohl. Nell hatte erst am Morgen, nach dem Frühstück mit seinen Großeltern, zu ihm gesagt, dass auch sie sich wohlfühlte. Aber eigentlich fühle sie sich überall wohl, wo er sei … Gabriel hielt vor der Badezimmertür inne und lauschte den Stimmen. Er erinnerte sich an das Sprichwort „Home is where the heart is“ und nickte einvernehmlich.
Als sie ihm Wohnzimmer die letzten vergessenen Teller und Gläser einsammelten, begann Gabriel schließlich ein Gespräch. „Ich hoffe es war nicht zu stressig für dich.“
Nell schüttelte rasch und heftig den Kopf. „Nein. Ich mag deine Familie. Alle waren so nett zu mir.“
Es erleichterte Gabriel zu hören, dass Nell sich wohlgefühlt hatte. Gleichzeitig griffen sie nach einem halbvollen Weinglas. Als ihr Hand seine berührte, spürte er wieder dieses Tingeln. Es schoss von seiner Hand durch den Arm, die Wirbelsäule hinab. Erst jetzt wurde er der Musik gewahr.
„Ähm.“ Er räusperte sich verlegen, sah auf beider Hände, die als hätte man die Stopptaste gedrückt über dem Weinglas schwebten und sich berührten. „Möchtest du tanzen?“ Am liebsten hätte er die Worte zurück in seinen Mund gestopft, sobald er sie ausgesprochen hatte. Er hasste tanzen! Und wie dämlich war diese Frage? Sein nächster Reflex war, wegzulaufen. In Gedanken sah er sich schon aus dem Haus in die Dunkelheit stürmen und über die Felder rennen. So wie am Morgen. War es wirklich erst einen halben Tag her? Doch bevor er seinem Fluchtreflex nachgeben konnte, nahm Nell seine Hand, die ihre so federleicht berührte und legte sie an ihre Hüfte. „Sehr gerne.“
Nell kannte den Ausdruck auf seinem Gesicht. Seine Maske hatte Gabriel zwar den Abend über getragen, doch in dem Moment da ihre Hände sich so zufällig berührt hatten, war sie gefallen. Sie sah ihm die Verwirrung an und auch das Bedürfnis zu fliehen, sobald er sie zum Tanzen aufgefordert hatte. Obwohl ihr eigenes Herz bis zum Halse schlug und sie vor der Situation Angst hatte, verspürte sie gleichzeitig eine positive Erregung. Außerdem wollte sie in jedem Fall verhindern, dass Gabriel jemals vor ihr wegrannte. Er sollte sich an ihrer Seite sicher fühlen. So wie sie sich an seiner Seite sicher und geborgen fühlte. Deswegen erwiderte sie „Sehr gern.“ und führte seine Hand an ihre Hüfte um mit ihm zu tanzen.
Sie bewegten sich behutsam zur Musik, einander in die Augen schauend, aber in Wirklichkeit doch durch den anderen hindurchsehend. Beiden rasten die Gedanken nur so durch den Kopf. Nell kam wieder in den Sinn, dass die Reise ein Katalysator gewesen war. Gabriel fragte sich, ob er das recht dazu hatte, Nell in die ganze Beobachtersache mit reinzuziehen. „Ich häng' da doch schon mit drin!“ Ihr vehementer Ausruf vom Vormittag kam ihr in den Sinn. Sie schien so entschlossen ihn nicht allein zu lassen. Er hatte das Gefühl, dass Nell ihm immer den Rücken freihalten und stärken würde. Gabriel lächelte.
Als Gabriel so plötzlich lächelte und seinen Blick, der zuvor durch sie hindurch gegangen war, fokussierte auch Nell ihren Blick neu und sah ihm in die Augen. Der Sturm in ihrem Kopf beruhigte sich und Gewissheit überkam sie. Ein kleiner Teil von ihr, wollte herzhaft über sie lachen. Nell öffnete den Mund, sie wollte unbedingt etwas sagen. Sie musste etwas sagen. Sie spürte wie Gabriel sich für einen winzigen Moment versteifte, doch da war der Moment auch schon vorbei und in einer einzigen Bewegung ließ er ihre Hüfte und ihre Hand los und …
Und presste seine Lippen auf ihre. Im Gegensatz zu seinen Worten nur wenige Minuten zuvor, hatte er nicht das Bedürfnis seine Handlung rückgängig zu machen. Vielleicht war es forsch, vielleicht hatte damit alles verspielt. Aber als Nell ihn anlächelte, ihn ansah, da war ihm eine Gewissheit beschert, wie er sie noch nie zuvor in seinem Leben gespürt hatte.
Die Berührung ihrer Lippen dauerte nur wenige Sekunden. Nell war mehr als überrascht, dass Gabriel, der sonst die Zurückhaltung in Person war, mit einem Mal so forsch war. Er schien selbst überrascht zu sein, das spürte sie mit jeder Faser ihres Körpers, die seinen berührte. Als er sich zurückziehen wollte, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und presste sich an ihn. So einfach würde er nicht davon kommen! Sie öffnete sanft die Lippen und intensivierte den Kuss.
Atemlos trennten sie sich kurze Zeit darauf. Als Gabriel den gleichzeitig verwirrten und zufriedenen Ausdruck auf Nells Gesicht sah, fragte er sich, ob er auch so widersprüchliche Gefühle zeigte. Er überlegte für den Bruchteil einer Millisekunde, seine Maske anzulegen. Doch ein Blick in Nells Augen ließen ihn diesen Gedanken vergessen. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und strich mit den Daumen sanft über ihre Wangen. Ihr Blick war fest auf ihn gerichtet, die Verwirrung daraus verschwunden. Sie lehnte sich gegen ihn und küsste ihn ein zweites Mal.
Später erinnerten sich beide nicht mehr ganz genau, wie so vom Wohnzimmer zum Baumhaus gelangt waren. Genauso leise wie sie das Baumhaus aufgesucht hatten, verließen sie es wieder. Sie hielten sich still bei der Hand und gingen durch die Küche zurück ins Haus. Schweigend räumten sie das vergessene Geschirr in die Spülmaschine, stellten die Stereoanlage aus und gingen in Izzys Zimmer. Eve schlief selig.Vor dem Kinderbett stehend ergriff Nell Gabriels Hand.
„Eve und ich sind immer bei dir.“
Gabriel drückte ihre Hand. „Und ich immer bei euch.“
… Ein paar Monate später …
Gabriel sprang die letzte Stufe zur ersten Etage hinauf und sah sich zufrieden um. Er war nie ein großer Heimwerker gewesen, aber zusammen mit seinem Großvater und unterstützt von Karas Mann Vincent war der Umbau des Hauses sehr gelungen.
Der Entschluss nach Riverview zurückzukehren war relativ schnell gefallen. Es war seine Heimat und so sehr er das kleine Haus auf der Insel mochte, es war nur ein Übergang. Aus dem Badezimmer hörte er Nell und Eve. Er lächelte still in sich hinein. Riverview wäre weniger seine Heimat ohne die beiden. Eve fühlte sich pudelwohl. Nell hatte erst am Morgen, nach dem Frühstück mit seinen Großeltern, zu ihm gesagt, dass auch sie sich wohlfühlte. Aber eigentlich fühle sie sich überall wohl, wo er sei … Gabriel hielt vor der Badezimmertür inne und lauschte den Stimmen. Er erinnerte sich an das Sprichwort „Home is where the heart is“ und nickte einvernehmlich.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 20 - Unerwarteter Besuch
Gabriel konnte nicht schlafen. Er wälzte sich ein paar Mal hin und her, bearbeitet sein Kissen mit den Fäusten, schlug die Decke fort, nur um sie im nächsten Moment wieder über sich zu ziehen. Er starrte an die Decke und seufzte leise. Nell hingegen schlief tief und fest. Gabriel drehte den Kopf und studierte im Halbdunkeln des Zimmers – der Vollmond war so hell, dass die Vorhänge es nicht abdunkeln konnten – Nell und lächelte. Er nahm jeden Zentimeter ihres Gesichts in sich auf, bevor er sich leise erhob. Aber selbst wenn er sich nicht solche Mühe gegeben hätte, Nell hätte vermutlich trotzdem weitergeschlafen. Sie war total erschlagen. Das letzte Jahr war ziemlich anstrengend für sie gewesen. Nach dem Umzug hatte sie sich entschlossen, eine Ausbildung zur Krankenschwester zu machen. Sie hatte kaum das erste Jahr beendet, als sie schwanger wurde. Kurz nach Sadies Geburt hatte sie ihre Ausbildung wieder aufgenommen. Während bei Eve stets alles wie am Schnürchen gelaufen war, kamen mit Sadie Schwierigkeiten auf sie zu. Eve war ein totales Anfänger-Baby, Sadie war schwierig. Natürlich hatte keiner von ihnen die Kleine wieder hergegeben, aber es kostete Geduld, Zeit und unendlich viele Nerven. Es begann mit einer anstrengenden Schwangerschaft, ging über eine schwierige Geburt. Als Neugeborene wollte Sadie partout nicht an die Brust angelegt werden und auch sie mit der Flasche zu füttern war eine große Herausforderung. Gabriel hatte gedacht, Eve sei mäkelig, aber Sadie ließ jeglichen Trotz, den ihre große Schwester in puncto Essen an den Tag legte, verblassen. Sadie schrie den Unmut über die Welt in einer Lautstärke hinaus, dass Gabriel gelegentlich ernsthaft über Ohropax nachdachte. Er liebte seine jüngere Tochter, aber manchmal fragte er sich, was sie alles falsch machten, dass die Kleine so unzufrieden war. Am glücklichsten schien sie, wenn sie den ganzen Tag herumgetragen wurde. Dabei hatte sie natürlich ihre Vorlieben: Immer platziert in einer Armbeuge und wehe, man verlagerte ihr Gewicht! Eine Zeitlang wollte sie nur in Gabriels Arm liegen, dann musste es Nell sein, dann kam nur Darrel in Frage. Gabriels Eltern, seine Tanten und Onkel oder Cousins und Cousinen mussten es gar nicht erst versuchen. Grinsend erinnerten sie sich jedoch alle daran, dass Gabriel als Kleinkind ebenso eigen in der Wahl seiner Bezugsperson war.
Gabriel schlich in die Zimmer der Mädchen. Eve war seit ihre Schwester auf der Welt war ein absoluter Engel. Schon zuvor war sie zwar schüchtern gewesen, aber immer ein freundlichen und fröhliches Kind. Jetzt war sie wesentlich weniger zurückhaltend. Der Umgang mit den Verwandten tat ihr sehr gut und sie entwickelte sich prächtig. Sie sah sehr gern ihre kleine Schwester an – solange diese schlief. Sadies Geschrei vertrieb Eve nachhaltig aus Sadies Zimmer und das ein oder andere Mal beobachtete Gabriel, wie sich Eve die Ohren zuhielt, wenn Sadie nicht zu beruhigen war. Er konnte es ihr nicht verübeln.
Gabriel schloss Sadies Kinderzimmertür mit noch mehr Umsicht, als er sich zuvor aus dem Schlafzimmer entfernt hatte. Sie war wieder sehr unruhig an diesem Abend gewesen, quengelig und nicht zufriedenzustellen. Als Nell – die zur Zeit mal wieder Rang 1 bei ihrer Tochter hatte – es endlich geschafft hatte, sie zu beruhigen und in Bett zu legen, war seine Frau nur noch ins Bett gefallen. Unbewusst spielte Gabriel mit dem Daumen an seinem Ehering. Er hatte Nell kurz nachdem sie wieder angefangen hatte zu arbeiten einen Antrag gemacht – eine seiner eher spontanen Aktionen. Danach war es nur noch eine Formalität gemeinsam zum Standesamt zu gehen, „Ja“ zu sagen und Eve offiziell zu adoptieren.
Mit der Überlegung sich einen Tee zu kochen – Nell fand, dass Tee eigentlich für alles die Lösung war, auch wenn sie nach wie vor gerne Kaffee trank – ging Gabriel in die Küche. Ein Geräusch von draußen ließ ihn jedoch die Teebox abrupt abstellen. Er kannte dieses Geräusch ganz genau, konnte es im ersten Moment jedoch nicht einordnen. Ein paar Kindheitserinnerungen rasten durch seinen Kopf. Erinnerungen an seine frühste Kindheit …
Gabriel nahm einen Mantel von der Garderobe, schlüpfte barfuß in ein paar Schuhe und verließ das Haus.
Er ließ sich von seinen Ohren leiten, als er durch die Felder eilte. Sein Weg führte ihn weit weg von der Stadt, mitten in die unbewohnte Natur. Er wurde langsamer. Seine Augen hatten sich unlängst an die Dunkelheit gewöhnt und das helle Licht der Vollmonds tat sein übriges, dass er nicht stürzte. Schließlich hielt er inne. Zwei Gestalten näherten sich ihm. Wieder überkamen in Erinnerung. Als sie nur noch eine Armlänge entfernt waren, setzte Gabriel seine Maske auf, lächelte aber.
„Hallo Onkel Will.“
Gabriel schlich in die Zimmer der Mädchen. Eve war seit ihre Schwester auf der Welt war ein absoluter Engel. Schon zuvor war sie zwar schüchtern gewesen, aber immer ein freundlichen und fröhliches Kind. Jetzt war sie wesentlich weniger zurückhaltend. Der Umgang mit den Verwandten tat ihr sehr gut und sie entwickelte sich prächtig. Sie sah sehr gern ihre kleine Schwester an – solange diese schlief. Sadies Geschrei vertrieb Eve nachhaltig aus Sadies Zimmer und das ein oder andere Mal beobachtete Gabriel, wie sich Eve die Ohren zuhielt, wenn Sadie nicht zu beruhigen war. Er konnte es ihr nicht verübeln.
Gabriel schloss Sadies Kinderzimmertür mit noch mehr Umsicht, als er sich zuvor aus dem Schlafzimmer entfernt hatte. Sie war wieder sehr unruhig an diesem Abend gewesen, quengelig und nicht zufriedenzustellen. Als Nell – die zur Zeit mal wieder Rang 1 bei ihrer Tochter hatte – es endlich geschafft hatte, sie zu beruhigen und in Bett zu legen, war seine Frau nur noch ins Bett gefallen. Unbewusst spielte Gabriel mit dem Daumen an seinem Ehering. Er hatte Nell kurz nachdem sie wieder angefangen hatte zu arbeiten einen Antrag gemacht – eine seiner eher spontanen Aktionen. Danach war es nur noch eine Formalität gemeinsam zum Standesamt zu gehen, „Ja“ zu sagen und Eve offiziell zu adoptieren.
Mit der Überlegung sich einen Tee zu kochen – Nell fand, dass Tee eigentlich für alles die Lösung war, auch wenn sie nach wie vor gerne Kaffee trank – ging Gabriel in die Küche. Ein Geräusch von draußen ließ ihn jedoch die Teebox abrupt abstellen. Er kannte dieses Geräusch ganz genau, konnte es im ersten Moment jedoch nicht einordnen. Ein paar Kindheitserinnerungen rasten durch seinen Kopf. Erinnerungen an seine frühste Kindheit …
Gabriel nahm einen Mantel von der Garderobe, schlüpfte barfuß in ein paar Schuhe und verließ das Haus.
Er ließ sich von seinen Ohren leiten, als er durch die Felder eilte. Sein Weg führte ihn weit weg von der Stadt, mitten in die unbewohnte Natur. Er wurde langsamer. Seine Augen hatten sich unlängst an die Dunkelheit gewöhnt und das helle Licht der Vollmonds tat sein übriges, dass er nicht stürzte. Schließlich hielt er inne. Zwei Gestalten näherten sich ihm. Wieder überkamen in Erinnerung. Als sie nur noch eine Armlänge entfernt waren, setzte Gabriel seine Maske auf, lächelte aber.
„Hallo Onkel Will.“
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 21
Der jüngere der beiden Männer musterte Gabriel nur kurz von oben bis unten, während der Ältere Gabriel zu nickte. Er schien jede Einzelheit seines Gesichts zu studieren, fast so, wie Gabriel nur kurz zuvor Nell studiert hatte. Dann lächelte der ältere Mann ebenfalls und reichte Gabriel die Hand. Als dieser die Geste erwiderte, wurde er spontan in eine bärenhafte Umarmung gezogen.
„Kleiner!“, rief der Simo aus und lachte. „Du bist ganz schon groß geworden, in so kurzer Zeit.“
Gabriel musste in der Umarmung seines Onkels nach Luft ringen. Als William, Akkis Bruder bemerkte, dass er seinem Neffen die Luft nahm, ließ er ihn los und klopfte ihm kräftig auf die Schulter.
„Darf ich dich erinnern, dass wir Menschen etwas schneller altern als ihr?“, sagte Gabriel trocken und widerstand der Versuchung seine schmerzende Schulter zu reiben. Offenbar hatte der Wolf auch vergessen, dass Menschen – im Gegensatz zu Wölfen – geradezu fragil waren.
William lachte erneut. Er musste sich erst kurz zuvor verwandelt haben, denn nichts anderes als sein Wolfsgeheul hatte Gabriel nach draußen gelockt. Dann sah er den jüngeren Simo an. Gabriel glaubte, sein Gesicht schon einmal gesehen zu haben, aber er war nicht sicher. Er sah jünger als Gabriel aus, aber er war sich ziemlich sicher, dass er tatsächlich älter war. Das wusste man bei den übernatürlichen Sims nie so genau. Ein Wolf war er jedenfalls nicht und auch kein Vampir. Da er keine Flügel sah, konnte Gabriel auch ausschließen, dass es sich bei dem Simo um einen Fae handelte. Also blieb nur ein Magier...
„Gabriel, das ist Kennard. Kennard, mein Neffe Gabriel. Ich glaube du hast ihn das letzte Mal gesehen, als er noch Windeln trug.“
Kennard setzte seine Musterung lange fort, bevor er sich dazu herabließ zu lächeln – es war mehr ein Grinsen – und Gabriel seine Hand bot. Dieser erwiderte die Geste.
„Du kannst zumindest nicht leugnen, wer deine Familie ist.“, sagte Kennard. Er hatte einen amüsierten Unterton in der Stimme. Gabriel sollte noch lernen, dass Kennard immer sehr amüsiert schien …
„Weiß Mom, dass du .. ihr hier seid?“
William zuckte mit den Schultern. „Nein. Es ist auch kein Familienbesuch.“ Seine Miene verdunkelte sich. „Trotzdem hatte ich eigentlich gehofft, dass der Ruf sie zu uns bringen würde.“
Gabriel schüttelte den Kopf. „Ich muss dich enttäuschen. Meine Eltern machen Urlaub. Sie sind gar nicht hier.“
„Urlaub. Was für ein reizendes, menschliches Konzept.“, warf Kennard ein.
William ignorierte ihn. „Um ehrlich zu sein, wir haben ein kleines Problem.“
Kennard schnaubte. William warf ihm einen entnervten Blick zu. „Dass wir nicht hätten, wenn ein gewisser Magier etwas aufmerksamer gewesen war.“
Ein erneutes Schnauben erklang. Kennard drehte sich um und studierte mit demselben enervierenden Blick wie zuvor Gabriels Gesicht die Landschaft.
Gabriels Gedanken rasten. Ein kleines Problem? Es musste gigantisch sein, wenn sein Onkel sich aus Moonlight Falls gewagt hatte. Seit Gabriel als Kind zu seinem Vater gebracht worden war, hatte er nie wieder etwas von Akkis Familie gehört. Moonlight Falls hatte eine strikte Isolationspolitik, die auch vor Mitgliedern des Rats – wie William – keinen Halt machten. Als Akki aus Moonlight Fall ausgeschlossen worden war, hatte auch sie nie wieder Kontakt mit ihren Geschwistern gehabt.
William hatte ein Notfallhandy, mit dem er aus Moonlight Falls seine Schwester hätte anrufen können, aber er hatte nicht geahnt, dass ein Moment der Unaufmerksamkeit es nötig machten, so weit in die Welt der diesseitigen Sims zu reisen. Geschweige denn, in die Nähe seiner Schwester zu gelangen. Er war mächtig enttäuscht, dass sie nicht in der Gegend war. Er sah seinen Neffen an und grinste breit. Er erinnerte sich gut an das schmächtige Kleinkind, das er einst gewesen war. Sehr scheu und wählerisch. Nun stand ein junger, kräftiger Simo vor ihm. Wäre Gabriel ein Wolf gewesen, wäre er jetzt erst ein Teenager, so wie seine Söhne Aelfric und Ethelbert. Er sah den Rücken des Magiers an und bemerkte eine klitzekleine Veränderung in seiner Haltung. Prüfend zog er die Luft durch die Nase. Dann schüttelte er den Kopf. Manchmal kam er nicht umhin zu glauben, dass Kennard es extra gemacht hatte, um einen Grund zu haben Moonlight Falls zu verlassen …
Gabriel räusperte sich leise, um die Aufmerksamkeit seines Onkels auf sich zu lenken. „Kann ich euch bei eurem Problem behilflich sein?“ Er rechnete fest damit, ein Schnauben von Kennard zu ernten, doch er blieb still.
„Tja, tatsächlich hoffe ich es sogar.“ William seufzte. „Du hast uns zuvor schon geholfen – auch wenn du dir dessen vielleicht nicht bewusst gewesen bist.“
In Gabriels Kopf machte es Klick. „Humphrey.“
Überrascht drehte sich Kennard um und nickte Gabriel beeindruckt zu. „Richtig.“
Gabriel zog die Augenbraue hoch, Kennard fuhr fort: „Diese widerliche kleine Laus hat es sich offensichtlich zur Lebensaufgabe gemacht, unsere Existenz zu enthüllen.“ Dann kicherte er. „Du hast dir einiges einfallen lassen, ihn zu diskreditieren.“ Er nickte beeindruckt – grinsend.
„Seine wissenschaftlichen Methoden waren einfach eine Schande.“, erwiderte Gabriel trocken.
Wieder kicherte Kennard. „Das klingt nach etwas, das sie sagen würde.“ Er musste Akki meinen. Gabriel bemerkte sehr wohl, dass Kennards Gesicht dabei nahezu ausdruckslos blieb. Er schien seinen Blick zu bemerken und setzte ein amüsiertes Grinsen auf. „Wie auch immer, nachdem du seinen Ruf so nachhaltig ruiniert hast, hat er auf die Wissenschaft gepfiffen und sich mehr der Feldforschung verschrieben.“
„Deswegen ist er so plötzlich von der Bildfläche verschwunden.“, schloss Gabriel und nickte.
„Äh … ja.“ William kratzte sich am Kopf. „Wie dem auch sei, Humphrey hat Moonlight Falls vor ein paar Jahren gefunden.“
„Wie auch immer ihm das gelungen ist.“, murmelte Kennard – wesentlich weniger amüsiert.
„Wir haben uns erlaubt … ihn ...ähem.“, wollte William, Kennard ignorierend fortfahren, doch der unterbrach ihn abermals: „Wir haben ihn festgesetzt.“
„Er ist entkommen.“, stellte Gabriel das Offensichtliche fest.
William sah Kennard grimmig an.
„Ja. Er ist entkommen.“, bestätigte Kennard sachlich. Dann – weniger sachlich und eher amüsiert: „Und wie der Teufel es will, verfolgen wir diese widerliche kleine Laus bis hierher.“
Gabriel rieb mit Daumen und Zeigefinger seine Nasenwurzel. Tatsächlich hatte er noch vor ein paar Tagen im Internet nach Humphrey gesucht. Das tat er regelmäßig. Aber wie schon seit Jahren, hatte seine Suche nichts ergeben. Jetzt war ihm auch klar warum. „Im Netz war er vor drei Tagen noch nicht aktiv.“
William seufzte erleichtert. „Er weiß, dass wir ihn jagen.“
„Aber wenn er an die Öffentlichkeit geht – und Gehör findet – habt ihr ein Problem.“
Wieder fiel Williams grimmiger Blick auf Kennard, der ihn ignorierte und die Landschaft scannte.
„Im Gegensatz zu seinen wilden Thesen, die sich meist an ein eher kleines Publikum gerichtet haben, dürfte die Aussage, eine ganze Stadt voller Vampire, Magier, Fae und Werwölfe gefunden zu haben, jede Menge Aufmerksamkeit produzieren.“
„Wölfe.“, korrigierte Kennard. Der amüsierte Unterton klang jetzt hochmütig.
„Das macht für Menschen keinen Unterschied.“, erwiderte Gabriel kurz. Der Magier begann an seinen Nerven zu sägen. Ein kurzer Blick auf seinen Onkel verriet ihm, dass es diesem nicht anders ging. „Mit anderen Worten: Moonlight Falls ist in Gefahr.“
„Kleiner!“, rief der Simo aus und lachte. „Du bist ganz schon groß geworden, in so kurzer Zeit.“
Gabriel musste in der Umarmung seines Onkels nach Luft ringen. Als William, Akkis Bruder bemerkte, dass er seinem Neffen die Luft nahm, ließ er ihn los und klopfte ihm kräftig auf die Schulter.
„Darf ich dich erinnern, dass wir Menschen etwas schneller altern als ihr?“, sagte Gabriel trocken und widerstand der Versuchung seine schmerzende Schulter zu reiben. Offenbar hatte der Wolf auch vergessen, dass Menschen – im Gegensatz zu Wölfen – geradezu fragil waren.
William lachte erneut. Er musste sich erst kurz zuvor verwandelt haben, denn nichts anderes als sein Wolfsgeheul hatte Gabriel nach draußen gelockt. Dann sah er den jüngeren Simo an. Gabriel glaubte, sein Gesicht schon einmal gesehen zu haben, aber er war nicht sicher. Er sah jünger als Gabriel aus, aber er war sich ziemlich sicher, dass er tatsächlich älter war. Das wusste man bei den übernatürlichen Sims nie so genau. Ein Wolf war er jedenfalls nicht und auch kein Vampir. Da er keine Flügel sah, konnte Gabriel auch ausschließen, dass es sich bei dem Simo um einen Fae handelte. Also blieb nur ein Magier...
„Gabriel, das ist Kennard. Kennard, mein Neffe Gabriel. Ich glaube du hast ihn das letzte Mal gesehen, als er noch Windeln trug.“
Kennard setzte seine Musterung lange fort, bevor er sich dazu herabließ zu lächeln – es war mehr ein Grinsen – und Gabriel seine Hand bot. Dieser erwiderte die Geste.
„Du kannst zumindest nicht leugnen, wer deine Familie ist.“, sagte Kennard. Er hatte einen amüsierten Unterton in der Stimme. Gabriel sollte noch lernen, dass Kennard immer sehr amüsiert schien …
„Weiß Mom, dass du .. ihr hier seid?“
William zuckte mit den Schultern. „Nein. Es ist auch kein Familienbesuch.“ Seine Miene verdunkelte sich. „Trotzdem hatte ich eigentlich gehofft, dass der Ruf sie zu uns bringen würde.“
Gabriel schüttelte den Kopf. „Ich muss dich enttäuschen. Meine Eltern machen Urlaub. Sie sind gar nicht hier.“
„Urlaub. Was für ein reizendes, menschliches Konzept.“, warf Kennard ein.
William ignorierte ihn. „Um ehrlich zu sein, wir haben ein kleines Problem.“
Kennard schnaubte. William warf ihm einen entnervten Blick zu. „Dass wir nicht hätten, wenn ein gewisser Magier etwas aufmerksamer gewesen war.“
Ein erneutes Schnauben erklang. Kennard drehte sich um und studierte mit demselben enervierenden Blick wie zuvor Gabriels Gesicht die Landschaft.
Gabriels Gedanken rasten. Ein kleines Problem? Es musste gigantisch sein, wenn sein Onkel sich aus Moonlight Falls gewagt hatte. Seit Gabriel als Kind zu seinem Vater gebracht worden war, hatte er nie wieder etwas von Akkis Familie gehört. Moonlight Falls hatte eine strikte Isolationspolitik, die auch vor Mitgliedern des Rats – wie William – keinen Halt machten. Als Akki aus Moonlight Fall ausgeschlossen worden war, hatte auch sie nie wieder Kontakt mit ihren Geschwistern gehabt.
William hatte ein Notfallhandy, mit dem er aus Moonlight Falls seine Schwester hätte anrufen können, aber er hatte nicht geahnt, dass ein Moment der Unaufmerksamkeit es nötig machten, so weit in die Welt der diesseitigen Sims zu reisen. Geschweige denn, in die Nähe seiner Schwester zu gelangen. Er war mächtig enttäuscht, dass sie nicht in der Gegend war. Er sah seinen Neffen an und grinste breit. Er erinnerte sich gut an das schmächtige Kleinkind, das er einst gewesen war. Sehr scheu und wählerisch. Nun stand ein junger, kräftiger Simo vor ihm. Wäre Gabriel ein Wolf gewesen, wäre er jetzt erst ein Teenager, so wie seine Söhne Aelfric und Ethelbert. Er sah den Rücken des Magiers an und bemerkte eine klitzekleine Veränderung in seiner Haltung. Prüfend zog er die Luft durch die Nase. Dann schüttelte er den Kopf. Manchmal kam er nicht umhin zu glauben, dass Kennard es extra gemacht hatte, um einen Grund zu haben Moonlight Falls zu verlassen …
Gabriel räusperte sich leise, um die Aufmerksamkeit seines Onkels auf sich zu lenken. „Kann ich euch bei eurem Problem behilflich sein?“ Er rechnete fest damit, ein Schnauben von Kennard zu ernten, doch er blieb still.
„Tja, tatsächlich hoffe ich es sogar.“ William seufzte. „Du hast uns zuvor schon geholfen – auch wenn du dir dessen vielleicht nicht bewusst gewesen bist.“
In Gabriels Kopf machte es Klick. „Humphrey.“
Überrascht drehte sich Kennard um und nickte Gabriel beeindruckt zu. „Richtig.“
Gabriel zog die Augenbraue hoch, Kennard fuhr fort: „Diese widerliche kleine Laus hat es sich offensichtlich zur Lebensaufgabe gemacht, unsere Existenz zu enthüllen.“ Dann kicherte er. „Du hast dir einiges einfallen lassen, ihn zu diskreditieren.“ Er nickte beeindruckt – grinsend.
„Seine wissenschaftlichen Methoden waren einfach eine Schande.“, erwiderte Gabriel trocken.
Wieder kicherte Kennard. „Das klingt nach etwas, das sie sagen würde.“ Er musste Akki meinen. Gabriel bemerkte sehr wohl, dass Kennards Gesicht dabei nahezu ausdruckslos blieb. Er schien seinen Blick zu bemerken und setzte ein amüsiertes Grinsen auf. „Wie auch immer, nachdem du seinen Ruf so nachhaltig ruiniert hast, hat er auf die Wissenschaft gepfiffen und sich mehr der Feldforschung verschrieben.“
„Deswegen ist er so plötzlich von der Bildfläche verschwunden.“, schloss Gabriel und nickte.
„Äh … ja.“ William kratzte sich am Kopf. „Wie dem auch sei, Humphrey hat Moonlight Falls vor ein paar Jahren gefunden.“
„Wie auch immer ihm das gelungen ist.“, murmelte Kennard – wesentlich weniger amüsiert.
„Wir haben uns erlaubt … ihn ...ähem.“, wollte William, Kennard ignorierend fortfahren, doch der unterbrach ihn abermals: „Wir haben ihn festgesetzt.“
„Er ist entkommen.“, stellte Gabriel das Offensichtliche fest.
William sah Kennard grimmig an.
„Ja. Er ist entkommen.“, bestätigte Kennard sachlich. Dann – weniger sachlich und eher amüsiert: „Und wie der Teufel es will, verfolgen wir diese widerliche kleine Laus bis hierher.“
Gabriel rieb mit Daumen und Zeigefinger seine Nasenwurzel. Tatsächlich hatte er noch vor ein paar Tagen im Internet nach Humphrey gesucht. Das tat er regelmäßig. Aber wie schon seit Jahren, hatte seine Suche nichts ergeben. Jetzt war ihm auch klar warum. „Im Netz war er vor drei Tagen noch nicht aktiv.“
William seufzte erleichtert. „Er weiß, dass wir ihn jagen.“
„Aber wenn er an die Öffentlichkeit geht – und Gehör findet – habt ihr ein Problem.“
Wieder fiel Williams grimmiger Blick auf Kennard, der ihn ignorierte und die Landschaft scannte.
„Im Gegensatz zu seinen wilden Thesen, die sich meist an ein eher kleines Publikum gerichtet haben, dürfte die Aussage, eine ganze Stadt voller Vampire, Magier, Fae und Werwölfe gefunden zu haben, jede Menge Aufmerksamkeit produzieren.“
„Wölfe.“, korrigierte Kennard. Der amüsierte Unterton klang jetzt hochmütig.
„Das macht für Menschen keinen Unterschied.“, erwiderte Gabriel kurz. Der Magier begann an seinen Nerven zu sägen. Ein kurzer Blick auf seinen Onkel verriet ihm, dass es diesem nicht anders ging. „Mit anderen Worten: Moonlight Falls ist in Gefahr.“
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 22 – Wir haben unsere Mittel
Gabriels Satz hing in der Luft. In Gedanken debattierte Gabriel das eben gehörte und die möglichen Konsequenzen. Er seufzte.
Auch wenn Kennard ein arroganter Kerl war, William war ein Teil seiner Familie – selbst wenn er ihn ewig nicht gesehen hatte. Es bereitete ihm zwar Kummer, aber er bat die beiden, ihn nach Hause zu begleiten. Wie er Nell und seinen Großeltern die Ankunft eines Wolfs und eines Magiers erklären sollte, war ihm zwar schleierhaft, aber er konnte sie schlecht mitten in der Nacht im Nirgendwo stehen lassen.
Seine Großmutter nahm die Nachricht über den ungewöhnlichen Besuch am besten auf. Überschwänglich und freundlich begrüßte sie William und Kennard. Dass die alte Sima so selbstverständlich mit ihnen umging, wunderte William. Seine leuchtenden Augen sprachen schließlich Bände! Er begann sich zu fragen, ob seine Schwester nicht ein bisschen zu offen über ihre Herkunft gesprochen hatte. Aber Kira war ein so freundlicher Mensch, dass er seinen Argwohn rasch ablegte. Darrel hingegen war etwas reservierter, was William direkt Respekt abnötigte. Er erinnerte ihn an seinen eigenen Vater, einen klugen, vorsichtigen Mann. Wäre Darrel ein Wolf, so wären William und er vermutlich direkt in einen Kampf um den Posten des Alphas verwickelt worden. Nell schließlich – sozusagen seine angeheiratete Nichte – blieb sehr zurückhaltend. An ihrem Verhalten erkannte William nun, dass das Wissen um Moonlight Falls nicht zum Allgemeingut in dieser Familie geworden war. Nell schien Schwierigkeiten damit zu haben, das Konzept übernatürlicher Sims zu verstehen. Sie blieb freundlich, aber distanziert. Ihre Töchter ließ sie nicht aus den Augen. William respektierte dass, auch wenn er seine Großnichten am liebsten geknuddelt hätte. Er konnte es kaum erwarten wieder heim zu kommen, wo seine Kinder auf ihn warteten.
„Wie wollt ihr Humphrey finden?“, fragte Kira gegen Mittag. Die Gäste hatten einen Platz in der Scheune gefunden, hatten sich ausgeruht und gegessen.
„Wir haben unsere Mittel.“, bequemte sich Kennard zu sagen. Der Blick der älteren Sims entging ihm nicht. Er war fasziniert, die beiden schienen so sehr auf einer Wellenlänge zu liegen, dass sie sich über Blicke austauschen konnten. Gedanklich schüttelte er den Kopf. Menschen sollten zu so etwas nicht in der Lage sein. Vermutlich war es nur ein Tick, den sich das alte Paar angewöhnt hatte.
„Einen Lokalisierungsspruch zu benutzen kostet eine Menge Energie.“, sagte Darrel nach dem Blick-Gespräch schließlich. „Und besonders zuverlässig sollen sie nicht sein.“
Der Ausdruck auf Kennards Gesicht war unbezahlbar. Gabriel hatte am liebsten ein Foto davon. Seine Großeltern sahen sich derweil erneut an. Kira erhob sich und ging in die Küche, um etwas zum Aufpäppeln für Kennard zu machen. Dieser erlangte langsam die Kontrolle über seine Gesichtszüge zurück. Darrel sprach indes weiter.
„William, ich nehme an, wenn euch Kennards Spruch nah genug an Humphrey gebracht hat, könntest du seine Witterung aufnehmen.“
William nickte nur und zermarterte sich das Gehirn, um sich zu erinnern was ihm Akki über diese Familie erzählt hatte. Sie war noch ein kleines Kind gewesen – von der äußeren Erscheinung vielleicht so alt wie Gabriels ältere Tochter – als sie ihren Eltern in ziemlich klaren Sätzen (die überhaupt nicht zu ihrem Alter passten), von diesen beiden Sims erzählt hatte, deren Kinder durch die Beobachter bedroht waren. Zunächst hatten die Eltern es für eine Fantasiegeschichte gehalten, doch Akkis Vehemenz und Ausdauer hatten sie nachdenklich gestimmt. Eine alte Fae-Wahrsagerin hatte ihnen schließlich bestätigt, was das Kind erzählte. Daraufhin hatte Akki die Erlaubnis erhalten, den Kindern IF-Puppen zu schicken. Jahre später hatte Akki William kurz von dem Erfolg, die Puppen zu beleben erzählt. Dann war die Pest losgebrochen und Akkis Streben hatten dem Erhalt ihrer Heimat gegolten. Um die nötigen Fähigkeiten zu erwerben, hatte sie Moonlight Falls sogar verlassen. Nur um schwanger zurückzukehren. William richtete seine Aufmerksamkeit auf den Sohn seiner Schwester. Es hatte allen das Herz gebrochen, als kurz nach der Geburt klar war, dass Gabriel kein Wolf, sondern ein Mensch war. Akki hatte darum gekämpft, ihn überhaupt so lange bei sich zu behalten, aber schließlich hatte er gehen müssen. Wie sie selbst auch, nachdem sie durch das missglückte Heilmittel ihr Wolfsein verloren hatte. William unterdrückte ein Knurren. Die Welt war ungerecht.
Während William in Gedanken verloren war, hatte sich Kennard von seinem Schrecken erholt. Er fasste Darrel scharf ins Auge. „Woher weißt du das?“
„Pff.“, tönte es aus Richtung der Küche. Kira kam, mit einer großen Schüssel Pudding in den Händen, zurück ins Wohnzimmer. „Wir haben unsere Mittel.“, äffte sie ihn nach. Sie reichte ihm die Puddingschüssel. „„Herzchen, wenn du der Meinung bist, Darrel und ich seien nur zwei alte Sims, hast du dich gewaltig geschnitten. Und nun iss!“
Es war an Gabriel amüsiert zu sein. Seine Großeltern wechselten einen weiteren Blick. Darrel zuckte daraufhin mit den Schultern, so als wolle er sagen „Versuch's“.
„Wir.“, Kira zeigte auf sich und Darrel. „Sind mehrfach wiedergeboren worden. Wie Akki. Dass wir dabei schon ein paar von eurer Sorte über den Weg gelaufen sind, blieb wohl nicht aus.“ Überrascht sich so frei äußern zu können, verstummte sie. Sie öffnete den Mund erneut, doch da schien die Maulsperre schon wieder zu greifen. Frustriert schnaubte sie.
Gabriel überlegte, dass sie vermutlich wegen der übernatürlichen Sims – und weil kein Mensch im Raum war, der diesen Teil noch nicht kannte – hatte sprechen können.
„Sie hat schon mal gelebt?“ Kennard nicht amüsiert oder hochmütig zu sprechen, war geradezu Balsam für die Ohren der Felingers.
„Na klar.“ Kira sah ihn an, als sei er retardiert. „Oder glaubst du alle Kleinkinder sind in der Lage sich so zusammenhängend zu äußern und ein Care-Paket mit IFs loszuschicken?“
William nickte nachdenklich. „Tatsächlich ergibt da so manchen einen Sinn.“
Kennard schien nun vollends von seinem Amüsement oder Hochmut abgelassen zu haben. Nachdem Kira ihm noch einen strengen Blick zu warf, hielt er sich geschlossen und löffelte brav seinen Pudding.
Nell suchte sich diesen Moment aus, um in Wohnzimmer zu kommen. Sie trug bereits ihre Arbeitskleidung. „Die Mädels machen ihren Mittagsschlaf.“ Sie reichte Gabriel das Babyphone. Ähnlich wie Akki und David hielten sie nicht viel von öffentlichen Liebesbekundungen. „Ich muss los.“ Sie warf einen entschuldigenden Blick in die Runde. Gabriel begleitetet sie zum Auto.
„Erinnerst du dich daran, wie du mir das erste Mal die Aufzeichnungen gezeigt hast?“, fragte Nell leise, während sie ihre Tasche auf den Beifahrersitz legte. Als er nickte, fuhr sie fort: „Ich bin ein bisschen über „dürrer Werwolf“ gestolpert.“ Sie lächelte, weil ihr auch in den Sinn kam, wie erleichtert Gabriel damals gewesen war, als ihm klar wurde, dass sie nichts mit den Beobachtern zu tun hatte. Er strich ihr mit dem Daumen über die Wange, als er das Lächeln sah. „Jetzt erklärt sich das. Irgendwie.“ Nell sah zum Haus. Während Gabriel sie über den Besuch aufgeklärt hatte und sie die Mädchen am frühen morgen fertig gemacht hatten, hatte Gabriel sie über seine besondere Verwandtschaft aufgeklärt – und auch dass Akki kein Wolf mehr war. Nell hatte die Informationen überraschend schnell verdaut. Doch andererseits hatte Nell bereits erfahren, dass Kira, Darrel und Akki wiedergeboren waren und eine merkwürdige Fraktion, die Beobachter, hinter den Felingers her waren. Was machten da Wölfe und Magier?
„Was mich allerdings wundert … als wir uns kennenlernten, sagtest du, dass du nicht an übernatürliche Sims glauben würdest.“
Gabriel lachte leise. Sie gingen gemeinsam ums Auto und er öffnete ihr die Tür. Nell setzte sich ins Auto.
„Ich habe gesagt, dass ich keinen wissenschaftlichen Beleg dafür oder dagegen gesehen hätte.“, erinnerte er sie grinsend an den genauen Wortlaut. Er gab ihr einen raschen Kuss. Nell lachte und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Manchmal vergaß sie, wie eigen Gabriel mit Worten umgehen konnte.
Auch wenn Kennard ein arroganter Kerl war, William war ein Teil seiner Familie – selbst wenn er ihn ewig nicht gesehen hatte. Es bereitete ihm zwar Kummer, aber er bat die beiden, ihn nach Hause zu begleiten. Wie er Nell und seinen Großeltern die Ankunft eines Wolfs und eines Magiers erklären sollte, war ihm zwar schleierhaft, aber er konnte sie schlecht mitten in der Nacht im Nirgendwo stehen lassen.
Seine Großmutter nahm die Nachricht über den ungewöhnlichen Besuch am besten auf. Überschwänglich und freundlich begrüßte sie William und Kennard. Dass die alte Sima so selbstverständlich mit ihnen umging, wunderte William. Seine leuchtenden Augen sprachen schließlich Bände! Er begann sich zu fragen, ob seine Schwester nicht ein bisschen zu offen über ihre Herkunft gesprochen hatte. Aber Kira war ein so freundlicher Mensch, dass er seinen Argwohn rasch ablegte. Darrel hingegen war etwas reservierter, was William direkt Respekt abnötigte. Er erinnerte ihn an seinen eigenen Vater, einen klugen, vorsichtigen Mann. Wäre Darrel ein Wolf, so wären William und er vermutlich direkt in einen Kampf um den Posten des Alphas verwickelt worden. Nell schließlich – sozusagen seine angeheiratete Nichte – blieb sehr zurückhaltend. An ihrem Verhalten erkannte William nun, dass das Wissen um Moonlight Falls nicht zum Allgemeingut in dieser Familie geworden war. Nell schien Schwierigkeiten damit zu haben, das Konzept übernatürlicher Sims zu verstehen. Sie blieb freundlich, aber distanziert. Ihre Töchter ließ sie nicht aus den Augen. William respektierte dass, auch wenn er seine Großnichten am liebsten geknuddelt hätte. Er konnte es kaum erwarten wieder heim zu kommen, wo seine Kinder auf ihn warteten.
„Wie wollt ihr Humphrey finden?“, fragte Kira gegen Mittag. Die Gäste hatten einen Platz in der Scheune gefunden, hatten sich ausgeruht und gegessen.
„Wir haben unsere Mittel.“, bequemte sich Kennard zu sagen. Der Blick der älteren Sims entging ihm nicht. Er war fasziniert, die beiden schienen so sehr auf einer Wellenlänge zu liegen, dass sie sich über Blicke austauschen konnten. Gedanklich schüttelte er den Kopf. Menschen sollten zu so etwas nicht in der Lage sein. Vermutlich war es nur ein Tick, den sich das alte Paar angewöhnt hatte.
„Einen Lokalisierungsspruch zu benutzen kostet eine Menge Energie.“, sagte Darrel nach dem Blick-Gespräch schließlich. „Und besonders zuverlässig sollen sie nicht sein.“
Der Ausdruck auf Kennards Gesicht war unbezahlbar. Gabriel hatte am liebsten ein Foto davon. Seine Großeltern sahen sich derweil erneut an. Kira erhob sich und ging in die Küche, um etwas zum Aufpäppeln für Kennard zu machen. Dieser erlangte langsam die Kontrolle über seine Gesichtszüge zurück. Darrel sprach indes weiter.
„William, ich nehme an, wenn euch Kennards Spruch nah genug an Humphrey gebracht hat, könntest du seine Witterung aufnehmen.“
William nickte nur und zermarterte sich das Gehirn, um sich zu erinnern was ihm Akki über diese Familie erzählt hatte. Sie war noch ein kleines Kind gewesen – von der äußeren Erscheinung vielleicht so alt wie Gabriels ältere Tochter – als sie ihren Eltern in ziemlich klaren Sätzen (die überhaupt nicht zu ihrem Alter passten), von diesen beiden Sims erzählt hatte, deren Kinder durch die Beobachter bedroht waren. Zunächst hatten die Eltern es für eine Fantasiegeschichte gehalten, doch Akkis Vehemenz und Ausdauer hatten sie nachdenklich gestimmt. Eine alte Fae-Wahrsagerin hatte ihnen schließlich bestätigt, was das Kind erzählte. Daraufhin hatte Akki die Erlaubnis erhalten, den Kindern IF-Puppen zu schicken. Jahre später hatte Akki William kurz von dem Erfolg, die Puppen zu beleben erzählt. Dann war die Pest losgebrochen und Akkis Streben hatten dem Erhalt ihrer Heimat gegolten. Um die nötigen Fähigkeiten zu erwerben, hatte sie Moonlight Falls sogar verlassen. Nur um schwanger zurückzukehren. William richtete seine Aufmerksamkeit auf den Sohn seiner Schwester. Es hatte allen das Herz gebrochen, als kurz nach der Geburt klar war, dass Gabriel kein Wolf, sondern ein Mensch war. Akki hatte darum gekämpft, ihn überhaupt so lange bei sich zu behalten, aber schließlich hatte er gehen müssen. Wie sie selbst auch, nachdem sie durch das missglückte Heilmittel ihr Wolfsein verloren hatte. William unterdrückte ein Knurren. Die Welt war ungerecht.
Während William in Gedanken verloren war, hatte sich Kennard von seinem Schrecken erholt. Er fasste Darrel scharf ins Auge. „Woher weißt du das?“
„Pff.“, tönte es aus Richtung der Küche. Kira kam, mit einer großen Schüssel Pudding in den Händen, zurück ins Wohnzimmer. „Wir haben unsere Mittel.“, äffte sie ihn nach. Sie reichte ihm die Puddingschüssel. „„Herzchen, wenn du der Meinung bist, Darrel und ich seien nur zwei alte Sims, hast du dich gewaltig geschnitten. Und nun iss!“
Es war an Gabriel amüsiert zu sein. Seine Großeltern wechselten einen weiteren Blick. Darrel zuckte daraufhin mit den Schultern, so als wolle er sagen „Versuch's“.
„Wir.“, Kira zeigte auf sich und Darrel. „Sind mehrfach wiedergeboren worden. Wie Akki. Dass wir dabei schon ein paar von eurer Sorte über den Weg gelaufen sind, blieb wohl nicht aus.“ Überrascht sich so frei äußern zu können, verstummte sie. Sie öffnete den Mund erneut, doch da schien die Maulsperre schon wieder zu greifen. Frustriert schnaubte sie.
Gabriel überlegte, dass sie vermutlich wegen der übernatürlichen Sims – und weil kein Mensch im Raum war, der diesen Teil noch nicht kannte – hatte sprechen können.
„Sie hat schon mal gelebt?“ Kennard nicht amüsiert oder hochmütig zu sprechen, war geradezu Balsam für die Ohren der Felingers.
„Na klar.“ Kira sah ihn an, als sei er retardiert. „Oder glaubst du alle Kleinkinder sind in der Lage sich so zusammenhängend zu äußern und ein Care-Paket mit IFs loszuschicken?“
William nickte nachdenklich. „Tatsächlich ergibt da so manchen einen Sinn.“
Kennard schien nun vollends von seinem Amüsement oder Hochmut abgelassen zu haben. Nachdem Kira ihm noch einen strengen Blick zu warf, hielt er sich geschlossen und löffelte brav seinen Pudding.
Nell suchte sich diesen Moment aus, um in Wohnzimmer zu kommen. Sie trug bereits ihre Arbeitskleidung. „Die Mädels machen ihren Mittagsschlaf.“ Sie reichte Gabriel das Babyphone. Ähnlich wie Akki und David hielten sie nicht viel von öffentlichen Liebesbekundungen. „Ich muss los.“ Sie warf einen entschuldigenden Blick in die Runde. Gabriel begleitetet sie zum Auto.
„Erinnerst du dich daran, wie du mir das erste Mal die Aufzeichnungen gezeigt hast?“, fragte Nell leise, während sie ihre Tasche auf den Beifahrersitz legte. Als er nickte, fuhr sie fort: „Ich bin ein bisschen über „dürrer Werwolf“ gestolpert.“ Sie lächelte, weil ihr auch in den Sinn kam, wie erleichtert Gabriel damals gewesen war, als ihm klar wurde, dass sie nichts mit den Beobachtern zu tun hatte. Er strich ihr mit dem Daumen über die Wange, als er das Lächeln sah. „Jetzt erklärt sich das. Irgendwie.“ Nell sah zum Haus. Während Gabriel sie über den Besuch aufgeklärt hatte und sie die Mädchen am frühen morgen fertig gemacht hatten, hatte Gabriel sie über seine besondere Verwandtschaft aufgeklärt – und auch dass Akki kein Wolf mehr war. Nell hatte die Informationen überraschend schnell verdaut. Doch andererseits hatte Nell bereits erfahren, dass Kira, Darrel und Akki wiedergeboren waren und eine merkwürdige Fraktion, die Beobachter, hinter den Felingers her waren. Was machten da Wölfe und Magier?
„Was mich allerdings wundert … als wir uns kennenlernten, sagtest du, dass du nicht an übernatürliche Sims glauben würdest.“
Gabriel lachte leise. Sie gingen gemeinsam ums Auto und er öffnete ihr die Tür. Nell setzte sich ins Auto.
„Ich habe gesagt, dass ich keinen wissenschaftlichen Beleg dafür oder dagegen gesehen hätte.“, erinnerte er sie grinsend an den genauen Wortlaut. Er gab ihr einen raschen Kuss. Nell lachte und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Manchmal vergaß sie, wie eigen Gabriel mit Worten umgehen konnte.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 23 – Der Plan
Als Gabriel ins Wohnzimmer zurückkehrte, waren die anderen in ein hitziges Gespräch verwickelt.
„Ihr wollt ihn also einfach wieder einsperren?“ Kira stemmte die Hände in die Hüfte. „Das könnt ihr doch nicht machen!“
„Wir müssen sichergehen, dass Moonlight Falls ein Geheimnis bleibt.“, hielt William dagegen. „Er hat ziemlich deutlich bekundet, dass er dafür Sorgen würde, unsere Existenz bekannt zu machen.“
„Vergiss nicht, dass er etwas von Atombomben gesagt hat.“, warf Kennard ein, der wieder zu seinem amüsierten Selbst gefunden hatte. Kiras Pudding wirkte Wunder.
„Aber einen Menschen einzusperren kann doch nicht die Lösung sein!“ Hilfesuchend wendete sich Kira an Darrel.
„Kira, ich fürchte ich sehe es wie William.“ Sie wechselten einen langen Blick. Schließlich senkte Kira den Blick.
Sie seufzte. „Ich versteh es ja grundsätzlich. Aber gibt es nicht eine andere Möglichkeit?“
„Wir könnten ihm den Kopf abschlagen.“, schlug Kennard vor. Die anderen ignorierten ihn. Er zwinkerte Gabriel zu, und mit einem Mal wurden diesem klar, dass auch Kennard eine Maske trug. Allerdings eine unausstehliche.
„Wie wollt ihr verhindern, dass er noch mal ausbricht?“ Darrel verschränkte die Arme. Williams Respekt für ihn wuchs.
„Erstmal müssen wir ihn finden.“ William erhob sich. „Der Rat hat über seine anschließende … Verwahrung noch nicht entschieden.“ Er warf einen kurzen Blick zu Kennard, der entschuldigend die Arme hob. „Wir wissen nur, wer nicht mehr dafür verantwortlich sein wird. Ist er noch in der Nähe, Kennard?“
Der Magier schloss die Augen und kaum merklich seine Finger. Unter den geschlossenen Lidern konnte Gabriel die Augen wie wild zucken sehen. Schließlich öffnete er die Augen wieder. Seine Pupillen waren riesig groß, so als habe jemand Atropin hinein geträufelt. Der Effekt hielt an, während Kennard sprach. „Er ist noch in der Nähe.“ Er zeigte mit dem Arm Richtung Stadtkern. „Er versteckt sich, dass kann ich wahrnehmen. Es scheint auch keiner bei ihm zu sein, also hat er hoffentlich noch keine Verbündeten gefunden.“
Langsam wurden seine Pupillen wieder normal. William begann zu grübeln am liebsten wäre er sofort los gerannt.
„Wie unauffällig könntest du ihn festsetzten?“, fragte Darrel betont beiläufig Kennard. „Au!“
Kira funkelte ihn an, nachdem sie ihm den Ellbogen in die Seite gestoßen hatte. „Nein.“, fauchte sie.
Darrel setzte an, etwas zu sagen, doch Kiras Blick überzeugte ihm vom Gegenteil. Die Großeltern sahen einander lange an.
„Tun sie das öfter?“, flüsterte Kennard zu Gabriel. Ebenso leise gab dieser zurück: „Die ganze Zeit.“
Kennard musterte die beiden noch einmal. Wirklich faszinierend! Gabriel war inzwischen dahinter gekommen, was sein Großvater geplant hatte. Er wiederholte Darrels Frage.
Kennard zuckte mit den Schultern. „Wenn niemand direkt hinschaut und ich nicht gestört werde, sollte es ein Leichtes sein.“ Er griff in den Beutel, den er mitgebracht hatte und holte ein kleines Kästchen heraus. „Ich kann ihn für zweiundsiebzig Stunden einsperren. Ich brauche nur ein paar Minuten Sichtkontakt und Konzentration.“
Gabriel erhob sich. „Wir könnten versuchen ihn in der Stadt zu finden. Er kennt mich und vielleicht lockt ein bekanntes Gesicht ihn aus dem Versteck.“ Er seufzte, denn fand die Idee selbst hinterhältig.
Darrel musterte seinen Enkel. Er schien genauso zu verstehen, was ihn ihm vorging, Maske hin oder her. Er legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter und nickte verstehend. „Selbst wenn es ihm gegenüber hinterhältig erscheint, für die Sims in Moonlight Falls ist es nötig.“
Gabriel nickte. „Das alte Dilemma, nicht wahr? Darf man einen Sim für viele Sims opfern?“ Er sah seinen Onkel an. „Könnt ihr seinen … Aufenthalt denn … angenehm gestalten?“
„Wir geben unser bestes.“ William knurrte. „Haben ihn die letzten Jahre versucht davon zu überzeugen, dass wir keine Monster sind. Hat nicht geklappt.“
„Jemanden gegen seinen Willen einzusperren, ist da auch nicht hilfreich.“, merkte Kira spitz an.
„Außerdem haben wir den Knaben noch nicht.“ Kennard warf den Würfel in die Luft und fing ihn geschickt auf. „Ich bin für einen Versuch.“ Er sah William fragend an.
Dieser sah von seinem Neffen zu dessen Großeltern. Eine wirkliche Gefahr für Gabriel ging von Humphrey nicht wirklich aus. Das Problem wäre höchstens eine Entdeckung – oder ein fehlgeschlagener Spruch von Kennard.
Kira machte ein höchst unzufriedenes Gesicht. Sie wollte weder Darrel noch Gabriel auch nur mit einem Zeh in dieses Abenteuer stürzen lassen. Darrel konnte sie dazu bringen, aber Gabriel zu befehlen, sich nicht einzumischen, ginge zu weit. Er war ein erwachsener Mann, Erbe der Familie. Kira wusste ganz genau, dass sie nichts dazu zusagen hatte und es machte sie fuchsteufelswild. Da half es auch nicht viel, dass Darrel ihr die Hand auf die Schulter legte. In seinen Augen sah sie, dass es ihm genauso ging wie ihr.
„Okay. Ein Versuch. Wenn er in der Stadt ist, würde ich zu sehr auffallen. Aber sobald ihr auch nur die kleinste Gefahr bemerkt, seid ihr raus!“ William sah Gabriel kurz und Kennard lange ermahnend an.
„Keine Sorge, Will.“ Kennard klopfte Gabriel auf die Schulter. „Ich pass' schon auf Klein-Gabriel auf.“
Gabriel holte den zweiten Wagen. Kennard wirkte einen weiteren Spruch, der einen winzigen kleinen Pfeil erschienen ließ. Er schwebte auf Kennards Hand und wies Gabriel die Richtung in die er fahren musste.
„Ziemlich beeindruckend.“, versuchte Gabriel Konversation zu machen.
Kennard, der höchst konzentriert war, ließ kurz sein hochmütiges Grinsen aufblitzen. Fast hätte er einen menschenverachtenden Spruch hinterhergeschickt, aber den Zauber so sichtbar zu gestalten, dass auch Gabriel ihn sehen konnte, erforderte seine gesamte Konzentration und Willenskraft.
Gabriel merkte sehr wohl, dass den kleinen Pfeil zu zeigen, sehr anstrengend seine musste. Seine Großmutter hatte vorgesorgt und ihnen einen kleinen Korb mitgegeben. Er stand im Fußraum und Gabriel langte hinein, um Kennard eine Saftflasche und selbstgemachte Müsliriegel zu reichen. Kurz darauf hörte er das 'Plop' des Flaschenverschlusses. Kennard bedankte sich knapp. Sie waren etwa eine halbe Stunde unterwegs, als sie das Stadtzentrum durchquert und auf der anderen Seite Riverviews gelandet waren. Gabriel warf einen Blick auf Kennard, der ziemlich k.o. wirkte – trotz der Müsliriegel und des Safts. Der Pfeil wurde etwas schwächer. Gabriel lenkte den Wagen an den Straßenrand.
„Brauchst du eine Pause?“
Kennard antwortete nicht sofort, sondern starrte eine Weile auf den Pfeil. Er zeigt starr in eine Richtung. Dann schloß der Magier die Augen, konzentrierte sich und Gabriel konnte das gleiche Schauspiel wie am Morgen beobachten. Wieder waren Kennards Pupillen maximal vergrößert, als der die Augen öffnete. „Er wartet. Scheint sich zu verstecken.“ Kennard ließ den Pfeil verschwinden und schloss erneut die Augen, diesmal vor Erschöpfung.
Unschlüssig sah Gabriel vom Magier auf die Straße und zurück und schließlich auf seine Hände. Wollte Kennard eine Pause machen oder nicht?
„Du siehst ihr ziemlich ähnlich.“, sagte er Magier so plötzlich, dass Gabriel zusammenzuckte. Kennard saß weiterhin mit geschlossenen Augen, den Kopf an die Stütze des Sitzes gelehnt. Gabriel fand, dass er blass aussah.
„Du meinst meine Mutter?“
Kennard erwiderte nichts, zeigte aber den Ansatz eines spöttischen Grinsens. Als sei es so offensichtlich.
„Du warst ein paar Mal bei uns. Als ich klein war.“, erinnerte sich Gabriel schließlich, nachdem er seine Erinnerungen durchgegangen war.
Kennard nickte. Gabriel unterdrückte ein Schnauben. Ein Gespräch mit dem Magier zu führen, war hoffnungslos. Dann griff er nach dem Korb, in der Hoffnung noch einen Snack zu finden. Kennard sah so aus, als bräuchte er noch etwas und er selbst hatte auch ein leichtes Hungergefühl. Tatsächlich hatte Kira sie gut versorgt. Vermutlich wusste sie – woher auch immer – dass Kennard eine Menge Energie verbrauchen würde.
„Kekse?“ Gabriel reichte die Keksdose, voll mit Kiras köstlichen Schokokeksen, an den Magier. Dessen Augen flogen auf und er grinste breit. Er nahm sich gleich mehrere Kekse heraus und verputzte sie in nullkommanix. Gabriel war beeindruckt.
„Ich bin eine ziemliche Naschkatze.“, ließ der Magier ihn wissen. Im Gegensatz zum begeisterten Grinsen beim Anblick der Kekse, sah er nun wieder amüsiert und hochmütig aus. Er musterte Gabriel lange, der sich zusammennehmen musste unter dem prüfenden Blick des anderen sich nicht hin und her zu winden.
Weil er glaubte, den Magier damit auf dem kalten Fuß zu erwischen, merkte Gabriel an, dass er nicht nur Akki, sondern auch seinem Vater David ähnlich sähe. Tatsächlich ließ diese Bemerkung das Grinsen kurzzeitig verschwinden. Gabriel begann eine Ahnung davon zu bekommen, warum der Magier nie den Namen seiner Mutter aussprach. Er bereute langsam, sich auf diesen Ausflug eingelassen zu haben. Doch Kennard setzte seinen üblichen Gesichtsausdruck auf. Er nahm einen weiteren Keks. Als er ihn verspeist hatte, wendete er den Kopf zu Gabriel. Ernst fragte er: „Ist s-... ist Akki glücklich hier?“
Gabriel antwortete nicht sofort. Sein erster Impuls war, die Frage zu bejahen. Aber dann wurde ihm klar, dass er im letzten Jahr so mit sich und seiner Familie beschäftigt war, dass er nicht dazu gekommen war, mit seiner Mutter über ihr eigenes Wohlbefinden zu sprechen. Oder mit seinem Vater. Kira und Darrel sah man an, dass sie glücklich waren – zufrieden mit sich und der Welt, vor allem, weil sie noch zusammenleben konnten, ihre Kinder, Enkel und Urenkel um sich hatten. Gabriel selber war glücklicher, als er es je für möglich gehalten hatte. Er rief sich das letzte Gespräch mit seinen Eltern in Erinnerung. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht und kurzzeitig vergaß er sogar, seine Maske aufrecht zu erhalten. Akki war unglaublich aufgeregt, denn sie war noch nie in Urlaub gefahren. Und damit meinte sie wirklich noch nie. Gabriel erinnerte sich, dass nach und nach die Neugier in Akki wieder zurückgekehrt war. Nach der Pest und den Konsequenzen, die sie erfahren hatte, schien sie während Gabriels Kindheit eher zurückhaltend und vorsichtig. Gabriel nahm an, dass der Streit mit ihm ihr nicht gerade gut getan hatte. Doch der Beziehung seiner Eltern hatte die Offenbarung eher gut getan, glaubte Gabriel. Und seit er mit Nell und den Mädchen in Riverview lebte, waren sowohl Akki als auch David mehr wie früher – sagte zumindest Kira. Gabriel lächelte. Wie sich doch alles zum Guten gewendet hatte!
„Sie ist glücklich.“, antwortete Gabriel schließlich.
Kennard hakte nicht nach, aber Gabriel sah, dass er kurz lächelte. Doch Gabriel sah, dass es aufrichtig war. Dann brach der Moment und der Magier griff nach einem weiteren Keks. Er aß ihn rasch, konzentrierte sich und wirkte seinen Spruch.
„Er ist noch da.“, sagte Kennard mit riesigen Pupillen. „Bist du bereit?“
Gabriel nickte, auch wenn er keine Ahnung hatte, wozu er bereit sein sollte …
„Ihr wollt ihn also einfach wieder einsperren?“ Kira stemmte die Hände in die Hüfte. „Das könnt ihr doch nicht machen!“
„Wir müssen sichergehen, dass Moonlight Falls ein Geheimnis bleibt.“, hielt William dagegen. „Er hat ziemlich deutlich bekundet, dass er dafür Sorgen würde, unsere Existenz bekannt zu machen.“
„Vergiss nicht, dass er etwas von Atombomben gesagt hat.“, warf Kennard ein, der wieder zu seinem amüsierten Selbst gefunden hatte. Kiras Pudding wirkte Wunder.
„Aber einen Menschen einzusperren kann doch nicht die Lösung sein!“ Hilfesuchend wendete sich Kira an Darrel.
„Kira, ich fürchte ich sehe es wie William.“ Sie wechselten einen langen Blick. Schließlich senkte Kira den Blick.
Sie seufzte. „Ich versteh es ja grundsätzlich. Aber gibt es nicht eine andere Möglichkeit?“
„Wir könnten ihm den Kopf abschlagen.“, schlug Kennard vor. Die anderen ignorierten ihn. Er zwinkerte Gabriel zu, und mit einem Mal wurden diesem klar, dass auch Kennard eine Maske trug. Allerdings eine unausstehliche.
„Wie wollt ihr verhindern, dass er noch mal ausbricht?“ Darrel verschränkte die Arme. Williams Respekt für ihn wuchs.
„Erstmal müssen wir ihn finden.“ William erhob sich. „Der Rat hat über seine anschließende … Verwahrung noch nicht entschieden.“ Er warf einen kurzen Blick zu Kennard, der entschuldigend die Arme hob. „Wir wissen nur, wer nicht mehr dafür verantwortlich sein wird. Ist er noch in der Nähe, Kennard?“
Der Magier schloss die Augen und kaum merklich seine Finger. Unter den geschlossenen Lidern konnte Gabriel die Augen wie wild zucken sehen. Schließlich öffnete er die Augen wieder. Seine Pupillen waren riesig groß, so als habe jemand Atropin hinein geträufelt. Der Effekt hielt an, während Kennard sprach. „Er ist noch in der Nähe.“ Er zeigte mit dem Arm Richtung Stadtkern. „Er versteckt sich, dass kann ich wahrnehmen. Es scheint auch keiner bei ihm zu sein, also hat er hoffentlich noch keine Verbündeten gefunden.“
Langsam wurden seine Pupillen wieder normal. William begann zu grübeln am liebsten wäre er sofort los gerannt.
„Wie unauffällig könntest du ihn festsetzten?“, fragte Darrel betont beiläufig Kennard. „Au!“
Kira funkelte ihn an, nachdem sie ihm den Ellbogen in die Seite gestoßen hatte. „Nein.“, fauchte sie.
Darrel setzte an, etwas zu sagen, doch Kiras Blick überzeugte ihm vom Gegenteil. Die Großeltern sahen einander lange an.
„Tun sie das öfter?“, flüsterte Kennard zu Gabriel. Ebenso leise gab dieser zurück: „Die ganze Zeit.“
Kennard musterte die beiden noch einmal. Wirklich faszinierend! Gabriel war inzwischen dahinter gekommen, was sein Großvater geplant hatte. Er wiederholte Darrels Frage.
Kennard zuckte mit den Schultern. „Wenn niemand direkt hinschaut und ich nicht gestört werde, sollte es ein Leichtes sein.“ Er griff in den Beutel, den er mitgebracht hatte und holte ein kleines Kästchen heraus. „Ich kann ihn für zweiundsiebzig Stunden einsperren. Ich brauche nur ein paar Minuten Sichtkontakt und Konzentration.“
Gabriel erhob sich. „Wir könnten versuchen ihn in der Stadt zu finden. Er kennt mich und vielleicht lockt ein bekanntes Gesicht ihn aus dem Versteck.“ Er seufzte, denn fand die Idee selbst hinterhältig.
Darrel musterte seinen Enkel. Er schien genauso zu verstehen, was ihn ihm vorging, Maske hin oder her. Er legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter und nickte verstehend. „Selbst wenn es ihm gegenüber hinterhältig erscheint, für die Sims in Moonlight Falls ist es nötig.“
Gabriel nickte. „Das alte Dilemma, nicht wahr? Darf man einen Sim für viele Sims opfern?“ Er sah seinen Onkel an. „Könnt ihr seinen … Aufenthalt denn … angenehm gestalten?“
„Wir geben unser bestes.“ William knurrte. „Haben ihn die letzten Jahre versucht davon zu überzeugen, dass wir keine Monster sind. Hat nicht geklappt.“
„Jemanden gegen seinen Willen einzusperren, ist da auch nicht hilfreich.“, merkte Kira spitz an.
„Außerdem haben wir den Knaben noch nicht.“ Kennard warf den Würfel in die Luft und fing ihn geschickt auf. „Ich bin für einen Versuch.“ Er sah William fragend an.
Dieser sah von seinem Neffen zu dessen Großeltern. Eine wirkliche Gefahr für Gabriel ging von Humphrey nicht wirklich aus. Das Problem wäre höchstens eine Entdeckung – oder ein fehlgeschlagener Spruch von Kennard.
Kira machte ein höchst unzufriedenes Gesicht. Sie wollte weder Darrel noch Gabriel auch nur mit einem Zeh in dieses Abenteuer stürzen lassen. Darrel konnte sie dazu bringen, aber Gabriel zu befehlen, sich nicht einzumischen, ginge zu weit. Er war ein erwachsener Mann, Erbe der Familie. Kira wusste ganz genau, dass sie nichts dazu zusagen hatte und es machte sie fuchsteufelswild. Da half es auch nicht viel, dass Darrel ihr die Hand auf die Schulter legte. In seinen Augen sah sie, dass es ihm genauso ging wie ihr.
„Okay. Ein Versuch. Wenn er in der Stadt ist, würde ich zu sehr auffallen. Aber sobald ihr auch nur die kleinste Gefahr bemerkt, seid ihr raus!“ William sah Gabriel kurz und Kennard lange ermahnend an.
„Keine Sorge, Will.“ Kennard klopfte Gabriel auf die Schulter. „Ich pass' schon auf Klein-Gabriel auf.“
Gabriel holte den zweiten Wagen. Kennard wirkte einen weiteren Spruch, der einen winzigen kleinen Pfeil erschienen ließ. Er schwebte auf Kennards Hand und wies Gabriel die Richtung in die er fahren musste.
„Ziemlich beeindruckend.“, versuchte Gabriel Konversation zu machen.
Kennard, der höchst konzentriert war, ließ kurz sein hochmütiges Grinsen aufblitzen. Fast hätte er einen menschenverachtenden Spruch hinterhergeschickt, aber den Zauber so sichtbar zu gestalten, dass auch Gabriel ihn sehen konnte, erforderte seine gesamte Konzentration und Willenskraft.
Gabriel merkte sehr wohl, dass den kleinen Pfeil zu zeigen, sehr anstrengend seine musste. Seine Großmutter hatte vorgesorgt und ihnen einen kleinen Korb mitgegeben. Er stand im Fußraum und Gabriel langte hinein, um Kennard eine Saftflasche und selbstgemachte Müsliriegel zu reichen. Kurz darauf hörte er das 'Plop' des Flaschenverschlusses. Kennard bedankte sich knapp. Sie waren etwa eine halbe Stunde unterwegs, als sie das Stadtzentrum durchquert und auf der anderen Seite Riverviews gelandet waren. Gabriel warf einen Blick auf Kennard, der ziemlich k.o. wirkte – trotz der Müsliriegel und des Safts. Der Pfeil wurde etwas schwächer. Gabriel lenkte den Wagen an den Straßenrand.
„Brauchst du eine Pause?“
Kennard antwortete nicht sofort, sondern starrte eine Weile auf den Pfeil. Er zeigt starr in eine Richtung. Dann schloß der Magier die Augen, konzentrierte sich und Gabriel konnte das gleiche Schauspiel wie am Morgen beobachten. Wieder waren Kennards Pupillen maximal vergrößert, als der die Augen öffnete. „Er wartet. Scheint sich zu verstecken.“ Kennard ließ den Pfeil verschwinden und schloss erneut die Augen, diesmal vor Erschöpfung.
Unschlüssig sah Gabriel vom Magier auf die Straße und zurück und schließlich auf seine Hände. Wollte Kennard eine Pause machen oder nicht?
„Du siehst ihr ziemlich ähnlich.“, sagte er Magier so plötzlich, dass Gabriel zusammenzuckte. Kennard saß weiterhin mit geschlossenen Augen, den Kopf an die Stütze des Sitzes gelehnt. Gabriel fand, dass er blass aussah.
„Du meinst meine Mutter?“
Kennard erwiderte nichts, zeigte aber den Ansatz eines spöttischen Grinsens. Als sei es so offensichtlich.
„Du warst ein paar Mal bei uns. Als ich klein war.“, erinnerte sich Gabriel schließlich, nachdem er seine Erinnerungen durchgegangen war.
Kennard nickte. Gabriel unterdrückte ein Schnauben. Ein Gespräch mit dem Magier zu führen, war hoffnungslos. Dann griff er nach dem Korb, in der Hoffnung noch einen Snack zu finden. Kennard sah so aus, als bräuchte er noch etwas und er selbst hatte auch ein leichtes Hungergefühl. Tatsächlich hatte Kira sie gut versorgt. Vermutlich wusste sie – woher auch immer – dass Kennard eine Menge Energie verbrauchen würde.
„Kekse?“ Gabriel reichte die Keksdose, voll mit Kiras köstlichen Schokokeksen, an den Magier. Dessen Augen flogen auf und er grinste breit. Er nahm sich gleich mehrere Kekse heraus und verputzte sie in nullkommanix. Gabriel war beeindruckt.
„Ich bin eine ziemliche Naschkatze.“, ließ der Magier ihn wissen. Im Gegensatz zum begeisterten Grinsen beim Anblick der Kekse, sah er nun wieder amüsiert und hochmütig aus. Er musterte Gabriel lange, der sich zusammennehmen musste unter dem prüfenden Blick des anderen sich nicht hin und her zu winden.
Weil er glaubte, den Magier damit auf dem kalten Fuß zu erwischen, merkte Gabriel an, dass er nicht nur Akki, sondern auch seinem Vater David ähnlich sähe. Tatsächlich ließ diese Bemerkung das Grinsen kurzzeitig verschwinden. Gabriel begann eine Ahnung davon zu bekommen, warum der Magier nie den Namen seiner Mutter aussprach. Er bereute langsam, sich auf diesen Ausflug eingelassen zu haben. Doch Kennard setzte seinen üblichen Gesichtsausdruck auf. Er nahm einen weiteren Keks. Als er ihn verspeist hatte, wendete er den Kopf zu Gabriel. Ernst fragte er: „Ist s-... ist Akki glücklich hier?“
Gabriel antwortete nicht sofort. Sein erster Impuls war, die Frage zu bejahen. Aber dann wurde ihm klar, dass er im letzten Jahr so mit sich und seiner Familie beschäftigt war, dass er nicht dazu gekommen war, mit seiner Mutter über ihr eigenes Wohlbefinden zu sprechen. Oder mit seinem Vater. Kira und Darrel sah man an, dass sie glücklich waren – zufrieden mit sich und der Welt, vor allem, weil sie noch zusammenleben konnten, ihre Kinder, Enkel und Urenkel um sich hatten. Gabriel selber war glücklicher, als er es je für möglich gehalten hatte. Er rief sich das letzte Gespräch mit seinen Eltern in Erinnerung. Ein Lächeln trat auf sein Gesicht und kurzzeitig vergaß er sogar, seine Maske aufrecht zu erhalten. Akki war unglaublich aufgeregt, denn sie war noch nie in Urlaub gefahren. Und damit meinte sie wirklich noch nie. Gabriel erinnerte sich, dass nach und nach die Neugier in Akki wieder zurückgekehrt war. Nach der Pest und den Konsequenzen, die sie erfahren hatte, schien sie während Gabriels Kindheit eher zurückhaltend und vorsichtig. Gabriel nahm an, dass der Streit mit ihm ihr nicht gerade gut getan hatte. Doch der Beziehung seiner Eltern hatte die Offenbarung eher gut getan, glaubte Gabriel. Und seit er mit Nell und den Mädchen in Riverview lebte, waren sowohl Akki als auch David mehr wie früher – sagte zumindest Kira. Gabriel lächelte. Wie sich doch alles zum Guten gewendet hatte!
„Sie ist glücklich.“, antwortete Gabriel schließlich.
Kennard hakte nicht nach, aber Gabriel sah, dass er kurz lächelte. Doch Gabriel sah, dass es aufrichtig war. Dann brach der Moment und der Magier griff nach einem weiteren Keks. Er aß ihn rasch, konzentrierte sich und wirkte seinen Spruch.
„Er ist noch da.“, sagte Kennard mit riesigen Pupillen. „Bist du bereit?“
Gabriel nickte, auch wenn er keine Ahnung hatte, wozu er bereit sein sollte …
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 24 – Über einen Erdnussbutterschokoladenriegel
Sie fuhren noch ein paar hundert Meter, bevor sie an die alte Fischzucht kamen. Seit einigen Jahren lag das Gelände brach. Es gab noch jede Menge Fische, und gelegentlich angelte hier jemand, aber einen Pächter gab es nicht mehr. Jetzt, im Winter, war keine Simseele zu sehen. Gabriel beobachtete Kennard bei seinen Vorbereitungen. Der Magier aß die restlichen Kekse, nahm noch einen Schluck Mineralwasser (davon hatte Gabriel immer ein paar Flaschen im Auto) und schien für wenige Minuten zu meditieren. Dann durchsuchte er all seine Taschen. Gabriel fiel auf, dass Kennard einen ähnlichen Mantel trug wie er. Der Magier schien in jeder Tasche etwas stecken zu haben. Das meiste waren wahrscheinlich magische Talismane oder so, aber zuletzt förderte Kennard einen Erdnussbutterschokoladenriegel hervor. Er grinste zufrieden. Gabriel lachte leise. Nicht nur, dass sie beide gern Mäntel oder Parka trugen, sie schienen auch eine Vorliebe für Erdnussbutterschokoladenriegel zu teilen. Kennard sah zu ihm, musterte den Mantel und schien zu einem ähnlichen Entschluss zu kommen. Grinsend brach den Riegel in zwei und reichte Gabriel eine Hälfte. Dieser bedankte sich und ließ sich es sich schmecken. Während sie leise aus dem Auto ausstiegen, ging Gabriel kurz durch den Kopf, dass er noch vor wenigen Stunden Kennard absolut unmöglich gefunden hatte. So langsam gewöhnte er sich an ihn. Dem Magier schien es ähnlich zu gehen, denn er nickte Gabriel aufrichtig lächelnd zu. „Los geht’s!“
Sie schlichen um die offenen Schuppen der Fischzucht, Kennard voran, Gabriel folgend. Aus einer Ecke des Schuppens hörten sie unzusammenhängendes Gemurmel. Gabriel kannte die Stimme, unzählige Male hatte er sie bei diesen dämlichen Vorträgen gehört. Es war Humphrey. Gabriel zupfte Kennard am Mantel. Dieser nickte nur. Er schien hochkonzentriert zu sein. In die linke Hand nahm er den kleinen Würfel, mit der rechten hielt er einen kleinen Zauberstab. Dieses Detail hatte Gabriel sich als Kleinkind nicht gemerkt. Er fand es reichlich komisch, dass Magier dieses Sim-Vorurteil bestätigten. Dann zuckte er mit den Schultern. Auch die anderen übernatürlichen Sims hatten Eigenheiten, die in der diesseitigen Simheit vermutlich auch als Vorurteile gelten konnten. Aber irgendwie war dieses mickrige Stäbchen schon zum Grinsen …
So vorsichtig sie sich angeschlichen hatten, desto lauter und abrupter war ihr Eindringen. Gabriel fragte sich später oft, ob es nicht klüger gewesen wäre, einen anderen Weg zu wählen. Und hatten sie nicht eigentlich geplant, Humphrey aus seinem Versteck zu locken statt Hals über Kopf in den Schuppen zu preschen?!
Es geschah so viel zeitgleich, dass Gabriel im Nachhinein seine liebe Mühe hatte, sich an alle Einzelheiten zu erinnern. Kennard stürzte zauberstabschwingend voran, er selbst stolperte mehr hinterher und Humphrey schrie auf. Der Magier richtete den Stab auf den Flüchtenden, dieser riss seine Hand hoch …. und der Spruch, der Humphrey in den Würfel hätte sperren sollen, kam blitzschnell wieder zurück. Humphrey hatte ihn mit einem Spiegel reflektiert. Gabriel hatte kaum genug Zeit, sich darüber zu wundern, dass ein einfacher Spiegel, ein Schminkspiegelchen, wie ihn Frauen in der Handtasche trugen, einen Zauber zurückwerfen konnte. Sollten die übernatürlichen Sims nicht irgendwie … übernatürlich sein? Und damit irgendwie überlegen?
All diese Gedanken rasten nur so durch Gabriels Kopf, als ihm ein klitzekleiner Teil seines Hirn, vermittelte, dass der Zauber genau auf ihn zuschoss. Bevor er sich über die physikalische Unmöglichkeit (war da nicht was von wegen Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel?). Klar werden konnte, rempelte Kennard ihn aus dem Weg. Sein Zauberstab und das Würfelchen fielen zu Boden, als ein heller Schein den Magier einhüllte, der Gift und Gall spuckte. Humphrey starrte seinen Verfolger mindestens genauso schockiert an, wie Gabriel, der ziemlich unsanft auf dem Boden aufgekommen war. Dann rauschte Kennard zu Boden. Gabriel rollte sich zu Seite, um nicht unter ihm begraben zu werden und kam auf die Beine. Humphrey starrte ihn entsetzt an, jetzt erst erkannte er seinen zweiten Verfolger. „Felinger?!“
Gabriel ging nicht darauf ein, sondern rannte auf den früheren Wissenschaftler zu und schlug ihn ohne Umschweife nieder. Warum sollte man es sich so schwer machen und Magie anwenden, wenn ein bisschen rohe Gewalt die Aufgabe genauso gut löste?
Gabriel eilte zu Kennard zurück, der leblos wie eine Puppe auf dem Boden lag. Er untersuchte ihn grob. Kennards Herz schlug, sein Atem ging langsam und unregelmäßig. Gabriel fingerte sein Smartphone aus einer der vielen Manteltaschen und wählte die Nummer seines Großvaters.
Kennards Augen öffneten sich. Die Augäpfel waren blutunterlaufen und die Pupillen – im Gegensatz zu den Malen, wen er den Zauber gewirkt hatte – kaum erkennbar, so klein waren sie.
„Was ist passiert?“, fragte Gabriel. Er legte das Smartphone im Lautsprechermodus auf den Boden neben den Magier.
„Würfel.“, brachte Kennard hervor. „Nimm den Würfel.“ Gabriel griff danach, als sein Großvater sich meldete. Gabriel erklärte ihm wo sie waren, und dass sie Hilfe brauchten. Darrel fragte nicht nach, sondern bestätigte noch einmal den Ort und legte auf.
„Leg ihn auf Humphreys Stirn.“
Gabriel sah Kennard fragend an, doch der Magier brachte ein hochmütiges Grinsen zustande. Also erhob sich Gabriel und ging zu dem bewusstlosen Humphrey. Er drehte ihn auf den Rücken und legte den Würfel auf die Stirn.
„A-a-aus dem Weg.“
Gabriel gehorchte und machte die Sichtlinie zwischen den beiden Männern frei. Kennards schloss erneut die Augen und wackelte mit den Fingern. Wieder löste sich ein Zauber, doch dieser war langsam, fast schon träge, und flog auf Humphreys Kopf zu. Dort angekommen, hüllte der Zauber Mann und Würfel ein. Das Licht wurde so hell, dass Gabriel sich abwenden musste. Als er wieder hinschauen konnte, war Humphrey verschwunden. Der Würfel war etwas größer geworden. Gabriel hob ihn auf und brachte ihn zu Kennard. Dieser deutete auf den Spiegel, der zu Boden gefallen war. Gabriel nahm ihn auf. Es war tatsächlich ein antiker Schminkspiegel.
Kennard schnaubte, als er ihn sah. „Gestohlen. Er gehört uns.“
„Deswegen konnte er deinen Zauber zurückwerfen?“
Der Magier nickte. Er legte die Hand auf den Würfel. Gabriel konnte erkennen, dass er einen Zauber wirkte. Der Würfel schrumpfte daraufhin wieder.
„Was hast du gemacht?“
Kennard sah den Simo an. Seine blutunterlaufenen Augen blickten fast schon wehmütig. „Du siehst ihr wirklich ähnlich.“
Mit einem Mal wurde Gabriel bewusst, dass Kennard sich nachhaltig verletzt haben musste. Er griff nach seinem Handgelenk, der Puls des Magiers war flach und unregelmäßig.
„Was genau wolltest du Humphrey an den Kopf hexen?“
„Nur. … nur der Spruch um ihn gefangen zu nehmen.“ Kennard hustete. „Aber durch den Spiegel … wurde daraus etwas anderes.“ Kennard lachte rasselnd. „Ich bin wirklich der größte Pechvogel.“
„Grandpa und William sind bestimmt gleich hier.“, versuchte Gabriel den Magier zu beruhigen.
„Sind noch Kekse da?“
„Nee. Aber ich hab noch...“ Gabriel suchte aus einer seiner Taschen ein kleines Tütchen. „Hirsekringel von Eve.“
Kennards Gesichtsausdruck sprach Bände und Gabriel zuckte grinsend mit den Schultern.
„Naja, in der Not.“, sagte Kennard dann.
Gabriel half ihm sich halb aufzusetzen und fütterte ihn mit den Kringeln. Schließlich hörten sie einen Wagen vorfahren und kurz darauf Darrel ihre Namen rufen. Er und Willam stürzten in den Schuppen.
„Was zum...?“ William eilte zu seinem Begleiter. Kennard hielt triumphierend den Würfel in die Höhe.
Darrel legte Gabriel die Hand auf die Schulter. „Bist du in Ordnung?“
Gabriel nickte. „Kennard hat was abbekommen, als der Zauber reflektiert worden ist.“
Er zeigte den beiden den Spiegel. William stieß einen unflätigen Fluch aus. Dann steckte er den Würfel ein und half Kennard auf die Beine.
„Wir müssen uns beeilen.“ Kennard hustete erneut. „Ich hab den Würfel nicht auf zweiundsiebzig Stunden setzen können.“ Er deutete auf seinen Stab. Als Gabriel ihm den Stab reichte, grinste Kennard. „Ist mehr für die Show.“ Dann begann er einen weiteren Zauber zu wirkten. Aus einem winzigen kleinen Lichtfunken, wurde ein simgroßes, ovales Leuchten.
„Unser Ticket nach Hause.“
Gabriel fiel auf, dass Kennard nicht gut aussah. Er hatte die Hirsekringel nicht aus Genäschigkeit, sondern um der Energie willen gegessen.
William biss die Zähne aufeinander. Er knurrte leise. Kennard nickte ihm zu. Der Wolf wollte etwas sagen, aber dann zuckte er mit den Schultern. Er verabschiedete sich von Darrel und Gabriel und schritt durch das Leuchten. Sofort war er verschwunden. Gabriel ging einen Schritt auf Kennard zu, um ihm zu helfen. Der Magier beugte sich zu ihm. Er suchte nach Worten, doch entweder war er zu schwach, oder ihm fiel nicht das richtige ein. Deswegen griff er nach Gabriels Arm und drückte ihn kurz. Er nickte Darrel zu und machte einen Schritt auf das Tor zu.
„Wird es dir gut gehen?“, fragte Gabriel plötzlich, denn der Zustand des Magiers gefiel ihm ganz und gar nicht.
Kennard drehte sich um, das hochmütige Grinsen zeigend. Statt einer Antwort tippte er sich zum Abschied an den Kopf, bevor er durch das Tor trat.
Gabriel und Darrel sahen, wie sich das Tor langsam schloss.
„Glaubst du er wird sich erholen?“, fragte Gabriel seinen Großvater, während sie auf den letzten glimmenden Funken sahen, bevor dieser erlosch.
Darrel rieb sich den Kiefer. „Ich weiß es nicht.“
Gabriel zuckte mit den Schultern und sah sich in dem Schuppen um. Nichts deutete daraufhin, dass hier etwas geschehen war. „Hm, besser wir geben Nell nicht alle Einzelheiten, ok?“
Sein Großvater lachte. „Und Kira auch nicht.“
Sie schlichen um die offenen Schuppen der Fischzucht, Kennard voran, Gabriel folgend. Aus einer Ecke des Schuppens hörten sie unzusammenhängendes Gemurmel. Gabriel kannte die Stimme, unzählige Male hatte er sie bei diesen dämlichen Vorträgen gehört. Es war Humphrey. Gabriel zupfte Kennard am Mantel. Dieser nickte nur. Er schien hochkonzentriert zu sein. In die linke Hand nahm er den kleinen Würfel, mit der rechten hielt er einen kleinen Zauberstab. Dieses Detail hatte Gabriel sich als Kleinkind nicht gemerkt. Er fand es reichlich komisch, dass Magier dieses Sim-Vorurteil bestätigten. Dann zuckte er mit den Schultern. Auch die anderen übernatürlichen Sims hatten Eigenheiten, die in der diesseitigen Simheit vermutlich auch als Vorurteile gelten konnten. Aber irgendwie war dieses mickrige Stäbchen schon zum Grinsen …
So vorsichtig sie sich angeschlichen hatten, desto lauter und abrupter war ihr Eindringen. Gabriel fragte sich später oft, ob es nicht klüger gewesen wäre, einen anderen Weg zu wählen. Und hatten sie nicht eigentlich geplant, Humphrey aus seinem Versteck zu locken statt Hals über Kopf in den Schuppen zu preschen?!
Es geschah so viel zeitgleich, dass Gabriel im Nachhinein seine liebe Mühe hatte, sich an alle Einzelheiten zu erinnern. Kennard stürzte zauberstabschwingend voran, er selbst stolperte mehr hinterher und Humphrey schrie auf. Der Magier richtete den Stab auf den Flüchtenden, dieser riss seine Hand hoch …. und der Spruch, der Humphrey in den Würfel hätte sperren sollen, kam blitzschnell wieder zurück. Humphrey hatte ihn mit einem Spiegel reflektiert. Gabriel hatte kaum genug Zeit, sich darüber zu wundern, dass ein einfacher Spiegel, ein Schminkspiegelchen, wie ihn Frauen in der Handtasche trugen, einen Zauber zurückwerfen konnte. Sollten die übernatürlichen Sims nicht irgendwie … übernatürlich sein? Und damit irgendwie überlegen?
All diese Gedanken rasten nur so durch Gabriels Kopf, als ihm ein klitzekleiner Teil seines Hirn, vermittelte, dass der Zauber genau auf ihn zuschoss. Bevor er sich über die physikalische Unmöglichkeit (war da nicht was von wegen Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel?). Klar werden konnte, rempelte Kennard ihn aus dem Weg. Sein Zauberstab und das Würfelchen fielen zu Boden, als ein heller Schein den Magier einhüllte, der Gift und Gall spuckte. Humphrey starrte seinen Verfolger mindestens genauso schockiert an, wie Gabriel, der ziemlich unsanft auf dem Boden aufgekommen war. Dann rauschte Kennard zu Boden. Gabriel rollte sich zu Seite, um nicht unter ihm begraben zu werden und kam auf die Beine. Humphrey starrte ihn entsetzt an, jetzt erst erkannte er seinen zweiten Verfolger. „Felinger?!“
Gabriel ging nicht darauf ein, sondern rannte auf den früheren Wissenschaftler zu und schlug ihn ohne Umschweife nieder. Warum sollte man es sich so schwer machen und Magie anwenden, wenn ein bisschen rohe Gewalt die Aufgabe genauso gut löste?
Gabriel eilte zu Kennard zurück, der leblos wie eine Puppe auf dem Boden lag. Er untersuchte ihn grob. Kennards Herz schlug, sein Atem ging langsam und unregelmäßig. Gabriel fingerte sein Smartphone aus einer der vielen Manteltaschen und wählte die Nummer seines Großvaters.
Kennards Augen öffneten sich. Die Augäpfel waren blutunterlaufen und die Pupillen – im Gegensatz zu den Malen, wen er den Zauber gewirkt hatte – kaum erkennbar, so klein waren sie.
„Was ist passiert?“, fragte Gabriel. Er legte das Smartphone im Lautsprechermodus auf den Boden neben den Magier.
„Würfel.“, brachte Kennard hervor. „Nimm den Würfel.“ Gabriel griff danach, als sein Großvater sich meldete. Gabriel erklärte ihm wo sie waren, und dass sie Hilfe brauchten. Darrel fragte nicht nach, sondern bestätigte noch einmal den Ort und legte auf.
„Leg ihn auf Humphreys Stirn.“
Gabriel sah Kennard fragend an, doch der Magier brachte ein hochmütiges Grinsen zustande. Also erhob sich Gabriel und ging zu dem bewusstlosen Humphrey. Er drehte ihn auf den Rücken und legte den Würfel auf die Stirn.
„A-a-aus dem Weg.“
Gabriel gehorchte und machte die Sichtlinie zwischen den beiden Männern frei. Kennards schloss erneut die Augen und wackelte mit den Fingern. Wieder löste sich ein Zauber, doch dieser war langsam, fast schon träge, und flog auf Humphreys Kopf zu. Dort angekommen, hüllte der Zauber Mann und Würfel ein. Das Licht wurde so hell, dass Gabriel sich abwenden musste. Als er wieder hinschauen konnte, war Humphrey verschwunden. Der Würfel war etwas größer geworden. Gabriel hob ihn auf und brachte ihn zu Kennard. Dieser deutete auf den Spiegel, der zu Boden gefallen war. Gabriel nahm ihn auf. Es war tatsächlich ein antiker Schminkspiegel.
Kennard schnaubte, als er ihn sah. „Gestohlen. Er gehört uns.“
„Deswegen konnte er deinen Zauber zurückwerfen?“
Der Magier nickte. Er legte die Hand auf den Würfel. Gabriel konnte erkennen, dass er einen Zauber wirkte. Der Würfel schrumpfte daraufhin wieder.
„Was hast du gemacht?“
Kennard sah den Simo an. Seine blutunterlaufenen Augen blickten fast schon wehmütig. „Du siehst ihr wirklich ähnlich.“
Mit einem Mal wurde Gabriel bewusst, dass Kennard sich nachhaltig verletzt haben musste. Er griff nach seinem Handgelenk, der Puls des Magiers war flach und unregelmäßig.
„Was genau wolltest du Humphrey an den Kopf hexen?“
„Nur. … nur der Spruch um ihn gefangen zu nehmen.“ Kennard hustete. „Aber durch den Spiegel … wurde daraus etwas anderes.“ Kennard lachte rasselnd. „Ich bin wirklich der größte Pechvogel.“
„Grandpa und William sind bestimmt gleich hier.“, versuchte Gabriel den Magier zu beruhigen.
„Sind noch Kekse da?“
„Nee. Aber ich hab noch...“ Gabriel suchte aus einer seiner Taschen ein kleines Tütchen. „Hirsekringel von Eve.“
Kennards Gesichtsausdruck sprach Bände und Gabriel zuckte grinsend mit den Schultern.
„Naja, in der Not.“, sagte Kennard dann.
Gabriel half ihm sich halb aufzusetzen und fütterte ihn mit den Kringeln. Schließlich hörten sie einen Wagen vorfahren und kurz darauf Darrel ihre Namen rufen. Er und Willam stürzten in den Schuppen.
„Was zum...?“ William eilte zu seinem Begleiter. Kennard hielt triumphierend den Würfel in die Höhe.
Darrel legte Gabriel die Hand auf die Schulter. „Bist du in Ordnung?“
Gabriel nickte. „Kennard hat was abbekommen, als der Zauber reflektiert worden ist.“
Er zeigte den beiden den Spiegel. William stieß einen unflätigen Fluch aus. Dann steckte er den Würfel ein und half Kennard auf die Beine.
„Wir müssen uns beeilen.“ Kennard hustete erneut. „Ich hab den Würfel nicht auf zweiundsiebzig Stunden setzen können.“ Er deutete auf seinen Stab. Als Gabriel ihm den Stab reichte, grinste Kennard. „Ist mehr für die Show.“ Dann begann er einen weiteren Zauber zu wirkten. Aus einem winzigen kleinen Lichtfunken, wurde ein simgroßes, ovales Leuchten.
„Unser Ticket nach Hause.“
Gabriel fiel auf, dass Kennard nicht gut aussah. Er hatte die Hirsekringel nicht aus Genäschigkeit, sondern um der Energie willen gegessen.
William biss die Zähne aufeinander. Er knurrte leise. Kennard nickte ihm zu. Der Wolf wollte etwas sagen, aber dann zuckte er mit den Schultern. Er verabschiedete sich von Darrel und Gabriel und schritt durch das Leuchten. Sofort war er verschwunden. Gabriel ging einen Schritt auf Kennard zu, um ihm zu helfen. Der Magier beugte sich zu ihm. Er suchte nach Worten, doch entweder war er zu schwach, oder ihm fiel nicht das richtige ein. Deswegen griff er nach Gabriels Arm und drückte ihn kurz. Er nickte Darrel zu und machte einen Schritt auf das Tor zu.
„Wird es dir gut gehen?“, fragte Gabriel plötzlich, denn der Zustand des Magiers gefiel ihm ganz und gar nicht.
Kennard drehte sich um, das hochmütige Grinsen zeigend. Statt einer Antwort tippte er sich zum Abschied an den Kopf, bevor er durch das Tor trat.
Gabriel und Darrel sahen, wie sich das Tor langsam schloss.
„Glaubst du er wird sich erholen?“, fragte Gabriel seinen Großvater, während sie auf den letzten glimmenden Funken sahen, bevor dieser erlosch.
Darrel rieb sich den Kiefer. „Ich weiß es nicht.“
Gabriel zuckte mit den Schultern und sah sich in dem Schuppen um. Nichts deutete daraufhin, dass hier etwas geschehen war. „Hm, besser wir geben Nell nicht alle Einzelheiten, ok?“
Sein Großvater lachte. „Und Kira auch nicht.“
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Epilog Generation 3
Seit der Aufregung um den entflohenen Humphrey waren einige Wochen vergangen. Seine Eltern waren mittlerweile aus ihrem Urlaub zurück. Sie und Izzy waren einige Tage von morgens bis abends im Stammhaus der Felingers, so als wollten sie die Zeit, die sie getrennt von der Familie verbracht hatten, wieder aufholen. Darrel und Gabriel hatten den anderen eine bereinigte Version der Ereignisse bei der Fischzucht geschildert – und das was wirklich passiert war, hatte Gabriel ohnehin für sich behalten.
Gabriel stellte zu seiner eigenen Überraschung fest, dass er William und Kennard vermisste. Er bedauerte es, dass kein Kontakt zu diesem Teil seiner Familie möglich war. Lange rang er mit sich, ob er mit seiner Mutter über Kennard sprechen sollte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Akki seinen Vater betrogen hatte – zumal damals die Pest herrschte und sie mit einem Kleinkind und der Bekämpfung der Pest mehr als genug zu tun gehabt dürfte. Deswegen beobachtete Gabriel seine Mutter lediglich, als er ihr von dem Besuch aus Moonlight Falls berichtete. Sie schien traurig darüber, ihren Bruder verpasst zu haben.
„Und Kennard?“, traute sich Gabriel dann doch zu fragen.
Akki lächelte wehmütig. „Er ist mir stets ein guter Freund gewesen.“, erwiderte sie, ohne seinem Blick auszuweichen. Dann sah sie zu David, der just in diesem Moment ihren Blick suchte. „Ich glaube, ich war für ihn etwas mehr, aber das beruhte nicht auf Gegenseitigkeit.“
Gabriel beeilte sich, seine Maske aufrecht zu halten. Seine Mutter grinste. „Ich kenn' dich zu gut, Sohn.“ Sie tätschelte seine Schulter. „Du musst dir um deinen Vater und mich keine Sorgen machen.“
Er suchte nach Worten, aber Akki winkte lächelnd ab. Sie sah zu Eve und Sadie. Letzter wurde von Kira gerade ein Fläschchen gereicht. Ohne das Akki etwas sagen musste, wurde Gabriel klar, dass er die Last des Erbes irgendwann an Sadie weiterreichen musste. Oder an ein weiteres Kind, denn er und Nell hatten die Familienplanung noch nicht endgültig beendet. Er seufzte. Seine Mutter nahm ihm spontan in den Arm. „Kopf hoch, Gabriel.“ Sie sah zu Darrel, Kira, David und den Kindern. „Wir sind alle noch da und wir werden alle da sein, wenn du den Stab weiterreichst.“ Ihre Miene wurde entschlossen. „Und ich glaube, in Notfällen können wir auf die Familie zählen. Egal wo sie ist.“
Gabriel stellte zu seiner eigenen Überraschung fest, dass er William und Kennard vermisste. Er bedauerte es, dass kein Kontakt zu diesem Teil seiner Familie möglich war. Lange rang er mit sich, ob er mit seiner Mutter über Kennard sprechen sollte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Akki seinen Vater betrogen hatte – zumal damals die Pest herrschte und sie mit einem Kleinkind und der Bekämpfung der Pest mehr als genug zu tun gehabt dürfte. Deswegen beobachtete Gabriel seine Mutter lediglich, als er ihr von dem Besuch aus Moonlight Falls berichtete. Sie schien traurig darüber, ihren Bruder verpasst zu haben.
„Und Kennard?“, traute sich Gabriel dann doch zu fragen.
Akki lächelte wehmütig. „Er ist mir stets ein guter Freund gewesen.“, erwiderte sie, ohne seinem Blick auszuweichen. Dann sah sie zu David, der just in diesem Moment ihren Blick suchte. „Ich glaube, ich war für ihn etwas mehr, aber das beruhte nicht auf Gegenseitigkeit.“
Gabriel beeilte sich, seine Maske aufrecht zu halten. Seine Mutter grinste. „Ich kenn' dich zu gut, Sohn.“ Sie tätschelte seine Schulter. „Du musst dir um deinen Vater und mich keine Sorgen machen.“
Er suchte nach Worten, aber Akki winkte lächelnd ab. Sie sah zu Eve und Sadie. Letzter wurde von Kira gerade ein Fläschchen gereicht. Ohne das Akki etwas sagen musste, wurde Gabriel klar, dass er die Last des Erbes irgendwann an Sadie weiterreichen musste. Oder an ein weiteres Kind, denn er und Nell hatten die Familienplanung noch nicht endgültig beendet. Er seufzte. Seine Mutter nahm ihm spontan in den Arm. „Kopf hoch, Gabriel.“ Sie sah zu Darrel, Kira, David und den Kindern. „Wir sind alle noch da und wir werden alle da sein, wenn du den Stab weiterreichst.“ Ihre Miene wurde entschlossen. „Und ich glaube, in Notfällen können wir auf die Familie zählen. Egal wo sie ist.“
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Überleitung zu Generation 4
„Daddy?“
Mein Vater lag entspannt auf dem Bett und baute Luftschlösser. Er war vor der Kinderparty ins Schlafzimmer geflohen. Ich wusste, dass er allzu viele Leute nicht gerade mochte, auch wenn es alles Kinder waren und die meisten mit ihm verwandt.
„Was gibt’s, Prinzessin?“ Er klopfte auf das Bett und ich kletterte vorsichtig neben ihn. Ich setzte mich in den Schneidersitz und strich den Tüll meines Prinzessinnenkleids glatt. Als es angefangen hatte zu regnen, hatte Oma uns ins Haus getrieben. Sie hatte die Verkleidungskiste geöffnet und schon waren wir alle in unsere Lieblingsrollen geschlüpft.
„Mir ist etwas aufgefallen.“, begann ich. Ich war ziemlich nervös und spielte an meinem Kleid. Dann rückte ich mein Hütchen zurecht, während ich den Mut suchte ihn zu fragen. Tatsächlich ging mir die Frage schon eine ganze Weile im Kopf herum.
Es begann als meine jüngste Schwester geboren wurde. Lace war fast acht Jahre jünger als ich und sechs Jahre jünger als Sadie. Mit Sadie kam ich ziemlich gut aus. Wir sind zwar absolut unterschiedlich, aber wir stehen für einander ein und ich liebe meine beiden Schwestern. Sadie ist ein echter Wirbelwind. Sie kann keine zwei Minuten still stehen und heckt immer irgendeinen Streich aus. Grandpa hat irgendwann angefangen sie „kleine Rebellin“ zu nennen. Das ist kleben geblieben, genau wie „Prinzessin“ für mich. Nur Lace hatte noch keinen solchen Spitznamen.
Das könnte daran liegen, dass man selten merkt, ob Lace da ist oder nicht. Sie ist das liebste kleine Mädchen, dass man sich vorstellen kann. Als Mom und Dad uns damals sagten, dass wir noch ein Geschwisterchen bekommen, war ich zunächst wenig begeistert. Auch wenn ich selbst noch sehr klein gewesen bin, als Sadie geboren wurde, konnte ich mich gut daran erinnern, wie sehr sie immer geschrien hatte. Sie war so laut und so nervig! Inzwischen ist sie zwar immer noch laut – vor allem wenn es darum geht ihre Meinung zu sagen – aber sie ist auch verständiger geworden und man kann sie vergattern, einfach mal die Klappe zu halten.
Lace war schon als Baby das totale Gegenteil von Sadie. Sie schrie fast nie, sondern machte eher durch ein ganz leises Greinen auf sich aufmerksam. Und das noch nicht mal oft. Wenn meine Eltern oder Großeltern nicht so regelmäßig nach ihren Windeln geguckt hätten oder sie gefüttert hätten, wäre es vermutlich kaum aufgefallen, dass die Windeln voll oder Lace hungrig waren. Sie schien niemanden belasten zu wollen.
Inzwischen war sie ein total liebenswürdiges Kleinkind. Sie machte nie Probleme.
Wir drei Schwestern sind nicht nur vom Verhalten, sondern auch vom Aussehen her sehr unterschiedlich. Und damit kam ich zu meiner Frage …
Mein Vater sah mich erwartungsvoll an. Mir wurde klar, dass ich eine ganze Weile geschwiegen hatte, aber Dad drängte mich nicht.
„Bin ich adoptiert?“, platzte es dann aus mir heraus. Ich sah so ganz anders aus, als meine Schwestern und der Rest der Familie. Sadie hatte genauso blonde Haare wie Dad, Granda und Oma. Außerdem hatte sie auch so grüne Augen wie Dad, Granda, Grandpa. Ihre Gesichtsstruktur erinnerte an eine Mischung aus Moms und Dads Gesichtern. Lace kam stark auf Granma: Sie hatte so helles Haar, dass es weiß aussah und diese komischen gelben Augen. Ihre Stirnpartie sah auch total aus wie Granmas. Und ich? Die dunkelbraunen Haare hatte keiner in der Familie. Das Grün meiner Augen war eher blaugrün und mein Gesicht erkannte ich keinem anderen Gesicht der Familie wieder. Und es waren ja nicht nur Lace und Sadie! Unsere Cousinen (eigentlich Dads Cousinen, aber sie waren jünger als ich, deswegen war es einfacher von Cousinen zu sprechen) Tara und Rosalyn sah man an aus welchem Stall sie kamen: Die Nase hatten sie von Grandpa, die roten Haare von ihrem Vater. Man sah in ihnen Tante Kara und Onkel Vincent. So wie bei ihren älteren Geschwistern Chrystal und Lewis auch. Und auch Cousine Ruth, die wir zwar nur sehr unregelmäßig sahen, weil sie in Simropa wohnte, sah der Familie ähnlich. Nur ich nicht.
„Nein.“, antwortete mein Vater so prompt, dass ich mich für einen kurzen Moment wunderte, ob er log. Ich wollte ansetzten etwas zu erwidern, aber er hob die Hand. Lächelnd strich er mir über den Rücken. „Prinzessin, du bist nicht adoptiert.“ Er zog eine Grimasse, so als wolle er nicht, dass ich einen bestimmten Gesichtsausdruck zu sehen bekam, doch dann gab er es auf. Er sah mich traurig an. „Zumindest nicht ganz.“
Wie erstarrt sah ich ihn an. Was sollte das denn jetzt bedeuten?
„Ich bin nicht dein biologischer Vater. Deswegen habe ich dich adoptiert als deine Mom und ich geheiratet haben.“
Mein Gesicht musste ein einziges Fragezeichen gewesen sein, denn er bemühte sich, mir zu erklären, dass Mom, bevor sie mit ihm zusammengekommen ist, einen anderen Mann gehabt hat. Der mein leiblicher Vater war.
„Aber ich kann mich nicht daran erinnern! Du bist doch immer da gewesen.“ Ich deutete auf ein Foto von ihm und mir, auf dem ich noch ein Baby war.
Dad legte mir den Arm um die Schultern. „Weil Deine Mutter und ich schon zusammengezogen sind, bevor du auf die Welt gekommen bist. Deswegen war ich von Anfang an da. Und du warst von Anfang an mein Kind.“
Ich versuchte zu verstehen, was das hieß. Wo die Babys herkommen, hatte Mom mir erklärt, als sie mit Lace schwanger war. Trotzdem begriff ich nicht so richtig, was das jetzt bedeutete.
„Ich bin also nicht wirklich adoptiert?“
Dad zog mich in seine Arme. „Nein. Und das ist doch auch nur eine dumme Formalie. Du bist mein Kind, und die Enkelin von Grandma und Granda und die Urenklin von Oma und Grandpa.“
„Die Schwester von Sadie und Lace.“, fügte ich hinzu. Ich lächelte. Ganz verstand ich das ganze irgendwie nicht, aber ich spürte, dass Dad mich sehr lieb hatte.
Die Tür öffnete sich und Mom kam herein. „Hier steckst du Eve.“ Sie lächelte. „Alles in Ordnung? Hunter sucht dich schon überall.“
Ich gab meinem Dad einen raschen Kuss und sprang vom Bett. „Alles gut, Mom.“ Auf dem Weg hinaus gab ich auch einen Kuss. Dann wirbelte ich an ihr vorbei um meinen besten Freund Hunter zu suchen.
Gabriel und Nell sahen ihrer ältesten Tochter nach. Nell musste nicht über hellseherische Kräfte verfügen, um zu wissen, dass etwas vorgefallen war. Sie sah ihren Mann fragend an.
Der seufzte. „Eve hat sich gewundert, ob sie adoptiert sei.“
„Oh.“ Nell beobachtete, wie Gabriel sich vom Bett erhob.
„Ich habe ihr erklärt, dass sie einen anderen, leiblichen Vater hat. Aber auch, dass es keinen Unterschied für mich macht.“
Nell sah zur Schlafzimmertür, durch die Eve verschwunden war. „Sie scheint es ganz gut aufgenommen haben.“
Gabriel nickte und streckte sich. Seine Maske trug er nicht. „Es tut mir leid, dass ich das Gespräch ohne dich geführt habe.“
Nell winkte ab. „Es ergab sich einfach.“ Sie grinste. „Und sie ist ohnehin ein Papa-Kind.“
Gabriel lachte und gab ihr einen raschen Kuss. „Trotzdem sollten wir ein Auge auf sie haben. Vielleicht wird die Erkenntnis, dass ich 'nur' ihr Adoptivvater bin sie noch treffen.“
Es war an Nell zu seufzen. „Wo wir gerade von unseren Töchtern sprechen ...“ Sie ließ den unbeendeten Satz in der Luft hängen. Gabriel wusste worauf sie hinaus wollte. Er schloss sie in seine Arme.
„Ich möchte weder Sadie noch Lace diese Bürde geben.“, murmelte er in ihr Haar. „Aber eine von beiden wird sich in Zukunft damit auseinandersetzen müssen.“
„Du kannst daran nichts ändern. Es ist, wie es ist.“ Nell drückte Gabriel an sich.
„Bei mir stellte sich keine Frage, da ich Einzelkind bin. Mein Dad hat sich damals freiwillig gemeldet.“
„Die Mädchen sind noch zu klein, um es jetzt schon zu entscheiden.“
Er nickte. „Ja. Und ich weiß nicht, ob es klug ist, sie entscheiden zu lassen. Sadie würde vermutlich vorpreschen, nur um Lace zu schützen. Aber ob sie dafür geeignet ist?“
Nell zuckte mit den Schultern. Für einen Moment standen sie im Schlafzimmer, Arm in Arm, und hingen ihren Gedanken nach. Dann sagte Nell: „Nein, Sadie ist dafür nicht geeignet. Sie würde mehr Probleme schaffen, als bewältigen.“ Sie löste sich von Gabriel und legte ihm die Hand auf den Mund, als er widersprechen wollte. „Ich weiß, Lace ist die jüngste und wir können kaum sagen, wie sich entwickeln wird. Aber ich habe das Gefühl, dass sie es sein sollte.“
Verzweifelt suchte Gabriel nach Argumenten, um ihr zu widersprechen. Doch tief in seinem Inneren, wusste er, dass Nell Recht hatte. Lace mochte kaum sprechen oder laufen können, aber sie hatte etwas an sich, dass ihn sicher sein ließ, dass sie sich am Besten mit den Beobachtern herumschlagen können würde.
Mein Vater lag entspannt auf dem Bett und baute Luftschlösser. Er war vor der Kinderparty ins Schlafzimmer geflohen. Ich wusste, dass er allzu viele Leute nicht gerade mochte, auch wenn es alles Kinder waren und die meisten mit ihm verwandt.
„Was gibt’s, Prinzessin?“ Er klopfte auf das Bett und ich kletterte vorsichtig neben ihn. Ich setzte mich in den Schneidersitz und strich den Tüll meines Prinzessinnenkleids glatt. Als es angefangen hatte zu regnen, hatte Oma uns ins Haus getrieben. Sie hatte die Verkleidungskiste geöffnet und schon waren wir alle in unsere Lieblingsrollen geschlüpft.
„Mir ist etwas aufgefallen.“, begann ich. Ich war ziemlich nervös und spielte an meinem Kleid. Dann rückte ich mein Hütchen zurecht, während ich den Mut suchte ihn zu fragen. Tatsächlich ging mir die Frage schon eine ganze Weile im Kopf herum.
Es begann als meine jüngste Schwester geboren wurde. Lace war fast acht Jahre jünger als ich und sechs Jahre jünger als Sadie. Mit Sadie kam ich ziemlich gut aus. Wir sind zwar absolut unterschiedlich, aber wir stehen für einander ein und ich liebe meine beiden Schwestern. Sadie ist ein echter Wirbelwind. Sie kann keine zwei Minuten still stehen und heckt immer irgendeinen Streich aus. Grandpa hat irgendwann angefangen sie „kleine Rebellin“ zu nennen. Das ist kleben geblieben, genau wie „Prinzessin“ für mich. Nur Lace hatte noch keinen solchen Spitznamen.
Das könnte daran liegen, dass man selten merkt, ob Lace da ist oder nicht. Sie ist das liebste kleine Mädchen, dass man sich vorstellen kann. Als Mom und Dad uns damals sagten, dass wir noch ein Geschwisterchen bekommen, war ich zunächst wenig begeistert. Auch wenn ich selbst noch sehr klein gewesen bin, als Sadie geboren wurde, konnte ich mich gut daran erinnern, wie sehr sie immer geschrien hatte. Sie war so laut und so nervig! Inzwischen ist sie zwar immer noch laut – vor allem wenn es darum geht ihre Meinung zu sagen – aber sie ist auch verständiger geworden und man kann sie vergattern, einfach mal die Klappe zu halten.
Lace war schon als Baby das totale Gegenteil von Sadie. Sie schrie fast nie, sondern machte eher durch ein ganz leises Greinen auf sich aufmerksam. Und das noch nicht mal oft. Wenn meine Eltern oder Großeltern nicht so regelmäßig nach ihren Windeln geguckt hätten oder sie gefüttert hätten, wäre es vermutlich kaum aufgefallen, dass die Windeln voll oder Lace hungrig waren. Sie schien niemanden belasten zu wollen.
Inzwischen war sie ein total liebenswürdiges Kleinkind. Sie machte nie Probleme.
Wir drei Schwestern sind nicht nur vom Verhalten, sondern auch vom Aussehen her sehr unterschiedlich. Und damit kam ich zu meiner Frage …
Mein Vater sah mich erwartungsvoll an. Mir wurde klar, dass ich eine ganze Weile geschwiegen hatte, aber Dad drängte mich nicht.
„Bin ich adoptiert?“, platzte es dann aus mir heraus. Ich sah so ganz anders aus, als meine Schwestern und der Rest der Familie. Sadie hatte genauso blonde Haare wie Dad, Granda und Oma. Außerdem hatte sie auch so grüne Augen wie Dad, Granda, Grandpa. Ihre Gesichtsstruktur erinnerte an eine Mischung aus Moms und Dads Gesichtern. Lace kam stark auf Granma: Sie hatte so helles Haar, dass es weiß aussah und diese komischen gelben Augen. Ihre Stirnpartie sah auch total aus wie Granmas. Und ich? Die dunkelbraunen Haare hatte keiner in der Familie. Das Grün meiner Augen war eher blaugrün und mein Gesicht erkannte ich keinem anderen Gesicht der Familie wieder. Und es waren ja nicht nur Lace und Sadie! Unsere Cousinen (eigentlich Dads Cousinen, aber sie waren jünger als ich, deswegen war es einfacher von Cousinen zu sprechen) Tara und Rosalyn sah man an aus welchem Stall sie kamen: Die Nase hatten sie von Grandpa, die roten Haare von ihrem Vater. Man sah in ihnen Tante Kara und Onkel Vincent. So wie bei ihren älteren Geschwistern Chrystal und Lewis auch. Und auch Cousine Ruth, die wir zwar nur sehr unregelmäßig sahen, weil sie in Simropa wohnte, sah der Familie ähnlich. Nur ich nicht.
„Nein.“, antwortete mein Vater so prompt, dass ich mich für einen kurzen Moment wunderte, ob er log. Ich wollte ansetzten etwas zu erwidern, aber er hob die Hand. Lächelnd strich er mir über den Rücken. „Prinzessin, du bist nicht adoptiert.“ Er zog eine Grimasse, so als wolle er nicht, dass ich einen bestimmten Gesichtsausdruck zu sehen bekam, doch dann gab er es auf. Er sah mich traurig an. „Zumindest nicht ganz.“
Wie erstarrt sah ich ihn an. Was sollte das denn jetzt bedeuten?
„Ich bin nicht dein biologischer Vater. Deswegen habe ich dich adoptiert als deine Mom und ich geheiratet haben.“
Mein Gesicht musste ein einziges Fragezeichen gewesen sein, denn er bemühte sich, mir zu erklären, dass Mom, bevor sie mit ihm zusammengekommen ist, einen anderen Mann gehabt hat. Der mein leiblicher Vater war.
„Aber ich kann mich nicht daran erinnern! Du bist doch immer da gewesen.“ Ich deutete auf ein Foto von ihm und mir, auf dem ich noch ein Baby war.
Dad legte mir den Arm um die Schultern. „Weil Deine Mutter und ich schon zusammengezogen sind, bevor du auf die Welt gekommen bist. Deswegen war ich von Anfang an da. Und du warst von Anfang an mein Kind.“
Ich versuchte zu verstehen, was das hieß. Wo die Babys herkommen, hatte Mom mir erklärt, als sie mit Lace schwanger war. Trotzdem begriff ich nicht so richtig, was das jetzt bedeutete.
„Ich bin also nicht wirklich adoptiert?“
Dad zog mich in seine Arme. „Nein. Und das ist doch auch nur eine dumme Formalie. Du bist mein Kind, und die Enkelin von Grandma und Granda und die Urenklin von Oma und Grandpa.“
„Die Schwester von Sadie und Lace.“, fügte ich hinzu. Ich lächelte. Ganz verstand ich das ganze irgendwie nicht, aber ich spürte, dass Dad mich sehr lieb hatte.
Die Tür öffnete sich und Mom kam herein. „Hier steckst du Eve.“ Sie lächelte. „Alles in Ordnung? Hunter sucht dich schon überall.“
Ich gab meinem Dad einen raschen Kuss und sprang vom Bett. „Alles gut, Mom.“ Auf dem Weg hinaus gab ich auch einen Kuss. Dann wirbelte ich an ihr vorbei um meinen besten Freund Hunter zu suchen.
Gabriel und Nell sahen ihrer ältesten Tochter nach. Nell musste nicht über hellseherische Kräfte verfügen, um zu wissen, dass etwas vorgefallen war. Sie sah ihren Mann fragend an.
Der seufzte. „Eve hat sich gewundert, ob sie adoptiert sei.“
„Oh.“ Nell beobachtete, wie Gabriel sich vom Bett erhob.
„Ich habe ihr erklärt, dass sie einen anderen, leiblichen Vater hat. Aber auch, dass es keinen Unterschied für mich macht.“
Nell sah zur Schlafzimmertür, durch die Eve verschwunden war. „Sie scheint es ganz gut aufgenommen haben.“
Gabriel nickte und streckte sich. Seine Maske trug er nicht. „Es tut mir leid, dass ich das Gespräch ohne dich geführt habe.“
Nell winkte ab. „Es ergab sich einfach.“ Sie grinste. „Und sie ist ohnehin ein Papa-Kind.“
Gabriel lachte und gab ihr einen raschen Kuss. „Trotzdem sollten wir ein Auge auf sie haben. Vielleicht wird die Erkenntnis, dass ich 'nur' ihr Adoptivvater bin sie noch treffen.“
Es war an Nell zu seufzen. „Wo wir gerade von unseren Töchtern sprechen ...“ Sie ließ den unbeendeten Satz in der Luft hängen. Gabriel wusste worauf sie hinaus wollte. Er schloss sie in seine Arme.
„Ich möchte weder Sadie noch Lace diese Bürde geben.“, murmelte er in ihr Haar. „Aber eine von beiden wird sich in Zukunft damit auseinandersetzen müssen.“
„Du kannst daran nichts ändern. Es ist, wie es ist.“ Nell drückte Gabriel an sich.
„Bei mir stellte sich keine Frage, da ich Einzelkind bin. Mein Dad hat sich damals freiwillig gemeldet.“
„Die Mädchen sind noch zu klein, um es jetzt schon zu entscheiden.“
Er nickte. „Ja. Und ich weiß nicht, ob es klug ist, sie entscheiden zu lassen. Sadie würde vermutlich vorpreschen, nur um Lace zu schützen. Aber ob sie dafür geeignet ist?“
Nell zuckte mit den Schultern. Für einen Moment standen sie im Schlafzimmer, Arm in Arm, und hingen ihren Gedanken nach. Dann sagte Nell: „Nein, Sadie ist dafür nicht geeignet. Sie würde mehr Probleme schaffen, als bewältigen.“ Sie löste sich von Gabriel und legte ihm die Hand auf den Mund, als er widersprechen wollte. „Ich weiß, Lace ist die jüngste und wir können kaum sagen, wie sich entwickeln wird. Aber ich habe das Gefühl, dass sie es sein sollte.“
Verzweifelt suchte Gabriel nach Argumenten, um ihr zu widersprechen. Doch tief in seinem Inneren, wusste er, dass Nell Recht hatte. Lace mochte kaum sprechen oder laufen können, aber sie hatte etwas an sich, dass ihn sicher sein ließ, dass sie sich am Besten mit den Beobachtern herumschlagen können würde.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Generation 4
Lace Felinger
Lace Felinger
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Prolog
Als ich zehn Jahre alt war, führte mein Vater mit mir „das Gespräch“. Nicht das Gespräch über die Bienchen und Blümchen, das war schon einmal formal gelaufen (das andere „das Gespräch“ folgte dann in der Pubertät). Nein, als ich zehn Jahre alt war, brachte mein Vater mich an einem schönen Sommertag zur alten Fischzucht. Meine Schwester waren mit meiner Mutter für ein paar Tage auf eine Schönheitsfarm gefahren – ein Wunsch Eves zum Schulabschluss. Sie hatten mich eingeladen, aber mal ehrlich: Was soll eine Zehnjährige auf einer Beautyfarm?!? Vor ihrer Abreise hatten Mom und Dad ein paar Mal getuschelt und meine Urgroßeltern hatten diese Blickgespräche geführt. Es gab viel Stirnrunzeln, Seufzen und den ein oder anderen verzweifelten Blick. Auch meine Schwestern beteiligten sich daran: Eve wirkte besorgt und herzte mich wieder und wieder, Sadie klopfte mir zum Abschied aufmunternd auf die Schulter und verriet mir, wo sie ihr geheimes Depot an Stinkbomben und Furzkissen hatte – nur für alle Fälle. Man könnte meinen, dass mich das Verhalten meiner Familie besorgt hätte. Tja, was soll ich sagen? Dass etwas faul war, hatte ich schon vor langer Zeit bemerkt!
Ich will nicht behaupten, dass ich ein besonders cleveres oder aufmerksames Kind gewesen bin. Ich habe einfach das … nennen wir es Glück, dass Leute dazu neigen, mich zu vergessen. Nicht in dem Sinne, dass meine Person als solche vergessen würde. Man vergisst nur oft, dass ich da bin. Oh, ich kann auf mich aufmerksam machen, ich bin keine dieser unsichtbaren Personen, deren Selbstbewusstsein am Boden klebt und die deshalb keiner wahrnimmt. Aber wenn ich mich entschließe, nicht auf mich aufmerksam zu machen, einfach still bin und mich ruhig verhalte, dann vergessen die Leute, dass ich da bin. Wie oft habe ich es in der Schule erlebt, dass ich mich meldete und der Lehrer erst dann feststellte, dass nicht zweiundzwanzig, sondern dreiundzwanzig Kinder im Raum saßen. Zum Glück (da ist das Wort wieder, Glück) schlug sich diese Nicht-Wahrnehmung selten in meinen Beurteilungen nieder – wie ich schon sagte, es ist weniger einer Vergesslichkeit, als eine Nicht-Wahrnehmung. Meine Familie bildete da keine Ausnahme. Ich bin immer sehr geliebt und umsorgt worden, aber wenn ich mich still in eine Ecke verkrümelt habe und keine Aufmerksamkeit wollte, dann bekam ich auch keine und niemand merkte, dass ich da war. So bekommt man natürlich eine ganze Menge mit.
Deswegen war ich wenig überrascht oder gar schockiert, als mein Vater mir von den Beobachtern erzählte. Ja, ich war noch ein Kind und mir machten sie damals große Angst. Aber ich hatte ja längst mitbekommen, dass es diese Bedrohung gab. Ich kannte sogar den Namen: Die Beobachter. Ich wusste schon vor dem Gespräch, dass sie uns nichts Gutes wünschten und irgendetwas Fieses im Schilde führten. Dass meine Eltern jedoch beschlossen hatten, dass ausgerechnet ich mich mit ihnen rum schlagen sollte, erwischte mich schon auf dem falschen Fuß.
„Warum ich?“, war eine Frage, die ich in dem Gespräch mit meinem Vater mehrmals (und unzählige Male danach) in diesem Gespräch stellte.
Mein Vater sah mich damals lange an. Ich merkte, wie sehr ihn die ganze Situation bekümmerte. Man sah es immer an seinem Gesicht, wenn er krampfhaft versuchte einen ausdruckslosen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Bei Fremden gelang ihm das gut und vielleicht funktionierte es bei Eve und Sadie, aber – wie gesagt – ich bekam schon damals einiges mit. Schließlich seufzte er und erwiderte: „Auch wenn du die Jüngste bist, bist du die Stärkste. Du hast die Fähigkeit, Situationen gut einschätzen zu können und du handelst nie überstürzt.“
Im Gegensatz zu meinen Schwestern – Eve glaubte stets an das Gute, Sadie wollte immer mit dem Kopf durch die Wand. Das sagte Dad damals nicht, aber mit den Jahren habe ich es mir zusammengereimt.
„Außerdem ist die Fähigkeit, quasi unsichtbar zu sein, ziemlich praktisch.“, ergänzte ich.
Daraufhin lachte Dad kurz auf. Doch dann wurde er ernst. „Ich wünschte das es dich schützen könnte, aber ich fürchte bei denen funktioniert das so nicht.“
Unbekümmert, wie es sich für eine Zehnjährige gehört, zuckte ich mit den Schultern. „Was soll's. Du hast das hingekriegt, dann schaff ich das wohl auch. Ich hab ja euch!“
Über das Ausmaß der Bedrohung konnte ich mir damals – auch wenn ich grundsätzlich Angst verspürte – kein Bild machen.
Ich will nicht behaupten, dass ich ein besonders cleveres oder aufmerksames Kind gewesen bin. Ich habe einfach das … nennen wir es Glück, dass Leute dazu neigen, mich zu vergessen. Nicht in dem Sinne, dass meine Person als solche vergessen würde. Man vergisst nur oft, dass ich da bin. Oh, ich kann auf mich aufmerksam machen, ich bin keine dieser unsichtbaren Personen, deren Selbstbewusstsein am Boden klebt und die deshalb keiner wahrnimmt. Aber wenn ich mich entschließe, nicht auf mich aufmerksam zu machen, einfach still bin und mich ruhig verhalte, dann vergessen die Leute, dass ich da bin. Wie oft habe ich es in der Schule erlebt, dass ich mich meldete und der Lehrer erst dann feststellte, dass nicht zweiundzwanzig, sondern dreiundzwanzig Kinder im Raum saßen. Zum Glück (da ist das Wort wieder, Glück) schlug sich diese Nicht-Wahrnehmung selten in meinen Beurteilungen nieder – wie ich schon sagte, es ist weniger einer Vergesslichkeit, als eine Nicht-Wahrnehmung. Meine Familie bildete da keine Ausnahme. Ich bin immer sehr geliebt und umsorgt worden, aber wenn ich mich still in eine Ecke verkrümelt habe und keine Aufmerksamkeit wollte, dann bekam ich auch keine und niemand merkte, dass ich da war. So bekommt man natürlich eine ganze Menge mit.
Deswegen war ich wenig überrascht oder gar schockiert, als mein Vater mir von den Beobachtern erzählte. Ja, ich war noch ein Kind und mir machten sie damals große Angst. Aber ich hatte ja längst mitbekommen, dass es diese Bedrohung gab. Ich kannte sogar den Namen: Die Beobachter. Ich wusste schon vor dem Gespräch, dass sie uns nichts Gutes wünschten und irgendetwas Fieses im Schilde führten. Dass meine Eltern jedoch beschlossen hatten, dass ausgerechnet ich mich mit ihnen rum schlagen sollte, erwischte mich schon auf dem falschen Fuß.
„Warum ich?“, war eine Frage, die ich in dem Gespräch mit meinem Vater mehrmals (und unzählige Male danach) in diesem Gespräch stellte.
Mein Vater sah mich damals lange an. Ich merkte, wie sehr ihn die ganze Situation bekümmerte. Man sah es immer an seinem Gesicht, wenn er krampfhaft versuchte einen ausdruckslosen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Bei Fremden gelang ihm das gut und vielleicht funktionierte es bei Eve und Sadie, aber – wie gesagt – ich bekam schon damals einiges mit. Schließlich seufzte er und erwiderte: „Auch wenn du die Jüngste bist, bist du die Stärkste. Du hast die Fähigkeit, Situationen gut einschätzen zu können und du handelst nie überstürzt.“
Im Gegensatz zu meinen Schwestern – Eve glaubte stets an das Gute, Sadie wollte immer mit dem Kopf durch die Wand. Das sagte Dad damals nicht, aber mit den Jahren habe ich es mir zusammengereimt.
„Außerdem ist die Fähigkeit, quasi unsichtbar zu sein, ziemlich praktisch.“, ergänzte ich.
Daraufhin lachte Dad kurz auf. Doch dann wurde er ernst. „Ich wünschte das es dich schützen könnte, aber ich fürchte bei denen funktioniert das so nicht.“
Unbekümmert, wie es sich für eine Zehnjährige gehört, zuckte ich mit den Schultern. „Was soll's. Du hast das hingekriegt, dann schaff ich das wohl auch. Ich hab ja euch!“
Über das Ausmaß der Bedrohung konnte ich mir damals – auch wenn ich grundsätzlich Angst verspürte – kein Bild machen.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 1 - Geistermädchen
Mit den Jahren hatte ich meine Fähigkeit nicht wahrnehmbar zu sein, in der Schule einen Spitznamen eingebrockt: Das Geistermädchen. Von uns drei Schwestern war ich die am wenigsten beliebteste. Eve und Sadie waren zwar wesentlich älter als ich, aber beide hatten während ihrer Schulzeit immer einen ganzen Schwarm von Freunden. Eve war das typische popular girl: Cheerleader, Vorsitzende des Ball-Komitees, etc. pp. Immerhin war sie keine dieser schrecklichen Zicken, wie einem Teenie-Serien oder Filme immer weismachen wollen. Ja, es gibt auch nette Cheerleader (zumindest meine Schwester). Eve war wegen ihrer Freundlichkeit und Fürsorge für andere beliebt, Sadie für ihre rebellische Ader. Stinkbomben und Furzkissen? Das kleinste Problem! Ich sag nur: Klopapier, Frösche und Schultoiletten. Schlechte Kombination. Die meisten bewunderten Sadie für ihre Streiche und weil sie sich von niemandem etwas gefallen ließ. Aber sie war und ist auch unglaublich loyal ihren Freunden gegenüber. Man kann sich einfach immer auf Sadie verlassen.
Eve am Abend ihres Schulballs
Sadie und Nell
Und ich? Tja, ich stehe nicht gern im Mittelpunkt, ich mag große Menschenansammlung nicht und viele Altersgenossen waren mir damals oft einfach zu oberflächlich. Also ließ ich mich selten wahrnehmen. Natürlich hatte ich ein paar Freunde, gerade in der Grundschule und den unteren Klassen, aber es war keine dieser ein Leben haltenden Freundschaften dabei. Von Geburt an weiße Haare und gelbe Augen zu haben, macht einem das Leben auch nicht leichter. Zunächst riefen mich einige Freak, aber irgendwann wurde Geistermädchen daraus. Um ehrlich zu sein, machte mir dieser Spitzname wenig aus. Denn ich hatte meine Isolation, meine Nicht-Wahrnehmung, ja selbst in der Hand. Zu meiner Schande muss ich außerdem eingestehen, dass ich immer schon eine gewisse Hybris besaß, die mich während der Schulzeit oft auf meine Mitschüler herabblicken ließ. Zwar äußerte ich mich selten, aber das Gefühl den meisten (intellektuell) überlegen zu sein, glich für mich Spitznamen und Gejohle aus. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn ich habe mit ansehen müssen, wie andere Kids an diesen Sachen verzweifelten. Ich habe einfach das Glück, schon mit einem potenten Selbstbewusstsein auf die Welt gekommen zu sein.
Vielleicht ist mein Selbstbewusstsein aber auch nicht angeboren, sondern anerzogen. Oder teils teils. Ich glaube die Erziehung meiner Eltern, aber vor allem die Sozialisation durch meine Urgroßeltern und Großeltern, war darauf ausgelegt mir ein möglichst große Resilienz zu verschaffen. Die Entscheidung mich zur Erbin zu erklären, war nämlich schon ziemlich früh gefallen. Wenn man genau aufpasste – und die Chance hatte ich durch meine Fähigkeit nun mal häufig – dann fiel schon ein etwas anderer Umgang meiner Familie mit meinen Schwestern auf. Vielleicht lag es auch daran, dass sie acht und sechs Jahre älter waren. Oder einfach andere Charakterzüge hatten. Oder eben doch daran, dass ich die Erbin war. Wer weiß …
Eve war schon immer sehr auf meinen Vater fixiert, ein Papa-Kind wie man sagt. Als ich später erfuhr, dass sie einen anderen leiblichen Vater, wunderte mich das schon etwas, denn Eve wusste es seit sie acht Jahre alt war. Aber Eve und Dad waren wie Pech und Schwefel. Sadie hingegen war mehr Mama-Kind. Mom hatte einen wesentlich längeren Geduldsfaden was ihre Streiche anging und setzte sich ohne viel Aufhebens mit den Konsequenzen auseinander. Manchmal hatte ich sogar den Verdacht, dass Mom sich gerne an ihren Streichen beteiligen würde. Und ich? Ich hatte beide gleich lieb, vertraute beiden gleich sehr. Aber noch wichtiger als für Eve und Sadie waren für mich meine Urgroßeltern.
Die beiden waren wirklich schon alt und lebten bei uns (oder wir bei ihnen?). Zwar lebten meine Großeltern auch direkt daneben, aber da Granda David und Grandma Akki beide noch lange arbeiten gingen, hatten sie etwas weniger Zeit für uns als Oma Kira und Grandpa Darrel. Beide hatten immer ein offenes Ohr, einen Rat wenn man wollte (oder auch nicht, zumindest Oma war da nie zimperlich) und viel Verständnis für … alles. Ich habe unglaublich viel von beiden gelernt. Nicht nur Dinge, die man direkt benennen kann, wie zum Beispiel perfekte Marmelade zu machen oder sich auch als kleine und schwächere Person selbst zu verteidigen, sondern vor allem, wie man sich gegenüber anderen Sims verhalten sollte, wie man sie liest. Und auch, wie man sie manipulieren kann. Ich glaube nicht, dass beide sich darüber bewusst waren, dass sie regelmäßig andere manipulierten (nie zu deren Nachteil). Aber – wenn man eben nicht wahrgenommen wird – dann kann man mit der Zeit so einiges dazu lernen. Besonders von zwei Sims, die mehrere Leben gelebt haben und dabei nicht immer fair gespielt haben. Japp, von den Wiedergeburten wusste ich auch schon, bevor Dad mir davon erzählt hat. Und ja, ich kann wahrscheinlich wesentlich mehr von den Aufzeichnungen lesen als mein Vater oder Granda. Vermutlich liegt es daran, dass ich immer wieder das Glück hatte, einige Gesprächsfetzen von meinen Urgroßeltern mitzubekommen, die auf früher anspielten. Diese Anspielungen konnte ich dann in den Texten wiederfinden. Allerdings fing ich damit erst später an – keiner war der Meinung, dass ein Kind die Aufzeichnungen lesen sollte. Ich war ziemlich neugierig auf diese ominösen Texte, aber man verbot sie mir lange Zeit. Ich konnte mich erst durchsetzen, als ich die Bekanntschaft von Jonas machte.
Eve am Abend ihres Schulballs
Sadie und Nell
Und ich? Tja, ich stehe nicht gern im Mittelpunkt, ich mag große Menschenansammlung nicht und viele Altersgenossen waren mir damals oft einfach zu oberflächlich. Also ließ ich mich selten wahrnehmen. Natürlich hatte ich ein paar Freunde, gerade in der Grundschule und den unteren Klassen, aber es war keine dieser ein Leben haltenden Freundschaften dabei. Von Geburt an weiße Haare und gelbe Augen zu haben, macht einem das Leben auch nicht leichter. Zunächst riefen mich einige Freak, aber irgendwann wurde Geistermädchen daraus. Um ehrlich zu sein, machte mir dieser Spitzname wenig aus. Denn ich hatte meine Isolation, meine Nicht-Wahrnehmung, ja selbst in der Hand. Zu meiner Schande muss ich außerdem eingestehen, dass ich immer schon eine gewisse Hybris besaß, die mich während der Schulzeit oft auf meine Mitschüler herabblicken ließ. Zwar äußerte ich mich selten, aber das Gefühl den meisten (intellektuell) überlegen zu sein, glich für mich Spitznamen und Gejohle aus. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn ich habe mit ansehen müssen, wie andere Kids an diesen Sachen verzweifelten. Ich habe einfach das Glück, schon mit einem potenten Selbstbewusstsein auf die Welt gekommen zu sein.
Vielleicht ist mein Selbstbewusstsein aber auch nicht angeboren, sondern anerzogen. Oder teils teils. Ich glaube die Erziehung meiner Eltern, aber vor allem die Sozialisation durch meine Urgroßeltern und Großeltern, war darauf ausgelegt mir ein möglichst große Resilienz zu verschaffen. Die Entscheidung mich zur Erbin zu erklären, war nämlich schon ziemlich früh gefallen. Wenn man genau aufpasste – und die Chance hatte ich durch meine Fähigkeit nun mal häufig – dann fiel schon ein etwas anderer Umgang meiner Familie mit meinen Schwestern auf. Vielleicht lag es auch daran, dass sie acht und sechs Jahre älter waren. Oder einfach andere Charakterzüge hatten. Oder eben doch daran, dass ich die Erbin war. Wer weiß …
Eve war schon immer sehr auf meinen Vater fixiert, ein Papa-Kind wie man sagt. Als ich später erfuhr, dass sie einen anderen leiblichen Vater, wunderte mich das schon etwas, denn Eve wusste es seit sie acht Jahre alt war. Aber Eve und Dad waren wie Pech und Schwefel. Sadie hingegen war mehr Mama-Kind. Mom hatte einen wesentlich längeren Geduldsfaden was ihre Streiche anging und setzte sich ohne viel Aufhebens mit den Konsequenzen auseinander. Manchmal hatte ich sogar den Verdacht, dass Mom sich gerne an ihren Streichen beteiligen würde. Und ich? Ich hatte beide gleich lieb, vertraute beiden gleich sehr. Aber noch wichtiger als für Eve und Sadie waren für mich meine Urgroßeltern.
Die beiden waren wirklich schon alt und lebten bei uns (oder wir bei ihnen?). Zwar lebten meine Großeltern auch direkt daneben, aber da Granda David und Grandma Akki beide noch lange arbeiten gingen, hatten sie etwas weniger Zeit für uns als Oma Kira und Grandpa Darrel. Beide hatten immer ein offenes Ohr, einen Rat wenn man wollte (oder auch nicht, zumindest Oma war da nie zimperlich) und viel Verständnis für … alles. Ich habe unglaublich viel von beiden gelernt. Nicht nur Dinge, die man direkt benennen kann, wie zum Beispiel perfekte Marmelade zu machen oder sich auch als kleine und schwächere Person selbst zu verteidigen, sondern vor allem, wie man sich gegenüber anderen Sims verhalten sollte, wie man sie liest. Und auch, wie man sie manipulieren kann. Ich glaube nicht, dass beide sich darüber bewusst waren, dass sie regelmäßig andere manipulierten (nie zu deren Nachteil). Aber – wenn man eben nicht wahrgenommen wird – dann kann man mit der Zeit so einiges dazu lernen. Besonders von zwei Sims, die mehrere Leben gelebt haben und dabei nicht immer fair gespielt haben. Japp, von den Wiedergeburten wusste ich auch schon, bevor Dad mir davon erzählt hat. Und ja, ich kann wahrscheinlich wesentlich mehr von den Aufzeichnungen lesen als mein Vater oder Granda. Vermutlich liegt es daran, dass ich immer wieder das Glück hatte, einige Gesprächsfetzen von meinen Urgroßeltern mitzubekommen, die auf früher anspielten. Diese Anspielungen konnte ich dann in den Texten wiederfinden. Allerdings fing ich damit erst später an – keiner war der Meinung, dass ein Kind die Aufzeichnungen lesen sollte. Ich war ziemlich neugierig auf diese ominösen Texte, aber man verbot sie mir lange Zeit. Ich konnte mich erst durchsetzen, als ich die Bekanntschaft von Jonas machte.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 2 – Jonas
Jonas. Ich hatte den Namen schon das ein oder andere Mal von meinen Urgroßeltern gehört. Immer nur, wenn sie mich nicht wahrnahmen und sich allein glaubte. Allerdings war das schon ein Kunststück bei den beiden. Gerade Grandpa Darrel schien einen sechsten Sinn für meine Anwesenheit zu besitzen. Und Oma stand ihm darin fast nicht nach. Es war geradezu unheimlich, dass sie mich meistens bemerkten. Nur wenn ich Glück hatte, konnte ich nicht wahrnehmbar bleiben. Bei einem dieser seltenen Anlässe hörte ich sie über einen Sim namens Jonas sprechen, der wohl bald zu Besuch kommen würde. Ich war damals zwölf.
„Wenn Jonas kommt …“, wollte mein Urgroßvater ansetzen, doch Oma unterbrach ihn: „Wenn es denn Jonas ist! Mit der verschobenen Zeitlinie und dem Resetknopf, wissen wir ja gar nicht, ob es Jonas sein wird.“
Wenn Oma das tat, dann wollte sie ablenken. Sie plapperte dann immer etwas daher, was zwar peripher mit dem Thema verwandt ist, aber es soll den Gesprächspartner von seiner eigentlichen Intention ablenken. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass es bei Grandpa nicht funktionierte.
„Kätzchen, ob Jonas oder nicht …“ Dann brach er ab, sah um die Ecke und entdeckte mich. Ich war vorbereitet, saß mit meinen Hausaufgaben auf dem Boden und hatte sogar einen Ohrstöpsel eingesteckt.
„Alles klar, Lace?“
„Hm? Ja, sicher. Kannst du mir nachher bei Mathe helfen?“
Vermutlich könnte man meinen, dass ich ein ganz schön durchtriebenes Kind gewesen bin. Vielleicht sogar hinterhältig. Zu meiner Verteidigung muss ich jedoch sagen, dass ich meine Fähigkeit selten missbrauchte. Ja, ich war neugierig und wollte gerne alles wissen. Aber ich nutzte mein Wissen nie (fast nie) aus, um jemandem zu schaden oder andere Sims zu erpressen. Aber wissen wollte ich trotzdem alles. Vor allem, wenn so spannende Begriffe wie „verschobene Zeitlinie“ oder „Resetknopf“ fallen. Allerdings gelang es mir danach nie wieder meine Urgroßeltern zu belauschen. Ein paar Wochen später kam nämlich Jonas.
Es war Wochenende. Dad war mit Sadie am Vortag abgereist, um sich Eves College mit ihr anzugucken. Mom hatte Nachtschicht gehabt. Sie hatte ein paar Stunden geschlafen und stand jetzt in der Küche, kochte Kaffee und fragte mich was ich frühstücken wollte.
Ich zuckte die Schultern. Wie meinem Vater bin ich nicht auf eine Leibspeise festgelegt. Ich esse so ziemlich alles. „Ich frag Oma und Grandpa was sie wollen.“ Mom nickte nur und starrte die Kaffeemaschine ungeduldig an, als könne sie das Gerät so dazu bewegen schneller Kaffee zu brühen. Nach Nachtschichten war sie immer besonders auf Koffein angewiesen. Sie hatte das Teetrinken (und die Versuche, andere mit Tee zu beglücken) aufgegeben. Nach all den Jahren war ihr endlich bewusst geworden, dass sie in eine Kaffee-Familie eingeheiratet hatte. Damals verstand ich das noch nicht, aber nur ein paar Jahre später, wurde auch ich zur Kaffeetrinkerin.
Ich überließ Mom ihrer ungeduldigen Warterei auf den ersten Kaffee und ging zur Küchentür hinaus. Grandpa und Oma hatten ihre Räume in der ehemaligen Scheune. Meist schliefen sie allerdings nur dort. Die Küchenzeile hatten sie fast vollständig zurückgebaut, nur die beiden hängenden Korbsessel, die sie länger besaßen als sie verheiratet waren, wurden regelmäßig genutzt. Ich wunderte mich an diesem Morgen, denn normalerweise waren die beiden Frühaufsteher. Oma kümmerte sich immer um das Frühstück, wenn Mom Nachtschicht hatte. Naja, die beiden waren über neunzig, da darf man schon mal verschlafen.
Ich klopfte an der Scheunentür, und als ich keine Reaktion erhielt, öffnete ich die Tür. Aus dem Schlafzimmer hörte ich Stimmen. Mehr als zwei. Sofort war meine Neugier geweckt. Gleichzeitig hatte ich ein bisschen Angst, denn die fremde Stimme klang unheimlich. Ich schlich mich – darauf bedacht nicht wahrgenommen zu werden – zur Schlafzimmertür.
„...froh, dass du du bist, Jonas.“, sagte meine Oma gerade.
Die fremde Stimme – Jonas – lachte scheppernd. „Tja, für den Rest des Simiversums wurde vielleicht der Resetknopf gedrückt, aber nicht für uns.“ Es trat eine kurze Stille ein, dann fuhr Jonas mit schwerer Stimme fort: „Ihr wisst, dass es diesmal keine Wiedergeburt gibt?“
Ich nahm an, dass meine Urgroßeltern einen dieser Blicke tauschte, bevor Oma antwortete: „Das wissen wird. Wir haben uns in diesem Leben endlich gefunden. Kann nicht behaupten, happy zu sein – oh apropos, was ist mit de- … ja, schon gut, Darrel, ich lenk nicht ab.“
„Bevor du wieder eine Szene machst, wie in Sanctuary – ein Handel ist nicht möglich.“
Tiefes Seufzen meiner Urgroßmutter. „Wir gehen beide! Wir gehen nicht getrennt!“
„Ach, Kira. Wenn du mich nur einmal ausreden lassen würdest! Aber das konntest du ja noch nie gut.“
„Pff.“
„Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht handeln darf, wäre es in diesem Fall nicht möglich, weil ihr beide für heute auf meiner Liste steht.“
„Oh.“
„Hey, was soll das? Nicht abhau-“, rief plötzlich Jonas auf, aber da wurde auch schon die Tür aufgerissen und Grandpa sah mich entsetzt an. Ich weiß nicht, was mich mehr schockierte: Ihn so entsetzt zu sehen oder den Sensemann im Schlafzimmer meiner Urgroßeltern zu finden. Oma nahm erschrocken die Hand vor den Mund.
„Ach, so ein Mist.“, sagte der Sensemann.
„Das ist Jonas?“ Ich weiß bis heute nicht, warum ich – trotz meines Schrecks – diese Frage, ausgerechnet diese Frage, gestellt habe. Und das in einem ziemlich ungläubigen Ton.
„Lace.“ Grandpa kam langsam auf mich zu. Er bewegte sich längst nicht mehr so leicht wie früher. „Ich wünschte du wärst nicht gekommen.“
„Schleicht sie sich immer so an?“, fragte Jonas im Plauderton meine Oma. Die hatte Tränen in den Augen und fauchte ihn auf deutsch an.
Mit einem Mal traf mich die Erkenntnis. Dass sich Jonas, der Sensemann, in ihrem Schlafzimmer aufhielt, konnte nur eins bedeuten …
„Müsst ihr sterben?“
Grandpa schloss mich in die Arme und drückte mich fest an sich. Zum ersten Mal erlebte ich ihn ohne Worte. Oma stürzte auf uns zu und drückte sich auch an mich. Selbst sie war sprachlos. Hilfesuchend sah ich den Sensemann an. Unter seiner großen Kapuze war nichts zu erkennen, doch er hob die Schultern, so als wolle sagen: Nicht meine Schuld! Dann kam er auch zu uns.
„Ja, ich bin Jonas, Lace. Keine Sorgen, du kannst hier bleiben, deine Zeit ist noch lange nicht gekommen. Aber die beiden hier.“ Er legte beiden jeweils eine knöcherne Hand auf die Schulter. „Die müssen leider mit.“
„Lace, wir sind alt.“, brachte Grandpa mit zitternder Stimme hervor. Er gab mir ein Küsschen auf den Scheitel.
„So alt seid ihr gar nicht!“, widersprach ich störrisch. Herausfordernd sah ich den Sensemann an. Der hob abermals die Schultern.
„Sei nicht traurig, mein Schatz.“ Oma strich mir über den Rücken. Sie sah Grandpa lange an, bevor sie sich wieder mir zuwendete. „Wir sind wirklich alt. Aber wir haben ein wundervolles Leben gehabt. Mit wunderbaren Kinder, Enkeln und Urenkeln.“
Die Erkenntnis, dass sie wirklich sterben würden, raubt mir die Stimme. Ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Wieder drückten meine Urgroßeltern mich.
„Kopf hoch, Lace. Wir sind stolz auf dich.“, sagte Grandpa.
Jonas räusperte sich und tippte auf sein linkes Handgelenk. Überraschenderweise trug er eine Smartwatch. Zu sagen, ich wäre irritiert, trifft es nicht im geringsten. So leistete ich auch keinen Widerstand, als Oma und Grandpa sich von mir lösten und Hand in Hand zum Sensemann gingen. „Wir lieben dich Lace.“, sagten sie unisono, bevor sie Jonas zu nickten.
Die beiden legten sich auf ihr Bett und nur Sekunden später, waren sie tot. Puff, einfach so. Ich starrte ungläubig auf ihre Körper.
„Wenigstens mussten sie nicht leiden. Ich hasse nichts mehr als Klienten, die unter Schmerzen sterben müssen.“ Jonas Plauderton riss mich aus meiner Starre.
„Du bist nicht gerade empathisch.“, schnaubte ich.
„Und du ganz schön vorlaut.“
Wir starrten uns an. Ein zwölfjähriges, heulendes Mädchen auf der einen Seite, ein Sensemann namens Jonas auf der anderen. Schließlich zuckte er mit den Achseln.
„Nimm's dir nicht so sehr zu Herzen.“ Als ich ihn unterbrechen wollte, hob er gebieterisch die Hand. „Ich mach nur meinen Job! Wenn es nach mir ginge, würde Kira bis ans Ende des Simiversums glücklich leben, aber ich mach die Regeln nicht.“ Dann sah er sich verschwörerisch um. „Außerdem kann man bei den beiden.“ Er wies auf die Toten. „Nie wissen. Auch wenn offiziell“ Er machte Gänsefüßchen mit den Händen. „Sense ist.“ Er kicherte über seinen Wortwitz.
Wieder blieb mir nicht viel als mit offenem Mund zu glotzen.
Jonas schulterte seine Sense. „Lace, ich weiß, du hast ein blödes Los gezogen. Du wirst bestehen.“ Er begann langsam durchsichtig zu werden. Sein Blick lag prüfend auf mir, zumindest schloss ich das aus der Haltung seines Kopfes. „Kopf hoch.“
Der Tod meiner Urgroßeltern, der Begründer der Felinger-Familie, riss uns alle in ein tiefes Loch. Wir richteten eine Beerdigung aus, zu der alle Kinder, Enkel und Urenkel kamen. Außerhalb der Familie luden wir niemanden ein, auch wenn Oma und Grandpa sehr beliebt waren. Wir wollten unter uns bleiben. Davon abgesehen platzte das Haus ohnehin aus allen Nähten. Kira und Darrel hatten fünf Kinder (sechs, wenn man Onkel Lennard mitgezählt hätte, der war aber schon bei einem Verkehrsunfall ein paar Jahre zuvor umgekommen), sieben Enkel (plus Lennards Sohn Cemre, der extra aus Seutschland anreiste) und sieben Urenkel (wobei diese Zahl vermutlich noch steigen würde, denn drei Enkel waren zu diesem Zeitpunkt gerade mit der Schule fertig). Obwohl ich die meisten meiner Verwandten kannte, war ich ganz froh, dass Granda auf der Feier einen Familienstammbau auslegte, denn sonst hätte ich nicht immer gewusst, wem ich gerade die Hand schüttele oder an wessen Schulter ich heulte.
Oma und Grandpa hatten schon vor etwas längerer Zeit einen Teil des Feldes, das hinter unserem Haus lag und zwar uns gehörte, aber nicht zum eigentlichen Grundstück zählte, als Familienfriedhof herrichten lassen. Sie hatten sogar Omas Oma Henny umbetten lassen, so dass dort drei Grabstellen lagen (und ein kleiner Gedenkstein für die Katze meiner Urgroßeltern).
Sadie beschloss nach der Beerdigung, das College zu verschieben und jobbte stattdessen eine Weile, bevor sie ihr Chemie-Studium aufnahm. Während ihrer Kindheit und Jugend hätte ich es nie für möglich gehalten, aber sie wollte unbedingt in Grandas und Grandmas Fußstapfen treten und Naturwissenschaftlerin werden. Vielleicht hoffte sie aber auch nur, die ultimative Stinkbombe entwickeln zu können …
Eve wollte Lehrerin werden. Das passte zu ihr. Während der Ferien kam sie immer nach Hause und war ganz die liebe und fürsorgliche Tochter, die sie immer gewesen war. Es war in den Winterferien, als ihr Hunter, den sie seit dem Kindergarten kannte und mit dem sie seit dem ersten Highschooljahr zusammen war, einen Antrag machte. Vorher hatte er ganz brav bei Mom und Dad um Eves Hand angehalten (ja, ich war dabei und keiner hat's bemerkt).
„Wenn Jonas kommt …“, wollte mein Urgroßvater ansetzen, doch Oma unterbrach ihn: „Wenn es denn Jonas ist! Mit der verschobenen Zeitlinie und dem Resetknopf, wissen wir ja gar nicht, ob es Jonas sein wird.“
Wenn Oma das tat, dann wollte sie ablenken. Sie plapperte dann immer etwas daher, was zwar peripher mit dem Thema verwandt ist, aber es soll den Gesprächspartner von seiner eigentlichen Intention ablenken. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass es bei Grandpa nicht funktionierte.
„Kätzchen, ob Jonas oder nicht …“ Dann brach er ab, sah um die Ecke und entdeckte mich. Ich war vorbereitet, saß mit meinen Hausaufgaben auf dem Boden und hatte sogar einen Ohrstöpsel eingesteckt.
„Alles klar, Lace?“
„Hm? Ja, sicher. Kannst du mir nachher bei Mathe helfen?“
Vermutlich könnte man meinen, dass ich ein ganz schön durchtriebenes Kind gewesen bin. Vielleicht sogar hinterhältig. Zu meiner Verteidigung muss ich jedoch sagen, dass ich meine Fähigkeit selten missbrauchte. Ja, ich war neugierig und wollte gerne alles wissen. Aber ich nutzte mein Wissen nie (fast nie) aus, um jemandem zu schaden oder andere Sims zu erpressen. Aber wissen wollte ich trotzdem alles. Vor allem, wenn so spannende Begriffe wie „verschobene Zeitlinie“ oder „Resetknopf“ fallen. Allerdings gelang es mir danach nie wieder meine Urgroßeltern zu belauschen. Ein paar Wochen später kam nämlich Jonas.
Es war Wochenende. Dad war mit Sadie am Vortag abgereist, um sich Eves College mit ihr anzugucken. Mom hatte Nachtschicht gehabt. Sie hatte ein paar Stunden geschlafen und stand jetzt in der Küche, kochte Kaffee und fragte mich was ich frühstücken wollte.
Ich zuckte die Schultern. Wie meinem Vater bin ich nicht auf eine Leibspeise festgelegt. Ich esse so ziemlich alles. „Ich frag Oma und Grandpa was sie wollen.“ Mom nickte nur und starrte die Kaffeemaschine ungeduldig an, als könne sie das Gerät so dazu bewegen schneller Kaffee zu brühen. Nach Nachtschichten war sie immer besonders auf Koffein angewiesen. Sie hatte das Teetrinken (und die Versuche, andere mit Tee zu beglücken) aufgegeben. Nach all den Jahren war ihr endlich bewusst geworden, dass sie in eine Kaffee-Familie eingeheiratet hatte. Damals verstand ich das noch nicht, aber nur ein paar Jahre später, wurde auch ich zur Kaffeetrinkerin.
Ich überließ Mom ihrer ungeduldigen Warterei auf den ersten Kaffee und ging zur Küchentür hinaus. Grandpa und Oma hatten ihre Räume in der ehemaligen Scheune. Meist schliefen sie allerdings nur dort. Die Küchenzeile hatten sie fast vollständig zurückgebaut, nur die beiden hängenden Korbsessel, die sie länger besaßen als sie verheiratet waren, wurden regelmäßig genutzt. Ich wunderte mich an diesem Morgen, denn normalerweise waren die beiden Frühaufsteher. Oma kümmerte sich immer um das Frühstück, wenn Mom Nachtschicht hatte. Naja, die beiden waren über neunzig, da darf man schon mal verschlafen.
Ich klopfte an der Scheunentür, und als ich keine Reaktion erhielt, öffnete ich die Tür. Aus dem Schlafzimmer hörte ich Stimmen. Mehr als zwei. Sofort war meine Neugier geweckt. Gleichzeitig hatte ich ein bisschen Angst, denn die fremde Stimme klang unheimlich. Ich schlich mich – darauf bedacht nicht wahrgenommen zu werden – zur Schlafzimmertür.
„...froh, dass du du bist, Jonas.“, sagte meine Oma gerade.
Die fremde Stimme – Jonas – lachte scheppernd. „Tja, für den Rest des Simiversums wurde vielleicht der Resetknopf gedrückt, aber nicht für uns.“ Es trat eine kurze Stille ein, dann fuhr Jonas mit schwerer Stimme fort: „Ihr wisst, dass es diesmal keine Wiedergeburt gibt?“
Ich nahm an, dass meine Urgroßeltern einen dieser Blicke tauschte, bevor Oma antwortete: „Das wissen wird. Wir haben uns in diesem Leben endlich gefunden. Kann nicht behaupten, happy zu sein – oh apropos, was ist mit de- … ja, schon gut, Darrel, ich lenk nicht ab.“
„Bevor du wieder eine Szene machst, wie in Sanctuary – ein Handel ist nicht möglich.“
Tiefes Seufzen meiner Urgroßmutter. „Wir gehen beide! Wir gehen nicht getrennt!“
„Ach, Kira. Wenn du mich nur einmal ausreden lassen würdest! Aber das konntest du ja noch nie gut.“
„Pff.“
„Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht handeln darf, wäre es in diesem Fall nicht möglich, weil ihr beide für heute auf meiner Liste steht.“
„Oh.“
„Hey, was soll das? Nicht abhau-“, rief plötzlich Jonas auf, aber da wurde auch schon die Tür aufgerissen und Grandpa sah mich entsetzt an. Ich weiß nicht, was mich mehr schockierte: Ihn so entsetzt zu sehen oder den Sensemann im Schlafzimmer meiner Urgroßeltern zu finden. Oma nahm erschrocken die Hand vor den Mund.
„Ach, so ein Mist.“, sagte der Sensemann.
„Das ist Jonas?“ Ich weiß bis heute nicht, warum ich – trotz meines Schrecks – diese Frage, ausgerechnet diese Frage, gestellt habe. Und das in einem ziemlich ungläubigen Ton.
„Lace.“ Grandpa kam langsam auf mich zu. Er bewegte sich längst nicht mehr so leicht wie früher. „Ich wünschte du wärst nicht gekommen.“
„Schleicht sie sich immer so an?“, fragte Jonas im Plauderton meine Oma. Die hatte Tränen in den Augen und fauchte ihn auf deutsch an.
Mit einem Mal traf mich die Erkenntnis. Dass sich Jonas, der Sensemann, in ihrem Schlafzimmer aufhielt, konnte nur eins bedeuten …
„Müsst ihr sterben?“
Grandpa schloss mich in die Arme und drückte mich fest an sich. Zum ersten Mal erlebte ich ihn ohne Worte. Oma stürzte auf uns zu und drückte sich auch an mich. Selbst sie war sprachlos. Hilfesuchend sah ich den Sensemann an. Unter seiner großen Kapuze war nichts zu erkennen, doch er hob die Schultern, so als wolle sagen: Nicht meine Schuld! Dann kam er auch zu uns.
„Ja, ich bin Jonas, Lace. Keine Sorgen, du kannst hier bleiben, deine Zeit ist noch lange nicht gekommen. Aber die beiden hier.“ Er legte beiden jeweils eine knöcherne Hand auf die Schulter. „Die müssen leider mit.“
„Lace, wir sind alt.“, brachte Grandpa mit zitternder Stimme hervor. Er gab mir ein Küsschen auf den Scheitel.
„So alt seid ihr gar nicht!“, widersprach ich störrisch. Herausfordernd sah ich den Sensemann an. Der hob abermals die Schultern.
„Sei nicht traurig, mein Schatz.“ Oma strich mir über den Rücken. Sie sah Grandpa lange an, bevor sie sich wieder mir zuwendete. „Wir sind wirklich alt. Aber wir haben ein wundervolles Leben gehabt. Mit wunderbaren Kinder, Enkeln und Urenkeln.“
Die Erkenntnis, dass sie wirklich sterben würden, raubt mir die Stimme. Ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Wieder drückten meine Urgroßeltern mich.
„Kopf hoch, Lace. Wir sind stolz auf dich.“, sagte Grandpa.
Jonas räusperte sich und tippte auf sein linkes Handgelenk. Überraschenderweise trug er eine Smartwatch. Zu sagen, ich wäre irritiert, trifft es nicht im geringsten. So leistete ich auch keinen Widerstand, als Oma und Grandpa sich von mir lösten und Hand in Hand zum Sensemann gingen. „Wir lieben dich Lace.“, sagten sie unisono, bevor sie Jonas zu nickten.
Die beiden legten sich auf ihr Bett und nur Sekunden später, waren sie tot. Puff, einfach so. Ich starrte ungläubig auf ihre Körper.
„Wenigstens mussten sie nicht leiden. Ich hasse nichts mehr als Klienten, die unter Schmerzen sterben müssen.“ Jonas Plauderton riss mich aus meiner Starre.
„Du bist nicht gerade empathisch.“, schnaubte ich.
„Und du ganz schön vorlaut.“
Wir starrten uns an. Ein zwölfjähriges, heulendes Mädchen auf der einen Seite, ein Sensemann namens Jonas auf der anderen. Schließlich zuckte er mit den Achseln.
„Nimm's dir nicht so sehr zu Herzen.“ Als ich ihn unterbrechen wollte, hob er gebieterisch die Hand. „Ich mach nur meinen Job! Wenn es nach mir ginge, würde Kira bis ans Ende des Simiversums glücklich leben, aber ich mach die Regeln nicht.“ Dann sah er sich verschwörerisch um. „Außerdem kann man bei den beiden.“ Er wies auf die Toten. „Nie wissen. Auch wenn offiziell“ Er machte Gänsefüßchen mit den Händen. „Sense ist.“ Er kicherte über seinen Wortwitz.
Wieder blieb mir nicht viel als mit offenem Mund zu glotzen.
Jonas schulterte seine Sense. „Lace, ich weiß, du hast ein blödes Los gezogen. Du wirst bestehen.“ Er begann langsam durchsichtig zu werden. Sein Blick lag prüfend auf mir, zumindest schloss ich das aus der Haltung seines Kopfes. „Kopf hoch.“
Der Tod meiner Urgroßeltern, der Begründer der Felinger-Familie, riss uns alle in ein tiefes Loch. Wir richteten eine Beerdigung aus, zu der alle Kinder, Enkel und Urenkel kamen. Außerhalb der Familie luden wir niemanden ein, auch wenn Oma und Grandpa sehr beliebt waren. Wir wollten unter uns bleiben. Davon abgesehen platzte das Haus ohnehin aus allen Nähten. Kira und Darrel hatten fünf Kinder (sechs, wenn man Onkel Lennard mitgezählt hätte, der war aber schon bei einem Verkehrsunfall ein paar Jahre zuvor umgekommen), sieben Enkel (plus Lennards Sohn Cemre, der extra aus Seutschland anreiste) und sieben Urenkel (wobei diese Zahl vermutlich noch steigen würde, denn drei Enkel waren zu diesem Zeitpunkt gerade mit der Schule fertig). Obwohl ich die meisten meiner Verwandten kannte, war ich ganz froh, dass Granda auf der Feier einen Familienstammbau auslegte, denn sonst hätte ich nicht immer gewusst, wem ich gerade die Hand schüttele oder an wessen Schulter ich heulte.
Oma und Grandpa hatten schon vor etwas längerer Zeit einen Teil des Feldes, das hinter unserem Haus lag und zwar uns gehörte, aber nicht zum eigentlichen Grundstück zählte, als Familienfriedhof herrichten lassen. Sie hatten sogar Omas Oma Henny umbetten lassen, so dass dort drei Grabstellen lagen (und ein kleiner Gedenkstein für die Katze meiner Urgroßeltern).
Sadie beschloss nach der Beerdigung, das College zu verschieben und jobbte stattdessen eine Weile, bevor sie ihr Chemie-Studium aufnahm. Während ihrer Kindheit und Jugend hätte ich es nie für möglich gehalten, aber sie wollte unbedingt in Grandas und Grandmas Fußstapfen treten und Naturwissenschaftlerin werden. Vielleicht hoffte sie aber auch nur, die ultimative Stinkbombe entwickeln zu können …
Eve wollte Lehrerin werden. Das passte zu ihr. Während der Ferien kam sie immer nach Hause und war ganz die liebe und fürsorgliche Tochter, die sie immer gewesen war. Es war in den Winterferien, als ihr Hunter, den sie seit dem Kindergarten kannte und mit dem sie seit dem ersten Highschooljahr zusammen war, einen Antrag machte. Vorher hatte er ganz brav bei Mom und Dad um Eves Hand angehalten (ja, ich war dabei und keiner hat's bemerkt).
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 3 – Felicia
Die Welt drehte sich weiter, auch wenn mir der Verlust meiner Urgroßeltern jeden Tag ein bisschen bewusst war. Ich hatte wenige Freunde, eher ein paar lose Bekannte, und den meisten vertraute ich nicht genug um mit ihnen über meine Gefühle zu sprechen. Sei es die Trauer über den Verlust, Zorn über irgendwelche Kleinigkeiten in der Schule, Freude, Amüsement – jede Emotion, die ein Sim erleben kann, machte ich nach dem Tod meiner Urgroßeltern mit mir selber aus. Ich hätte mich sicher meinen Schwestern anvertrauen können, aber während meiner Teenagerzeit waren sie die meiste Zeit über auf dem College. Später, als sie nach Riverview zurückkehrten, waren sie mit ihren Jobs beschäftigt. Außerdem bildete ich mir einiges darauf ein, mit allem allein klar zu kommen. War ich nicht unglaublich erwachsen, innerlich gefestigt und souverän? So wie mein Dad immer ein Maske nach außen trug, um seine Gefühle unter Kontrolle zu haben, projizierte ich nach außen hin das Bild einer reifen Person, die auf die Gefühlsausbrüche und sporadischen Rebellionen ihrer Altersgenossen spöttisch herabblickte (das konnte ich ja ohnehin ziemlich gut). Mein Spitzname Geistermädchen blieb und nahm meine Rolle als erhabene Außenseiterin an. Das änderte sich erst im letzten Schuljahr, als ich Felicia über den Weg lief.
Eigentlich ist „über den Weg laufen“ der falsche Ausdruck, denn Felicia und ich kannten uns seit der ersten Klasse. Sie schien vom ersten Schultag an eine Abneigung gegen mich gefasst zu haben und schnitt mich. Später war sie eine der ersten, die mich Freak nannten. Als der Name Geistermädchen aufkam, schmollte sie eine Weile, vielleicht weil sie dachte, Geistermädchen war weniger despektierlich als Freak. Während der kompletten Highschoolzeit ignorierte sie mich dann, worüber ich froh war, denn sie war eine dieser oberflächlichen Cheerleader-Tussen (also das komplette Gegenteil von Eve).
Ich war an diesem Tag länger als gewöhnlich in der Schule. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schülern, war ich kein besonders großer Fan von schulisch organisierter Freizeitgestaltung, weswegen ich nie einem Club oder eine AG beigetreten war. Das bekümmerte die Vertrauenslehrer, so dass ich ein stundenlanges Gespräch über mich ergehen lassen musste, in dessen Verlauf meine geistige Gesundheit und meine Liebe zum Leben fast in Frage gestellt wurden. Leider konnte ich mich vor diesem Gespräch nicht drücken. Ich war drauf und dran, meine Eltern anzurufen, so empört war ich. Es sollte ja wohl meine Entscheidung sein, wie viel Zeit ich in der Schule nach dem Unterricht verbringen und wie engen Kontakt ich zu meinen Mitschülern haben wollte!? Ich beschloss das Gespräch mit dem Hinweis, dass wir in einer Demokratie und nicht im Sozialismus lebten, was die Vertrauenslehrer einigermaßen sprachlos zurückließ. Vermutlich wählten sie in dem Moment die Nummer meiner Eltern, in dem ich das Büro verließ. Zu sagen, ich war sauer, wäre über eine Untertreibung. Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich das Bedürfnis bei einer anderen Person Dampf abzulassen. Sadie war auf dem College, Eve ausgerechnet heute einen Tagesausflug mit ihrer ersten Klasse. Meine Großeltern wären eine Möglichkeit gewesen, aber Grandma kannte sich mit dem simlischen Schulsystem nicht aus. Blieben also meine Eltern oder Granda. Während ich durch die Flure der Schule lief wog ich ab, an wen ich mich wenden konnte und wie ich meinem Unmut Luft machen konnte. Ich seufzte tief. Als ich an den Toiletten vorbei kam, hörte ich hinter der Tür jemanden weinen. Ich blieb mitten im Schritt stehen und starrte die Tür vorwurfsvoll an. Ja, ich mag mich isolieren, aber wer bitte ist so gefühlskalt, dass er weinende Sims einfach ignoriert? Ich sah mich rasch im Flur um – die Luft war rein – und schlich zur Toilettentür. Mit der Hand auf der Klinke überlegte ich einen Moment, ob ich mich bemerkbar machen oder ob ich erst mal die Lage sondieren sollte. Weil es mir hinterhältig vorkam, ging ich wahrnehmbar in den Raum.
„Hallo? Ist alles ok? … oh, Felicia.“
In einer Ecke saß zusammengesunken besagtes Mädchen und heulte Rotz und Wasser. Als sie meiner gewahr wurde, erstarrte sie. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber dann vergrub sie nur das Gesicht in den Händen. Ich zuckte mit den Schultern und riss ein paar Papiertücher aus dem Spender. Ich hockte mich neben Felicia und reichte ihr wortlos die Tücher. Sie griff blind danach und schnäuzte sich lautstark. So einfach schwindet die Anmut eines Cheerleaders …
Ich blieb eine Weile neben ihr hocken. Felicia verbrauchte ein Tuch nach dem anderen. Ein beachtlicher Berg zerknüllter und voll gerotzter Cellulose entstand neben ihr, während ich beständig für Nachschub sorgte. Irgendwann protestierten meine Knie und ich setzte mich neben sie auf den Boden. Still legte ich ihr die Hand auf die Schulter. Wer derart heulte und schniefte, dem musste es wirklich schlecht gehen. Das war keine dieser emotionalen Teenager-Heulungen, sondern ein ausgewachsenes Problem. Mein Zorn über die Vertrauenslehrer verrauchte, angesichts dieses Häufchen Elends. Ich überlegte, ob mir in letzter Zeit irgendetwas aufgefallen war, dass mir einen Hinweis liefern konnte. Felicia war zu Beginn des Monats ein paar Tage krank gewesen. Sie kam ziemlich blass zurück, schien aber ihr Selbstbewusstsein nicht eingebüßt zu haben. Vielleicht trat sie sogar noch ein bisschen präsenter auf als sonst. Was Klatsch und Tratsch anging, hatte ich nicht viel gehört – zumindest nicht von den Schülerinnen. Ich hatte keine Ahnung was die Gerüchte in der Jungsumkleide betraf, denn auch wenn ich mich nicht wahrnehmbar machen konnte, hatte meine Geruchstoleranz ihre Grenzen (außerdem wäre das schon etwas … pervers).
„Bitte sag keinem, wie du mich gefunden hast.“ Felicias Stimme riss mich aus meinen Überlegungen. Sie klang rau, heiser und leicht nasal. Ich sah sie überrascht von der Seite an – Nase und Augen gerötet, das Makeup verschmiert. Ich zuckte mit den Schultern.
„Kann ich dir helfen?“, fragte ich schließlich. Das brachte Felicia erneut zum Weinen. Also riss ich noch mehr Tücher aus dem Spender, reichte ihr sie und legte den Arm um sie. Felicia vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter. Statt der Tücher wurde nun mein Oberteil voll geheult und gerotzt. Ich versuchte meinen Ekel zu unterdrücken und strich dem Mädchen über den Rücken. Als ich aus dem Flur die Reinigungskräfte hörte, zog ich Felicia hoch und lief mit ihr an der Hand, an der verdutzten Sima vorbei. Wegen des Gesprächs war ich an diesem Tag ausnahmsweise mit dem Auto gekommen. Ich setzte Felicia auf den Beifahrersitz. Seit ihrer Bitte, niemanden von ihrem Zustand zu erzählen, hatte sie nichts mehr gesagt. Sie erschien mir willenlos. Während ich ums Auto herumlief, seufzte ich. Mein erster Impuls war, sie einfach bei ihren Eltern abzusetzen, aber irgendwie kam mir das nicht richtig vor. Also nahm ich sie mit nach Hause.
Ich parkte den Wagen vor der Scheune und nahm Felicia abermals bei der Hand. Dad arbeitete von zuhause, weswegen er sicher im Haus war. Mom war arbeiten, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Felicia gerne jemanden über den Weg laufen wollte. Also brachte ich sie ins Obergeschoss der Scheune, wo wir ein Gästezimmer hatten. Felicia ließ sich auf das untere Bett des Etagenbetts fallen und rollte sich zu einer kleinen Kugel zusammen. „Ich bin gleich wieder da.“
Aus der Küche holte ich etwas zu trinken und ein paar Kekse. Außerdem holte ich Abschminktücher und einen kühlen Waschlappen. Dabei ließ ich nicht zu, dass Dad mich bemerkte. Er musste zwar das Auto gehört haben, aber er wusste ja, wie ich war. Außerdem war er in seine Arbeit vertieft. Auf dem Weg zum Gästezimmer schnappte ich mir ein frisches T-Shirt aus der noch nicht gefalteten, aber gewaschenen Wäsche im Waschraum. Seit meine Großeltern nicht mehr lebten, blieb oft irgendwas im Haushalt liegen. Ich hatte einmal vorgeschlagen, eine Haushaltshilfe einzustellen, aber Dad befürchtete, dass die Beobachter einen Agenten schicken könnten. Seine Sorge in Bezug auf die Beobachter schien mit den Jahren zuzunehmen. Es grenzte noch nicht an Paranoia, aber er war wesentlich vorsichtiger geworden. Er blieb meistens zuhause, arbeitete am PC oder kümmerte sich mit meiner Hilfe um den Garten. In die Stadt ging er nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. Besuche bei meinen Schwestern waren eine der wenigen Möglichkeiten ihn aus dem Haus zu locken.
Vor der Tür zum Gästezimmer stellte ich das Tablett mit den Keksen und den Wasserflaschen ab, um das T-Shirt zu wechseln, bevor ich hineinging. Felicia sah mich mit großen, geröteten Augen an. Ich gab ihr die Abschminktücher und den Waschlappen. Sie säuberte ihr Gesicht und legte sich den kühlen Lappen auf die Augen. „Danke.“, brachte sie hervor.
Ich zuckte mit den Schultern. Als mir einfiel, dass sie mich wegen des Lappens nicht sehen konnte, sagte ich: „Kein Problem.“ Ich schraubte eine Wasserflasche auf und drückte sie Felicia in die Hand, bevor ich die zweite für mich öffnete. Schweigend nahmen wir ein paar Schlucke, bevor ich mich über die Kekse hermachte. Zwar war ich wenig kompliziert, was Essen anging, aber Süßigkeiten konnte ich jederzeit zu mir nehmen. Felicia lehnte das Gebäck ab. Sie war einer der Sims, denen Stress und Trauer auf den Appetit schlägt.
„Kann ich …“, begann sie, nachdem wir bestimmt zehn Minuten geschwiegen haben. Sie brach ab und setzte sich auf. Der Lappen fiel ihr in den Schoß. Sie nahm ihn und knetete ihn nervös. „ich brauche jemanden, dem ich mich anvertrauen kann.“, sagte sie schließlich mit erstaunlich fester Stimme.
„Okaaaay … Wen soll ich anrufen?“ Die Aussicht einer ihrer Freundinnen in meiner Scheune sitzen zu haben, war nicht toll.
„Ich meinte dich.“, erwiderte Felicia.
„Mich? Und was prädestiniert gerade mich? Ist ja nicht so, als wären wir Freunde.“
„Genau deswegen.“ Felicia rieb sich mit dem Lappen durchs Gesicht. „Weil du Abstand hast.“
Ich zog die Augenbraue hoch. Das hatte ich mir von Grandpa Darrel abgeguckt und im Gegensatz zu meinen Schwestern gelang es mir, wirklich nur eine Braue zu bewegen – ein Talent, auf das Sadie unglaublich neidisch war.
Felicia sah mich mit ihrem arg in Mitleidenschaft gezogenen Gesicht an. Sie war fertig mit den Nerven. Noch nie hatte ich eine so mitgenommen aussehende Person gesehen, nicht mal auf der Beerdigung meiner Großeltern. Ich nahm noch einen Keks, bevor ich mich neben sie aufs Bett setzte. „Okay.“
Felicia atmete hörbar aus. Sie sah mich dankbar an. Dann suchte sie nach Worten, bevor sie mir erzählte, was ihr widerfahren war.
Eigentlich ist „über den Weg laufen“ der falsche Ausdruck, denn Felicia und ich kannten uns seit der ersten Klasse. Sie schien vom ersten Schultag an eine Abneigung gegen mich gefasst zu haben und schnitt mich. Später war sie eine der ersten, die mich Freak nannten. Als der Name Geistermädchen aufkam, schmollte sie eine Weile, vielleicht weil sie dachte, Geistermädchen war weniger despektierlich als Freak. Während der kompletten Highschoolzeit ignorierte sie mich dann, worüber ich froh war, denn sie war eine dieser oberflächlichen Cheerleader-Tussen (also das komplette Gegenteil von Eve).
Ich war an diesem Tag länger als gewöhnlich in der Schule. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schülern, war ich kein besonders großer Fan von schulisch organisierter Freizeitgestaltung, weswegen ich nie einem Club oder eine AG beigetreten war. Das bekümmerte die Vertrauenslehrer, so dass ich ein stundenlanges Gespräch über mich ergehen lassen musste, in dessen Verlauf meine geistige Gesundheit und meine Liebe zum Leben fast in Frage gestellt wurden. Leider konnte ich mich vor diesem Gespräch nicht drücken. Ich war drauf und dran, meine Eltern anzurufen, so empört war ich. Es sollte ja wohl meine Entscheidung sein, wie viel Zeit ich in der Schule nach dem Unterricht verbringen und wie engen Kontakt ich zu meinen Mitschülern haben wollte!? Ich beschloss das Gespräch mit dem Hinweis, dass wir in einer Demokratie und nicht im Sozialismus lebten, was die Vertrauenslehrer einigermaßen sprachlos zurückließ. Vermutlich wählten sie in dem Moment die Nummer meiner Eltern, in dem ich das Büro verließ. Zu sagen, ich war sauer, wäre über eine Untertreibung. Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich das Bedürfnis bei einer anderen Person Dampf abzulassen. Sadie war auf dem College, Eve ausgerechnet heute einen Tagesausflug mit ihrer ersten Klasse. Meine Großeltern wären eine Möglichkeit gewesen, aber Grandma kannte sich mit dem simlischen Schulsystem nicht aus. Blieben also meine Eltern oder Granda. Während ich durch die Flure der Schule lief wog ich ab, an wen ich mich wenden konnte und wie ich meinem Unmut Luft machen konnte. Ich seufzte tief. Als ich an den Toiletten vorbei kam, hörte ich hinter der Tür jemanden weinen. Ich blieb mitten im Schritt stehen und starrte die Tür vorwurfsvoll an. Ja, ich mag mich isolieren, aber wer bitte ist so gefühlskalt, dass er weinende Sims einfach ignoriert? Ich sah mich rasch im Flur um – die Luft war rein – und schlich zur Toilettentür. Mit der Hand auf der Klinke überlegte ich einen Moment, ob ich mich bemerkbar machen oder ob ich erst mal die Lage sondieren sollte. Weil es mir hinterhältig vorkam, ging ich wahrnehmbar in den Raum.
„Hallo? Ist alles ok? … oh, Felicia.“
In einer Ecke saß zusammengesunken besagtes Mädchen und heulte Rotz und Wasser. Als sie meiner gewahr wurde, erstarrte sie. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber dann vergrub sie nur das Gesicht in den Händen. Ich zuckte mit den Schultern und riss ein paar Papiertücher aus dem Spender. Ich hockte mich neben Felicia und reichte ihr wortlos die Tücher. Sie griff blind danach und schnäuzte sich lautstark. So einfach schwindet die Anmut eines Cheerleaders …
Ich blieb eine Weile neben ihr hocken. Felicia verbrauchte ein Tuch nach dem anderen. Ein beachtlicher Berg zerknüllter und voll gerotzter Cellulose entstand neben ihr, während ich beständig für Nachschub sorgte. Irgendwann protestierten meine Knie und ich setzte mich neben sie auf den Boden. Still legte ich ihr die Hand auf die Schulter. Wer derart heulte und schniefte, dem musste es wirklich schlecht gehen. Das war keine dieser emotionalen Teenager-Heulungen, sondern ein ausgewachsenes Problem. Mein Zorn über die Vertrauenslehrer verrauchte, angesichts dieses Häufchen Elends. Ich überlegte, ob mir in letzter Zeit irgendetwas aufgefallen war, dass mir einen Hinweis liefern konnte. Felicia war zu Beginn des Monats ein paar Tage krank gewesen. Sie kam ziemlich blass zurück, schien aber ihr Selbstbewusstsein nicht eingebüßt zu haben. Vielleicht trat sie sogar noch ein bisschen präsenter auf als sonst. Was Klatsch und Tratsch anging, hatte ich nicht viel gehört – zumindest nicht von den Schülerinnen. Ich hatte keine Ahnung was die Gerüchte in der Jungsumkleide betraf, denn auch wenn ich mich nicht wahrnehmbar machen konnte, hatte meine Geruchstoleranz ihre Grenzen (außerdem wäre das schon etwas … pervers).
„Bitte sag keinem, wie du mich gefunden hast.“ Felicias Stimme riss mich aus meinen Überlegungen. Sie klang rau, heiser und leicht nasal. Ich sah sie überrascht von der Seite an – Nase und Augen gerötet, das Makeup verschmiert. Ich zuckte mit den Schultern.
„Kann ich dir helfen?“, fragte ich schließlich. Das brachte Felicia erneut zum Weinen. Also riss ich noch mehr Tücher aus dem Spender, reichte ihr sie und legte den Arm um sie. Felicia vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter. Statt der Tücher wurde nun mein Oberteil voll geheult und gerotzt. Ich versuchte meinen Ekel zu unterdrücken und strich dem Mädchen über den Rücken. Als ich aus dem Flur die Reinigungskräfte hörte, zog ich Felicia hoch und lief mit ihr an der Hand, an der verdutzten Sima vorbei. Wegen des Gesprächs war ich an diesem Tag ausnahmsweise mit dem Auto gekommen. Ich setzte Felicia auf den Beifahrersitz. Seit ihrer Bitte, niemanden von ihrem Zustand zu erzählen, hatte sie nichts mehr gesagt. Sie erschien mir willenlos. Während ich ums Auto herumlief, seufzte ich. Mein erster Impuls war, sie einfach bei ihren Eltern abzusetzen, aber irgendwie kam mir das nicht richtig vor. Also nahm ich sie mit nach Hause.
Ich parkte den Wagen vor der Scheune und nahm Felicia abermals bei der Hand. Dad arbeitete von zuhause, weswegen er sicher im Haus war. Mom war arbeiten, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Felicia gerne jemanden über den Weg laufen wollte. Also brachte ich sie ins Obergeschoss der Scheune, wo wir ein Gästezimmer hatten. Felicia ließ sich auf das untere Bett des Etagenbetts fallen und rollte sich zu einer kleinen Kugel zusammen. „Ich bin gleich wieder da.“
Aus der Küche holte ich etwas zu trinken und ein paar Kekse. Außerdem holte ich Abschminktücher und einen kühlen Waschlappen. Dabei ließ ich nicht zu, dass Dad mich bemerkte. Er musste zwar das Auto gehört haben, aber er wusste ja, wie ich war. Außerdem war er in seine Arbeit vertieft. Auf dem Weg zum Gästezimmer schnappte ich mir ein frisches T-Shirt aus der noch nicht gefalteten, aber gewaschenen Wäsche im Waschraum. Seit meine Großeltern nicht mehr lebten, blieb oft irgendwas im Haushalt liegen. Ich hatte einmal vorgeschlagen, eine Haushaltshilfe einzustellen, aber Dad befürchtete, dass die Beobachter einen Agenten schicken könnten. Seine Sorge in Bezug auf die Beobachter schien mit den Jahren zuzunehmen. Es grenzte noch nicht an Paranoia, aber er war wesentlich vorsichtiger geworden. Er blieb meistens zuhause, arbeitete am PC oder kümmerte sich mit meiner Hilfe um den Garten. In die Stadt ging er nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. Besuche bei meinen Schwestern waren eine der wenigen Möglichkeiten ihn aus dem Haus zu locken.
Vor der Tür zum Gästezimmer stellte ich das Tablett mit den Keksen und den Wasserflaschen ab, um das T-Shirt zu wechseln, bevor ich hineinging. Felicia sah mich mit großen, geröteten Augen an. Ich gab ihr die Abschminktücher und den Waschlappen. Sie säuberte ihr Gesicht und legte sich den kühlen Lappen auf die Augen. „Danke.“, brachte sie hervor.
Ich zuckte mit den Schultern. Als mir einfiel, dass sie mich wegen des Lappens nicht sehen konnte, sagte ich: „Kein Problem.“ Ich schraubte eine Wasserflasche auf und drückte sie Felicia in die Hand, bevor ich die zweite für mich öffnete. Schweigend nahmen wir ein paar Schlucke, bevor ich mich über die Kekse hermachte. Zwar war ich wenig kompliziert, was Essen anging, aber Süßigkeiten konnte ich jederzeit zu mir nehmen. Felicia lehnte das Gebäck ab. Sie war einer der Sims, denen Stress und Trauer auf den Appetit schlägt.
„Kann ich …“, begann sie, nachdem wir bestimmt zehn Minuten geschwiegen haben. Sie brach ab und setzte sich auf. Der Lappen fiel ihr in den Schoß. Sie nahm ihn und knetete ihn nervös. „ich brauche jemanden, dem ich mich anvertrauen kann.“, sagte sie schließlich mit erstaunlich fester Stimme.
„Okaaaay … Wen soll ich anrufen?“ Die Aussicht einer ihrer Freundinnen in meiner Scheune sitzen zu haben, war nicht toll.
„Ich meinte dich.“, erwiderte Felicia.
„Mich? Und was prädestiniert gerade mich? Ist ja nicht so, als wären wir Freunde.“
„Genau deswegen.“ Felicia rieb sich mit dem Lappen durchs Gesicht. „Weil du Abstand hast.“
Ich zog die Augenbraue hoch. Das hatte ich mir von Grandpa Darrel abgeguckt und im Gegensatz zu meinen Schwestern gelang es mir, wirklich nur eine Braue zu bewegen – ein Talent, auf das Sadie unglaublich neidisch war.
Felicia sah mich mit ihrem arg in Mitleidenschaft gezogenen Gesicht an. Sie war fertig mit den Nerven. Noch nie hatte ich eine so mitgenommen aussehende Person gesehen, nicht mal auf der Beerdigung meiner Großeltern. Ich nahm noch einen Keks, bevor ich mich neben sie aufs Bett setzte. „Okay.“
Felicia atmete hörbar aus. Sie sah mich dankbar an. Dann suchte sie nach Worten, bevor sie mir erzählte, was ihr widerfahren war.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 4 – Nein
Etwas später stand ich im Badezimmer der Scheune und überlegte, ob ich die Kekse auskotzen sollte. Es war so widerlich. Ein Simo aus dem Bekanntenkreis ihrer Eltern hatte Felicia schon seit sie noch ein Kind war missbraucht. Vor einigen Monaten war sie schwanger geworden und ihre Mutter hatte durchgesetzt, dass Felicia abtrieb. Eine Anzeige kam nicht zustande, weil Felicias Mutter angeblich um Felicias Ruf fürchtete. Immerhin hatte die Familie den Mann gezwungen, die Stadt zu verlassen. Ich hielt mich am Waschbecken fest. Meine Knöchel traten weiß hervor. Widerlich war ein viel zu schwaches Wort. Ich war so abgestoßen, nicht von Felicia, um Simmers willen!, sondern von ihrer Familie und natürlich dem Täter. Wie konnte man seinem eigenen Kind so etwas antun. Wütend schlug ich auf das Waschbecken.
„Lacey?“ Mein Vater riss mich aus meinen Gedanken und ich beeilte mich aus dem Bad die Treppe hinunter in den Waschraum der Scheune zu stürzen.
„Alles in Ordnung? Ich hab gehört, wie du nach Hause gekommen bist, aber nicht ins Haus.“ Dad hatte mir den Rücken zugekehrt. Er hatte angefangen die Wäsche zu falten. Eigentlich hatte ich das Bedürfnis, ihm von Felicia zu erzählen, aber sie hatte sich mir anvertraut, nicht meinem Vater.
„Äh... eine, ähm Freundin hat ein paar Probleme.“, erklärte ich. Überrascht ruckte mein Vater herum und studierte mein Gesicht.
„Seit wann hast du Freunde?“ Bei jedem anderen wäre die Frage vermutlich verletzend, aber mein Vater meinte es nicht böse. Er war selbst ja ein noch viel größerer Einzelgänger als ich.
Bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr er aber schon fort: „Oder ist ein Freund?“
„Nein!“ Empört stemmte ich meine Hände in die Hüfte. „Felicia hat … sie … Felicia hat ein Problem. Ich will nicht darüber sprechen, aber sie brauchte jetzt einfach jemanden, der ihr hilft.“
Dad fuhr fort die Wäsche zu falten. „In Ordnung. Aber sag mir bitte, wer deine Freundin ist. Felicia … ?“
„Felicia Kelly Joy-Dean.“, murmelte ich ihren vollen Namen. Wahrscheinlich googlete Dad sie gleich.
Ebenso abrupt wie zuvor, drehte sich Dad zu mir um. „Nein.“
Ich glotzte ihn irritiert an.
„Das Mädchen geht sofort.“ Er machte einen Schritt auf die Treppe zu, doch ich blockierte ihm den Weg.
„Dad? Da oben ist ein vollkommen aufgelöstes Mädchen, absolut fertig mit den Nerven. Und berechtigt! Und du willst sie rausschmeißen?!“
Er sah mich scharf an, während er versuchte, seine Gesichtsmuskulatur unter Kontrolle zu bringen. Während er daran arbeitete, fuhr ich fort: „Was würdest du denn sagen, wenn es Eve wäre? Oder Sadie oder ich?“
„Ihr seid es aber nicht.“ Er fasste sich an die Nasenwurzel. „Lacey, bitte schick sie weg. Ich will sie nicht hier haben.“
„Nenn' mir einen guten Grund, warum ich einen Sim in Not so im Stich lassen sollte!“ Ich war selbst ein bisschen ob meiner plötzlich entdeckten altruistischen Ader überrascht. Aber nachdem was ich an diesem Nachmittag erfahren hatte, war ich ohnehin aufgebracht und verstört. Dads Verhalten verunsicherte mich. Hatte ich kurz zuvor nicht noch gedacht, paranoid sei er noch nicht? In diesem Moment kam er mir sehr paranoid vor …
Ich hörte ein Auto vorfahren. Das musste Mom sein. Als ich die Autotür hörte, rief ich sie. Dad und ich standen uns immer noch gegenüber. Keiner von uns wollte Platz machen, und keiner von uns wollte einen Grund nennen, dem anderen zu weichen.
Meine Stimme klang wohl alarmierend genug, denn nur Sekunden später stürzte Mom in die Scheune.
„Gabriel? Lace? Was ist los? Ist was passiert?“ Sie schien überrascht uns so zu sehen.
Mein Vater und ich fingen gleichzeitig an zu sprechen, so dass Mom „Stopp“ rufen und uns unterbrechen musste. Sie nahm Dads Hand und nickte mir zu.
„Ich hab ein Mädchen aus der Schule mit nach Hause gebracht, weil es vollkommen am Ende ist.“, erklärte ich. „Ihr...ist etwas passiert, aber darüber kann ich nicht sprechen.“ Ich sah zu Dad.
Der seufzte tief und sah zu Mom, bevor er erklärte: „Sie ist Shannons Tochter.“
Ich sagte, er erklärte, doch für mich war das zu diesem Zeitpunkt natürlich keine Erklärung. Ich verstand nur Bahnhof. Mom hingegen schien damit etwas anfangen zu können. „Oh.“
Ich zermarterte mein Gehirn. Hatte ich in den Aufzeichnung schon mal den Shannon gelesen? Oder ihn irgendwann mal gehört? Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich kaum Moms Erklärung mitbekam.
„Ihr Mutter war eine Agentin der Beobachter, die auf deinen Vater angesetzt war.“
Ich starrte sie an, bevor ich zu Dad sah. Vielleicht war an seiner Paranoia ja doch was dran?
„Aber...“, begann ich, bevor ich die Schultern hängen ließ. „Aber es geht ihr wirklich schlecht. Und ihre Mutter ist keine große Hilfe. Sie macht es eher schlimmer.“ Ich sah Mom eindringlich an. „Lasst sie sich wenigsten ein bisschen ausruhen, bevor ihr ein heulendes, aufgelöstes Mädchen so herzlos raus werft.“ Ich verschränkte die Arme.
„Lace, pass auf deinen Ton auf.“, sagte Mom warnend. Sie zog Dad von der Treppe weg und flüsterte vor den Waschmaschinen mit ihm. Dabei warf Mom mir immer wieder Blicke zu, so als wolle sie verhindern, dass ich mich in Luft auflöste. Ich sah sie säuerlich an.
Schließlich kamen meine Eltern zu mir.
„Sie kann bleiben.“, erklärte Dad. Nachdem Mom ihn sanft anstupste, fuhr er fort: „So lange es sein muss. Aber.“ Er hob warnend die Hand. „Erzähl ihr nichts, absolut nichts! Und stell sicher, dass du-weißt-schon-was, nicht in ihre Hände gerät. Oder sie irgendetwas mitbekommt.“ Er ließ die Schultern hängen und verließ fluchtartig die Scheune. Mom sah ihm bekümmert nach, bevor sie zu mir blickte. „Ist es wirklich so schlimm um das Mädchen bestellt?“
Ich nickte.
Mom seufzte. „Ihre Mutter hat deinem Dad übel mitgespielt. Wir müssen sicherstellen, dass sich das nicht wiederholt.“
„Nur weil ihre Mutter eine Agentin gewesen ist, heißt das doch nicht gleich, dass Felicia auch eine ist! Und soll ich jemanden, der so verzweifelt ist, ignorieren?“
Sie schüttelte den Kopf und berührte mich leicht an der Hand. „Natürlich nicht, Lace. Aber die Beobachter sind perfide und hinterhältig. Man kann nicht ausschließen, dass sie betrügen und lügen, um an ihr Ziel zu kommen.“ Sie wies mit dem Kopf nach oben. „Sei einfach vorsichtig. Und wenn dich etwas verunsichert, komm sofort zu uns. Ich vertraue dir, dass du die Situation einschätzen kannst.“ Sie lächelte aufmunternd. „Und dein Vater letztendlich auch. Du hast ihn nur kalt erwischt.“
Statt eine pampige Antwort zu geben, nickte ich und ging nach oben. Ich war verunsichert. Sollte sich Felicia am Ende alles ausgedacht haben, um zu mir durchzudringen? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Ihre Verzweiflung war so herzzerreißend. Und wer konnte so viel Rotz und Tränen produzieren, wenn er nicht wirklich litt? Aber was war, wenn die Beobachter Schuld an ihrem Leid waren und das benutzten? Nach den bisherigen Erlebnissen meiner Familie mit ihnen zu urteilen, würde als nächstes ein Sim mit Allerweltsgesicht auf mich zukommen und anbieten, das Problem zu lösen. Ich schüttelte den Kopf, um das Beobachter-Problem aus meinen Gedanken zu vertreiben, bevor ich ins Gästezimmer ging.
„Lacey?“ Mein Vater riss mich aus meinen Gedanken und ich beeilte mich aus dem Bad die Treppe hinunter in den Waschraum der Scheune zu stürzen.
„Alles in Ordnung? Ich hab gehört, wie du nach Hause gekommen bist, aber nicht ins Haus.“ Dad hatte mir den Rücken zugekehrt. Er hatte angefangen die Wäsche zu falten. Eigentlich hatte ich das Bedürfnis, ihm von Felicia zu erzählen, aber sie hatte sich mir anvertraut, nicht meinem Vater.
„Äh... eine, ähm Freundin hat ein paar Probleme.“, erklärte ich. Überrascht ruckte mein Vater herum und studierte mein Gesicht.
„Seit wann hast du Freunde?“ Bei jedem anderen wäre die Frage vermutlich verletzend, aber mein Vater meinte es nicht böse. Er war selbst ja ein noch viel größerer Einzelgänger als ich.
Bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr er aber schon fort: „Oder ist ein Freund?“
„Nein!“ Empört stemmte ich meine Hände in die Hüfte. „Felicia hat … sie … Felicia hat ein Problem. Ich will nicht darüber sprechen, aber sie brauchte jetzt einfach jemanden, der ihr hilft.“
Dad fuhr fort die Wäsche zu falten. „In Ordnung. Aber sag mir bitte, wer deine Freundin ist. Felicia … ?“
„Felicia Kelly Joy-Dean.“, murmelte ich ihren vollen Namen. Wahrscheinlich googlete Dad sie gleich.
Ebenso abrupt wie zuvor, drehte sich Dad zu mir um. „Nein.“
Ich glotzte ihn irritiert an.
„Das Mädchen geht sofort.“ Er machte einen Schritt auf die Treppe zu, doch ich blockierte ihm den Weg.
„Dad? Da oben ist ein vollkommen aufgelöstes Mädchen, absolut fertig mit den Nerven. Und berechtigt! Und du willst sie rausschmeißen?!“
Er sah mich scharf an, während er versuchte, seine Gesichtsmuskulatur unter Kontrolle zu bringen. Während er daran arbeitete, fuhr ich fort: „Was würdest du denn sagen, wenn es Eve wäre? Oder Sadie oder ich?“
„Ihr seid es aber nicht.“ Er fasste sich an die Nasenwurzel. „Lacey, bitte schick sie weg. Ich will sie nicht hier haben.“
„Nenn' mir einen guten Grund, warum ich einen Sim in Not so im Stich lassen sollte!“ Ich war selbst ein bisschen ob meiner plötzlich entdeckten altruistischen Ader überrascht. Aber nachdem was ich an diesem Nachmittag erfahren hatte, war ich ohnehin aufgebracht und verstört. Dads Verhalten verunsicherte mich. Hatte ich kurz zuvor nicht noch gedacht, paranoid sei er noch nicht? In diesem Moment kam er mir sehr paranoid vor …
Ich hörte ein Auto vorfahren. Das musste Mom sein. Als ich die Autotür hörte, rief ich sie. Dad und ich standen uns immer noch gegenüber. Keiner von uns wollte Platz machen, und keiner von uns wollte einen Grund nennen, dem anderen zu weichen.
Meine Stimme klang wohl alarmierend genug, denn nur Sekunden später stürzte Mom in die Scheune.
„Gabriel? Lace? Was ist los? Ist was passiert?“ Sie schien überrascht uns so zu sehen.
Mein Vater und ich fingen gleichzeitig an zu sprechen, so dass Mom „Stopp“ rufen und uns unterbrechen musste. Sie nahm Dads Hand und nickte mir zu.
„Ich hab ein Mädchen aus der Schule mit nach Hause gebracht, weil es vollkommen am Ende ist.“, erklärte ich. „Ihr...ist etwas passiert, aber darüber kann ich nicht sprechen.“ Ich sah zu Dad.
Der seufzte tief und sah zu Mom, bevor er erklärte: „Sie ist Shannons Tochter.“
Ich sagte, er erklärte, doch für mich war das zu diesem Zeitpunkt natürlich keine Erklärung. Ich verstand nur Bahnhof. Mom hingegen schien damit etwas anfangen zu können. „Oh.“
Ich zermarterte mein Gehirn. Hatte ich in den Aufzeichnung schon mal den Shannon gelesen? Oder ihn irgendwann mal gehört? Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich kaum Moms Erklärung mitbekam.
„Ihr Mutter war eine Agentin der Beobachter, die auf deinen Vater angesetzt war.“
Ich starrte sie an, bevor ich zu Dad sah. Vielleicht war an seiner Paranoia ja doch was dran?
„Aber...“, begann ich, bevor ich die Schultern hängen ließ. „Aber es geht ihr wirklich schlecht. Und ihre Mutter ist keine große Hilfe. Sie macht es eher schlimmer.“ Ich sah Mom eindringlich an. „Lasst sie sich wenigsten ein bisschen ausruhen, bevor ihr ein heulendes, aufgelöstes Mädchen so herzlos raus werft.“ Ich verschränkte die Arme.
„Lace, pass auf deinen Ton auf.“, sagte Mom warnend. Sie zog Dad von der Treppe weg und flüsterte vor den Waschmaschinen mit ihm. Dabei warf Mom mir immer wieder Blicke zu, so als wolle sie verhindern, dass ich mich in Luft auflöste. Ich sah sie säuerlich an.
Schließlich kamen meine Eltern zu mir.
„Sie kann bleiben.“, erklärte Dad. Nachdem Mom ihn sanft anstupste, fuhr er fort: „So lange es sein muss. Aber.“ Er hob warnend die Hand. „Erzähl ihr nichts, absolut nichts! Und stell sicher, dass du-weißt-schon-was, nicht in ihre Hände gerät. Oder sie irgendetwas mitbekommt.“ Er ließ die Schultern hängen und verließ fluchtartig die Scheune. Mom sah ihm bekümmert nach, bevor sie zu mir blickte. „Ist es wirklich so schlimm um das Mädchen bestellt?“
Ich nickte.
Mom seufzte. „Ihre Mutter hat deinem Dad übel mitgespielt. Wir müssen sicherstellen, dass sich das nicht wiederholt.“
„Nur weil ihre Mutter eine Agentin gewesen ist, heißt das doch nicht gleich, dass Felicia auch eine ist! Und soll ich jemanden, der so verzweifelt ist, ignorieren?“
Sie schüttelte den Kopf und berührte mich leicht an der Hand. „Natürlich nicht, Lace. Aber die Beobachter sind perfide und hinterhältig. Man kann nicht ausschließen, dass sie betrügen und lügen, um an ihr Ziel zu kommen.“ Sie wies mit dem Kopf nach oben. „Sei einfach vorsichtig. Und wenn dich etwas verunsichert, komm sofort zu uns. Ich vertraue dir, dass du die Situation einschätzen kannst.“ Sie lächelte aufmunternd. „Und dein Vater letztendlich auch. Du hast ihn nur kalt erwischt.“
Statt eine pampige Antwort zu geben, nickte ich und ging nach oben. Ich war verunsichert. Sollte sich Felicia am Ende alles ausgedacht haben, um zu mir durchzudringen? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Ihre Verzweiflung war so herzzerreißend. Und wer konnte so viel Rotz und Tränen produzieren, wenn er nicht wirklich litt? Aber was war, wenn die Beobachter Schuld an ihrem Leid waren und das benutzten? Nach den bisherigen Erlebnissen meiner Familie mit ihnen zu urteilen, würde als nächstes ein Sim mit Allerweltsgesicht auf mich zukommen und anbieten, das Problem zu lösen. Ich schüttelte den Kopf, um das Beobachter-Problem aus meinen Gedanken zu vertreiben, bevor ich ins Gästezimmer ging.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 5 – Ich weiß
Felicia sah mich fragend an, als ich die Tür hinter mir schloss.
„Hast du Ärger wegen mir bekommen?“
Ich winkte ab. „Nicht wegen dir. Wegen deiner Mutter? … Offenbar haben mein Vater und sie eine Vergangenheit und … er ist nicht gerade gut auf sie zu sprechen.“
„Ich weiß.“, sagte Felicia leise. „Deswegen habe ich dich immer so geschnitten.“
Ich starrte sie an. Sie wusste davon? Was wusste sie genau? Sprachlos nahm ich einen Keks und schob ihn mir in den Mund. Felicia rang sich ein winziges Lächeln ab.
„Was genau vorgefallen ist, weiß ich nicht. Ich hab nur den ein oder anderen Streit meiner Eltern mitbekommen.“ Sie begann erneut ihren Waschlappen zu kneten. „Ich glaube, dein Vater und meine Mutter waren mal ein Paar. Ist nicht gut ausgegangen, warum weiß ich nicht. Aber … ich glaube, meine Mutter hat für deinen Vater danach immer noch etwas empfunden. Meine Eltern waren nie wirklich glücklich, und unbewusst hab ich dir die Schuld gegeben, weil es eben dein Vater gewesen ist.“
Am liebsten hätte ich laut los gelacht. Das war ja absurd! Mein Dad wollte sie nicht hier haben, weil sie Shannons Tochter war, sie hatte mich abgelehnt, weil ich Gabriels Tochter war. Und was war dran an Shannons Gefühlen für meinen Dad?
Ich schluckte meinen gründlichst zerkauten Keks herunter und meinte achselzuckend: „Wie dem auch sei – du kannst gern noch bleiben. Ich schätze, du bist nicht gerade scharf darauf deine Mutter zu sehen.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich würde mich am liebsten vergraben.“
Das konnte ich verstehen. Ich bot ihr noch einen Keks an, doch sie schüttelte den Kopf. „Ruh dich was aus. Ich komm nachher noch mal rein.“ Ich ging zur Tür. „Ich brauch etwas frische Luft. Was dir passiert ist …“ Ich biss mir auf die Lippe, mir fehlten die Worte. „Ich bin nicht lange weg. Warte einfach hier.“
Ich rannte die Treppe herab und aus der Scheune. Statt zum Haus lief ich zum Friedhof. Mir ging so vieles durch den Kopf!
„Ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll.“, erzählte ich den Grabsteinen meiner Urgroßeltern. „Ist Felicia eine Agentin? Oder hat sie nur das Pech die Tochter von einer zu sein? Muss ich sie fürchten?“ Unruhig ging ich auf und ab. „Was soll ich nur tun?“
„Du weißt schon, dass die beiden dir nicht antworten können?“
Ich drehte mich erschrocken um und erstarrte zur Salzsäure, als ich den Ursprung der Stimme entdeckte. Dann fasste ich mich: „Du bist wirklich nicht empathisch!“
Der Sensemann winkte mir zu. „Keine Sorge, ich bin nicht für dich hier. Oder für jemanden dort.“ Er zeigte zu unserem Grundstück. „Ich war gerade in der Nähe und hab' dich gehört. Wo drückt der Schuh?“
Das hatte Oma auch immer gefragt, wenn wir Kummer hatten. Der Gedanke an Oma trieb mir fast die Tränen in die Augen. An Tagen wie diesen fehlten sie und Grandpa mir besonders. Weil Jonas so wie Oma nach meinem Kummer fragte, platzte ich mit mit allem heraus: Dem Gespräch in der Schule, die Begegnung mit Felicia und dem Unrecht, dass ihr widerfahren war und die Sorge, dass sie eine Agentin der Beobachterin sein könnte.
Als ich fertig war, seufzte Jonas so abgrundtief, dass es mich erschreckte. „Besser?“
Ich horchte kurz in mich hinein und nickte dann. Einfach alles rauszulassen, hatte erstaunlich gut getan. Wie sehr sich Gefühle und Sorgen in mir aufgestaut hatten, war mir zuvor gar nicht bewusst geworden. Vielleicht sollte ich mich öfter jemanden anvertrauen? Nur blieb da dieses Beobachter-Problem …
Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Jonas lachend: „Bei mir musst du dir keine Sorgen machen. Ich kann von ihnen nicht vereinnahmt werden.“ Er sah zu den Grabsteinen meiner Urgroßeltern und schien einen Moment nachzudenken. So ganz konnte man das bei ihm ja nie sagen, sein Gesicht konnte man nicht erkennen. „Ich mach den Job jetzt genauso lange wie Kira gelebt hat. Ich hab vieles erlebt und auch das was deiner Freundin passiert ist, ist leider kein Einzelfall. Es gehört zu den Verbrechen, bei denen man sich als Sensemann wünscht, man könnte Leute abholen, die nicht auf der Liste stehen.“ Die dunkle Kapuze drehte sich zu mir. „Felicia ist keine Agentin.“ Er schnipste mit den Fingern. „Und sie werden sie auch nicht dazu machen können. In vielen Dingen sind mir die Hände gebunden, aber den ein oder anderen Trick kann ich anwenden.“ Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, doch dann schüttelte er den Kopf. Nach einem Blick auf seine Smartwatch, verabschiedete sich Jonas. Wie damals, als meine Urgroßeltern gestorben waren, wurde er langsam durchsichtig. Auch nachdem er verschwunden war, sah ich lange an die Stelle, an der er gestanden (bzw. geschwebt) war. Ja, Jonas hatte damals dafür gesorgt, dass Felicia meine Freundin werden konnte und die Beobachter keinen Zugriff auf sie bekommen würden. Jahre später würde Felicia dafür einen Preis zahlen müssen, doch davon erfuhr ich vorerst nichts …
Als mir Felicia wieder in den Sinn kam, beeilte ich mich, zurück zur Scheune zu gehen. Sie lag auf dem Bett und schlief. Die Erschöpfung musste sie übermannt haben. Ich betrachtete eine Weile ihre schlafende Gestalt. Das Leben war schon komisch! Ich suchte einen Zettel und einen Stift, schrieb ihr meine Nummer auf und legte sie neben das Kissen. Von allein würde sie das Zimmer so bald sicher nicht verlassen.
Im Haus war inzwischen eine Krisensitzung im Gange. Meine Großeltern waren da, vermutlich hatte Mom sie gerufen. Ich schluckte schwer, als mich alle erwartungsvoll ansahen. Dann schob ich kampfeslustig die Unterlippe vor und erklärte selbstbewusst: „Felicia ist keine Agentin.“ Ich hob die Hand um dem Widerspruch meines Vaters entgegenzukommen. „Jonas hat mir versichert, dass es so ist.“
Fünf irritierte Erwachsene starrten mich an. Dann fiel mir ein, dass sie ja gar nicht wussten, wer Jonas war. Mich wunderte etwas, dass ich seinen Namen hatte aussprechen können.
„Moment!“, rief ich als ich schon halb die Treppe hinauf war. Ich eilte in mein Zimmer, um die Aufzeichnungen, samt Übersetzung zu holen. Ich nahm den ganzen Packen, doch dann hielt ich inne. Sorgsam suchte ich nur die Blätter, auf denen etwas zu Jonas stand, heraus und legte den Rest zurück. Meine Familie hatte heute schon genug durchgemacht, sie mussten keine delikaten Einzelheiten aus den Leben von Kira und Darrel erfahren. Dann rannte ich zurück.
„Hier.“ Ich reichte Dad das Blatt, auf dem beschrieben wurde wie Jonas zum Sensemann wurde. Jonas war in Kiras ersten Leben (also vor dem Resetknopf) ein guter Freund von Kira gewesen. Er hatte den damaligen Sensemann abgelöst, weil dieser nach tausenden von Jahren keine Lust mehr auf den Job hatte. Seitdem hatte Jonas die Leben Kiras (besser gesagt: die Tode) stets begleitet.
Grandma nickte bestätigend, nachdem Dad das Schriftstück vorgelesen hatte. „Das kann ich so bestätigen.“ Sie sah mich neugierig an. „Wie viel hast du schon verstanden?“
Ich biss mir auf die Lippe, während ich nach einer unverfänglichen Antwort suchte. Grandma grinste und nickte mir zu. Manchmal vergaß ich, dass sie über das Leben ihrer Schwiegereltern mehr wusste, als alle zusammen.
Inzwischen hatte sich die Erkenntnis, dass ich mit dem oder besser gesagt: einem Sensemann in Kontakt stand, gesetzt. Mom eilte auf mich zu, um meinen Puls zu prüfen. „Geht es dir gut?“
„Warum sollte es das nicht?“, fragte ich sie verwundert.
„Mach dir keine Sorgen, Nell.“, sprang Grandma mir zur Seite. „Nur weil sie mit Jonas gesprochen hat, heißt das nicht, dass sie sterben wird. Ich glaube, er will ihr nur helfen. Wegen Kira.“
Meine Eltern sahen Grandma Akki fragend an. Sie setzte an, etwas zu sagen. Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Ist nicht so wichtig.“
„Wenn meine Tochter mit dem Sensemann, dem personifizierten Tod spricht, ist das sehr wohl wichtig, Mom! Behalt' doch nicht immer alles für dich!“ Dad hatte die Hände zu Fäusten geballt und starrte seine Mutter wütend an.
„So übel ist er gar nicht.“, warf ich rasch ein, um ihn abzulenken. „Und Oma und Grandpa haben ihm vertraut. Er war ja auch da, als sie gestorben sind. War ganz friedlich.“
Der schwellende Streit zwischen Dad und Grandma, brach abrupt ab und alle sahen mich entsetzt an. Ups. Ich hatte niemanden erzählt, dass ich mit meinen Urgroßeltern und Jonas vor ihrem Tod gesprochen hatte. Damals war ich viel zu aufgewühlt und als ich zu Mom geeilt war, hatte ich nur hervorbringen können, dass sie tot waren. Danach hatte niemand gefragt, wie ich sie gefunden hatte.
Ich hob die Schultern. „Da hat noch nie einer nachgefragt.“, verteidigte ich mich, bevor es Vorwürfe hageln konnte. „Und ich guck jetzt lieber noch mal nach Felicia.“ Ich war schon im Begriff das Haus zu verlassen, als mein Vater mich streng zum Bleiben aufforderte. Er war eigentlich nie streng.
„Lacey, ich weiß, dass du dich für unglaublich erwachsen hältst -“
„Ich werd' in ein paar Monaten achtzehn!“, unterbrach ich ihn, was mit vier tadelnde Blicke einbrachte.“
„...und glaubst mit allem allein klarzukommen, aber du musst uns mehr vertrauen.“ Er kam zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter. „Wir sind für dich da.“
Ich nickte nur. Langsam kam mir die Erkenntnis, dass meine Verschlossenheit meiner Familie Sorge breitete. Dass ich ihnen die Umstände des Todes meiner Urgroßeltern vorenthalten hatte, bekümmerte sie sichtlich. Spontan schloss ich meinen Vater in die Arme. „Ich weiß, Dad. Es ist damals nie aufgekommen. Jonas sagt, dass meine Zeit noch lange nicht gekommen ist und solange nehme ich seine Hilfe gern an.“ Ich sah zu Grandma. „Du meinst doch auch, dass er harmlos ist?“
Sie lächelte vorsichtig. „Harmlos würde ich in Bezug auf einen Sensemann nicht verwenden, aber er war Kira immer wohlgesonnen. Er hat ...“ Sie seufzte. „Maulsperre. Er hat ihr geholfen. Und jetzt hilft er Lace. Ich glaube wirklich nicht, dass eine Gefahr von ihm ausgeht.“ Sie sah ihren Sohn lange an, bis dieser verlegen den Blick senkte. „Außerdem stehen die Sensemänner tatsächlich außerhalb der Einflusssphäre der Beobachter.“
„Danke, Grandma.“ Ich nickte ihr zu. „Und wenn Jonas sagt, dass Felicia keine Agentin ist und sagt, sie würde es auch nicht werden, dann vertraue ich ihm.“ Ich lächelte Dad aufmunternd an. „Vielleicht will sie meine Hilfe ja auf Dauer auch gar nicht. Und auf ihre Mutter ist sie selbst nicht gut zu sprechen.“ Das erinnerte mich daran, was Felicia widerfahren war. Ich kniff die Augen zusammen und spürte, wie ich unbewusst mit den Zähnen knirschte. Dad sah mich besorgt an.
„So schlimm?“, fragte er leise.
Die anderen nahmen als Hinweis, dass die akute Gefahr eines Familienkraches beseitigt war. Mom und Granda hatten sich ohnehin zurückgehalten. Jetzt wechselten sie einen kurzen erleichterten Blick. Ich sah Dad an und wünschte ihm davon erzählen zu können. Sich Jonas anzuvertrauen hatte es etwas einfacher gemacht, aber die Ungeheuerlichkeit dessen, was Felicia ertragen musste, war einfach so groß. Doch ich nickte Dad nur knapp zu. Vielleicht würde ich es ihm irgendwann erzählen können.
Mein Vater nahm mich in den Arm. „Wir sind für dich da, Lacey.“
„Hast du Ärger wegen mir bekommen?“
Ich winkte ab. „Nicht wegen dir. Wegen deiner Mutter? … Offenbar haben mein Vater und sie eine Vergangenheit und … er ist nicht gerade gut auf sie zu sprechen.“
„Ich weiß.“, sagte Felicia leise. „Deswegen habe ich dich immer so geschnitten.“
Ich starrte sie an. Sie wusste davon? Was wusste sie genau? Sprachlos nahm ich einen Keks und schob ihn mir in den Mund. Felicia rang sich ein winziges Lächeln ab.
„Was genau vorgefallen ist, weiß ich nicht. Ich hab nur den ein oder anderen Streit meiner Eltern mitbekommen.“ Sie begann erneut ihren Waschlappen zu kneten. „Ich glaube, dein Vater und meine Mutter waren mal ein Paar. Ist nicht gut ausgegangen, warum weiß ich nicht. Aber … ich glaube, meine Mutter hat für deinen Vater danach immer noch etwas empfunden. Meine Eltern waren nie wirklich glücklich, und unbewusst hab ich dir die Schuld gegeben, weil es eben dein Vater gewesen ist.“
Am liebsten hätte ich laut los gelacht. Das war ja absurd! Mein Dad wollte sie nicht hier haben, weil sie Shannons Tochter war, sie hatte mich abgelehnt, weil ich Gabriels Tochter war. Und was war dran an Shannons Gefühlen für meinen Dad?
Ich schluckte meinen gründlichst zerkauten Keks herunter und meinte achselzuckend: „Wie dem auch sei – du kannst gern noch bleiben. Ich schätze, du bist nicht gerade scharf darauf deine Mutter zu sehen.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich würde mich am liebsten vergraben.“
Das konnte ich verstehen. Ich bot ihr noch einen Keks an, doch sie schüttelte den Kopf. „Ruh dich was aus. Ich komm nachher noch mal rein.“ Ich ging zur Tür. „Ich brauch etwas frische Luft. Was dir passiert ist …“ Ich biss mir auf die Lippe, mir fehlten die Worte. „Ich bin nicht lange weg. Warte einfach hier.“
Ich rannte die Treppe herab und aus der Scheune. Statt zum Haus lief ich zum Friedhof. Mir ging so vieles durch den Kopf!
„Ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll.“, erzählte ich den Grabsteinen meiner Urgroßeltern. „Ist Felicia eine Agentin? Oder hat sie nur das Pech die Tochter von einer zu sein? Muss ich sie fürchten?“ Unruhig ging ich auf und ab. „Was soll ich nur tun?“
„Du weißt schon, dass die beiden dir nicht antworten können?“
Ich drehte mich erschrocken um und erstarrte zur Salzsäure, als ich den Ursprung der Stimme entdeckte. Dann fasste ich mich: „Du bist wirklich nicht empathisch!“
Der Sensemann winkte mir zu. „Keine Sorge, ich bin nicht für dich hier. Oder für jemanden dort.“ Er zeigte zu unserem Grundstück. „Ich war gerade in der Nähe und hab' dich gehört. Wo drückt der Schuh?“
Das hatte Oma auch immer gefragt, wenn wir Kummer hatten. Der Gedanke an Oma trieb mir fast die Tränen in die Augen. An Tagen wie diesen fehlten sie und Grandpa mir besonders. Weil Jonas so wie Oma nach meinem Kummer fragte, platzte ich mit mit allem heraus: Dem Gespräch in der Schule, die Begegnung mit Felicia und dem Unrecht, dass ihr widerfahren war und die Sorge, dass sie eine Agentin der Beobachterin sein könnte.
Als ich fertig war, seufzte Jonas so abgrundtief, dass es mich erschreckte. „Besser?“
Ich horchte kurz in mich hinein und nickte dann. Einfach alles rauszulassen, hatte erstaunlich gut getan. Wie sehr sich Gefühle und Sorgen in mir aufgestaut hatten, war mir zuvor gar nicht bewusst geworden. Vielleicht sollte ich mich öfter jemanden anvertrauen? Nur blieb da dieses Beobachter-Problem …
Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Jonas lachend: „Bei mir musst du dir keine Sorgen machen. Ich kann von ihnen nicht vereinnahmt werden.“ Er sah zu den Grabsteinen meiner Urgroßeltern und schien einen Moment nachzudenken. So ganz konnte man das bei ihm ja nie sagen, sein Gesicht konnte man nicht erkennen. „Ich mach den Job jetzt genauso lange wie Kira gelebt hat. Ich hab vieles erlebt und auch das was deiner Freundin passiert ist, ist leider kein Einzelfall. Es gehört zu den Verbrechen, bei denen man sich als Sensemann wünscht, man könnte Leute abholen, die nicht auf der Liste stehen.“ Die dunkle Kapuze drehte sich zu mir. „Felicia ist keine Agentin.“ Er schnipste mit den Fingern. „Und sie werden sie auch nicht dazu machen können. In vielen Dingen sind mir die Hände gebunden, aber den ein oder anderen Trick kann ich anwenden.“ Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, doch dann schüttelte er den Kopf. Nach einem Blick auf seine Smartwatch, verabschiedete sich Jonas. Wie damals, als meine Urgroßeltern gestorben waren, wurde er langsam durchsichtig. Auch nachdem er verschwunden war, sah ich lange an die Stelle, an der er gestanden (bzw. geschwebt) war. Ja, Jonas hatte damals dafür gesorgt, dass Felicia meine Freundin werden konnte und die Beobachter keinen Zugriff auf sie bekommen würden. Jahre später würde Felicia dafür einen Preis zahlen müssen, doch davon erfuhr ich vorerst nichts …
Als mir Felicia wieder in den Sinn kam, beeilte ich mich, zurück zur Scheune zu gehen. Sie lag auf dem Bett und schlief. Die Erschöpfung musste sie übermannt haben. Ich betrachtete eine Weile ihre schlafende Gestalt. Das Leben war schon komisch! Ich suchte einen Zettel und einen Stift, schrieb ihr meine Nummer auf und legte sie neben das Kissen. Von allein würde sie das Zimmer so bald sicher nicht verlassen.
Im Haus war inzwischen eine Krisensitzung im Gange. Meine Großeltern waren da, vermutlich hatte Mom sie gerufen. Ich schluckte schwer, als mich alle erwartungsvoll ansahen. Dann schob ich kampfeslustig die Unterlippe vor und erklärte selbstbewusst: „Felicia ist keine Agentin.“ Ich hob die Hand um dem Widerspruch meines Vaters entgegenzukommen. „Jonas hat mir versichert, dass es so ist.“
Fünf irritierte Erwachsene starrten mich an. Dann fiel mir ein, dass sie ja gar nicht wussten, wer Jonas war. Mich wunderte etwas, dass ich seinen Namen hatte aussprechen können.
„Moment!“, rief ich als ich schon halb die Treppe hinauf war. Ich eilte in mein Zimmer, um die Aufzeichnungen, samt Übersetzung zu holen. Ich nahm den ganzen Packen, doch dann hielt ich inne. Sorgsam suchte ich nur die Blätter, auf denen etwas zu Jonas stand, heraus und legte den Rest zurück. Meine Familie hatte heute schon genug durchgemacht, sie mussten keine delikaten Einzelheiten aus den Leben von Kira und Darrel erfahren. Dann rannte ich zurück.
„Hier.“ Ich reichte Dad das Blatt, auf dem beschrieben wurde wie Jonas zum Sensemann wurde. Jonas war in Kiras ersten Leben (also vor dem Resetknopf) ein guter Freund von Kira gewesen. Er hatte den damaligen Sensemann abgelöst, weil dieser nach tausenden von Jahren keine Lust mehr auf den Job hatte. Seitdem hatte Jonas die Leben Kiras (besser gesagt: die Tode) stets begleitet.
Grandma nickte bestätigend, nachdem Dad das Schriftstück vorgelesen hatte. „Das kann ich so bestätigen.“ Sie sah mich neugierig an. „Wie viel hast du schon verstanden?“
Ich biss mir auf die Lippe, während ich nach einer unverfänglichen Antwort suchte. Grandma grinste und nickte mir zu. Manchmal vergaß ich, dass sie über das Leben ihrer Schwiegereltern mehr wusste, als alle zusammen.
Inzwischen hatte sich die Erkenntnis, dass ich mit dem oder besser gesagt: einem Sensemann in Kontakt stand, gesetzt. Mom eilte auf mich zu, um meinen Puls zu prüfen. „Geht es dir gut?“
„Warum sollte es das nicht?“, fragte ich sie verwundert.
„Mach dir keine Sorgen, Nell.“, sprang Grandma mir zur Seite. „Nur weil sie mit Jonas gesprochen hat, heißt das nicht, dass sie sterben wird. Ich glaube, er will ihr nur helfen. Wegen Kira.“
Meine Eltern sahen Grandma Akki fragend an. Sie setzte an, etwas zu sagen. Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Ist nicht so wichtig.“
„Wenn meine Tochter mit dem Sensemann, dem personifizierten Tod spricht, ist das sehr wohl wichtig, Mom! Behalt' doch nicht immer alles für dich!“ Dad hatte die Hände zu Fäusten geballt und starrte seine Mutter wütend an.
„So übel ist er gar nicht.“, warf ich rasch ein, um ihn abzulenken. „Und Oma und Grandpa haben ihm vertraut. Er war ja auch da, als sie gestorben sind. War ganz friedlich.“
Der schwellende Streit zwischen Dad und Grandma, brach abrupt ab und alle sahen mich entsetzt an. Ups. Ich hatte niemanden erzählt, dass ich mit meinen Urgroßeltern und Jonas vor ihrem Tod gesprochen hatte. Damals war ich viel zu aufgewühlt und als ich zu Mom geeilt war, hatte ich nur hervorbringen können, dass sie tot waren. Danach hatte niemand gefragt, wie ich sie gefunden hatte.
Ich hob die Schultern. „Da hat noch nie einer nachgefragt.“, verteidigte ich mich, bevor es Vorwürfe hageln konnte. „Und ich guck jetzt lieber noch mal nach Felicia.“ Ich war schon im Begriff das Haus zu verlassen, als mein Vater mich streng zum Bleiben aufforderte. Er war eigentlich nie streng.
„Lacey, ich weiß, dass du dich für unglaublich erwachsen hältst -“
„Ich werd' in ein paar Monaten achtzehn!“, unterbrach ich ihn, was mit vier tadelnde Blicke einbrachte.“
„...und glaubst mit allem allein klarzukommen, aber du musst uns mehr vertrauen.“ Er kam zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter. „Wir sind für dich da.“
Ich nickte nur. Langsam kam mir die Erkenntnis, dass meine Verschlossenheit meiner Familie Sorge breitete. Dass ich ihnen die Umstände des Todes meiner Urgroßeltern vorenthalten hatte, bekümmerte sie sichtlich. Spontan schloss ich meinen Vater in die Arme. „Ich weiß, Dad. Es ist damals nie aufgekommen. Jonas sagt, dass meine Zeit noch lange nicht gekommen ist und solange nehme ich seine Hilfe gern an.“ Ich sah zu Grandma. „Du meinst doch auch, dass er harmlos ist?“
Sie lächelte vorsichtig. „Harmlos würde ich in Bezug auf einen Sensemann nicht verwenden, aber er war Kira immer wohlgesonnen. Er hat ...“ Sie seufzte. „Maulsperre. Er hat ihr geholfen. Und jetzt hilft er Lace. Ich glaube wirklich nicht, dass eine Gefahr von ihm ausgeht.“ Sie sah ihren Sohn lange an, bis dieser verlegen den Blick senkte. „Außerdem stehen die Sensemänner tatsächlich außerhalb der Einflusssphäre der Beobachter.“
„Danke, Grandma.“ Ich nickte ihr zu. „Und wenn Jonas sagt, dass Felicia keine Agentin ist und sagt, sie würde es auch nicht werden, dann vertraue ich ihm.“ Ich lächelte Dad aufmunternd an. „Vielleicht will sie meine Hilfe ja auf Dauer auch gar nicht. Und auf ihre Mutter ist sie selbst nicht gut zu sprechen.“ Das erinnerte mich daran, was Felicia widerfahren war. Ich kniff die Augen zusammen und spürte, wie ich unbewusst mit den Zähnen knirschte. Dad sah mich besorgt an.
„So schlimm?“, fragte er leise.
Die anderen nahmen als Hinweis, dass die akute Gefahr eines Familienkraches beseitigt war. Mom und Granda hatten sich ohnehin zurückgehalten. Jetzt wechselten sie einen kurzen erleichterten Blick. Ich sah Dad an und wünschte ihm davon erzählen zu können. Sich Jonas anzuvertrauen hatte es etwas einfacher gemacht, aber die Ungeheuerlichkeit dessen, was Felicia ertragen musste, war einfach so groß. Doch ich nickte Dad nur knapp zu. Vielleicht würde ich es ihm irgendwann erzählen können.
Mein Vater nahm mich in den Arm. „Wir sind für dich da, Lacey.“
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 5 – Erdnusssirup im Kaffee
Felicia schlummerte noch. Ich setzte mich auf den Boden und spielte mit meinem Smartphone. Mit meinen Gedanken allein zu sein, machte mich fast wahnsinnig. Als ich gerade das für und wider abwog, meine Hausaufgaben zu holen, wachte Felicia auf. Im ersten Moment guckte sie irritiert, dann schien auch ihr Hirn im hier und jetzt anzukommen. Sie sah mich verlegen an.
„Hat das Schlafen gut getan?“, fragte ich und steckte mein Handy weg.
Felicia richtete sich auf und nickte unsicher. Ich griff nach dem Keksteller und reichte ihn ihr. Immerhin hatte ich zwei Anstandskekse übrig gelassen. Dieses Mal nahm Felicia einen und biss ein winziges Stückchen ab.
Was willst du jetzt tun?“, fragte ich, während ich ihr zusah, wie sie kleinste Bissen nahm.
Felicia antwortete nicht sofort. Sie ließ sich Zeit den Keks zu verspeisen und nahm noch einen Schluck Wasser, bevor sie antwortete.
„Ich weiß es nicht. Am liebsten würde ich mich verkriechen.“ In ihren Augen standen erneut Tränen, doch sie blieb gefasst. „Ich hab sogar darüber nachgedacht zu …“
Rasch legte ich meine Hand auf ihre, denn ich hatte schon erraten, in welche Richtung ihre Gedanken gehen. „Nein.“, sagte ich ernst. „Dann gewinnt er.“
Sie nickte stumm.
„Möchtest du eine Weile hier bleiben?“, fragte ich dann.
Zaghaft nickte Felicia. „Aber meine Mutter würde das niemals dulden. Wegen deines Vaters.“
Grimmig nickte ich, doch dann kam mir eine Idee. Ich grinste: „Hast du nicht irgendeine Busenfreundin, bei der wegen eines Schulprojekts übernachten musst? Die muss natürlich lügen.“
Felicia nahm den zweiten Keks. Sie drehte und wendete ihn mehrfach, bevor sie ein Stück abbrach und aß. Dann nickte sie. „Ich kann jemanden vorschieben. Ich hab öfter bei anderen geschlafen. Meine Mutter wird es als Hinweis nehmen, dass ich wieder normal bin.“
Den letzten Satz brachte sie so bitter hervor, dass ich tiefen Zorn empfand. Wieder knirschten meine Zähne. Ich griff nach der Wasserflasche, um meinem Kiefer zu entspannen.
Unten hörte ich, wie sich das Tor zur Scheune öffnete. Mein Vater rief von unten: „Mädchen?“
Ich erhob mich und ging zur Tür. Dad kam langsam die Treppe hoch.
„Möchtet ihr eine Pizza bestellen? Mom und Dad haben Nell und mich zum essen eingeladen, weil sie ein neues Restaurant ausprobieren wollen.“ Er versuchte neutral zu klingen und seine Maske aufzusetzen, aber ich sah ihm an, wie sehr ihm das ganze missfiel. Zum einen die Sache mit Felicia und Jonas und dann auch noch auswärts Essen gehen! Ich hatte Mitleid mit ihm. Andererseits begrüßte ich die Abwesenheit meiner Eltern, so konnte Felicia noch Kraft sammeln. Deswegen lächelte ich Dad zu und gab ihm rasch ein Küsschen. „Pizza klingt gut. Ich glaub Grandma hat von dem Restaurant erzählt. Die sollen auch vernünftigen Kaffee kochen können.“ Ich zwinkerte ihm zu.
Dad seufzte. „Solange es Kaffee und nicht dieses Chichi von Kaffee mit gestrudelter Llamamilch und Glitzerkrokant ist.“
„Also Llamamilch hatte ich noch nie!“ Glitzerkrokant allerdings schon. Ich grinste. Dad war ein Purist was Kaffee anging, ich stand auf Kaffeekreationen – je verrückter desto besser.
Mein Vater seufzte erneut und gab mir ein paar Geldscheine. Er warf einen Blick zur Tür des Gästezimmers. Ich wollte gerade etwas sagen, da machte Dad sich gerade und lächelte. „Ich vertrau dir, Lacey. Macht euch einen schönen Abend. Und denkt an mich, wenn ihr die Pizza genießt, während ich ins Restaurant muss.“
„Wird schon werden, Dad. Mom freut sich bestimmt.“
Er nickte. Aus (belauschten) Gesprächen zwischen den beiden wusste ich, dass Dad sich sorgte, dass Mom es ihm nachtragen könnte, dass er so selten den Hof verließ. Mom machte das nichts aus, sagte sie. Sie war selber gern hier. Außer zur Arbeit verließ sie auch nicht oft das Grundstück. Manchmal ging sie nach der Arbeit mit Claire oder Chrystal Kaffeetrinken oder shoppen, aber das war's dann auch. Meine Eltern waren isolationistisch – nicht dass ich diesen Wesenszug nicht hin und wieder teilte.
Felicias Appetit schien sich langsam etwas erholt zu haben und so teilten wir uns wenig später eine Pizza. Dabei arbeiteten wir einen Plan aus, mit dem sie die Möglichkeit hatte mehrere Tage bei mir unterzutauchen. Felicia bestand darauf, trotzdem zur Schule zu gehen. Sie wollte ihr Abschlusszeugnis nicht gefährden und auf ein Stipendium hin arbeiten, damit sie nicht auf das Geld ihrer Eltern angewiesen war. Ihrem Alibi – einem anderen Cheerleader - erklärte sie, dass sie bei einem Freund, der schon aufs College ging, übernachtete.
„Hältst du das für eine kluge Ausrede?“
Felicia nickte. „Außer dir weiß keiner … weiß niemand etwas. Und Heather wird nur Student hören. Selbst wenn sie es ein paar von den anderen Mädchen erzählt, wird keine Verdacht schöpfen. Sie werden höchstens neidisch.“
Ich sparte mir einen abfälligen Kommentar über diese dummen Puten, aber mein Gesicht musste Bände gesprochen haben. Felicia lächelte nachsichtig. „Sie sind oberflächlich. Aber manchmal braucht man diese Oberflächlichkeit, wenn man an der Schule überleben will.“ Sie hob die Hand um einen neuen Einwand von mir abzuwehren. „Es hat nicht jeder dein Selbstbewusstsein und kann damit zurecht kommen ein Außenseiter zu sein. Manche von uns brauchen andere.“
„Tja, da hab ich Glück.“, sagte ich ernsthaft.
„Ja, das hast du wirklich.“
Felicia blieb eine Woche unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Wir übernachteten gemeinsam in der Scheune. Nach und nach gewöhnten meine Eltern sich an sie und sie sich an meine Eltern. Mein Dad blieb reservierter als Mom, aber es fielen keine bösen Worte.
Nach einer Woche wurde Felicias Mutter jedoch unruhig und passte sie nach der Schule ab. Felicia und ich hatten vereinbart getrennt zur Schule und zurück zu fahren. Wir benutzte beide Fahrräder brachen aber zu unterschiedlichen Zeiten auf und nahmen unterschiedliche Wege.Ich stellte jeden Tag sicher, dass sie vor mir von der Schule fuhr. So konnte ich ausschließen, dass ihr jemand direkt folgte. Mein Talent unbemerkbar zu sein, kam mir dabei sehr entgegen. So bekam ich auch mit, wie sie von ihrer Mutter angehalten wurde.
„Felicia Kelly Joy-Dean!“ Mrs. Kelly klang sehr aufgebracht. Oder war es Mrs. Kelly Joy-Dean? Ich weiß es nicht mehr. „Was glaubst du eigentlich, was du treibst?“
„Hallo Mom.“ Felicia klang ruhiger als ich es für möglich gehalten hatte.
„Du erzählst mir seit einer Woche, du seist bei Heather. Jetzt stell dir meine Überraschung vor, als ich Heathers Mutter treffe und sie nichts davon weiß.“
Ups, damit hatten wir nicht gerechnet.
„Wo warst du also in den letzten Tagen?“
Es dauerte einen Moment, doch dann erwiderte Felicia mit fester, wenn auch leiser Stimme. „An einem Ort, an dem ich mich sicher fühle.“
Von meinem Beobachtungsposten aus sah ich, wie Mrs. Kelly die Spucke wegblieb. Innerlich jubelte ich Felicia zu.
„Sicher?!“ Mrs. Kelly griff nach Felicias Arm, doch die machte einen Schritt zurück. „Jetzt stell dich nicht so an und komm mit nach Hause. Da bist du auch sicher.“
„So sicher wie in den letzten zehn Jahren?“
Zehn Jahre. Ich knirschte mit den Zähnen.
Felicia ging einen weiteren Schritt zurück. „Mom, ich brauche einfach Abstand. Ich kann das alles nicht so einfach … wegmachen.“
„Felicia, sei vernünftig. Wir fahren jetzt nach Hause und dann mach ich einen Termin bei einem Psychologen. Dann wird der Spuk schneller vorbei sein als du glaubst.“
„Bitte, Mom, lass mich.“
„Nein. Du bist noch nicht volljährig und so lange bestimmte immer noch ich, wo du dich aufhältst. Und wo wir gerade dabei sind: Du hast Hausarrest.“
Damit war Felicias Widerstand gebrochen. Ich war ohnehin überrascht, wie lange sie sich gegen ihre Mutter gewehrt hatte. Felicia sah zu Boden und ließ sich von ihrer Mutter wegführen. Ich fragte mich, ob ich einschreiten sollte. Doch zwei Dinge hielten mich ab: Mrs. Kelly war eine Agentin gewesen, vielleicht war sie es noch immer. Zum anderen hatte sie leider recht: So lange Felicia noch nicht achtzehn war, konnten ihre Eltern über sie bestimmen.
Ich fuhr aufgewühlt nach Hause. Es kam mir so ungerecht vor. Hatte ich irgendeine Möglichkeit Felicia zu helfen?
Dad saß mit einer Tasse Kaffee in der Küche. Als ich allein nach Hause kam, sah er mich fragend an.
„Felicias Mutter hat sie mitgenommen.“ Ich donnerte meine Schultasche in die Ecke. Schweigend stand Dad auf und holte mir eine Tasse Kaffee. Sie war nur halbvoll. Dann machte er mir Milch in der Mikrowelle warm, bevor er sie dazu schüttete und mich fragend ansah.
„Erdnuss.“
Er holte den Erdnusssirup aus dem Schrank und goss einen großzügigen Schluck in die Tasse. Meine Eltern weigerten sich einen chichi-Kaffeeautomaten – wie sie sie nannten – zu kaufen, aber dank meiner Schwestern verfügte ich über einen großen Vorrat verschiedenster Kaffeesirupsorten, mit denen ich immerhin so etwas ähnliches kreieren konnte. Abschließend gab Dad einen Klecks Sprühsahne und Erdnusskrokant oben drauf.
„Danke.“
Ich ließ mich auf einem Küchenstuhl nieder.
„Was genau habt ihr Shannon eigentlich erzählt?“
Ich gestand ihm unsere Lüge.
„Ach, Lacey.“ Dad schüttelte den Kopf, bemüht nicht zu grinsen, sondern sich dadmäßig zu verhalten. Es gelang ihm nicht sonderlich gut.
„Was hätten wir den tun sollen? So wie die olle Furie sich aufgeführt hat, wäre die doch mit der Kavallerie hier aufgetaucht.“
„Achte auf deine Sprache.“
„Ist doch wahr.“, grummelte ich und probierte meinen Kaffee. Dafür, dass er alles im Kaffee verabscheute, hatte Dad eine gute Mischung hinbekommen. Er forderte mich auf, genau zu berichten, was sich zugetragen hatte. Ich wiederholte, was ich gesehen hatte. Dad seufzte.
„Da können wir wirklich nichts machen. In anderen Staaten ist es vielleicht anders, aber hier würde die Polizei immer durchsetzen, dass Felicia wieder zu ihren Eltern muss. Solange ihr da keine Gefahr droht.“
Ich unterdrückte ein paar Schimpfwörter. Felicia hatte zwar gesagt, dass der Mann nicht mehr in Riverview war, aber weiterhin in dem Haus zu bleiben zu müssen, indem ein großer Teil der Taten stattgefunden hatte, war seelische Grausamkeit. Ich hatte Felicia angeboten, mit ihr zur Polizei zugehen, aber sie wollte nicht. Sie befürchtete, dass ihr keiner mehr glauben würde, weil es schon ein paar Monate her war, dass er sie das letzte Mal missbraucht hatte und sie all die Jahre nichts gesagt hatte. Außerdem war ihre Mutter sehr vehement gewesen, es nicht anzuzeigen.
„Blöde Schla … argh.“, rutschte es mir heraus. Dad sah mich tadelnd an. Entschuldigen zuckte ich mit den Schultern. Am liebsten würde ich es ihm sagen, aber Felicia hatte mich eindringlichst gebeten es für mich zu behalten.
„Du hast ihr versprochen, nicht zu sagen, was passiert ist.“, schloss Dad. „Aber es muss schlimm sein.“
Ich nickte und versuchte mich mit dem Kaffee zu beschäftigen, um weder zu fluchen noch mit den Zähnen zu knirschen.
„Hast du Angst, dass Felicia dort etwas passiert?“
Ich wollte gerade antworten, als ich die Vibration meines Smartphones bemerkte. Ein rascher Blick verriet mir, dass es Felicia war.
„Felic-“
Sie unterbrach mich sofort. „Ich hab Hausverbot und meine Mom hat mir das Handy abgenommen. Sie ist kurz einkaufen, deswegen kann ich schnell anrufen.“
„Geht es dir gut?“
Sie zögerte eine Weile, dann sagte sie mit erstaunlich fester Stimme: „Nein. Ich hasse es, dass ich hier sein muss. Bei euch hatte ich das Gefühl atmen zu können. Hier …“ Sie ließ den Satz unbeantwortet.
„Du musst stark bleiben! Wir sehen uns morgen in der Schule, vielleicht fällt mir noch was ein.“
Dad wedelte mit der Hand, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich sah ihn fragend an und er griff nach meinem Handy.
„Felicia, hier ist Laces Vater. Wann wirst du volljährig?“
Ich starrte Dad verdutzt an. Ebenso verwirrt erwiderte Felicia etwas.
„Okay. Ich weiß nicht, was dein Kummer ist, aber Lace glaubt, dass du in Schwierigkeiten steckst und Hilfe brauchst. Versuch bis zu deinem Geburtstag durchzuhalten. Dann kannst du bei deinen Eltern ausziehen. Unsere Tür steht dir offen.“ Damit reichte Dad mir das Smartphone zurück. Ich starrte ihn sprachlos an, während ich das Gerät an mein Ohr hob. Auf der anderen Seite herrschte ebenfalls Stille. Dad grinste schief.
„Felicia?“, schaffte ich es schließlich zu sagen.
„Lace...dein Dad...“
„Ich hab's gehört.“ Ich warf Dad ein Luftküsschen zu. Er nickte nur und nahm sich noch einen Kaffee. „Kannst du so lange durchhalten?“
„Meint er das ernst?“
„Natürlich!“
Ich hörte ein erleichtertes Schluchzen. „Kopf hoch, Felicia. Du musst nur bis zu deinem Geburtstag durchhalten. Wann hast du Geburstag?“
„In fünf Wochen.“, warf Dad ein. „Kurz nach euren letzten Prüfungen.“
„Okaaaay.“ Ich nahm einen Schluck Kaffee. „Felicia, dann versuch dich jetzt mit den Prüfungsvorbereitungen abzulenken. Wenn sie dich zum Seelenklempner schleppen will, dann mach es einfach mit. Spiel im Zweifel die über Nacht Genesene.“
„Hast du gelauscht?“
„Äh....“
Tatsächlich kicherte Felicia. „Geistermädchen.“ Es war das erste Mal, dass sie mich so nannte. Aus ihrem Mund klang es nicht bösartig. Ich grinste.
„Mist, meine Mutter kommt. Wir sehen uns in der Schule.“
Sie legte hektisch auf. Dad sah mich über seinen dampfenden Kaffee hinweg an.
„Ich kann doch auch nichts dafür, dass mich keiner bemerkt!“, rief ich theatralisch aus. Dad grinste nur.
Keine zwei Stunden später stand Felicia in Tränen aufgelöst vor unserer Tür. Dad und ich waren mehr als verwundert. Hatte Mrs. Kelly ihr nicht Hausarrest aufgebrummt? Felicia war so fertig mit den Nerven, dass wir nur Stück für Stück aus ihr herausbekamen, was passiert war. Offenbar war Mrs. Kelly nicht nur einkaufen gewesen, sondern auch mit den Beobachtern in Kontakt getreten. Felicia benutzte das Wort nicht, aber sie sprach von irgendwelchen ominösen Arbeitgebern ihrer Mutter. Die waren wohl außer sich Wut, warum konnte Felicia nicht sagen. Jonas musste recht behalten haben! Später erfuhr ich, dass er Felicia markiert hatte. Dadurch konnten die Beobachter sie nicht benutzen. Ich reimte mir über die Jahre zusammen, dass die Beobachter es an diesem Tag erfuhren und Mrs. Kelly dafür verantwortlich machten. Um ihren eigenen Stand nicht zu gefährden, verwies sie ihre eigene Tochter an diesem Tag des Hauses. Sie schmiss sie einfach raus! Kurz danach verschwand Mr. Joy-Dean, Felicias Vater auf mysteriöse Art und Weise. Bald verdächtigte man Mrs. Kelly, etwas mit seinem Verschwinden zu tun zu haben. Sie tauchte daraufhin unter. Aber natürlich wussten wir an diesem Abend davon noch nichts. Doch die Kaskade von Ereignissen, die an diesem Tag begannen, hatte für Felicia und mich etwas Gutes: Meine beste Freundin – und dazu war sie in der unglaublich kurzen Zeit geworden – wurde bis zu ihrem Geburtstag der Obhut meiner Eltern unterstellt. Sie durfte offiziell bei uns wohnen – ein Zustand der lange Jahre anhielt. Vielleicht ist es ein kleiner Teil meines Glücks, dass Felicia – so grausam die Umstände für sie damals waren – zu uns kam.
„Hat das Schlafen gut getan?“, fragte ich und steckte mein Handy weg.
Felicia richtete sich auf und nickte unsicher. Ich griff nach dem Keksteller und reichte ihn ihr. Immerhin hatte ich zwei Anstandskekse übrig gelassen. Dieses Mal nahm Felicia einen und biss ein winziges Stückchen ab.
Was willst du jetzt tun?“, fragte ich, während ich ihr zusah, wie sie kleinste Bissen nahm.
Felicia antwortete nicht sofort. Sie ließ sich Zeit den Keks zu verspeisen und nahm noch einen Schluck Wasser, bevor sie antwortete.
„Ich weiß es nicht. Am liebsten würde ich mich verkriechen.“ In ihren Augen standen erneut Tränen, doch sie blieb gefasst. „Ich hab sogar darüber nachgedacht zu …“
Rasch legte ich meine Hand auf ihre, denn ich hatte schon erraten, in welche Richtung ihre Gedanken gehen. „Nein.“, sagte ich ernst. „Dann gewinnt er.“
Sie nickte stumm.
„Möchtest du eine Weile hier bleiben?“, fragte ich dann.
Zaghaft nickte Felicia. „Aber meine Mutter würde das niemals dulden. Wegen deines Vaters.“
Grimmig nickte ich, doch dann kam mir eine Idee. Ich grinste: „Hast du nicht irgendeine Busenfreundin, bei der wegen eines Schulprojekts übernachten musst? Die muss natürlich lügen.“
Felicia nahm den zweiten Keks. Sie drehte und wendete ihn mehrfach, bevor sie ein Stück abbrach und aß. Dann nickte sie. „Ich kann jemanden vorschieben. Ich hab öfter bei anderen geschlafen. Meine Mutter wird es als Hinweis nehmen, dass ich wieder normal bin.“
Den letzten Satz brachte sie so bitter hervor, dass ich tiefen Zorn empfand. Wieder knirschten meine Zähne. Ich griff nach der Wasserflasche, um meinem Kiefer zu entspannen.
Unten hörte ich, wie sich das Tor zur Scheune öffnete. Mein Vater rief von unten: „Mädchen?“
Ich erhob mich und ging zur Tür. Dad kam langsam die Treppe hoch.
„Möchtet ihr eine Pizza bestellen? Mom und Dad haben Nell und mich zum essen eingeladen, weil sie ein neues Restaurant ausprobieren wollen.“ Er versuchte neutral zu klingen und seine Maske aufzusetzen, aber ich sah ihm an, wie sehr ihm das ganze missfiel. Zum einen die Sache mit Felicia und Jonas und dann auch noch auswärts Essen gehen! Ich hatte Mitleid mit ihm. Andererseits begrüßte ich die Abwesenheit meiner Eltern, so konnte Felicia noch Kraft sammeln. Deswegen lächelte ich Dad zu und gab ihm rasch ein Küsschen. „Pizza klingt gut. Ich glaub Grandma hat von dem Restaurant erzählt. Die sollen auch vernünftigen Kaffee kochen können.“ Ich zwinkerte ihm zu.
Dad seufzte. „Solange es Kaffee und nicht dieses Chichi von Kaffee mit gestrudelter Llamamilch und Glitzerkrokant ist.“
„Also Llamamilch hatte ich noch nie!“ Glitzerkrokant allerdings schon. Ich grinste. Dad war ein Purist was Kaffee anging, ich stand auf Kaffeekreationen – je verrückter desto besser.
Mein Vater seufzte erneut und gab mir ein paar Geldscheine. Er warf einen Blick zur Tür des Gästezimmers. Ich wollte gerade etwas sagen, da machte Dad sich gerade und lächelte. „Ich vertrau dir, Lacey. Macht euch einen schönen Abend. Und denkt an mich, wenn ihr die Pizza genießt, während ich ins Restaurant muss.“
„Wird schon werden, Dad. Mom freut sich bestimmt.“
Er nickte. Aus (belauschten) Gesprächen zwischen den beiden wusste ich, dass Dad sich sorgte, dass Mom es ihm nachtragen könnte, dass er so selten den Hof verließ. Mom machte das nichts aus, sagte sie. Sie war selber gern hier. Außer zur Arbeit verließ sie auch nicht oft das Grundstück. Manchmal ging sie nach der Arbeit mit Claire oder Chrystal Kaffeetrinken oder shoppen, aber das war's dann auch. Meine Eltern waren isolationistisch – nicht dass ich diesen Wesenszug nicht hin und wieder teilte.
Felicias Appetit schien sich langsam etwas erholt zu haben und so teilten wir uns wenig später eine Pizza. Dabei arbeiteten wir einen Plan aus, mit dem sie die Möglichkeit hatte mehrere Tage bei mir unterzutauchen. Felicia bestand darauf, trotzdem zur Schule zu gehen. Sie wollte ihr Abschlusszeugnis nicht gefährden und auf ein Stipendium hin arbeiten, damit sie nicht auf das Geld ihrer Eltern angewiesen war. Ihrem Alibi – einem anderen Cheerleader - erklärte sie, dass sie bei einem Freund, der schon aufs College ging, übernachtete.
„Hältst du das für eine kluge Ausrede?“
Felicia nickte. „Außer dir weiß keiner … weiß niemand etwas. Und Heather wird nur Student hören. Selbst wenn sie es ein paar von den anderen Mädchen erzählt, wird keine Verdacht schöpfen. Sie werden höchstens neidisch.“
Ich sparte mir einen abfälligen Kommentar über diese dummen Puten, aber mein Gesicht musste Bände gesprochen haben. Felicia lächelte nachsichtig. „Sie sind oberflächlich. Aber manchmal braucht man diese Oberflächlichkeit, wenn man an der Schule überleben will.“ Sie hob die Hand um einen neuen Einwand von mir abzuwehren. „Es hat nicht jeder dein Selbstbewusstsein und kann damit zurecht kommen ein Außenseiter zu sein. Manche von uns brauchen andere.“
„Tja, da hab ich Glück.“, sagte ich ernsthaft.
„Ja, das hast du wirklich.“
Felicia blieb eine Woche unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Wir übernachteten gemeinsam in der Scheune. Nach und nach gewöhnten meine Eltern sich an sie und sie sich an meine Eltern. Mein Dad blieb reservierter als Mom, aber es fielen keine bösen Worte.
Nach einer Woche wurde Felicias Mutter jedoch unruhig und passte sie nach der Schule ab. Felicia und ich hatten vereinbart getrennt zur Schule und zurück zu fahren. Wir benutzte beide Fahrräder brachen aber zu unterschiedlichen Zeiten auf und nahmen unterschiedliche Wege.Ich stellte jeden Tag sicher, dass sie vor mir von der Schule fuhr. So konnte ich ausschließen, dass ihr jemand direkt folgte. Mein Talent unbemerkbar zu sein, kam mir dabei sehr entgegen. So bekam ich auch mit, wie sie von ihrer Mutter angehalten wurde.
„Felicia Kelly Joy-Dean!“ Mrs. Kelly klang sehr aufgebracht. Oder war es Mrs. Kelly Joy-Dean? Ich weiß es nicht mehr. „Was glaubst du eigentlich, was du treibst?“
„Hallo Mom.“ Felicia klang ruhiger als ich es für möglich gehalten hatte.
„Du erzählst mir seit einer Woche, du seist bei Heather. Jetzt stell dir meine Überraschung vor, als ich Heathers Mutter treffe und sie nichts davon weiß.“
Ups, damit hatten wir nicht gerechnet.
„Wo warst du also in den letzten Tagen?“
Es dauerte einen Moment, doch dann erwiderte Felicia mit fester, wenn auch leiser Stimme. „An einem Ort, an dem ich mich sicher fühle.“
Von meinem Beobachtungsposten aus sah ich, wie Mrs. Kelly die Spucke wegblieb. Innerlich jubelte ich Felicia zu.
„Sicher?!“ Mrs. Kelly griff nach Felicias Arm, doch die machte einen Schritt zurück. „Jetzt stell dich nicht so an und komm mit nach Hause. Da bist du auch sicher.“
„So sicher wie in den letzten zehn Jahren?“
Zehn Jahre. Ich knirschte mit den Zähnen.
Felicia ging einen weiteren Schritt zurück. „Mom, ich brauche einfach Abstand. Ich kann das alles nicht so einfach … wegmachen.“
„Felicia, sei vernünftig. Wir fahren jetzt nach Hause und dann mach ich einen Termin bei einem Psychologen. Dann wird der Spuk schneller vorbei sein als du glaubst.“
„Bitte, Mom, lass mich.“
„Nein. Du bist noch nicht volljährig und so lange bestimmte immer noch ich, wo du dich aufhältst. Und wo wir gerade dabei sind: Du hast Hausarrest.“
Damit war Felicias Widerstand gebrochen. Ich war ohnehin überrascht, wie lange sie sich gegen ihre Mutter gewehrt hatte. Felicia sah zu Boden und ließ sich von ihrer Mutter wegführen. Ich fragte mich, ob ich einschreiten sollte. Doch zwei Dinge hielten mich ab: Mrs. Kelly war eine Agentin gewesen, vielleicht war sie es noch immer. Zum anderen hatte sie leider recht: So lange Felicia noch nicht achtzehn war, konnten ihre Eltern über sie bestimmen.
Ich fuhr aufgewühlt nach Hause. Es kam mir so ungerecht vor. Hatte ich irgendeine Möglichkeit Felicia zu helfen?
Dad saß mit einer Tasse Kaffee in der Küche. Als ich allein nach Hause kam, sah er mich fragend an.
„Felicias Mutter hat sie mitgenommen.“ Ich donnerte meine Schultasche in die Ecke. Schweigend stand Dad auf und holte mir eine Tasse Kaffee. Sie war nur halbvoll. Dann machte er mir Milch in der Mikrowelle warm, bevor er sie dazu schüttete und mich fragend ansah.
„Erdnuss.“
Er holte den Erdnusssirup aus dem Schrank und goss einen großzügigen Schluck in die Tasse. Meine Eltern weigerten sich einen chichi-Kaffeeautomaten – wie sie sie nannten – zu kaufen, aber dank meiner Schwestern verfügte ich über einen großen Vorrat verschiedenster Kaffeesirupsorten, mit denen ich immerhin so etwas ähnliches kreieren konnte. Abschließend gab Dad einen Klecks Sprühsahne und Erdnusskrokant oben drauf.
„Danke.“
Ich ließ mich auf einem Küchenstuhl nieder.
„Was genau habt ihr Shannon eigentlich erzählt?“
Ich gestand ihm unsere Lüge.
„Ach, Lacey.“ Dad schüttelte den Kopf, bemüht nicht zu grinsen, sondern sich dadmäßig zu verhalten. Es gelang ihm nicht sonderlich gut.
„Was hätten wir den tun sollen? So wie die olle Furie sich aufgeführt hat, wäre die doch mit der Kavallerie hier aufgetaucht.“
„Achte auf deine Sprache.“
„Ist doch wahr.“, grummelte ich und probierte meinen Kaffee. Dafür, dass er alles im Kaffee verabscheute, hatte Dad eine gute Mischung hinbekommen. Er forderte mich auf, genau zu berichten, was sich zugetragen hatte. Ich wiederholte, was ich gesehen hatte. Dad seufzte.
„Da können wir wirklich nichts machen. In anderen Staaten ist es vielleicht anders, aber hier würde die Polizei immer durchsetzen, dass Felicia wieder zu ihren Eltern muss. Solange ihr da keine Gefahr droht.“
Ich unterdrückte ein paar Schimpfwörter. Felicia hatte zwar gesagt, dass der Mann nicht mehr in Riverview war, aber weiterhin in dem Haus zu bleiben zu müssen, indem ein großer Teil der Taten stattgefunden hatte, war seelische Grausamkeit. Ich hatte Felicia angeboten, mit ihr zur Polizei zugehen, aber sie wollte nicht. Sie befürchtete, dass ihr keiner mehr glauben würde, weil es schon ein paar Monate her war, dass er sie das letzte Mal missbraucht hatte und sie all die Jahre nichts gesagt hatte. Außerdem war ihre Mutter sehr vehement gewesen, es nicht anzuzeigen.
„Blöde Schla … argh.“, rutschte es mir heraus. Dad sah mich tadelnd an. Entschuldigen zuckte ich mit den Schultern. Am liebsten würde ich es ihm sagen, aber Felicia hatte mich eindringlichst gebeten es für mich zu behalten.
„Du hast ihr versprochen, nicht zu sagen, was passiert ist.“, schloss Dad. „Aber es muss schlimm sein.“
Ich nickte und versuchte mich mit dem Kaffee zu beschäftigen, um weder zu fluchen noch mit den Zähnen zu knirschen.
„Hast du Angst, dass Felicia dort etwas passiert?“
Ich wollte gerade antworten, als ich die Vibration meines Smartphones bemerkte. Ein rascher Blick verriet mir, dass es Felicia war.
„Felic-“
Sie unterbrach mich sofort. „Ich hab Hausverbot und meine Mom hat mir das Handy abgenommen. Sie ist kurz einkaufen, deswegen kann ich schnell anrufen.“
„Geht es dir gut?“
Sie zögerte eine Weile, dann sagte sie mit erstaunlich fester Stimme: „Nein. Ich hasse es, dass ich hier sein muss. Bei euch hatte ich das Gefühl atmen zu können. Hier …“ Sie ließ den Satz unbeantwortet.
„Du musst stark bleiben! Wir sehen uns morgen in der Schule, vielleicht fällt mir noch was ein.“
Dad wedelte mit der Hand, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich sah ihn fragend an und er griff nach meinem Handy.
„Felicia, hier ist Laces Vater. Wann wirst du volljährig?“
Ich starrte Dad verdutzt an. Ebenso verwirrt erwiderte Felicia etwas.
„Okay. Ich weiß nicht, was dein Kummer ist, aber Lace glaubt, dass du in Schwierigkeiten steckst und Hilfe brauchst. Versuch bis zu deinem Geburtstag durchzuhalten. Dann kannst du bei deinen Eltern ausziehen. Unsere Tür steht dir offen.“ Damit reichte Dad mir das Smartphone zurück. Ich starrte ihn sprachlos an, während ich das Gerät an mein Ohr hob. Auf der anderen Seite herrschte ebenfalls Stille. Dad grinste schief.
„Felicia?“, schaffte ich es schließlich zu sagen.
„Lace...dein Dad...“
„Ich hab's gehört.“ Ich warf Dad ein Luftküsschen zu. Er nickte nur und nahm sich noch einen Kaffee. „Kannst du so lange durchhalten?“
„Meint er das ernst?“
„Natürlich!“
Ich hörte ein erleichtertes Schluchzen. „Kopf hoch, Felicia. Du musst nur bis zu deinem Geburtstag durchhalten. Wann hast du Geburstag?“
„In fünf Wochen.“, warf Dad ein. „Kurz nach euren letzten Prüfungen.“
„Okaaaay.“ Ich nahm einen Schluck Kaffee. „Felicia, dann versuch dich jetzt mit den Prüfungsvorbereitungen abzulenken. Wenn sie dich zum Seelenklempner schleppen will, dann mach es einfach mit. Spiel im Zweifel die über Nacht Genesene.“
„Hast du gelauscht?“
„Äh....“
Tatsächlich kicherte Felicia. „Geistermädchen.“ Es war das erste Mal, dass sie mich so nannte. Aus ihrem Mund klang es nicht bösartig. Ich grinste.
„Mist, meine Mutter kommt. Wir sehen uns in der Schule.“
Sie legte hektisch auf. Dad sah mich über seinen dampfenden Kaffee hinweg an.
„Ich kann doch auch nichts dafür, dass mich keiner bemerkt!“, rief ich theatralisch aus. Dad grinste nur.
Keine zwei Stunden später stand Felicia in Tränen aufgelöst vor unserer Tür. Dad und ich waren mehr als verwundert. Hatte Mrs. Kelly ihr nicht Hausarrest aufgebrummt? Felicia war so fertig mit den Nerven, dass wir nur Stück für Stück aus ihr herausbekamen, was passiert war. Offenbar war Mrs. Kelly nicht nur einkaufen gewesen, sondern auch mit den Beobachtern in Kontakt getreten. Felicia benutzte das Wort nicht, aber sie sprach von irgendwelchen ominösen Arbeitgebern ihrer Mutter. Die waren wohl außer sich Wut, warum konnte Felicia nicht sagen. Jonas musste recht behalten haben! Später erfuhr ich, dass er Felicia markiert hatte. Dadurch konnten die Beobachter sie nicht benutzen. Ich reimte mir über die Jahre zusammen, dass die Beobachter es an diesem Tag erfuhren und Mrs. Kelly dafür verantwortlich machten. Um ihren eigenen Stand nicht zu gefährden, verwies sie ihre eigene Tochter an diesem Tag des Hauses. Sie schmiss sie einfach raus! Kurz danach verschwand Mr. Joy-Dean, Felicias Vater auf mysteriöse Art und Weise. Bald verdächtigte man Mrs. Kelly, etwas mit seinem Verschwinden zu tun zu haben. Sie tauchte daraufhin unter. Aber natürlich wussten wir an diesem Abend davon noch nichts. Doch die Kaskade von Ereignissen, die an diesem Tag begannen, hatte für Felicia und mich etwas Gutes: Meine beste Freundin – und dazu war sie in der unglaublich kurzen Zeit geworden – wurde bis zu ihrem Geburtstag der Obhut meiner Eltern unterstellt. Sie durfte offiziell bei uns wohnen – ein Zustand der lange Jahre anhielt. Vielleicht ist es ein kleiner Teil meines Glücks, dass Felicia – so grausam die Umstände für sie damals waren – zu uns kam.
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 6 – Sirup und Familie
Ich konnte das zufriedene Grinsen nicht aus meinem Gesicht wischen. Nicht, dass ich mir viel Mühe damit gegeben hätte …
Seit Felicias unverhofftem Einzug bei uns waren ein paar Jahre vergangen. Wir hatten die Schule abgeschlossen und anschließend das Community College besucht. Ich hatte mehr aus Langeweile und absoluter Ahnungslosigkeit, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, ein paar Kurse mit Felicia zusammen belegt. Sie war viel zielstrebiger als ich und hatte ruckzuck einen Bachelor in Wirtschaft erworben, während ich so ziemlich in jedes Studienfach reinschnupperte und jedes genauso schnell verwarf. Mom nahm mich zu einem Praktikum ins Krankenhaus mit, aber das war auch nicht das Wahre für mich. Allerdings hatte ich während der Zeit auf der geriatrischen Station einen Geistesblitz …
Die Schwestern und Pfleger führten einen beständigen Kampf gegen das Austrocknen bei den alten Leuten, weil sie einfach kein Durstgefühl mehr hatten oder es vergaßen. Ich versuchte es mehr aus Versehen mit Sprudel und Sirup bei einem älteren Mann – und hatte wider Erwarten Erfolg. Natürlich hatte ich damit das Rad nicht neu erfunden – Sirup versuchten sie ohnehin immer. Aber Erdnusssirup im Sprudel war ihnen noch nicht als Idee gekommen. Wir probierten daraufhin die schrägsten Kombination aus. Nicht immer klappte es, aber den ein oder anderen alten Menschen konnten wir damit zumindest etwas mehr Flüssigkeit einflößen. Nach dem Praktikum besuchte ich einen Workshop für Existenzgründer und wenig später gründete ich mein Unternehmen: Lacey's Sirup. Ich hatte die Erlaubnis erhalten die Scheune zu meiner Mini-Manufaktur inklusive Büro umzubauen (also Dad baute und ich kommandierte). Felicia richtete mir einen Online-Shop ein und half mir mit dem ganzen Papierkram. Meine erste Charge wollten das Altenheim und das Krankenhaus kaufen – produziert war sie bisher nicht. Ich konnte nicht jede Sorte herstellen, weil ich regionale Produkte verarbeiten wollte, aber ich würde kreative Mischungen anbieten. Die Sirupe sollten für Sprudel, Kaffee, Milch, Eis, Pfannkuchen und so weiter und so fort sein. Hoffentlich wurde ich nicht selbst meine beste Kundin...
Was soll ich sagen? Mein Glück ließ mich nicht im Stich und schon nach zwei Jahren konnte ich sämtliche Schulden, die ich hatte aufnehmen müssen, zurückzahlen und schrieb schwarze Zahlen. Für ein regelmäßiges Einkommen sorgte der Absatz in Altenheimen und Kindertagesstätten. Beliebt machte Lacey's Sirup aber die Möglichkeit eigene Kreationen in Auftrag zugeben – offenbar ein beliebtes Geschenk.
Felicia arbeitete in der Stadtverwaltung – ein furchtbar langweiliger Job, wie ich fand. Meine Freundin grinste mich immer nur an. Sie schätzte das beständige und absehbare an ihrem Job. Durch die Erlebnisse während ihre Jugend war sie alles andere als abenteuerlustig. Sie und meine Eltern verstanden sich mittlerweile prächtig, besonders mein Vater hatte sie irgendwie ins Herz geschlossen. Seine Paranoia verstärkte sich zum Glück nicht weiter, auch wenn er Fremde auf dem Grundstück immer sehr finster ansah.
In dem Sommer als Felicia und ich dreinundzwanzig wurden, verkündete meine Schwester Eve, dass sie und Hunter ihr erstes Kind erwarteten. Erleichtertes Aufatmen bei Mom und Dad – Eve und Hunter hatten es schon lange versucht. Die Ehe der beiden war deswegen sehr angespannt. Die freudige Nachricht entschärfte die Situation enorm.
Verkündet wurde es auf einer spontanen Grillfeier, die Mom und Dad für uns Schwestern, Granda und Grandma ausrichteten. Sie hatten eine Cousine meines Vaters zu Besuch, Ruth, die Tochter von Grandas älterer Schwester Katrina. Sie war im Winter als erste von Grandas Geschwistern gestorben. Es hatte ihm ganz schön zu Schaffen gemacht. So alt war Katrina nicht gewesen und wenn man Oma und Grandpa als Maßstab nahm, war ihre Tochter früh gestorben. Ruth war wesentlich jünger als Dad, eher in Sadies Alter. Sie war in Simropa aufgewachsen und man merkte ihr das verwöhnte Wunschkind an. Nicht dass Ruth mir unsympathisch gewesen wäre, aber sie war etwas oberflächlich. Natürlich quetschte sie Sadie und mich über unser (nicht existentes) Liebesleben angesichts der Schwangerschaft unserer Schwester aus.
Sadie machte sich rasch vom Acker, aber ich hatte Ruth den ganzen Abend an der Backe. Ich musste eingestehen, dass ich absolut null (in Zahlen: 0) Dates in den letzten Jahren (eher: seit immer) hatte und auch keins in Aussicht stand. Ruth sah sich beflissen mir Tipps und Ratschläge zugeben, die ich irgendwann ziemlich rüde ablehnte. Da sah meine Großcousine vielsagend zu Felicia und murmelte ein „Aha.“
Ich widerstand der Versuchung Ruth die Zunge raus zu strecken. Ich sah zu Granda, behauptete, er habe mich zu sich gewunken und ließ Ruth stehen. Genervt ließ ich mich neben Granda auf einen Stuhl fassen.
„War deine Schwester auch so anstrengend?“, fragte ich und schalt mich im nächsten Moment. Das war nicht gerade empathisch – etwas das ich Jonas immer wieder vorwarf. Ach ja, Jonas … überraschenderweise sprachen wir recht häufig miteinander. Ich belieferte mindestens einmal im Monat ein Altenheim und naturgemäß hatte er dort immer mal wieder zu tun, so dass sich hin und wieder ein Treffen ergab. Er erkundigte sich nach meinen Sirupen und nach den Beobachtern (im übrigen nie gesehen – seit dem Verschwinden von Felicias Mutter hatte sich bei mir noch keiner gemeldet).
Granda schien mir meine Frage nicht übel zu nehmen. Er lachte heiser. „Ja. Katrina konnte – eine Diva sein. Und das schon bevor sie eine erfolgreiche Schauspielerin war.“
Ich lächelte. Er fuhr fort: „Und in Ruths Welt gibt es außer Dates und Tennis nicht viel, so scheint es mir.“ Er sah zu seiner Nichte. „Seine Mutter so früh zu verlieren kann außerdem auch verunsichern.“
„Jaja, geschenkt.“, seufzte ich. „Trotzdem geht es sie nix an.“
Granda nickte langsam. Er sah sich kurz um, außer uns war keiner am Tisch. „Allerdings ...“, begann er langsam. Er schüttelte den Kopf und gab sich dann einen Ruck. „Lace, versteh das nicht falsch … Du bist die Erbin der Familie und dass du so gar keine Kontakte außer Felicia und der Familie hast, macht mir manchmal etwas Sorgen.“
Wie vom Donner gerührt starrte ich Granda an. Mechanisch griff ich nach einer Sprudelflasche und schüttete ihm und mir etwas ein – Erdbeersirup für ihn, Erdnusssirup für mich. Er nippte an dem Glas und sah wie ein Hundewelpe aus, der etwas angestellt hatte. Ein verknautschter Hundewelpe …
„Ähm … ist ja nicht so als sei das bei Dad groß anders gewesen.“, brachte ich schließlich hervor.
„Das stimmt.“, gab Granda zu. Er wies mit dem Kinn zu Felicia, die sich mit Eve unterhielt. „Aber falls es bei dir anders liegt, also falls du...“ Er brach ab, denn Hunter kam mit einer Schüssel Pudding aus der Küche zu uns an den Tisch. Er strahlte über das ganze Gesicht.
Mein Gesicht dürfte nicht strahlend gewesen sein, aber ich zwang mich zu einem Lächeln (immerhin ersparte mir sein Auftauchen eine Antwort). Granda ignorierte ich, als ich aufstand und behauptete auf die Toilette zu müssen. Doch statt ins Haus ging ich zum Friedhof.
„Jonas?“
Ich rief leise, auch wenn ich bezweifelte, dass man mich im Garten hören würde. Frustriert ließ ich mich vor den Grabsteinen von Oma und Grandpa nieder. Als wäre es nicht blöde genug, Erbin dieser Beobachter-Geschichte zu sein, jetzt machte die Familie auch noch Druck! Und gleich zwei Anspielungen bezüglich Felicia?
„Ihr habt gerufen, Meister?“ Jonas apparierte plötzlich neben mir. Sein Tonfall war amüsiert. „Ist irgendwo ein Toter, den ich übersehen hab? Sozusagen vom Laster gefallen?“
„Sehr witzig, Jonas.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich hab gerade Pause, deswegen hab ich kurz Zeit.“ Er machte eine kleine Geste, die mir bedeutete mir meinen Kummer von der Seele zu reden.
„Mein Großvater wundert sich, warum ich noch nicht in die Erbenproduktion gegangen bin und er – und meine Großcousine – vermuten, dass ich für Felicia nicht nur freundschaftlich empfinde.“
Jonas antwortete prompt mit einer Gegenfrage: „Tust du?“
Ich klappte meinen Mund zu und legte den Kopf schief. Über meinen Ärger hatte ich das natürlich verdrängt. Jonas wartete geduldig (normalerweise nicht seine Stärke), bis ich meine Gedanken sortiert hatte.
„Nein. Felicia ist meine beste Freundin. Ich mag sie als Freundin und ich vertraue ihr. Auch wenn ich natürlich nichts von der ganzen Beobachter-Sache erzählen darf, was es nicht immer einfach macht.“ Ich überlegte, ob ich weitersprechen sollte. Innerlich zuckte ich mit den Schultern. „Und naja, ich steh auch auf Männer, nicht auf Frauen.“
„Warum ärgert es dich dann?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Es geht sie halt nix an. Und Felicia will mit Beziehungen, Liebe und dem ganzen Gedöns sowieso nix zu tun haben.“
Jonas nickte. Er warf einen kurzen Blick auf seine Smartwatch, deren Anblick mich nicht mehr so sehr irritierte wie früher. Inzwischen hatte sie etwas vertrautes.
„Dein Vater war ja auch eher ein Spätzünder.“
„Hab ich Granda auch gesagt!“ Ich sprang auf und ging umher. „Ich hab noch überhaupt keine Lust, mir einen Mann zu suchen und Kinder zu bekommen. Ich mag mein Leben so wie es ist. Und überhaupt ist es einfach unfair, dass ich einem Kind dann die ganze Beobachter-Sache aufbürden soll.“
„Aber sie haben sich bisher nicht blicken lassen.“ Sein Blick, wie immer unter der Kapuze verborgen, folgte meinen Schritten. „Und, wenn du dich gegen Kinder entscheidest, muss Sadie das Erbe übernehmen. Oder ihre Kinder.“
Ich seufzte. Das wusste ich natürlich. Zumal meine Eltern die brillante Idee hatten, Sadie und Eve nie von den Beobachtern zu erzählen.
„Lace.“ Jonas' Stimme klang ernst. „Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Aber es wird sich alles finden. Ich weiß es belastet dich, dass du Felicia nichts von den Beobachtern erzählen darfst. Wäre sie nicht Shannons Tochter, würde dein Vater es erlauben, vor allem weil er weiß, wie wichtig es ist, einen Vertrauten zu haben.“
„Ich frage mich, ob er mir erlauben wird, es meinem Partner zu erzählen, falls ich mal einen habe.“
Jonas lachte. „Wenn, nicht falls.“
„Jaja, es ist ja auch so festgeschrieben, dass wir Erben einen Partner suchen, finden, viele neue Felingers produzieren und so.“ Ich verdrehte die Augen. „Es gibt auch Samenbanken.“
Der Sensemann lachte erneut. Er hob die Hand, so als wollte er meine Schulter klopfen, doch er hielt sich zurück. Erneut blickte er auf seine Smartwatch. „Falls es dir hilft ...“ Er wies mit der Hand über den Friedhof. „Du weißt, wo du mich findest.“ Er wollte noch etwas sagen, doch dann schüttelte er den Kopf und verschwand langsam. Ich starrte auf seine verschwindende Gestalt. Dann grinste ich. Dafür, dass ich eigentlich Miss Unnahbar war, hatte ich zwei richtig gute Freunde. Ich warf den Grabsteinen meiner Großeltern Luftküsschen zu und beeilte mich zurück zu unserer Party zu kommen.
„Du hast dich ganz schön lang vom Acker gemacht vorhin.“, merkte Felicia später am Abend an. Ich hockte auf der Couch vor unseren Zimmern und prüfte meinen Shop mit dem Tablet. Felicia setzte sich auf den Boden vor mir und sah mich prüfend an.
Ich runzelte die Stirn und schielte sie über den Bildschirm an, bevor ich das Tablet zur Seite legte. „Ruth und Granda haben mich etwas genervt.“
„Sie ist mir auch ganz schön nahe getreten. Wollte alles über meine Dates und so wissen.“ Felicia seufzte. Ich machte ein finsteres Gesicht und wäre Ruth am liebsten nachträglich an die Kehle gegangen. Felicia tätschelte mir beruhigend das Knie.
„Mach dir nichts draus. Sie kann das ja nicht ahnen. Tatsächlich hat sie sich bei mir entschuldigt, nachdem ich ihr mitgeteilt habe, dass ich schlechte Erfahrungen gemacht habe, und deswegen gerade vom Daten pausiere.“
„Das hast du gesagt?“
„Ich wusste nicht, wie ich sie sonst abstellen kann. Ich kann nicht so finster gucken wie du.“ Sie grinste. Dann wurde sie ernst. „Und vielleicht – aber nur vielleicht – ändert es sich ja wirklich irgendwann und ich gehe mal auf ein Date.“
Sprachlos starrte ich sie an. Felicia kicherte nervös. „Mach da bloß keinen Staatsakt draus, Lace! Ich sag ja nur, dass ich die Hoffnung in die Menschheit nicht ganz aufgegeben habe.“ Sie stand auf und streckte sich. „Und für dich findet sich bestimmt auch jemand. Dann kann Ruth endlich die Klappe halten.“
Ich schnaubte. „Pff. Ich hoffe einfach, dass sie nicht so oft aus Simropa zu Besuch kommt. Es gibt Verwandte, die muss ich nicht dauernd hier haben.“ Innerlich entschuldigte ich mich bei Oma – die fände es sicher nicht so nett, wie ich über eine ihrer Enkelinnen dachte.
Bevor ich mich hinlegte, sah ich zu meiner Kommode. Dort standen Bilder von meinen Großeltern, meinen Eltern und Schwestern. Familie war mir wichtig – zumindest die näherer. Felicia gehörte für mich auch dazu – wie eine dritte Schwester. Sie stand mir auf jeden Fall näher als Ruth! Ich schlüpfte unter die Decke. Und eine Art Bruder hatte ich mit Jonas ja irgendwie auch …
Seit Felicias unverhofftem Einzug bei uns waren ein paar Jahre vergangen. Wir hatten die Schule abgeschlossen und anschließend das Community College besucht. Ich hatte mehr aus Langeweile und absoluter Ahnungslosigkeit, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, ein paar Kurse mit Felicia zusammen belegt. Sie war viel zielstrebiger als ich und hatte ruckzuck einen Bachelor in Wirtschaft erworben, während ich so ziemlich in jedes Studienfach reinschnupperte und jedes genauso schnell verwarf. Mom nahm mich zu einem Praktikum ins Krankenhaus mit, aber das war auch nicht das Wahre für mich. Allerdings hatte ich während der Zeit auf der geriatrischen Station einen Geistesblitz …
Die Schwestern und Pfleger führten einen beständigen Kampf gegen das Austrocknen bei den alten Leuten, weil sie einfach kein Durstgefühl mehr hatten oder es vergaßen. Ich versuchte es mehr aus Versehen mit Sprudel und Sirup bei einem älteren Mann – und hatte wider Erwarten Erfolg. Natürlich hatte ich damit das Rad nicht neu erfunden – Sirup versuchten sie ohnehin immer. Aber Erdnusssirup im Sprudel war ihnen noch nicht als Idee gekommen. Wir probierten daraufhin die schrägsten Kombination aus. Nicht immer klappte es, aber den ein oder anderen alten Menschen konnten wir damit zumindest etwas mehr Flüssigkeit einflößen. Nach dem Praktikum besuchte ich einen Workshop für Existenzgründer und wenig später gründete ich mein Unternehmen: Lacey's Sirup. Ich hatte die Erlaubnis erhalten die Scheune zu meiner Mini-Manufaktur inklusive Büro umzubauen (also Dad baute und ich kommandierte). Felicia richtete mir einen Online-Shop ein und half mir mit dem ganzen Papierkram. Meine erste Charge wollten das Altenheim und das Krankenhaus kaufen – produziert war sie bisher nicht. Ich konnte nicht jede Sorte herstellen, weil ich regionale Produkte verarbeiten wollte, aber ich würde kreative Mischungen anbieten. Die Sirupe sollten für Sprudel, Kaffee, Milch, Eis, Pfannkuchen und so weiter und so fort sein. Hoffentlich wurde ich nicht selbst meine beste Kundin...
Was soll ich sagen? Mein Glück ließ mich nicht im Stich und schon nach zwei Jahren konnte ich sämtliche Schulden, die ich hatte aufnehmen müssen, zurückzahlen und schrieb schwarze Zahlen. Für ein regelmäßiges Einkommen sorgte der Absatz in Altenheimen und Kindertagesstätten. Beliebt machte Lacey's Sirup aber die Möglichkeit eigene Kreationen in Auftrag zugeben – offenbar ein beliebtes Geschenk.
Felicia arbeitete in der Stadtverwaltung – ein furchtbar langweiliger Job, wie ich fand. Meine Freundin grinste mich immer nur an. Sie schätzte das beständige und absehbare an ihrem Job. Durch die Erlebnisse während ihre Jugend war sie alles andere als abenteuerlustig. Sie und meine Eltern verstanden sich mittlerweile prächtig, besonders mein Vater hatte sie irgendwie ins Herz geschlossen. Seine Paranoia verstärkte sich zum Glück nicht weiter, auch wenn er Fremde auf dem Grundstück immer sehr finster ansah.
In dem Sommer als Felicia und ich dreinundzwanzig wurden, verkündete meine Schwester Eve, dass sie und Hunter ihr erstes Kind erwarteten. Erleichtertes Aufatmen bei Mom und Dad – Eve und Hunter hatten es schon lange versucht. Die Ehe der beiden war deswegen sehr angespannt. Die freudige Nachricht entschärfte die Situation enorm.
Verkündet wurde es auf einer spontanen Grillfeier, die Mom und Dad für uns Schwestern, Granda und Grandma ausrichteten. Sie hatten eine Cousine meines Vaters zu Besuch, Ruth, die Tochter von Grandas älterer Schwester Katrina. Sie war im Winter als erste von Grandas Geschwistern gestorben. Es hatte ihm ganz schön zu Schaffen gemacht. So alt war Katrina nicht gewesen und wenn man Oma und Grandpa als Maßstab nahm, war ihre Tochter früh gestorben. Ruth war wesentlich jünger als Dad, eher in Sadies Alter. Sie war in Simropa aufgewachsen und man merkte ihr das verwöhnte Wunschkind an. Nicht dass Ruth mir unsympathisch gewesen wäre, aber sie war etwas oberflächlich. Natürlich quetschte sie Sadie und mich über unser (nicht existentes) Liebesleben angesichts der Schwangerschaft unserer Schwester aus.
Sadie machte sich rasch vom Acker, aber ich hatte Ruth den ganzen Abend an der Backe. Ich musste eingestehen, dass ich absolut null (in Zahlen: 0) Dates in den letzten Jahren (eher: seit immer) hatte und auch keins in Aussicht stand. Ruth sah sich beflissen mir Tipps und Ratschläge zugeben, die ich irgendwann ziemlich rüde ablehnte. Da sah meine Großcousine vielsagend zu Felicia und murmelte ein „Aha.“
Ich widerstand der Versuchung Ruth die Zunge raus zu strecken. Ich sah zu Granda, behauptete, er habe mich zu sich gewunken und ließ Ruth stehen. Genervt ließ ich mich neben Granda auf einen Stuhl fassen.
„War deine Schwester auch so anstrengend?“, fragte ich und schalt mich im nächsten Moment. Das war nicht gerade empathisch – etwas das ich Jonas immer wieder vorwarf. Ach ja, Jonas … überraschenderweise sprachen wir recht häufig miteinander. Ich belieferte mindestens einmal im Monat ein Altenheim und naturgemäß hatte er dort immer mal wieder zu tun, so dass sich hin und wieder ein Treffen ergab. Er erkundigte sich nach meinen Sirupen und nach den Beobachtern (im übrigen nie gesehen – seit dem Verschwinden von Felicias Mutter hatte sich bei mir noch keiner gemeldet).
Granda schien mir meine Frage nicht übel zu nehmen. Er lachte heiser. „Ja. Katrina konnte – eine Diva sein. Und das schon bevor sie eine erfolgreiche Schauspielerin war.“
Ich lächelte. Er fuhr fort: „Und in Ruths Welt gibt es außer Dates und Tennis nicht viel, so scheint es mir.“ Er sah zu seiner Nichte. „Seine Mutter so früh zu verlieren kann außerdem auch verunsichern.“
„Jaja, geschenkt.“, seufzte ich. „Trotzdem geht es sie nix an.“
Granda nickte langsam. Er sah sich kurz um, außer uns war keiner am Tisch. „Allerdings ...“, begann er langsam. Er schüttelte den Kopf und gab sich dann einen Ruck. „Lace, versteh das nicht falsch … Du bist die Erbin der Familie und dass du so gar keine Kontakte außer Felicia und der Familie hast, macht mir manchmal etwas Sorgen.“
Wie vom Donner gerührt starrte ich Granda an. Mechanisch griff ich nach einer Sprudelflasche und schüttete ihm und mir etwas ein – Erdbeersirup für ihn, Erdnusssirup für mich. Er nippte an dem Glas und sah wie ein Hundewelpe aus, der etwas angestellt hatte. Ein verknautschter Hundewelpe …
„Ähm … ist ja nicht so als sei das bei Dad groß anders gewesen.“, brachte ich schließlich hervor.
„Das stimmt.“, gab Granda zu. Er wies mit dem Kinn zu Felicia, die sich mit Eve unterhielt. „Aber falls es bei dir anders liegt, also falls du...“ Er brach ab, denn Hunter kam mit einer Schüssel Pudding aus der Küche zu uns an den Tisch. Er strahlte über das ganze Gesicht.
Mein Gesicht dürfte nicht strahlend gewesen sein, aber ich zwang mich zu einem Lächeln (immerhin ersparte mir sein Auftauchen eine Antwort). Granda ignorierte ich, als ich aufstand und behauptete auf die Toilette zu müssen. Doch statt ins Haus ging ich zum Friedhof.
„Jonas?“
Ich rief leise, auch wenn ich bezweifelte, dass man mich im Garten hören würde. Frustriert ließ ich mich vor den Grabsteinen von Oma und Grandpa nieder. Als wäre es nicht blöde genug, Erbin dieser Beobachter-Geschichte zu sein, jetzt machte die Familie auch noch Druck! Und gleich zwei Anspielungen bezüglich Felicia?
„Ihr habt gerufen, Meister?“ Jonas apparierte plötzlich neben mir. Sein Tonfall war amüsiert. „Ist irgendwo ein Toter, den ich übersehen hab? Sozusagen vom Laster gefallen?“
„Sehr witzig, Jonas.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich hab gerade Pause, deswegen hab ich kurz Zeit.“ Er machte eine kleine Geste, die mir bedeutete mir meinen Kummer von der Seele zu reden.
„Mein Großvater wundert sich, warum ich noch nicht in die Erbenproduktion gegangen bin und er – und meine Großcousine – vermuten, dass ich für Felicia nicht nur freundschaftlich empfinde.“
Jonas antwortete prompt mit einer Gegenfrage: „Tust du?“
Ich klappte meinen Mund zu und legte den Kopf schief. Über meinen Ärger hatte ich das natürlich verdrängt. Jonas wartete geduldig (normalerweise nicht seine Stärke), bis ich meine Gedanken sortiert hatte.
„Nein. Felicia ist meine beste Freundin. Ich mag sie als Freundin und ich vertraue ihr. Auch wenn ich natürlich nichts von der ganzen Beobachter-Sache erzählen darf, was es nicht immer einfach macht.“ Ich überlegte, ob ich weitersprechen sollte. Innerlich zuckte ich mit den Schultern. „Und naja, ich steh auch auf Männer, nicht auf Frauen.“
„Warum ärgert es dich dann?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Es geht sie halt nix an. Und Felicia will mit Beziehungen, Liebe und dem ganzen Gedöns sowieso nix zu tun haben.“
Jonas nickte. Er warf einen kurzen Blick auf seine Smartwatch, deren Anblick mich nicht mehr so sehr irritierte wie früher. Inzwischen hatte sie etwas vertrautes.
„Dein Vater war ja auch eher ein Spätzünder.“
„Hab ich Granda auch gesagt!“ Ich sprang auf und ging umher. „Ich hab noch überhaupt keine Lust, mir einen Mann zu suchen und Kinder zu bekommen. Ich mag mein Leben so wie es ist. Und überhaupt ist es einfach unfair, dass ich einem Kind dann die ganze Beobachter-Sache aufbürden soll.“
„Aber sie haben sich bisher nicht blicken lassen.“ Sein Blick, wie immer unter der Kapuze verborgen, folgte meinen Schritten. „Und, wenn du dich gegen Kinder entscheidest, muss Sadie das Erbe übernehmen. Oder ihre Kinder.“
Ich seufzte. Das wusste ich natürlich. Zumal meine Eltern die brillante Idee hatten, Sadie und Eve nie von den Beobachtern zu erzählen.
„Lace.“ Jonas' Stimme klang ernst. „Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Aber es wird sich alles finden. Ich weiß es belastet dich, dass du Felicia nichts von den Beobachtern erzählen darfst. Wäre sie nicht Shannons Tochter, würde dein Vater es erlauben, vor allem weil er weiß, wie wichtig es ist, einen Vertrauten zu haben.“
„Ich frage mich, ob er mir erlauben wird, es meinem Partner zu erzählen, falls ich mal einen habe.“
Jonas lachte. „Wenn, nicht falls.“
„Jaja, es ist ja auch so festgeschrieben, dass wir Erben einen Partner suchen, finden, viele neue Felingers produzieren und so.“ Ich verdrehte die Augen. „Es gibt auch Samenbanken.“
Der Sensemann lachte erneut. Er hob die Hand, so als wollte er meine Schulter klopfen, doch er hielt sich zurück. Erneut blickte er auf seine Smartwatch. „Falls es dir hilft ...“ Er wies mit der Hand über den Friedhof. „Du weißt, wo du mich findest.“ Er wollte noch etwas sagen, doch dann schüttelte er den Kopf und verschwand langsam. Ich starrte auf seine verschwindende Gestalt. Dann grinste ich. Dafür, dass ich eigentlich Miss Unnahbar war, hatte ich zwei richtig gute Freunde. Ich warf den Grabsteinen meiner Großeltern Luftküsschen zu und beeilte mich zurück zu unserer Party zu kommen.
„Du hast dich ganz schön lang vom Acker gemacht vorhin.“, merkte Felicia später am Abend an. Ich hockte auf der Couch vor unseren Zimmern und prüfte meinen Shop mit dem Tablet. Felicia setzte sich auf den Boden vor mir und sah mich prüfend an.
Ich runzelte die Stirn und schielte sie über den Bildschirm an, bevor ich das Tablet zur Seite legte. „Ruth und Granda haben mich etwas genervt.“
„Sie ist mir auch ganz schön nahe getreten. Wollte alles über meine Dates und so wissen.“ Felicia seufzte. Ich machte ein finsteres Gesicht und wäre Ruth am liebsten nachträglich an die Kehle gegangen. Felicia tätschelte mir beruhigend das Knie.
„Mach dir nichts draus. Sie kann das ja nicht ahnen. Tatsächlich hat sie sich bei mir entschuldigt, nachdem ich ihr mitgeteilt habe, dass ich schlechte Erfahrungen gemacht habe, und deswegen gerade vom Daten pausiere.“
„Das hast du gesagt?“
„Ich wusste nicht, wie ich sie sonst abstellen kann. Ich kann nicht so finster gucken wie du.“ Sie grinste. Dann wurde sie ernst. „Und vielleicht – aber nur vielleicht – ändert es sich ja wirklich irgendwann und ich gehe mal auf ein Date.“
Sprachlos starrte ich sie an. Felicia kicherte nervös. „Mach da bloß keinen Staatsakt draus, Lace! Ich sag ja nur, dass ich die Hoffnung in die Menschheit nicht ganz aufgegeben habe.“ Sie stand auf und streckte sich. „Und für dich findet sich bestimmt auch jemand. Dann kann Ruth endlich die Klappe halten.“
Ich schnaubte. „Pff. Ich hoffe einfach, dass sie nicht so oft aus Simropa zu Besuch kommt. Es gibt Verwandte, die muss ich nicht dauernd hier haben.“ Innerlich entschuldigte ich mich bei Oma – die fände es sicher nicht so nett, wie ich über eine ihrer Enkelinnen dachte.
Bevor ich mich hinlegte, sah ich zu meiner Kommode. Dort standen Bilder von meinen Großeltern, meinen Eltern und Schwestern. Familie war mir wichtig – zumindest die näherer. Felicia gehörte für mich auch dazu – wie eine dritte Schwester. Sie stand mir auf jeden Fall näher als Ruth! Ich schlüpfte unter die Decke. Und eine Art Bruder hatte ich mit Jonas ja irgendwie auch …
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Re: Felinger Legacy
Kapitel 7 – Verluste
Für Felicia sollte es nie zu einem Date kommen. Ich sprach nur noch einmal mit Granda über die Erben-Sache. Er entschuldigte sich bei mir, er hatte mir nicht zu nahe treten wollen. Ich winkte nur ab – irgendwie hatte er ja recht. Als Erbin war es meine Verantwortung dafür zu sorgen, dass meine Schwestern und ihre Kinder nicht auch zum Opfer der ganzen Sache wurden.
Eves und Hunters erstes Kind war ein Junge, den sie Seth nannten. Zwei Jahre später war Eve erneut schwanger, zeitgleich mit Sadie. Nachdem Sadie schwanger geworden war, versuchte ich etwas mehr aus mir herauszugehen und tatsächlich ging ich ein oder zwei Mal aus, aber es machte nie wirklich Klick.
An einem Frühlingsabend – ich hatte lange im Büro gesessen – wunderte ich mich, wo Felicia so lange blieb. Normalerweise war sie spätestens um fünf zu Hause. Mittlerweile wurde es dunkel. Mom war vor einer Stunde zur Spätschicht aufgebrochen und Dad baute bei seinen Eltern ein neues Seniorenbett auf. Grandma und Granda wurden nicht jünger und brauchten mehr Hilfe als früher. Oma und Grandpa waren wirklich Ausnahmerscheinungen gewesen.
Ich schaltete meinen Laptop aus und massierte mir den Nacken. Den Papierkram hatte ich ewig vor mir hergeschoben. Deswegen hatte es heute so lange gedauert. Ich warf einen Blick auf die Uhr und dann auf mein Smartphone. Schulterzuckend wanderte ich ins Haus. Halb erwartete ich, dass Felicia heimgekommen war und ich das nur nicht bemerkt hatte. Doch das Haus war leer. Ich ging durch den Garten und sah zur Straße in der Hoffnung, dass ich ihr Auto sehen würde. Während ich angestrengt in die Nacht sah, begann mein Smartphone in meiner Gesäßtasche zu vibrieren. Ich sah auf das Display – die Nummer war unbekannt. Ich hielt kurz inne. Der Moment bis ich den Anruf abnahm schien sich zu dehnen. Kurz hatte ich das Gefühl, dass jemand an mir vorbei ging. „Es tut mir leid ...“, meinte ich zu hören. Die Stimme kam mir bekannt vor, doch dann lief die Zeit wieder normal, ich nahm den Anruf an, hörte jemanden eine Mitteilung machen und hatte das Gefühl in ein tiefes Loch zu fallen …
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich ins Krankenhaus gekommen war. Ausgerechnet Tante Izzy nahm mich dort in Empfang und brachte mich zur Notaufnahme. Ich hatte immer Witze darüber gemacht, dass Felicias Job bei der Stadt das langweiligste war, was einem Menschen passieren konnte. Nun wünschte ich, nie auch nur ein Wort darüber verloren zu haben. Felicia war länger im Büro geblieben, um eine neue Kollegin einzuarbeiten. Als die beiden Frauen plaudernd das Gebäude verließen und auf den Bürgersteig traten, wurden sie von einem Meteoriten erschlagen. Einem Meteoriten! Wie unwahrscheinlich ist das denn bitte?
Ich war Felicias Notfallkontakt gewesen. Warum sie mich erst so spät informierten, wusste hinterher keiner mehr. Man hatte Felicia und ihre Kollegin noch ins Krankenhaus gebracht, aber beide hatten keine Chance. Mom hatte nichts davon mitbekommen, obwohl sie im selben Krankenhaus arbeitete. Wieso Tante Izzy es mitbekommen hatte und bereit stand um mich zu begrüßen, wusste auch keiner so recht. Was ich aber wusste war, dass Gefühl des Verlustes noch größer wurde, als ich in dem kleinen Zimmer stand, in dem man Felicia aufgebahrt hatte. Sie war tot. Wie eine Salzsäule stand ich da und starrte auf den mit einem weißen Laken abgedeckten Körper. Und als wäre das alles nicht schlimm genug – Jonas kam nicht. Ich rief ihn – er musste doch hier sein? - doch er kam nicht.
Er kam auch nicht in den nächsten Wochen, in denen ich wie in Trance gemeinsam mit meinen Eltern eine Trauerfeier organisierte. Er kam nicht, als ich Felicias Urne in die Urnenwand der Stadt einsetzen ließ (aufgrund einer Verwaltungsvorschrift durfte ich sie nicht auf unserem Familienfriedhof beisetzten). Er kam nicht, als ich in den nächsten Monaten die Altenheime belieferte. Er kam nicht, wenn ich auf unseren Friedhof ging und mir die Kehle nach ihm wund schrie.
Ein halbes Jahr später hatte sich die Erkenntnis gesetzt: Mit einem Schlag hatte ich meine besten und einzige Freunde verloren. Die Stimme, die ich kurz vor dem Anruf an Felicias Todestag gehört hatte, musste Jonas gehört haben. Aber warum war er verschwunden?
Es ist nicht so, als sei ich nach Felicias Tod und Jonas' Verschwinden in eine nicht überwindbare Depression gefallen. Ich war traurig und ich kämpfte sehr mit dem Verlust, aber meine Widerstandskräfte ließen mich nicht im Stich. Ich machte einfach weiter mit meinem Leben: Nahm Bestellungen entgegen, stellte Sirup her, lieferte ihn aus. Meine Schwestern bekamen ihre Kinder: Eve einen weiteren Jungen, Elias, und Sadie ein Mädchen, Thelma. Dankenswerterweise hielt sich der Rest der Familie mit entsprechenden Nachfragen bei mir zurück. Sogar Ruth.
Nachdem auch Ruths Vater gestorben war, siedelte sie komplett nach Riverview um. In Simropa hatte sie keine weitere Familie. Ruth fühlte sich bei uns und meinen Großeltern wohl. Sie konnte sich nie ganz von ihrer Oberflächlichkeit frei machen, aber nach und nach erkannte ich, dass sie auch eine tiefergehende Seite hatte. Erstaunlicherweise entschied sich Ruth für eine Karriere bei der Polizei. Mit der Zeit wurde sie – auf Grund ihrer Ausstrahlung und ihren Kommunikationsfähigkeiten – die Pressesprecherin. Wenn sie nicht arbeitete, hing sie bei meinen Großeltern oder bei uns rum – obwohl ich ihr gegenüber oft genug unhöflich, sarkastisch oder gehässig war, hatte Ruth mich irgendwie ins Herz geschlossen.
Meine Bildersammlung auf der Kommode ergänzte ich um Felicias Bild von unserem Abschlussball. Ich hatte damals keine Lust gehabt dorthin zu gehen, aber Felicia war es gegenüber ihren ehemaligen Freundinnen wichtig, mit erhobenem Kopf dort aufzutauchen. Nachdem ihre Mutter sie rausgeworfen hatte, machten die wildesten Gerüchte die Runde. Die anderen Cheerleader wollten nichts mehr mit ihr zu tun haben, denn Gerüchte sind auf der High School einfach tödlich. Ich tat damals mein bestes um Felicia zu unterstützen – und das hieß nun mal auch, mit ihr zu diesem Ball zu gehen. Erstaunlicherweise hatte ich an dem Abend sogar ziemlich viel Spaß, weil Felicia und ich die einzigen waren, die den Abend halbwegs nüchtern überstanden und mit großem Amüsement die angeheiterten Teenager beobachten konnten. Die Krönung des Abends war die gestammelte und gelallte Erklärung eines Sportlers gegenüber dem Direktor, der letztendlich für die alkoholisierte Party verantwortlich war. Er hatte irgendeinen Fruchtlikör in den eigentlich alkoholfreien Punch geschüttetet – natürlich nur, weil er glaubte etwas für die Gesundheit der anderen zu tun: Früchte sind doch voller Vitamine! Der absolut ungläubige Blick des Direktors war einfach Gold wert, zumal unser Mitschüler bis heute der festen Überzeugung ist, dass er damals überzeugend gewesen wäre.
Wenn ich an solche Momente dachte, schmerzte mich der Verlust umso mehr. Ich vermisste sie und Jonas. Ruth sorgte zwar dafür, dass ich – zumindest gelegentlich – noch mit anderen Menschen außer meinen Eltern und Schwestern sprach, aber ich hatte zu ihr nicht das gleiche Vertrauensverhältnis wie zu Felicia.
Was mich und meinen Vater wunderte, war die absolute Abwesenheit der Beobachter insbesondere in dieser Zeit. Nachdem was Granda und Dad erzählt hatten, wäre zu vermuten gewesen, dass sie nach Felicias Tod auftauchen würden. Doch es ließ sich keiner blicken. Fast wäre ich geneigt gewesen zu glauben, dass sie einfach das Interesse an mir und meiner Familie verloren hätten …
Eves und Hunters erstes Kind war ein Junge, den sie Seth nannten. Zwei Jahre später war Eve erneut schwanger, zeitgleich mit Sadie. Nachdem Sadie schwanger geworden war, versuchte ich etwas mehr aus mir herauszugehen und tatsächlich ging ich ein oder zwei Mal aus, aber es machte nie wirklich Klick.
An einem Frühlingsabend – ich hatte lange im Büro gesessen – wunderte ich mich, wo Felicia so lange blieb. Normalerweise war sie spätestens um fünf zu Hause. Mittlerweile wurde es dunkel. Mom war vor einer Stunde zur Spätschicht aufgebrochen und Dad baute bei seinen Eltern ein neues Seniorenbett auf. Grandma und Granda wurden nicht jünger und brauchten mehr Hilfe als früher. Oma und Grandpa waren wirklich Ausnahmerscheinungen gewesen.
Ich schaltete meinen Laptop aus und massierte mir den Nacken. Den Papierkram hatte ich ewig vor mir hergeschoben. Deswegen hatte es heute so lange gedauert. Ich warf einen Blick auf die Uhr und dann auf mein Smartphone. Schulterzuckend wanderte ich ins Haus. Halb erwartete ich, dass Felicia heimgekommen war und ich das nur nicht bemerkt hatte. Doch das Haus war leer. Ich ging durch den Garten und sah zur Straße in der Hoffnung, dass ich ihr Auto sehen würde. Während ich angestrengt in die Nacht sah, begann mein Smartphone in meiner Gesäßtasche zu vibrieren. Ich sah auf das Display – die Nummer war unbekannt. Ich hielt kurz inne. Der Moment bis ich den Anruf abnahm schien sich zu dehnen. Kurz hatte ich das Gefühl, dass jemand an mir vorbei ging. „Es tut mir leid ...“, meinte ich zu hören. Die Stimme kam mir bekannt vor, doch dann lief die Zeit wieder normal, ich nahm den Anruf an, hörte jemanden eine Mitteilung machen und hatte das Gefühl in ein tiefes Loch zu fallen …
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich ins Krankenhaus gekommen war. Ausgerechnet Tante Izzy nahm mich dort in Empfang und brachte mich zur Notaufnahme. Ich hatte immer Witze darüber gemacht, dass Felicias Job bei der Stadt das langweiligste war, was einem Menschen passieren konnte. Nun wünschte ich, nie auch nur ein Wort darüber verloren zu haben. Felicia war länger im Büro geblieben, um eine neue Kollegin einzuarbeiten. Als die beiden Frauen plaudernd das Gebäude verließen und auf den Bürgersteig traten, wurden sie von einem Meteoriten erschlagen. Einem Meteoriten! Wie unwahrscheinlich ist das denn bitte?
Ich war Felicias Notfallkontakt gewesen. Warum sie mich erst so spät informierten, wusste hinterher keiner mehr. Man hatte Felicia und ihre Kollegin noch ins Krankenhaus gebracht, aber beide hatten keine Chance. Mom hatte nichts davon mitbekommen, obwohl sie im selben Krankenhaus arbeitete. Wieso Tante Izzy es mitbekommen hatte und bereit stand um mich zu begrüßen, wusste auch keiner so recht. Was ich aber wusste war, dass Gefühl des Verlustes noch größer wurde, als ich in dem kleinen Zimmer stand, in dem man Felicia aufgebahrt hatte. Sie war tot. Wie eine Salzsäule stand ich da und starrte auf den mit einem weißen Laken abgedeckten Körper. Und als wäre das alles nicht schlimm genug – Jonas kam nicht. Ich rief ihn – er musste doch hier sein? - doch er kam nicht.
Er kam auch nicht in den nächsten Wochen, in denen ich wie in Trance gemeinsam mit meinen Eltern eine Trauerfeier organisierte. Er kam nicht, als ich Felicias Urne in die Urnenwand der Stadt einsetzen ließ (aufgrund einer Verwaltungsvorschrift durfte ich sie nicht auf unserem Familienfriedhof beisetzten). Er kam nicht, als ich in den nächsten Monaten die Altenheime belieferte. Er kam nicht, wenn ich auf unseren Friedhof ging und mir die Kehle nach ihm wund schrie.
Ein halbes Jahr später hatte sich die Erkenntnis gesetzt: Mit einem Schlag hatte ich meine besten und einzige Freunde verloren. Die Stimme, die ich kurz vor dem Anruf an Felicias Todestag gehört hatte, musste Jonas gehört haben. Aber warum war er verschwunden?
Es ist nicht so, als sei ich nach Felicias Tod und Jonas' Verschwinden in eine nicht überwindbare Depression gefallen. Ich war traurig und ich kämpfte sehr mit dem Verlust, aber meine Widerstandskräfte ließen mich nicht im Stich. Ich machte einfach weiter mit meinem Leben: Nahm Bestellungen entgegen, stellte Sirup her, lieferte ihn aus. Meine Schwestern bekamen ihre Kinder: Eve einen weiteren Jungen, Elias, und Sadie ein Mädchen, Thelma. Dankenswerterweise hielt sich der Rest der Familie mit entsprechenden Nachfragen bei mir zurück. Sogar Ruth.
Nachdem auch Ruths Vater gestorben war, siedelte sie komplett nach Riverview um. In Simropa hatte sie keine weitere Familie. Ruth fühlte sich bei uns und meinen Großeltern wohl. Sie konnte sich nie ganz von ihrer Oberflächlichkeit frei machen, aber nach und nach erkannte ich, dass sie auch eine tiefergehende Seite hatte. Erstaunlicherweise entschied sich Ruth für eine Karriere bei der Polizei. Mit der Zeit wurde sie – auf Grund ihrer Ausstrahlung und ihren Kommunikationsfähigkeiten – die Pressesprecherin. Wenn sie nicht arbeitete, hing sie bei meinen Großeltern oder bei uns rum – obwohl ich ihr gegenüber oft genug unhöflich, sarkastisch oder gehässig war, hatte Ruth mich irgendwie ins Herz geschlossen.
Meine Bildersammlung auf der Kommode ergänzte ich um Felicias Bild von unserem Abschlussball. Ich hatte damals keine Lust gehabt dorthin zu gehen, aber Felicia war es gegenüber ihren ehemaligen Freundinnen wichtig, mit erhobenem Kopf dort aufzutauchen. Nachdem ihre Mutter sie rausgeworfen hatte, machten die wildesten Gerüchte die Runde. Die anderen Cheerleader wollten nichts mehr mit ihr zu tun haben, denn Gerüchte sind auf der High School einfach tödlich. Ich tat damals mein bestes um Felicia zu unterstützen – und das hieß nun mal auch, mit ihr zu diesem Ball zu gehen. Erstaunlicherweise hatte ich an dem Abend sogar ziemlich viel Spaß, weil Felicia und ich die einzigen waren, die den Abend halbwegs nüchtern überstanden und mit großem Amüsement die angeheiterten Teenager beobachten konnten. Die Krönung des Abends war die gestammelte und gelallte Erklärung eines Sportlers gegenüber dem Direktor, der letztendlich für die alkoholisierte Party verantwortlich war. Er hatte irgendeinen Fruchtlikör in den eigentlich alkoholfreien Punch geschüttetet – natürlich nur, weil er glaubte etwas für die Gesundheit der anderen zu tun: Früchte sind doch voller Vitamine! Der absolut ungläubige Blick des Direktors war einfach Gold wert, zumal unser Mitschüler bis heute der festen Überzeugung ist, dass er damals überzeugend gewesen wäre.
Wenn ich an solche Momente dachte, schmerzte mich der Verlust umso mehr. Ich vermisste sie und Jonas. Ruth sorgte zwar dafür, dass ich – zumindest gelegentlich – noch mit anderen Menschen außer meinen Eltern und Schwestern sprach, aber ich hatte zu ihr nicht das gleiche Vertrauensverhältnis wie zu Felicia.
Was mich und meinen Vater wunderte, war die absolute Abwesenheit der Beobachter insbesondere in dieser Zeit. Nachdem was Granda und Dad erzählt hatten, wäre zu vermuten gewesen, dass sie nach Felicias Tod auftauchen würden. Doch es ließ sich keiner blicken. Fast wäre ich geneigt gewesen zu glauben, dass sie einfach das Interesse an mir und meiner Familie verloren hätten …
Akki- Familiensim
- Anzahl der Beiträge : 2655
Ort : Niederrhein
Anmeldedatum : 09.02.08
Seite 4 von 12 • 1, 2, 3, 4, 5 ... 10, 11, 12
Ähnliche Themen
» Gone with the wind - Die O’Hara-Legacy [ab Gen 2]
» The O'Connell Legacy
» Timberwolf-Legacy
» Fitzgerald-Legacy
» Die Faust-Legacy - Haus der starken Frauen
» The O'Connell Legacy
» Timberwolf-Legacy
» Fitzgerald-Legacy
» Die Faust-Legacy - Haus der starken Frauen
Seite 4 von 12
Befugnisse in diesem Forum
Sie können in diesem Forum nicht antworten