Seasons Island Mysteries

Während Tennessee die Nacht damit verbrachte, über die Geschehnisse des vergangenen Tages nachzugrübeln, durchlebte ihre Zwillingsschwester Arizona eine Nacht voller Schmerzen. In den frühen Morgenstunden brachte sie ihren und Robins zweiten Sohn Morris zur Welt.

Noch am selben Tag machte sich Milena auf den Weg zu ihrem neuen Heim, dem kleinen, aber düsteren Wohnsitz der Familie Hex.



Sie war froh, dass der gesamte Schnee weggetaut war, denn der Weg über die Klippen war auch ohne diesen nicht ungefährlich. Vor dem Haus blieb sie lange Zeit stehen und suchte vergeblich nach Alternativen.



Sie kannte Xavi Hex kaum. In der Schule hatten sie sich immer, wie es dort üblich war, mit Vornamen gesiezt. Wie sollte sie den erwachsenen Xavi jetzt ansprechen? Mr. Hex? Dann hätte sie noch mehr das Gefühl, ein Dienstbote zu sein. Aber konnte sie ihn einfach Xavi nennen? Wieder einmal merkte sie, dass sie sich hier nicht auf das verlassen konnte, was sie als Kind in der alten Heimat gelernt hatte. Hier war alles anders. Sie wollte schon fast den Weg zurück ins Dorf einschlagen, als sich die Haustür öffnete und Xavi Hex sie nervös anlächelte. "Milena! Komm rein! Ich habe etwas für dich!" Mit vor Angst weichen Knien zwang sie sich die wenigen Stufen zur Haustür hinauf und trat ein.

"Überraschung!" Milena traute ihren Augen kaum. Vor ihr stand ihre Freunding Bloothy Rubino.



"Bloothy, was machst du hier?" "Xavi hat mich gebeten, heute Nacht bei dir zu bleiben", antwortete Bloothy fröhlich. "Komm mit rauf, ich werde dir zeigen, wo wir schlafen." Sie stürmte die schmale Wendeltreppe hinauf und Milena folgte ihr, nachdem sie einen Blick mit Xavi gewechselt hatte, der glücklich nickte.

In der nächsten Etage schloss Bloothy die Schlafzimmertür und lies sich auf das breite Bett plumpsen. "Du hast so ein Glück, Milena", sagte sie leise, damit Xavi sie im Wohnzimmer nicht hören konnte. "Was würde ich darum geben, auch endlich zuhause ausziehen zu können... Meine vielen Geschwister gehen mir ganz schön auf den Keks." "Ich weiß nicht so recht." Milena setzte sich vorsichtig auf die andere Seite des Bettes. "Ich kenne ihn doch kaum." "Du musst ihn ja auch nicht heiraten. Obwohl...er ist echt süß." Bloothy entfuhr ein Quieken. "Und ich glaube, er mag dich. Du hättest vorhin mal sehen sollen, wie nervös er war, als wir auf dich gewartet haben. Er ist die ganze Zeit durchs Zimmer getigert und blieb nur stehen, um die Uhr anzustarren."



"Ich hoffe, er mag mich nicht zu sehr. Bald werde ich ganz alleine hier mit ihm sein. Er ist mir irgendwie unheimlich." Bloothy streckte sich lang auf dem Bett aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. "Ach, da mach dir keine Sorgen. Er ist bei dem alten Esiriel aufgewachsen. Der war auch irgendwie unheimlich, aber der netteste Sim, den ich kenne." "Na ja, ich werde Mr. Hex ja wohl auch bald besser kennenlernen..." Bloothy musste lachen: "Sag Xavi, bitte! Wir sind doch hier nicht in der Schule. Ich glaube, wenn du ihn mit Mr. Hex anredest, läuft er puterrot an."

Die beiden Mädchen plauderten noch lange und schliefen erst spät in der Nacht ein.



Zwischendurch hatte es einmal an die Tür geklopft und Xavi Hex hatte ihnen ein Tablett mit Abendbrot und Leckereien gebracht. Er hatte die Mädchen kurz gefragt, ob sie noch etwas bräuchten, dann hatte er seine Schlafstatt bezogen, auf der er eine eher unruhige Nacht verbrachte.

Auch Tennessee fand in dieser Nacht nur wenig Schlaf.

Sie hatte den Tag mit dem Sammeln verschiedener Samen verbracht, machte jedoch dabei einen großen Bogen um das Elixiergeschäft.



Dennoch kreisten ihre Gedanken um nichts anderes als Hugo Pott. Sein wütender Ausbruch am Vortag hatte sie zunächst ebenfalls wütend gemacht. Mittlerweile, nachdem sie vom Verschwinden seiner Frau wusste, befand sie allerdings, dass sie unter diesen Umständen vielleicht doch ein wenig zu weit gegangen war. Natürlich hatte er keinen Grund gehabt, so auszurasten, weshalb sie sich auf keinen Fall entschuldigen würde. Dennoch sprachen drei Gründe dafür, ihn aufzusuchen und mit ihm zu reden:

1. Griselda hatte sie gebeten, mit ihm zu sprechen und der Freundin schien sehr viel daran zu liegen.

2. Sie mochte Hugo Pott. Seit sie hier angekommen war, hatte er sich stets als guter und fürsorglicher Freund erwiesen, auch wenn er ihr mit seinen Neckereien oft die Schamesröte ins Gesicht getrieben hatte.

3. Tennessee wollte Näheres über die "Dunkle Zeit" und die Umstände des Verschwindens seiner Frau erfahren.

Als die Abenddämmerung einsetzte, machte sie sich auf den Weg zur Schule. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn dort antreffen würde, doch sie erinnerte sich, dass er vorgeschlagen hatte, ihr in dieser Nacht eine besondere Sternenkonstellation zu zeigen.

Im Schulgebäude brannte tatsächlich Licht und die Tür zum Turm stand offen. Vorsichtig stieg sie die steilen Stufen hinauf.



Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen. Wie würde er reagieren, wenn er sie sah? Wäre er überhaupt bereit, mit ihr zu reden?

Er stand neben dem Teleskop und sah in die Nacht hinaus.



"Ich freue mich, dass sie kommen konnten, Tennessee", begrüßte er sie mit ruhiger Stimme, ohne sich umzudrehen. "Sie sagten doch selbst einmal, meine wissenschaftliche Neugier sei unerschöpflich", gab sie zurück. Er wechselte zum Fenster und sah hinaus, noch immer ohne sie anzusehen.



"Es wird noch eine Weile dauern, bis die Gestirne die entscheidende Position einnehmen."

"Haben sie vielleicht Hunger?" Endlich drehte er sich zu ihr um, streckte ihr die Linke entgegen und vollführte mit der Rechte eine kreisende Handbewegung darüber. Die Luft fing an zu leuchten und auf seiner Handfläche erschien ein Apfel.



Zögernd nahm sie das glänzende rote Obst aus seiner Hand und drehte es erstaunt hin und her. Konnte man das wirklich essen oder erlaubte sich Hugo Pott wieder einen Spaß mit ihr? "Beißen sie ruhig hinein, Tennessee. Er ist nicht vergiftet." Sie ließ den Apfel in die Tasche ihres Kleides gleiten. "Später vielleicht. Ich bin gerade nicht hungrig."

Hugo schloss die Augen und atmete schwer aus.



"Sie vertrauen mir nicht mehr." Vorsichtig nahm er ihre Hand. "Aber ich bin wohl selber Schuld." Irgendetwas schien im aufrichtig leid zu tun.

Sie verspürte plötzlich den Wunsch, ihm ganz nah zu sein, sich an ihn zu schmiegen. Die Bilder ihrer Tagträume tauchten wieder vor ihrem inneren Auge auf, die, in denen sie und Hugo auf dem Bett oder vor dem Kamin... Es war fast wie ein innerer Zwang. Tennessee musste sich sehr anstrengen, diesem heftigen Drang zu widerstehen. Sie hätte Griselda nicht fragen sollen, ob er ihre Gedanken lesen konnte, sondern eher ob er die Macht besaß, diese zu beeinflussen.



Unter größter Anstrengung löste sie vorsichtig ihre Hand aus der seinen.

"Es tut mir leid, was gestern im Laden passiert ist." Er sah ihr geradewegs in die Augen. "Es wird nicht wieder vorkommen, hoffe ich. Aber sie besitzen die Fähigkeit... mich aus der Bahn zu bringen." Das kann ich nur zurückgeben, dachte sie, schwieg aber. "Manchmal habe ich das Gefühl, ich weiß genau, was sie als nächstes tun oder sagen und dann wieder sind sie so... unvorhersehbar. Das macht sie so lebendig. Sie... sie sind eine interessante Frau. Ich weiß nicht aus welchem von 20.000 Gründen, aber ich mag sie, Tennesssee. Sehr sogar. In ihrer Nähe habe ich das Gefühl, sie vervollständigen mich. Und obwohl sie gelegentlich Seiten an mir zum Vorschein bringen, die ich lieber verbergen würde, möchte ich gerne sehr viel mehr Zeit meines Lebens mit ihnen verbringen."




Sie hielt seinem intensiven Blick stand und sagte leise: "Erzählen sie mir von ihrer Frau."

Es war heraus. Dieses Mal wollte sie ihn nicht provozieren, nur einfach Bescheid wissen. Hugo Pott erstarrte für einen Moment. Einen Augenblick lang vermeinte sie Angst in seinem Gesicht zu erkennen. Es war, als würde eine Mauer zwischen ihnen hochfahren. War sie schon wieder zu weit gegangen? Er musste glauben, dass sie ihn absichtlich verletzte, aber sie konnte sich nicht auf ihn einlassen, solange dieses Gespenst zwischen ihnen schwebte.



"Was wollen sie wissen?" Er klang gefasst, aber gefühllos. "Griselda hat mir erzählt, sie sei in der... dunklen Zeit... verschwunden. Ich wüsste gerne, wie oder weshalb." "Ungewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen", antwortete er mit einem fast entschuldigenden Ton in der Stimme. "Und das bedeutet?" hakte sie nach. "Ich habe versucht, sie zu töten."

Sie drehte sich um und rannte zur Treppe, jeden Moment darauf gefasst, dass er sie greifen und festhalten würde, um... sie wusste nicht, zu was er fähig war. Bisher hatte sie ihm auch keinen Mord zugetraut, oder dass er überhaupt jemanden absichtlich verletzen könnte. Als sie die oberste Stufe erreicht hatte, blieb sie jedoch stehen. Sie spürte kein Gefühl der Bedrohung in ihrem Rücken und Hugo schien sich auch nicht zu bewegen.



Mit erzwungen ruhigen Atemzügen versuchte sie, ihren Herzschlag wieder zu normalisieren.

"Anna." Es klang fast wie ein Geständnis. "Ihr Name ist Anna." Sie wagte nicht, sich zu bewegen. "Als ich sie das erste Mal sah, lief sie barfuss diesen Weg dort unten entlang zur Schule." Sie hörte, wie er ein paar Schritte machte, aber er kam nicht näher. Als sie sich umdrehte, stand er am Geländer und sah hinunter.




"Ich war sofort in sie verliebt."

"Meine Eltern hatten mich nach Seasons Island geschickt, um von Esiriel zu lernen. Er war ein grandioser Lehrmeister der Zauberei und weit über die Grenzen der Insel hinaus bekannt." Hugo machte eine Pause und gedachte dem alten Mann, dem er viel zu verdanken hatte. "Anna besaß keine magischen Fähigkeiten, aber uns verband die Liebe zur Alchemie. Wir forschten fast jeden Morgen gemeinsam in der Schule und am Nachmittag trafen wir uns am Strand und diskutierten weiter über unsere Ergebnisse. Ich war der glücklichste Sim der Welt, als sie mir und sich gestand, dass uns wohl mehr verband als nur Freundschaft und Wissensdurst. Niemand wunderte sich, als wir ein Paar wurden."

Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar und schien unruhig zu werden. "Mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter begann sie sich zu verändern. Sie war weniger unbeschwert, was ich zwar bedauerte, aber für durchaus normal hielt. Doch die Alchemie schien ihr zur Besessenheit zu werden. Wenn sie nicht vor dem Spiegel stand und nach Alterungsanzeichen Ausschau hielt, war sie im Labor zu finden, wo sie nach einem Mittel suchte, den natürlichen Lauf des Lebens zu umgehen. Da ich sie liebte, unterstützte ich sie bei ihrer Suche. Ich hätte sie auch mit Falten und grauem Haar geliebt, aber ich wollte sie glücklich sehen. Wir stießen schnell auf einige Elixiere, die den Alterungsprozess hinauszögern konnten, Salben, zur Glättung der Haut, Tränke, die wahre Energieschübe auslösten. Doch sie wollte mehr und fing an einige alte Bücher zu studieren, die besser hätten geschlossen bleiben sollen. So stolperte sie eines Tages über einen Bericht der "Durstigen". Sie waren Sims, die sehr viel länger lebten, ohne dabei gebrechlich zu werden. Doch wie alles im Leben hatte auch diese lang währende Jugend ihren Preis. Die Durstigen konnten sich nur von Blut ernähren und vertrugen kein Tageslicht." Er schwieg einen Moment und schien mit seinen Gedanken ganz in der Vergangenheit zu sein.



Dann fuhr er fort: "Ich merkte, wie fasziniert Anna von den Durstigen war, doch mir gefiel die Sache nicht. Es war nicht nur die Art der Nahrungsaufnahme, die mich abstieß. Ich wollte sie weiterhin barfuss durch sonnenüberflutete Wiesen laufen sehen, den Schimmer ihrer Haut bewundern, wenn sich das Sonnenlicht nach dem Baden in den winzigen Wassertröpfchen brach. Vor allem aber wollte ich Tag und Nacht mit ihr genießen. Doch die Durstigen sind gezwungen, den Tag in Kellern zu verbringen, damit kein Sonnenstrahl sie trifft. So ein Leben konnte ich mir nicht vorstellen. Ich redete auf sie ein, bekniete sie und drohte sogar damit, sie zu verlassen. Wir hatten schon länger das wissenschaftliche Sie bei der Arbeit aufgegeben. Doch jetzt fing sie zudem an, mich zu umschmeicheln und zu verführen, wenn ich versuchte, sie von ihrem Vorhaben abzubringen oder mich gar weigerte, ihr zu helfen. Ein Leben ohne Anna konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Und so brauten wir schließlich nach einem uralten Rezept mit recht unappetitlichen Zutaten und Ritualen, sowie ein wenige Zauberei meinerseits ein Elixier, welches einen gewöhnlichen Sim in einen Durstigen transferieren konnte. Ich hielt es unter Verschluss und hoffte, Anna noch davon überzeugen zu können, dass ich sie, so wie sie war, auch im Alter noch liebenswert finden würde."

Hugo gab seine aufrechte Haltung auf, stützte sich mit den Ellbogen auf die Brüstung und ließ den Kopf hängen. "Dann erreichte mich die Nachricht, mein Vater läge im Sterben. Ich reiste natürlich sofort zu ihm, um erstaunt festzustellen, dass er sich bei bester Gesundheit befand. Als ich ihn sah, wie er sich über meinen unerwarteten Besuch freute, wusste ich sofort, dass Anna mich reingelegt hatte."



"Obwohl ich nur einen halben Tag fort war, hatte sie es geschafft, Esiriel dazu zu bringen, meinen magisch verschlossenen Schrank zu öffnen. Sie erzählte ihm unter Tränen, dass ich dringend einen Trank daraus benötigte, um meinem Vater zu helfen. Als ich wieder auf der Insel eintraf, hatte sie das Elixier bereits getrunken und die Dunkle Zeit brach an."

"Zunächst bemerkten wir kaum eine Veränderung, außer, dass sie nichts mehr essen mochte und sich nach jedem erzwungenen Bissen übergab. Ich machte mir große Sorgen, denn sie war sehr zart und wurde nun von Tag zu Tag schwächer. Auch Esiriel wusste keinen Rat, selbst dann nicht, als ich ihm anvertraute, was wir getan hatten. Vielleicht ahnte er auch, was kommen würde und wollte nicht helfen. Schließlich wurde mir klar, dass nur Blut sie retten konnte und ich gab ihr den Lebenssaft einer geschlachteten Ziege." Hugo machte eine Pause. Es schien ihm sichtlich schwer zu fallen, weiter zu erzählen.

"Bis dahin hatte ich immer geglaubt, es gäbe nichts, was meine Liebe zu ihr schmälern könnte. Doch manchmal ändern sich die Dinge, von denen man glaubt, sie seien unumstößlich." Seine Stimme klang unendlich traurig. Langsam machte Tennessee ein paar vorsichtige Schritte auf ihn zu.



"Das Blut, dass sie getrunken hatte, brachte sie noch am selben Tag wieder auf die Beine. Von nun an kümmerte sie sich selbst um ihr "Essen". Wir verbrachten kaum noch Zeit miteinander. Wie zu erwarten gewesen war, schlief sie am Tag in unserem Labor im Keller. In der Nacht, wenn ich schlief, ging sie auf die Jagd. Auf der Insel tauchten vermehrt Tierleichen auf. Zunächst waren es Wildtiere und streunende Katzen, aber schon bald verschwanden zunehmend auch Haustiere.

Eines Tages bekam ich Besuch von Esiriel. Er brachte mir ein sehr altes Buch und bat mich, es zu lesen. Es handelte ebenfalls von den Durstigen. Schon nach wenigen Seiten fand auch ich nachts keinen Schlaf mehr. Zu grauenvoll waren die Dinge, die darin geschrieben standen. Durstige, die Simblut gekostet hatten, wurden unberechenbar. Es hieß, dass Tierblut wie eine Droge wirkte, die irgendwann nicht mehr reichte und unweigerlich dazu führte, dass ein Durstiger nach dem Blut seiner Mitsims lechzte. Doch die alte Schrift vermittelte auch einen Funken Hoffnung. Auf einer der südlichen Insel sollte es eine Pflanze geben, die diesen Vorgang unterbrechen konnte, die Plasmafrucht. Ich beriet mich mit Esiriel und machte mich schließlich auf die Reise, um Samen für dieses Obst zu erstehen und nach Seasons Island zu bringen. Doch die Angaben waren alt und ungenau und so dauerte es mehre Wochen, bis ich voller Hoffnung und mit der Plasmafrucht im Gepäck zurückkehrte. Doch das Unheil hatte bereits seinen Lauf genommen. Sims waren gestorben."

Hugo schwieg gedankenversunken. Tennessee wagte nicht, die Stille zu durchbrechen. Was hätte sie auch dazu sagen sollen. Wie gelähmt stand sie in der Dunkelheit des Turms und wartete darauf, dass Hugo seinen Bericht fortsetzte.



"Es war Esiriel, der mich bei meiner Rückkehr vor unserem Haus abfing. Sein Gesicht war von tiefer Trauer gezeichnet. Während meiner Abwesenheit war Stella Carrington überfallen worden. Man fand ihren leblosen Körper in ihrem eigenen Haus. Auch Stellas kleine Tochter Valerie und deren Bruder Dami, noch ein Säugling, schienen dem Tode nahe. Abgesehen von einer tiefen Bewusstlosigkeit konnte jedoch niemand sagen, was den beiden eigentlich fehlte. Sie waren nun quasi Waisenkinder, denn Stella war erst kurze Zeit vorher allein mit den beiden Kindern auf die Insel gezogen. Niemand kannte den Vater. Ich konnte nicht glauben, was Esiriel mir da erzählte, erst recht nicht, dass Anna dafür verantwortlich sein sollte. Ich ließ ihn stehen und ging ins Haus. Im Laborkeller fand ich Anna schlafend. Meine Anna. Meine wunderschöne Anna. Sie sah so friedlich aus. Ich brachte es nicht über mich, sie zu wecken, saß nur stumm an ihrer Seite und wartete auf die Nacht, damit sie mir sagen konnte, dass sie diese grauenvolle Tat nicht begangen hatte."

Hugo sah weiter hinaus in die Dunkelheit. Das Sprechen schien ihm leichter zu fallen, wenn er so tat, als wäre Tennessee nicht da. "Bei Sonnenuntergang erwachte Anna. Sie lächelte mich an, schlang ihre Arme um mich und küsste meine Lippen. Sie schien voller Begeisterung, mich wiederzusehen, war so lebendig und unbeschwert wie immer. In diesem Moment war ich so überzeugt, dass sie mit den scheußlichen Ereignissen nichts zu tun hatte, dass ich sie erst gar nicht danach fragte. Stattdessen gab ich ihr ein Glas des Saftes von den Plasmafrüchten, die ich mitgebracht hatte. Ich war so unglaublich froh, als sie es in einem Zug leerte. Ich glaubte, alles wäre gut." Hugo schüttelte den Kopf, als könne er selbst nicht glauben, was damals geschehen war.

"Eine weitere Eigenart der Durstigen war ihr großer Bewegungsdrang und ihre Schnelligkeit. Anna sagte mir, sie müsse sich draußen austoben, sei aber vor Tagesanbruch zurück. Dabei lächelte sie, als hätte sie einen gewöhnlichen Witz gemacht. Alles schien so... so... normal. Ich war völlig erschöpft von der langen Reise und ging zu Bett, doch ich stand schon früh am Morgen auf. Ich hatte vorgehabt, ein riesiges Feld mit Plasmafrüchten anzulegen. Plötzlich stand Esiriel hinter mir im Arbeitszimmer. ,Du klopfst nicht mehr an, wenn du mich besuchst', begrüßte ich ihn wenig freundlich. ,Es ist nicht die Zeit für Höflichkeiten', entgegnete er. Ich liebte Esiriel, er war wie ein zweiter Vater für mich. Aber Anna liebte ich mehr. Ich war entschlossen, sie zu verteidigen. Als ich mich zu Esiriel umdrehte, blieb mir fast das Herz stehen. Ich hatte den Mann noch nie so aufgebracht erlebt. Mit seiner Macht als Großmagier hätte ein Fingerschnippen gereicht, mich zu vernichten. ,Anna hat nichts damit zu tun', verteidigte ich meine Liebe und streckte Esiriel eine Hand voll Plasmafruchtsamen entgegen. ,Sie hat den Saft getrunken. Sie braucht kein Blut, Esiriel!' Ich konnte nicht verstehen, warum er mir nicht glauben wollte. Wütend und angriffslustig wie ein Grizly stand er da und doch hatte ich das Gefühl, er sei hinter dieser Fassade so schwach und verletzlich wie ein Schmetterling. Ich glaube, dieses unsichtbare Bild von ihm war es, dass mich letztlich bewog, seiner Aufforderung, ihm zu folgen, nachzukommen. An unserem Tor blieb er kurz stehen und starrte wortlos auf den Boden. Ich folgte seinem Blick und sah etwas, dass wie erbrochener Plasmasaft aussah. Mein Herz begann zu rasen und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, eine riesige Faust hielte es umklammert und wollte es am Schlagen hindern. Wie in Trance folgte ich Esiriel zur Kapelle, vor der er abermals anhielt.




,Du musst ohne mich hineingehen', sagte er matt. ,Ich fürchte, ich werde dir etwas antun, wenn ich mitkomme.'"

"In dem dunklen Steingebäude waren fast alle Einwohner der Insel versammelt. Sie versperrten den Gang zum Altar, aber als ich den hohen Raum betrat, bildeten sie stumm eine Gasse. Während alle Augen auf mich gerichtet waren, schritt ich langsam auf die beiden Körper zu, die reglos am Ende des Ganges lagen. Schon von weitem erkannte ich Esiriels Sohn Justus. Neben ihm lag Veronika, dessen Frau. Sie sahen aus, als schliefen sie, aber ihr Brustkorb hob und senkte sich nicht mehr wie beim Atmen."

Hugo hob die Handflächen und ließ sie wieder fallen, so als wolle er nach etwas greifen, was plötzlich nicht mehr da war. "An die nächsten Stunden kann ich mich nicht erinnern. Das nächste was ich weiß, ist dass ich zuhause auf dem Boden vor der Tür zum Keller saß, entschlossen, niemanden hinunter zu lassen, als Esiriel abermals mein Heim betrat. In der Hand hielt er ein Messer, an dessen Klinge eine gelbliche Flüssigkeit schimmerte. ,Du musst es tun', sagte er leise aber eindringlich ,Und zwar noch bevor der Tag der Nacht weicht.' Ich stand auf, nahm das Messer an mich und stieg die Kellertreppe hinab. Wie am Tag zuvor setzte ich mich neben sie und wartete. Tief in mir hatte ich die Wahrheit erkannt, aber der Funken Hoffnung wollte nicht erlischen, der uns noch immer in Liebe verband. Als die Sonne unterging, erwachte sie, wie jede Nacht. Sie sah das Messer in meiner Hand und lächelte mich an. ,Willst du das wirklich tun, Liebster?' flüsterte sie. ,Gemeinsam können wir die Nacht zum Tag machen. Wir können diese Insel beherrschen. Wir wären wie Könige.'"

Es herrschte Stille im alten Glockenturm der Schule.

"Wie hast du dich entschieden?" unterbrach Tennessee das Schweigen schließlich. Hugo drehte sich zu ihr um.




Obwohl seine Stimme nur der Hauch eines Flüsterns war, konnte sie die Verzweiflung und den Unglauben darin erkennen. "Ich stach zu."

Tennessee wollte etwas Tröstendes sagen oder tun, aber Hugo hatte sich bereits umgedreht und stolperte wie ein Wahnsinniger die steile Treppe hinab, dass sie befürchtete, er würde stürzen und sich das Genick brechen.

"Na toll, das hast du super hingekriegt, Tennessse" flüsterte sie sich selbst in der Stille zu. "Was mach ich jetzt...???"

Ein wenig ratlos stieg sie die Stufen hinab und fand Hugo im Garten der Schule. Er saß auf dem Boden und starrte in den Himmel.



Tennessee fragte sich, ob er noch seinen Gedanken an früher nachhing oder bereits die Sterne betrachtete, um den Zeitpunkt der besonderen Konstellation nicht zu verpassen. Sie kannte sich mit Männern und deren Gefühlsleben allgemein nicht gut aus, doch dieses Exemplar war ihr ein ganz besonderes Rätsel. Besonders... ja, das war er.

Langsam, als könne sie ihn mit einer plötzlichen Bewegung verschrecken, setzte sie sich neben ihn auf den Boden. "An was denkst du?", fragte sie vorsichtig.



Er blickte weiter in die Ferne. "Sie ist noch irgendwo da draußen." "Und du vermisst sie." "Ja und nein", antwortete er. "Ich vermisse die Anna, die mit mir zur Schule gegangen ist, die immer fröhlich und unbeschwert war. Aber die gibt es nicht mehr. Da ist nur noch Anna das Monster." Er atmete hörbar ein und aus.



"Ich wünschte, ich hätte nicht so lange gezögert und sie im Schlaf erlöst. Aber sie war so wahnsinnig schnell. Als ich den Dolch aus der Matratze zog, stand sie schon in der Tür. ,Du bist zu weich, Liebster', waren ihre letzten Worte an mich. Danach habe ich sie nie wiedergesehen."

Tennessee ließ langsam ihre Finger über Hugos Hand gleiten.



"Ich wünschte, ich könnte dich diese schlimme Zeit vergessen machen." Er sah sie an. "Ja, manchmal wünsche ich mir auch, dass du das könntest." Er hob die Linke und strich zärtlich über ihre Wange, als bereute er, ihr mit seinem Geständnis ebenfalls Kummer bereitet zu haben. "Aber diese Zeit gehört zu mir", flüsterte er. "Sie ist Teil meines Lebens und ohne sie wäre ich nicht der Sim, der ich heute bin. Vielleicht wäre ich besser, vielleicht schlechter... auf jeden Fall anders."

"Schau!", rief er unvermittelt, als hätte es die letzte Stunde mit ihrer traurigen Geschichte nicht gegeben, und zeigte in den Himmel. "Siehst du die beiden großen Sterne dort?"



Tennessee folgte seinem Finger mit den Augen. "Ja", versuchte sie sich auf seine plötzliche Begeisterung einzulassen. "Meinst du die, die sich fast berühren?" "Genau. Das sind Terzo und Xita. Es heißt, wenn zwei Sims, die sich lieben, zusehen, wie sich die Sterne ,küssen', bleibt man ein Leben lang zusammen", flüsterte er ihr ins Ohr.